Kandidaten-Quartett der schleswig-holsteinischen SPD in Kiel

Von | 17. Januar 2011

Nein, ein offi­zi­el­les Stimmungsbild der Mitglieder woll­te die Kieler SPD nicht feil bie­ten. Dabei wäre das Ergebnis gewiss eben­so klar wie für den Kieler Verband schmei­chel­haft gewe­sen: Oberbürgermeister Torsten Albig deut­lich vor dem Partei- und Fraktionsvorsitzenden Ralf Stegner, Stegner deut­lich vor der Elmshorner Bürgermeisterin Brigitte Frontzek, Frontzek deut­lich vor dem Personalratsvorsitzenden Matthias Stein.

Aber gemach. Alle Mitwirkenden im völ­lig über­füll­te Saal des Legienhofs, der eben­so wie der nicht-funk­tio­nie­ren­de Live-Stream jeden­falls der Organisationskraft der Kieler SPD weni­ger schmei­chel­te, waren sich einig: Das Verfahren zur Aufstellung des Spitzenkandidaten der schles­wig-hol­stei­ni­schen SPD für die irgend­wann dem­nächst statt­fin­den­de Landtagswahl ist ein Musterbeispiel für Demokratie und Meinungsbildung. Auf 16 Regionalkonferenzen, die bis­lang durch­weg gut besucht sind, prä­sen­tie­ren sich drei Kandidaten und eine Kandidatin mit ihren Stärken und Schwächen, ihren Spezialthemen und Vorstellungen für einen Politikwechsel in Schleswig-Holstein. Ein Kontrastprogramm zum viel beschwo­re­nen Desinteresse an Politik und der Banalisierung von Politik in den Medien. Soweit, so gut.

Es gab noch mehr Einigkeit: Politik muss sich wie­der mehr den Sorgen und Nöten der Menschen zuwen­den und es muss mehr für Bildung getan wer­den. Was das bedeu­tet? Hier die Zusammenfassung eini­ger – höchst sub­jek­tiv wahr­ge­nom­me­ner – Eindrücke:

Torsten Albig zele­brier­te sei­nen Auftritt. Fast prä­si­di­al ver­mied er agres­si­ve Verbalakrobatik gegen die Regierung – von einer „dum­men Politik“ der Kanzlerin ein­mal abge­se­hen -, unter­strich den hohen Stellenwert von Bildung und setz­te ganz auf die als Oberbürgermeister Kiels erziel­ten (Wahl-)Erfolge. Sein Programm: Zuhören, mit den Menschen reden und pro­gram­ma­ti­sche Ziele wie etwa den Ausbau der Kinderbetreuung Schritt für Schritt rea­li­sie­ren.

Brigitte Frontzek hin­ge­gen prä­sen­tier­te sich als kom­pe­ten­te, ver­wal­tungs­er­fah­re­ne Kämpferin für ste­ti­ge Verbesserung. Ihre Leitlinie: Die aus den Zeiten der Regierungsverantwortung in Bund und Land gestör­te Glaubwürdigkeit müs­se wie­der her­ge­stellt wer­den. Ohne den Zusammenhang zu Ralf Stegner, der ehe­dem als Staatssekretär im Bildungsministerium Verantwortung trug, aus­drück­lich zu benen­nen, gei­ßel­te sie die hohe Zahl der Jugendlichen ohne Schulabschluss (9% eines Jahrgangs) und der Absolventen ohne aus­rei­chen­de Grundkenntnisse für eine Berufsausbildung (6 %). Warm anzie­hen müss­te sich im Falle ihres Erfolgs die Landesverwaltung: Effizientere Strukturen, Vermeidung von Doppelarbeit, weni­ger Fahrdienste sol­len nicht unwe­sent­lich dazu bei­tra­gen, den Kommunen die ihnen im kom­mu­na­len Finanzausgleich vor­ent­hal­te­nen 120 Mio € wie­der zuflie­ßen zu las­sen, damit dort mehr für Bildung und Kindergärten getan wer­den kann.

Matthias Stein setz­te ganz auf die Kolleginnen und Kollegen in den Dienststellen und Ämtern. Sein Credo wand­te sich gegen Leiharbeit und Zeitverträge, für die Sicherung und Ausweitung der Beschäftigung in Landesämtern, Kindertagesstätten und Schulen, also auch mehr Lehrer (jeden­falls nicht, wie geplant, weni­ger).

