Morgen, Donnerstag, gegen 11.00 Uhr steht die Abstimmung im Schleswig-Holsteinischen Landtag zum Jugendmedienschutzstaatsvertrag NICHT an. Die Parteien der Opposition, im Kieler Landtag sind das SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, DIE LINKE und der SSW haben ihre klare Ablehnung des Gesetzes schon mehrfach signalisiert. FDP und CDU haben die Bedenken, die aller Orten an dem Vertrag geäußert wurden, nicht vollständig beiseite gewischt, sondern zum Ausdruck gebracht, dass sie eine frühzeitige Evaluierung des Vertragswerkes wünschen. Wider Erwarten fand dieser Beschlussvorschlag im Innen- und Rechtsausschuss keine Mehrheit — ein CDU-Mitglied war zur Abstimmung nicht anwesend. So empfiehlt der Ausschuss dem Landtag, den Staatsvertrag (offiziell: Gesetzentwurf der Landesregierung zum Vierzehnten Rundfunkänderungsstaatsvertrag, Drucksache 17/744) abzulehnen. Manchmal ist es schön, Artikel umzuschreiben.
Hielt Dirk Hundertmark, Pressesprecher der CDU-Landtagsfraktion, heute Morgen gegenüber dem Landesblog eine Änderung des Abstimmungsverhaltens noch für nicht möglich: Die CDU-Fraktion habe dem Gesetzentwurf und dem Begleitantrag in ihren Fraktionssitzungen zugestimmt, und sah sich der Fraktionsvorsitzende der CDU, Christian von Boetticher, auf Facebook in einem Kommentar noch als Koordinator in der „Pflicht, einmal miteinander abgesprochenes Verfahren einzuhalten” (Mit der Einschränkung: „Aber ein Bundesland reicht ja schon…!”), so sagte er auf Facebook vor ein paar Minuten: „Nein, wir haben gerade beschlossen, den Tagesordungspunkt abzusetzen und somit ebenfalls nicht zuzustimmen! Frohe Weihnachten!”
Ja, werde ich haben :-)
Die Argumentationskette, mit der Andreas Krautscheid, unter Wolfgang Rüttgers noch CDU-Medienminister in NRW, gegenüber dem WDR die Ablehnung begründete, ist sehr rational: Auch von den Befürwortern des Vertrages werde stets darauf hingewiesen, dass die so genannten Jugendschutzprogramme zum 1.1.2011 überhaupt nicht vorlägen, sondern — frühestens — Mitte 2011 zu erwarten seien. Zudem frage sich die CDU in NRW, ob aufgrund möglicher handwerklicher Mängel des Gesetzes — er spricht von einer „Reihe von Schwachstellen” — nicht eine Nachbesserung schon jetzt erkennbar nötig sei. Auch er sieht nicht abzusehende „Folgen für kleine Betreiber von Websites” Außerdem sei unklar sei, ob nicht eine „Abmahnwelle” losgetreten werden könnte. Daraus folgt für ihn kein generelles „Nein”, sondern ein „so jetzt nicht”. Man verliere ja keine Zeit oder Wirkungskraft des Gesetzes, wenn es nachverhandelt werde und später (z.B. zum 1.7.2011) in Kraft trete. Die Ablehnung ist also ziemlich unaufgeregt und sehr geschäftsmäßig begründet.
Mit der Absetzung von der Tagesordnung ist das Arie gesungen. Selbst wenn in NRW noch wer Pirouetten drehen sollte. Aber: Die Kritiker des JMStV finden in ihrer Ablehnung mit Teilen der CDU und Teilen der SPD Mitstreiter, der eine Zeitlang mit ihnen des gleichen Weges gehen, aber durchaus ein anderes Ziel zu haben scheinen.
Nun fängt die Arbeit erst richtig an. Die Ministerpräsidenten der Länder werden zügig versuchen, den Vertrag nachzubessern, die eine oder andere Formulierung ändern und einen weiteren Versuch starten, das Vertragswerk zum Abschluss zu bringen. Die Bedürfnisse des Medien-industriellen Komplexes, ihren nicht immer „jugendfreien” Content auch über das Internet anzubieten, bestehen weiterhin. Die Kritiker müssen die augenblickliche Gunst der Stunde nutzen und nicht nur in den Parlamentarischen Räumen sondern auch gegenüber den Regierungschefs der Länder klar, zügig und durchdacht darlegen, wie die Alternative aussehen kann.
- Wie funktioniert Jugendmedienschutz in Zeiten des Internets?
