Nein, ein offizielles Stimmungsbild der Mitglieder wollte die Kieler SPD nicht feil bieten. Dabei wäre das Ergebnis gewiss ebenso klar wie für den Kieler Verband schmeichelhaft gewesen: Oberbürgermeister Torsten Albig deutlich vor dem Partei- und Fraktionsvorsitzenden Ralf Stegner, Stegner deutlich vor der Elmshorner Bürgermeisterin Brigitte Frontzek, Frontzek deutlich vor dem Personalratsvorsitzenden Matthias Stein.
Aber gemach. Alle Mitwirkenden im völlig überfüllte Saal des Legienhofs, der ebenso wie der nicht-funktionierende Live-Stream jedenfalls der Organisationskraft der Kieler SPD weniger schmeichelte, waren sich einig: Das Verfahren zur Aufstellung des Spitzenkandidaten der schleswig-holsteinischen SPD für die irgendwann demnächst stattfindende Landtagswahl ist ein Musterbeispiel für Demokratie und Meinungsbildung. Auf 16 Regionalkonferenzen, die bislang durchweg gut besucht sind, präsentieren sich drei Kandidaten und eine Kandidatin mit ihren Stärken und Schwächen, ihren Spezialthemen und Vorstellungen für einen Politikwechsel in Schleswig-Holstein. Ein Kontrastprogramm zum viel beschworenen Desinteresse an Politik und der Banalisierung von Politik in den Medien. Soweit, so gut.
Es gab noch mehr Einigkeit: Politik muss sich wieder mehr den Sorgen und Nöten der Menschen zuwenden und es muss mehr für Bildung getan werden. Was das bedeutet? Hier die Zusammenfassung einiger – höchst subjektiv wahrgenommener – Eindrücke:
Torsten Albig zelebrierte seinen Auftritt. Fast präsidial vermied er agressive Verbalakrobatik gegen die Regierung – von einer „dummen Politik“ der Kanzlerin einmal abgesehen -, unterstrich den hohen Stellenwert von Bildung und setzte ganz auf die als Oberbürgermeister Kiels erzielten (Wahl-)Erfolge. Sein Programm: Zuhören, mit den Menschen reden und programmatische Ziele wie etwa den Ausbau der Kinderbetreuung Schritt für Schritt realisieren.
Brigitte Frontzek hingegen präsentierte sich als kompetente, verwaltungserfahrene Kämpferin für stetige Verbesserung. Ihre Leitlinie: Die aus den Zeiten der Regierungsverantwortung in Bund und Land gestörte Glaubwürdigkeit müsse wieder hergestellt werden. Ohne den Zusammenhang zu Ralf Stegner, der ehedem als Staatssekretär im Bildungsministerium Verantwortung trug, ausdrücklich zu benennen, geißelte sie die hohe Zahl der Jugendlichen ohne Schulabschluss (9% eines Jahrgangs) und der Absolventen ohne ausreichende Grundkenntnisse für eine Berufsausbildung (6 %). Warm anziehen müsste sich im Falle ihres Erfolgs die Landesverwaltung: Effizientere Strukturen, Vermeidung von Doppelarbeit, weniger Fahrdienste sollen nicht unwesentlich dazu beitragen, den Kommunen die ihnen im kommunalen Finanzausgleich vorenthaltenen 120 Mio € wieder zufließen zu lassen, damit dort mehr für Bildung und Kindergärten getan werden kann.
Matthias Stein setzte ganz auf die Kolleginnen und Kollegen in den Dienststellen und Ämtern. Sein Credo wandte sich gegen Leiharbeit und Zeitverträge, für die Sicherung und Ausweitung der Beschäftigung in Landesämtern, Kindertagesstätten und Schulen, also auch mehr Lehrer (jedenfalls nicht, wie geplant, weniger).