Ralf Stegner, wie immer mit bril­lan­ter Rhetorik, gelang es als Einzigem, die Zuhörer in sozi­al­de­mo­kra­ti­sche Wallung zu brin­gen. Mit sei­nen Anmerkungen zur unnö­ti­gen Mehrwertsteuersenkung traf er den Nerv des Publikums. Wenig Begeisterung rief hin­ge­gen der Seitenhieb auf sei­nen stärks­ten Konkurrenten gleich zu Beginn sei­nes Auftritts her­vor, der sei­ne Kandidatur durch Verlautbarung in den Medien bekannt gege­ben habe und nicht, wie er, Stegner, auf dem Landesparteitag. Mit Blick auf die Kritiker, die ihm man­geln­de Kooperationsfähigkeit vor­hal­ten, zeich­ne­te er von sich das Bild des auf­rech­ten Politikers mit Profil, der in der Zeit der gemein­sa­men Regierungsverantwortung mit der CDU sozi­al­de­mo­kra­ti­sche Ziele hoch­ge­hal­ten und damit eigent­lich alles rich­tig gemacht habe. Als ein­zi­ger Kandidat äußer­te er sich zur Finanzierung des Vorrangs für Bildung. Neben der Verwaltungsreform und dem Abbau von Bürokratie beton­te er, dass Schleswig-Holstein im Bund für höhe­res Steueraufkommen aktiv wer­den müs­se. Die Kritik dar­an, dass damit das Problem der hohen Verschuldung des Landes nach Berlin ver­scho­ben wer­de, hebel­te er mit dem Hinweis dar­auf aus, dass Schleswig-Holstein noch immer Mitglied im Bundesrat sei und des­halb auf die Bundespolitik Einfluss neh­men kön­ne. Auch an die­ser Stelle: Brillante Rhetorik.

Fazit

Keine Frage: Die Kandidatin und die Kandidaten reprä­sen­tie­ren unter­schied­li­che Politikkonzepte. Was das bedeu­tet, wor­in die Unterschiede bestehen, erschließt sich aller­dings weni­ger beim öffent­li­chen Auftritt, als viel­mehr in dem, was nur ange­deu­tet oder eben auch nicht gesagt wird. So war etwa auf­fal­lend, dass das gra­vie­ren­de Thema Verschuldung und Finanzen kaum eine Rolle spiel­te. Alle Kandidaten waren sich einig, dass Bildung wich­tig ist und dass die jetzt rea­li­sier­ten Kürzungen im Landeshaushalt falsch sei­en. Und man­che beton­ten, was zusätz­lich gemacht wer­den müs­se. Dies wird für eine kon­struk­ti­ve, von den Zwängen des Haushalts und der Schuldenbremse gepräg­te Landespolitik nicht rei­chen, die ein höhe­res Maß an Glaubwürdigkeit — und damit ein selbst gesteck­tes Ziel — errei­chen will. Erstaunlich eigent­lich, dass die stra­te­gi­schen Überlegungen des Lieblingspartners, Robert Habeck und sei­ne Grüne Partei, kei­ne Rolle in den Stellungnahmen spiel­ten. Vielleicht bedarf es hier­für zunächst eines schär­fe­ren Blicks auf die Haushaltsrealitäten und des Eingeständnisses, dass nicht mehr all­zu vie­le poli­ti­sche Gestaltungsspielräume bestehen. Erst dann stel­len sich in aller Schärfe die im Strategiepapier der Grünen for­mu­lier­ten Fragen nach Existenz und Entwicklung der poli­ti­schen Struktur des Landes zwi­schen den Meeren.

7 Gedanken zu “Kandidaten-Quartett der schleswig-holsteinischen SPD in Kiel”:

  1. Ritinardo

    Danke für den Bericht.

    Was die SPD macht ist ja nun ihr Bier. Aber Torsten Albig als Ministerpräsident wäre ja echt ein Witz. Zum einen wis­sen wir Kieler, dass er hier GAR NICHTS erreicht hat. Und er hat die ers­te Möglichkeit genutzt aus Kiel weg­zu­kom­men. Und mit ihm Ute Berg.

    Der Mann hat weder Kompetenz noch Charakter.

    Und zu dem Konsens, dass man gera­de bei der Bildung nicht spa­ren darf: Im Grunde ist das die Rhetorik der Besserverdienenden. Denn es gibt ja vie­le Themenfelder. Warum darf man nicht an Bildung spa­ren? Das betrifft ja vor allem die Universitäten (die den Akademikern vor­be­hal­ten sind) — bei Schulen ver­spricht man sich, dass mehr und bes­se­re Bildung zu bes­se­ren Abschlüssen und damit auch zu weni­ger Arbeitslosen führt. Man glaubt also das ein Mehr an Bildung dazu führt, dass der Staat am Ende spart.

    Dies setzt aber in der Logik vor­aus, dass tat­säch­lich 1 Millionen bes­ser aus­ge­bil­de­te Schüler in einer moder­nen Arbeitswelt auf 1 Millionen Arbeitsplätze tref­fen. Und dazu noch: Arbeitsplätze, die ihnen ansons­ten ver­wehrt blie­ben. Letztendlich ist das die Logik, dass letzt­end­lich ein Arbeitsplatzverlust oder das feh­len eines Ausbildungsplatzes immer pri­mär ein Ergebnis der eige­nen, man­gel­haf­ten Qualifikation ist.

