Ein Kommandant, eine Besatzung, ein Schiff

Von | 4. Februar 2011

Im November 2010 stürz­te eine Offiziersanwärterin vom Mast der Gorch Fock. Bereits zwei Jahre zuvor war eine Kadettin beim Sturz in die auf­ge­wühl­te Nordsee ums Leben gekom­men. Das Segelschulschiff der Marine berei­tet Offiziere und Offiziersanwärter auf ihre Arbeit vor. Dazu gehört auch das klas­si­sche Segelhandwerk. Unter bis­her unbe­kann­ten Umständen ist es zu den Unglücken gekom­men. Seither schie­ßen die Gerüchte rund um die Zustände auf dem Schiff ins Kraut. Der Kapitän wur­de sus­pen­diert.

“Ein Kommandant, eine Besatzung, ein Schiff.” Dieses Statement ziert ein Banner, wel­ches von Mannschafts-Mitgliedern der Gorch Fock vor weni­gen Tagen im Hafen von Ushuaia in die Kamera gehal­ten wur­de. Das Foto ist “eine Solidaritätserklärung der gesam­ten Besatzung für den abge­setz­ten Kapitän Norbert Schatz.” So steht es unter dem Foto, auf der Webseite www.gorchfock.de. Der Kommandant Schatz wur­de vom Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg abbe­ru­fen, nur weni­ge Tage nach­dem Guttenberg selbst zur Ruhe mahn­te und zunächst die Umstände der Vorfälle auf dem Marineschulschiff prü­fen las­sen woll­te. Für die­ses Vorgehen ern­tet der Minister von vie­len Seiten her­be Kritik. So hat auch Altbundeskanzler und ehe­ma­li­ger Verteidigungsminister Helmut Schmidt das Vorgehen zu Guttenbergs mit den Worten [..] “Zu den Regeln gehört bei­spiels­wei­se auch, dass über nie­man­dem der Stab gebro­chen wird, ehe er ange­hört wur­de” (Zitat aus Interview der Zeit).

Der abbe­ru­fe­ne Kommandant Norbert Schatz ist inzwi­schen nach Deutschland zurück­ge­kehrt, wäh­rend die Gorch Fock sich noch auf der Rückreise nach Kiel befin­det. Schatz, der mit mili­tä­ri­schen Ehren kurz vor dem Ablegen der Bark ver­ab­schie­det wur­de, soll nach Medienberichten erwä­gen nun juris­ti­sche Schritte gegen sei­ne Suspendierung ein­zu­lei­ten. Dies jedoch stim­me nicht, so der Marineinspekteur Axel Schimpf, Schatz “prüft kei­ne Klage”.

Nach dem Bekanntwerden der Vorfälle (Tod einer Offiziersanwärterin, Tod einer Kadettin, Meuterei, beson­de­re Rituale) an Bord ist auch das Schulschiff selbst in die Kritik gera­ten. Eine Untersuchungskommision soll nun an Bord klä­ren, was wirk­lich gesche­hen ist. Welche Folgen sich dar­aus erge­ben wer­den, ist der­zeit unklar. Wird das Segelschulschiff außer Betrieb gesetzt? Wird Kommandant Schatz reha­bi­li­tiert? Was wird aus der Stammbesatzung?

Ungewöhnlich war das Vorgehen zu Guttenbergs, der sich zunächst vor die Besatzung und ihren Kommandanten stell­te, dann jedoch nur zwei Tage spä­ter die Suspendierung  des Kapitäns bekannt gab. Man mun­kelt, dies sei gesche­hen, da sich der Verteidigungsminister durch die Schlagzeilen einer gro­ßen deut­schen Boulevardzeitung unter Zugzwang gesetzt sah. An sich hät­te auch hier der Grundsatz “in dubio pro reo” (Im Zweifel für den Angeklagten) gel­ten müs­sen, zumal der Kapitän bis­her noch gar nicht ange­klagt wur­de. Ungewöhnlich waren auch die Reaktionen eini­ge Politiker und Parteien. Die Linke ste­chen hier mit ihrer Forderung, “das Schiff sol­le als Segelschulschiff der Marine aus­ge­mus­tert wer­den, es soll dann einer brei­ten Öffentlichkeit als Schulschiff bereit gestellt wer­den” aus der Masse her­aus.

Letztlich haben sich kurz nach der Absetzung des Kommandanten die Mitglieder der Stammbesatzung in einem offe­nen Brief zu Wort gemel­det, in wel­chem sie dem Kommandanten Schatz wei­ter­hin den Rücken stär­ken und sich zu den genann­ten Vorfällen erklä­ren.

Die Gorch Fock lief 1958 vom Stapel und wur­de seit­dem als Segelschulschiff im Heimathafen Kiel der Marineschule Mürwik (in Flensburg) unter­stellt. Das Schiff dient nicht nur zur Ausbildung jun­ger Kadetten, son­dern ist auch sei jeher Botschafterin der Bundesrepublik Deutschland. Doch die Bark ist noch weit mehr. So hal­ten vie­le Schleswig-Holsteiner gro­ße Stücke auf “ihr” Schiff und für Kiel ist es zum Wahrzeichen der Stadt gewor­den. Keine Kieler Woche ohne die Gorch Fock.