Ralf Stegner, wie immer mit brillanter Rhetorik, gelang es als Einzigem, die Zuhörer in sozialdemokratische Wallung zu bringen. Mit seinen Anmerkungen zur unnötigen Mehrwertsteuersenkung traf er den Nerv des Publikums. Wenig Begeisterung rief hingegen der Seitenhieb auf seinen stärksten Konkurrenten gleich zu Beginn seines Auftritts hervor, der seine Kandidatur durch Verlautbarung in den Medien bekannt gegeben habe und nicht, wie er, Stegner, auf dem Landesparteitag. Mit Blick auf die Kritiker, die ihm mangelnde Kooperationsfähigkeit vorhalten, zeichnete er von sich das Bild des aufrechten Politikers mit Profil, der in der Zeit der gemeinsamen Regierungsverantwortung mit der CDU sozialdemokratische Ziele hochgehalten und damit eigentlich alles richtig gemacht habe. Als einziger Kandidat äußerte er sich zur Finanzierung des Vorrangs für Bildung. Neben der Verwaltungsreform und dem Abbau von Bürokratie betonte er, dass Schleswig-Holstein im Bund für höheres Steueraufkommen aktiv werden müsse. Die Kritik daran, dass damit das Problem der hohen Verschuldung des Landes nach Berlin verschoben werde, hebelte er mit dem Hinweis darauf aus, dass Schleswig-Holstein noch immer Mitglied im Bundesrat sei und deshalb auf die Bundespolitik Einfluss nehmen könne. Auch an dieser Stelle: Brillante Rhetorik.
Fazit
Keine Frage: Die Kandidatin und die Kandidaten repräsentieren unterschiedliche Politikkonzepte. Was das bedeutet, worin die Unterschiede bestehen, erschließt sich allerdings weniger beim öffentlichen Auftritt, als vielmehr in dem, was nur angedeutet oder eben auch nicht gesagt wird. So war etwa auffallend, dass das gravierende Thema Verschuldung und Finanzen kaum eine Rolle spielte. Alle Kandidaten waren sich einig, dass Bildung wichtig ist und dass die jetzt realisierten Kürzungen im Landeshaushalt falsch seien. Und manche betonten, was zusätzlich gemacht werden müsse. Dies wird für eine konstruktive, von den Zwängen des Haushalts und der Schuldenbremse geprägte Landespolitik nicht reichen, die ein höheres Maß an Glaubwürdigkeit — und damit ein selbst gestecktes Ziel — erreichen will. Erstaunlich eigentlich, dass die strategischen Überlegungen des Lieblingspartners, Robert Habeck und seine Grüne Partei, keine Rolle in den Stellungnahmen spielten. Vielleicht bedarf es hierfür zunächst eines schärferen Blicks auf die Haushaltsrealitäten und des Eingeständnisses, dass nicht mehr allzu viele politische Gestaltungsspielräume bestehen. Erst dann stellen sich in aller Schärfe die im Strategiepapier der Grünen formulierten Fragen nach Existenz und Entwicklung der politischen Struktur des Landes zwischen den Meeren.
Danke für den Bericht.
Was die SPD macht ist ja nun ihr Bier. Aber Torsten Albig als Ministerpräsident wäre ja echt ein Witz. Zum einen wissen wir Kieler, dass er hier GAR NICHTS erreicht hat. Und er hat die erste Möglichkeit genutzt aus Kiel wegzukommen. Und mit ihm Ute Berg.
Der Mann hat weder Kompetenz noch Charakter.
Und zu dem Konsens, dass man gerade bei der Bildung nicht sparen darf: Im Grunde ist das die Rhetorik der Besserverdienenden. Denn es gibt ja viele Themenfelder. Warum darf man nicht an Bildung sparen? Das betrifft ja vor allem die Universitäten (die den Akademikern vorbehalten sind) — bei Schulen verspricht man sich, dass mehr und bessere Bildung zu besseren Abschlüssen und damit auch zu weniger Arbeitslosen führt. Man glaubt also das ein Mehr an Bildung dazu führt, dass der Staat am Ende spart.
Dies setzt aber in der Logik voraus, dass tatsächlich 1 Millionen besser ausgebildete Schüler in einer modernen Arbeitswelt auf 1 Millionen Arbeitsplätze treffen. Und dazu noch: Arbeitsplätze, die ihnen ansonsten verwehrt blieben. Letztendlich ist das die Logik, dass letztendlich ein Arbeitsplatzverlust oder das fehlen eines Ausbildungsplatzes immer primär ein Ergebnis der eigenen, mangelhaften Qualifikation ist.