    Die Politik folgt immer mehr der Logik des stra­te­gi­schen Investments, wie auch in der Finanzwelt: Man inves­tiert dort, wo man sich den größ­ten gesell­schaft­li­chen Nutzen erhofft. Wohlgemerkt GESELLSCHAFTLICH. Das bedeu­tet, dass Ausgaben für Randgruppen, Minderheiten oder mar­gi­na­li­sier­ba­re Interessen her­un­ter­ge­fah­ren wer­den. Ob nun unter­halb einer CDU oder SPD-Regierung.

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  2. Ritinardo

    @Steffen: Den Unterschied musst du mir dann auch mal erklä­ren. Es gibt zum einen die all­ge­mei­ne Schulbildung, dann schu­li­sche wie auch betrieb­li­che Ausbildung, uni­ver­si­tä­re Bildung, Weiterbildung, Umschulungen,… Es gibt immer meh­re­re Weg zum Ziel. Ist dir schon auf­ge­fal­len, dass in Ausbildung das Wort Bildung auf­taucht. Ich den­ke doch, dass mei­ne Argumente klar gewor­den sind?

    Apropos hier ein Artikel der KN zur Veranstaltung: http://www.kn-online.de/schleswig_holstein/landespolitik/213659-Albig-schaltet-auf-Angriff-um.html

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    1. Steffen Voß

      Auf die Schnelle:

      „Bildung bezeich­net die Formung des Menschen im Hinblick auf sein „Menschsein“, sei­ne geis­ti­gen Fähigkeiten. [..] Der moder­ne dyna­mi­sche und ganz­heit­li­che Bildungsbegriff steht für den lebens­be­glei­ten­den Entwicklungsprozess des Menschen, bei dem er sei­ne geis­ti­gen, kul­tu­rel­len und lebens­prak­ti­schen Fähigkeiten und sei­ne per­so­na­len und sozia­len Kompetenzen erwei­tert.”

      „Ausbildung unter­schei­det sich vom all­ge­mei­ne­ren Begriff Bildung durch ihre Vollendung und Zweckbestimmtheit. [..] Ihre päd­ago­gi­sche Zielsetzung liegt weni­ger in der all­ge­mei­nen und per­sön­li­chen Entfaltung, son­dern viel­mehr in der stan­dar­di­sier­ten Vermittlung von anwend­ba­ren Fertigkeiten, die zumeist der gewerb­li­chen Berufsausübung dient.”

      Quelle: Wikipedia

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      1. Ritinardo

        Steffen, beziehst Du Dich da nicht auf die idea­li­sier­ten Begriffe? Bildung ist doch heu­te viel all­ge­mei­ner. Nicht zuletzt schei­nen alte Bildungsziele nach unzäh­li­gen Reformen über­haut nichts mehr zu zäh­len. Im ursprüng­li­che Sinne, da gebe ich Dir Recht, kann man die Begriffe so dif­fe­ren­zie­ren, wie Du es getan hast. Aber nach Deiner Definition könn­te es gar kei­ne „Bildungspolitik” geben. Allenfalls „Ausbildungspolitik”. Ich hal­te also an mei­ner inhalt­li­chen Kritik an Bildung und der Bidungsdebatte fest.

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  3. Volker Thomas Post author

    Interessant ist doch der Unterscheid zur Berichterstattung der KN. Dort wird der demo­kra­ti­sche Wettbewerb der Kandidaten, die mit ihren Vorstellungen und Profilen über­zeu­gen wol­len, zu einer per­sön­li­chen Gegnerschaft. Dabei hat­te Matthias Horx just in den KN vom 24.12.2010 davor gewarnt, Politik mit per­sön­li­cher Gegnerschaft zu tri­via­li­sie­ren, poli­ti­sche Themen als Skandale zu ver­mark­ten. Ist die Äußerung von Thorsten Albig, dass die Wahl zwi­schen Opposition und Staatskanzlei besteht, wirk­lich ein per­sön­li­cher Angriff? Tatsächlich ist es eine Banalität, die ledig­lich rhe­to­ri­sche Bedeutung hat.

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    1. Oliver Fink

      Naja, das ist die übli­che Sichtweise der Journaille: Jede inhalt­li­che Debatte ist ein per­sön­li­cher Streit, jeder demo­kra­ti­sche Wettbewerb von Personen um Ämter und Posten ein Putsch oder ähn­li­ches. Wer kaum noch über inhalt­li­che Kompetenz für sach­ori­en­tier­te Artikel ver­fügt, ver­sucht es halt über künst­li­che Erzeugung von Krawall.

      Im kon­kre­ten Fall könn­te es aller­dings tat­säch­lich so sein, dass sich zumin­dest der Ton zwi­schen Albig und Stegner im Vergleich zu vor­he­ri­gen Veranstaltungen geän­dert hat. Vorstellen könn­te ich mir das nach der Klatsche von Albig bei der Abstimmung im Lübecker „Feindesland”. Ich kann das aber nur ver­mu­ten, weil mir die direk­ten Eindrücke und damit die Vergleichsmöglichkeiten feh­len.

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