Verweise:

Von:

Gebürtiger Nordfriese, Kind der Insel Nordstrand, inzwischen wohnhaft am Osteefjord Schlei, verheiratet und Vater. Er arbeitet als Produktmanger und Projektmanager im Bereich Messaging-Dienste, Mobile Payment, Value Added Services und mobile Internet.

19 Gedanken zu “Ein Kommandant, eine Besatzung, ein Schiff”:

  1. Thilo

    Als ich die­sen Spruch las “Ein Kommandant, eine Besatzung, ein Schiff” wur­de mir ganz übel. Weil es erst mal nur nach Unterdrückung von Fakten roch — spriuch wir hal­ten zusam­men — egal was pas­siert ist.

    Danach däm­mer­te es mir, das ich einen ähn­lich Dreiklang schon mal irgend­wo gehört habe: http://www.dhm.de/lemo/objekte/pict/20011300/index.html
    „Ein Volk — ein Reich — ein Führer!” Die Ähnlichkeit besteht pri­mär dar­in, dass drei Teile genannt und zusam­men­ge­bun­den wer­den: 1. Ein Ort (Schiff, Reich) , 2. Eine Gruppe (Volk, Besatzung) und 3. Die Führungsfigur (Führer, Kommandant)

    Vielleicht nei­ge ich ja auch dazu, man­che Dinge kri­tisch zu sehen, aber ent­we­der ist das ein direk­ter Bezug oder ein sehr sehr weit­ge­hen­der unglück­li­cher und zufäl­li­ger Bezug. Zufällig kann aber nicht wirk­lich sein, da das sel­be lin­gu­is­ti­sche Werkzeug ange­wandt wird.

    Im bes­ten Falle ist das geschichts­los und deu­tet auf eine bedenk­li­che Verinnerlichung des Führerprinzips in der Bundeswehr hin. Für mich ist das Transparent alle­ne Grund, die Gorch Fock sofort aud­zu­le­sen als demo­kra­tie­f­ein­li­che Institution. Hier tau­chen weder die Opfer noch demo­kra­ti­sche Institutionen auf. Offenbar spielt das für die Kerls gar kei­ne Rolle.

    Reply
    1. Tim

      Wenn Du den Spruch so umsor­tierst, gibt es die Ähnlichkeit schon. Nun stand da aber nicht „Ein Schiff, eine Besatzung, ein Kommandant” son­dern „Ein Kommandant, eine Besatzung, ein Schiff”. Vielleicht war den Leuten bewusst, dass es sonst nach dem Spruch klin­gen könn­te, den Du zitiert hast.

      Trikola sind eine ein­fa­che rhe­to­ri­sche Figur, die Du über­all fin­dest von „Veni, vidi, vici” bis „qua­dra­tisch, prak­tisch, gut”.

      Reply
      1. Thilo

        Nur das hier eben genau die Einheit der Besatzung beschwo­ren wird. Auch inhalt­lich gibt es eine Deckungsgleichheit. Ein „Bundeswehr ist Neuzeit und kann nicht sein” leh­ne ich als Argument ab. Die inhalt­li­che Aussage ist doch über­setzt: Von euch Demokraten, las­sen wir uns nichts erzäh­len, auf unse­rem Schiff sind Besatzung, Schiff und Kommandant eine Einheit. Man ach­te ins­be­son­de­re dar­auf dass bewusst ein all­ge­mein­gül­ti­ger Spruch gewählt wur­de und bewusst dar­auf ver­zich­tet wur­de sich kon­kret auf DIESEN Kommandaten zu bezie­hen. D.h. die­ser Spruch gilt, egal was pas­siert! Und eben das ist fun­da­men­tal unde­mo­kra­tisch und eben der Bezug zu ver­gan­ge­nen Zeiten.

        Reply
      1. Thilo

        Du hast Godwins Law nicht ver­stan­den. Der besagt näm­lich nicht, dass es grund­sätz­lich kei­ne Parallelitäten zur deut­schen Vergangenheit geben kann. Das wäre der umge­kehr­te Godwins Law. So unge­fähr: „Jeder Bezug von der Gegenwart zur deut­schen Geschichte ist aus Prinzip falsch.” Ich wet­te Du nwarst bei der Bundeswehr?

        Reply
  2. Frank

    Man muss nur schau­en, von wem der Kommentar kommt und man weiß Bescheid…

    Sein Artikel dazu gibt einem den Rest.

    Reply
    1. Thilo

      Im Gegensatz zu Dir, der Du Dich anony­mi­sierst. Warum soll­te man einen anony­men Kommentar ernst neh­men, ins­be­son­de­re bei einem argu­men­tum ad homi­nem?