- Wie verhindern wir Eingriffe in die Freiheitsrechte der Menschen, die sich, sei es nun als Blogger, Twitterer, Facebooker oder sonstwie, im Internet bewegen?
- Wie gewährleisten wir weiterhin den Schulen, den Schülern und allen anderen Lernwilligen den freien Zugang?
- Kann man die Interesse der Großanbieter, die wohl treibende Kraft hinter der vor dem Scheitern stehenden Novelle waren, von den Interessen der mittleren und kleinständischen Wirtschaft trennen?
- Welche technischen Möglichkeiten gibt es?
- Welche rechtlichen Fallstricke (Stichworte: Abmahnung) müssen vermieden werden?
- Wie gestaltet man die Abläufe praktisch (Stichwort: schlankes Verfahren)?
- Und nicht zuletzt: Wie kann das, was beschlossen wird, validiert und evaluiert werden?
All das ist nicht einfach und spricht gegen einen Schnellschuss. Zudem und zuerst: Die grundsätzliche Frage vieler Kritiker, ob der Jugendschutz im Internet überhaupt in die Hände der Länder gehöre und ob er nicht so oder so besser in einem eigenständiges Werk aufgehoben wäre -er also nicht im Kontext mit den „anderen Medien” im JMStV geregelt wird, bleibt essentiell. (Dieser Satz fehlte in der ersten Fassung, ich hatte ihn in der Eile versehentlich gestrichen. Swen) Das Feld darf nun nicht den bisherigen Handelnden überlassen werden. Medienrechtler, Medienpädagogen, Netzgeologen/-topologen, Bürgerechtler und alle anderen, die den Jugendmedienschutzstaatsvertrag kritisch begleitet haben, bleiben aufgerufen, ihre Kritik einzubringen. Die Politik hingegen muss zeigen, dass sie gelernt hat, dass closed-shop-Diskussionen in einer durch das Internet in neue Dimensionen vorgestoßene Kommunikationsvielfalt zum Scheitern verurteilt sind.
Also: An die Arbeit.
Schön wäre für die Zukunft (den nächsten “Release Candidate” sozusagen) das Verfahren öffentlicher zu gestalten und die Betroffenen besser einzubinden. Denn die Änderungen des Publikationsverhaltens durch das Netz (jeder ist jetzt Anbieter, sei es mit Blog oder seinen Tweets etc) müssen sich dort wiederfinden; das bisherige Mindset ist zu sehr auf wenige große Anbieter ausgerichtet.
Auch muß man schauen, ob bzw. daß in den Staatskanzleien solche Themen von Leuten bearbeitet werden, die nicht ausschließlich in klassischen Rundfunkbegriffen/-strukturen denken…jedenfalls eine große Chance, die Sache auf solidere Beine zu stellen und mehr Menschen dabei mitzunehmen.
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oh ja, gute nachrichten! Eine frohe weihnacht uns allen :)
In der Tat gute Nachrichten. Wenngleich ich das auch mit gemischten Gefühlen sehe. Denn auf der einen Seite ist Jugendschutz wichtig. Wäre schön, wenn der auch im Fernsehen insbesondere bei den Privatsendern mal ernst genommen würde. Andererseits muss man uns Publizierenden auch geeignete Spielregeln und Werkzeuge an die Hand geben, um das umzusetzen und uns vor wilden Abmahnern zu schützen. Denn so ein Gesetz soll ja imho keine neuen Geschäftsfelder für zwielichtige Anwälte eröffnen.
Vielleicht sollte man dann lieber etwas gegen zwielichtige Anwälte tun. Der moralische Standard zweifelhafter Juristen kann ja nun kein Maßstab für zukünftige Gesetzgebung werden…
Durch die Ablehnung der Novelle bleibt der bisherige (im europäischen Vergleich eh schon sehr strenge) Jugendmedienschutzstaatsvertrag gültig. Insoweit hat die Ablehnung keinen spürbaren Ausfluss auf den Jugendschutz im Fernsehen. Die vielleicht beklagten Mängel des Jugendschutzes im Fernsehen (ich habe eher Furcht um das intellektuelle Niveau unserer Kinder, bin insoweit aber kein guter Kritker, da ich praktisch nie Fernsehen schaue) waren nicht das Thema des jetzt gescheiterten Gesetzes..
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An dem Jugendschutz im Fernsehen hätte auch die Novelle nichts geändert. Hier ist die Sendezeitenregelung ja auch durchaus sinnvoll. Und zur Qualität einiger Privatsender kann ich nur sagen, ab welchem Alter soll den aktive Ruckverdummung erlaubt sein ;-)?
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