Dem heutigen Politiker wird ja einiges nachgesagt: Er sei Unglaubwürdig. Langweilig. Charakterlos. Unfähig in seinem Fach. Es seien Graue Herren und Damen, denen die Vermittlung ihrer Politik zum Bürger nicht gelingt — trotz hochbezahlter Marketingstrategen, Redenschreiber und besten Medienkontakten. Im Zusammenhang mit Stuttgart 21 äußerte bei 3sat nano neulich ein Kommunikationswissenschaftler „die Bürger seien nicht Politikverdrossen, sondern Politikerverdrossen”. (Link zum Video)
Blickt man in den Schleswig-Holsteinischen Landtag, so kann man tatsächlich manchmal diesen Eindruck bekommen. Zitternde Stimmchen am Rednerpult, Debatten, bei denen man einschlafen möchte, und Abgeordnete, bei denen keiner genau weiß, wer Die eigentlich gewählt hat. Die Angst vor einer ernsthaften Debatte oder dem Turkey-Shooting der Boulevardpresse scheint die meisten Politiker vor klaren Aussagen zurückschrecken zu lassen. Lieber „eiert“ man ein wenig rum, dann kann einen auch am Ende keiner auf Gesagtes festnageln.
Doch glücklicherweise gibt es Ausnahmen. Diese charismatischen Redner, die bis zum Platzen mit Selbstbewusstsein gefüllt und noch dazu bereit sind, jedem ihre Meinung um die Ohren zu hauen. Zwei dieser „Titanen” haben sich an diesem Dienstag in Kiel getroffen, um in gemütlicher Atmosphäre ein paar Sticheleien auszutauschen. Der (noch) amtierende Fraktionsvorsitzende der SPD, Ralf Stegner lud sein FDP-Pendant Wolfgang Kubicki ins Restaurant Galileo ein, um vor reichlich vorhandenem Publikum gemeinsam zu beweisen, dass nicht jeder Politiker zwangsbedingt grau und langweilig sein muss. Und tatsächlich war Ego das letzte, was an diesem Abend gefehlt hat.
Stegner, der auch als „Roter Rambo“ vorgestellt wurde, hatte ja schon zu Zeiten der Großen Koalition gezeigt, dass er lieber mit dem Kopf durch die Wand geht, anstatt seine Politik verwässern zu lassen – was letzten Endes zum Bruch dieser führte (Spiegel). Zumindest konnte ihm damals niemand fehlende Standhaftigkeit vorwerfen. An diesem Abend bereitete es ihm zudem immer wieder sichtliche Freude, seinem FDP-Kollegen dessen momentan sehr schlechten Umfragewerte und das wohl zukünftige Oppositionsdasein unter die Nase zu reiben.
Stegners „Kontrahent“ Kubicki kann ebenfalls auf eine Menge politischer Irritationen, markante Zitate und Auseinandersetzungen mit Kollegen zurückblicken. Legendär sein ZEIT-Interview, in welchem er (unter anderem) preisgab „in Berlin“ würde er „zum Trinker werden, vielleicht auch zum Hurenbock“, weswegen er niemals dort hinziehen könnte. Zudem hätten große Teile der Politiker „keinen Arsch in der Hose“ (Eine Einschätzung, die der Autor teilt). An diesem Abend rechnete er zudem verbal mit den Lübecker Nachrichten, insbesondere mit deren Autor Wolfram Hammer ab: Die LN seien auch als „Lügen-Nachrichten“ bekannt, und Wolfram Hammer habe im Zusammenhang mit den Uni-Protesten im Sommer (Spiegel) diesen Jahres bewusst Aussagen Kubickis falsch wiedergegeben (LN*).
Der Abend war durch die ständigen Sticheleien und Anspielungen zwar sehr unterhaltsam, doch auch politisch wurde einiges geboten, wenngleich beide ihr Potenzial nicht vollends ausschöpfen konnten. Die Kontrahenten gaben meist klare Antworten auf ihre Absichten im Bezug auf wichtige politische Projekte, hier eine kleine Auflistung der wichtigsten Aussagen: (Ein Link zum Video wird hier gesetzt, sobald dieses online ist)
*Update (30.10): Videoplaylist bei youtube unter diesem Link*
Die Fehmarnbeltquerung — FDP: ja, unbedingt / SPD: ja, wenn sich nicht so viele beschweren
Wahlgesetz / Neuwahl — FDP: Wahlgesetz muss schnell her, Neuwahl Anfang 2012 / SPD: Wahlgesetz muss schnell her, Neuwahl Ende 2011
Zuwanderung / Integration — FDP: Ja, besonders qualifizierte Arbeitskräfte / SPD: Ja, aber Flüchtlinge nicht vergessen
Nordstaat — FDP: Ja, aber sieht dort keine Entwicklung / SPD: Ja, prinzipiell wäre mehr möglich
Bildungsreform — FDP: Ist super, weil sie den Schulen mehr Freiheit gibt / SPD: Ist katastrophal, weil sie alle verwirrt
Konsolidierung des Landeshaushalts — FDP: Problem, aber nötig / SPD: Bitte woanders sparen als bei den „Familien, Blinden, Transferleistungsempfängern”
Am Ende des Abends gingen beide Männer glücklich nach Hause. Stegner, weil er in einem Raum voller Sozialdemokraten den meisten Applaus für seine Aussagen bekam; Kubicki, weil er die Öffentlichkeit liebt und zudem davon ausgeht, dass Stegner im nächsten Wahlkampf eh nicht als Spitzenkandidat antreten wird.
Und auch wenn man einen oder beide Männer als unsympathisch, arrogant und eingebildet empfinden mag, haben sie doch den Effekt, die Bürger mit ihrem Charisma in die Wahllokale zu treiben. Und sei es nur, um den jeweils anderen zu wählen. ;)
*Der Autor ist sich nicht zu 100% sicher, dass sich Kubicki bei seiner Aussage auf diesen Artikel berief, da Wolfram Hammer mehrere zu dieser Thematik verfasst hat.
Prinzipiell eine Betrachtungsweise des Autors, die in Ordnung geht. Die „Stegner trifft”
Runde wurde im Wahlkampfjahr 2009 von der Kampa des SPD Landesverbandes selbst ins Leben gerufen, um einen Kontrapunkt zu der nicht immer ganz objektiven Schleswig-Holsteinischen Presse zu setzen und um den Bürgerinnen und Bürgern selbst die Möglichkeit zu geben, sich ein nicht durch die Journalie vorgefertigtes Bild der Person Stegner zu machen. Da Stegner und Carstensen am Ende in den Personenumfragen gleich auf waren, ging das Prinzip auf. Wohlgemerkt — betrachtet man die Personen alleine — und nicht die Ergebnisse der Parteien.
Dieser Abend diente ja auch durchaus dazu, sich auch mal wieder sozial-liberaler Traditionen zu besinnen und sich an Gemeinsamkeiten zu erinnern. Dies ist meiner Meinung nach geglückt. Selbst bei solch starken Persönlichkeiten wie Kubicki und Stegner.
Eine kleine Korrektur dennoch. Zum Thema Fehmarn-Belt Querung sagte Stegner, dass die SPD eine weitere Finanzierung und Entwicklung der Hinterlandanbindung durch den Bund fordere, außerdem solle den Forderungen der Anwohner, Wirtschafts- und Umweltverbände mehr Gehör geschenkt werden.
Hier war die Interpretation des Autors ein wenig zu frei.
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