Die Politik folgt immer mehr der Logik des strategischen Investments, wie auch in der Finanzwelt: Man investiert dort, wo man sich den größten gesellschaftlichen Nutzen erhofft. Wohlgemerkt GESELLSCHAFTLICH. Das bedeutet, dass Ausgaben für Randgruppen, Minderheiten oder marginalisierbare Interessen heruntergefahren werden. Ob nun unterhalb einer CDU oder SPD-Regierung.
Thilo, Du verwechselst „Bildung” mit „Ausbildung”.
@Steffen: Den Unterschied musst du mir dann auch mal erklären. Es gibt zum einen die allgemeine Schulbildung, dann schulische wie auch betriebliche Ausbildung, universitäre Bildung, Weiterbildung, Umschulungen,… Es gibt immer mehrere Weg zum Ziel. Ist dir schon aufgefallen, dass in Ausbildung das Wort Bildung auftaucht. Ich denke doch, dass meine Argumente klar geworden sind?
Apropos hier ein Artikel der KN zur Veranstaltung: http://www.kn-online.de/schleswig_holstein/landespolitik/213659-Albig-schaltet-auf-Angriff-um.html
Auf die Schnelle:
„Bildung bezeichnet die Formung des Menschen im Hinblick auf sein „Menschsein“, seine geistigen Fähigkeiten. [..] Der moderne dynamische und ganzheitliche Bildungsbegriff steht für den lebensbegleitenden Entwicklungsprozess des Menschen, bei dem er seine geistigen, kulturellen und lebenspraktischen Fähigkeiten und seine personalen und sozialen Kompetenzen erweitert.”
„Ausbildung unterscheidet sich vom allgemeineren Begriff Bildung durch ihre Vollendung und Zweckbestimmtheit. [..] Ihre pädagogische Zielsetzung liegt weniger in der allgemeinen und persönlichen Entfaltung, sondern vielmehr in der standardisierten Vermittlung von anwendbaren Fertigkeiten, die zumeist der gewerblichen Berufsausübung dient.”
Quelle: Wikipedia
Steffen, beziehst Du Dich da nicht auf die idealisierten Begriffe? Bildung ist doch heute viel allgemeiner. Nicht zuletzt scheinen alte Bildungsziele nach unzähligen Reformen überhaut nichts mehr zu zählen. Im ursprüngliche Sinne, da gebe ich Dir Recht, kann man die Begriffe so differenzieren, wie Du es getan hast. Aber nach Deiner Definition könnte es gar keine „Bildungspolitik” geben. Allenfalls „Ausbildungspolitik”. Ich halte also an meiner inhaltlichen Kritik an Bildung und der Bidungsdebatte fest.
Interessant ist doch der Unterscheid zur Berichterstattung der KN. Dort wird der demokratische Wettbewerb der Kandidaten, die mit ihren Vorstellungen und Profilen überzeugen wollen, zu einer persönlichen Gegnerschaft. Dabei hatte Matthias Horx just in den KN vom 24.12.2010 davor gewarnt, Politik mit persönlicher Gegnerschaft zu trivialisieren, politische Themen als Skandale zu vermarkten. Ist die Äußerung von Thorsten Albig, dass die Wahl zwischen Opposition und Staatskanzlei besteht, wirklich ein persönlicher Angriff? Tatsächlich ist es eine Banalität, die lediglich rhetorische Bedeutung hat.
Naja, das ist die übliche Sichtweise der Journaille: Jede inhaltliche Debatte ist ein persönlicher Streit, jeder demokratische Wettbewerb von Personen um Ämter und Posten ein Putsch oder ähnliches. Wer kaum noch über inhaltliche Kompetenz für sachorientierte Artikel verfügt, versucht es halt über künstliche Erzeugung von Krawall.
Im konkreten Fall könnte es allerdings tatsächlich so sein, dass sich zumindest der Ton zwischen Albig und Stegner im Vergleich zu vorherigen Veranstaltungen geändert hat. Vorstellen könnte ich mir das nach der Klatsche von Albig bei der Abstimmung im Lübecker „Feindesland”. Ich kann das aber nur vermuten, weil mir die direkten Eindrücke und damit die Vergleichsmöglichkeiten fehlen.