      Reply
  3. Oliver Fink

    Zum letz­ten Satz: Das hät­ten die Kieler gern. Ich mei­ne mich aber zu erin­nern, dass es bereits meh­re­re Kieler Wochen ohne die Anwesenheit der Gorch Fock gege­ben hat. Gefühlt hast Du natür­lich Recht, Mathias. :-)

    Reply
  4. MathiasPenz Post author

    Schon span­nend! Ich hat­te nicht erwar­tet, dass ein simp­les Statement gleich in Verbindung mit Gedankengut der ein oder ande­ren poli­ti­schen Gesinnung gebracht wird, fürch­te aber, dass man damit wohl leben muss.

    Man könn­te jetzt noch ein­mal anre­gen, den offe­nen Brief der Besatzung zu lesen, der mei­ner Meinung nach eben nicht auf ein sol­che Gesinnung schlie­ßen lässt, aber das könn­te wie­der­um zu wei­te­ren Verwirrungen füh­ren.

    Was genau auf dem Schiff vor­ge­fal­len ist und wel­che Rituale es an Bord gibt, dar­über kön­nen wir nur spe­ku­lie­ren. Ganz offen­sicht­lich pas­siert dies auch in Presse und Öffentlichkeit, denn sonst gäbe es nicht so vie­le Gerüchte.

    Zu hof­fen bleibt, dass die ein­zel­nen Vorfälle offen und rück­halt­los auf­ge­klärt wer­den und dass dann am Ende objek­tiv ent­schie­den wird, wie mit der Bark und der Ausbildung der Marinesoldaten wei­ter ver­fah­ren wird.

    Hier im Landesblog wün­sche ich mir eine res­sen­ti­ment-freie Diskussion zum Thema.

    Reply
    1. Thilo

      Naja schau­en wir uns doch mal an, was eine Armee ist: Eine Organisation, die auf Hierarchie und abso­lu­ten Gehorsam setzt. Es gab bereits unzäh­li­ge Zwischenfälle. Ich erin­ne­re da an das „Motherfucker”-Video: http://www.youtube.com/watch?v=hcoGjK7cx6k . Wir kön­nen jetzt natür­lich sagen, dass es sich immer nur um Einzelfälle han­delt. Aber ich wür­de behaup­ten, dass sich die­se Fälle sowohl aus der Tradition als auch aus der Struktur ablei­ten. Wenn jede 20. Frau in der Bundeswehr ver­ge­wal­tigt wird, dann ist das kein Zufall. In der Bundeswehr wird halt vie­les hin­ge­nom­men, weil es dort als nor­mal gilt. In dem Offenen Brief schreibt die Sammbesatzung „Zu kei­ner Zeit wur­de hier an Bord ein Soldat von einem ande­ren ange­fasst oder gar sexu­ell beläs­tigt!” Dies fest­zu­stel­len ist aber ihnen gar nicht mög­lich. Wenn so etwas geäu­ßert wur­de, dann gibt es eben Soldaten oder Sodatinnen, die das gehört oder erlebt haben. Hier spricht der glei­che Geist: Wir hal­ten zusam­men, es ist nichts pas­siert,… . So kann es aber nicht lau­fen. Das ist Korpsgeist http://de.wikipedia.org/wiki/Korpsgeist , der mit Demokratie unver­ein­bar ist.

      Reply
      1. Thilo

        Na dann leg mal los: Was bedeu­tet denn der Spruch? Wenn ande­re Interpretationen mög­lich sind, wür­den die mich ja inter­es­sie­ren. Es geht also nicht dar­um die Einheit aus Kommandatn, Schiff und Besatzung in den Vordergrund zu stel­len. Sondern?

        Reply
        1. Tim

          Natürlich soll der Spruch sagen, dass die Crew zu ihrem Kapitän steht. So wie jedes gute Team zu sei­nem Chef steht. Das heißt ja nicht, dass der Chef unfehl­bar ist. Und es heißt schon gar nicht, dass die Crew einer Ideologie folgt, die die Unterwerfung der frei­en Welt und die Ausrottung der Juden zum Ziel hat.

          Und soweit ich weiß gibt es bei der Bundeswehr auch Probleme, grund­sätz­lich setzt sie aber nicht auf „abso­lu­ten Gehorsam”, son­dern folgt dem Leitbild des „Staatsbürgers in Uniform”.
          http://de.wikipedia.org/wiki/Staatsb%C3%BCrger_in_Uniform

          Reply
          1. Thilo

            Sorry, aber ich habe nix von dem unter­stellt, was Du behaup­test. Ich habe vor­ge­wor­fen, dass die­ser Spruch die Einheit aus Schiff, Kommandanten und Besatzung beschwert — und damit das ein­zel­ne Besatzungsmitglied nur als Dreiklang zuläßt. Da schreibt dann wie oben schon von mir zitiert die Stammbesatzung im offe­nen Brief, dass kei­ne sexu­el­le Belästigung statt­ge­fun­den habe. Damit wird die Erfahrung ein­zel­ner Soldatinnen abge­wer­tet, ganz im Sinne der Einheit des Dreiklangs. So wird dann Missbrauch im Rahmen des Korpsgeistes gede­ckelt, statt auf­ge­deckt. Gerade die­ser Geist öff­net dann aber Tür und Tor für wei­te­re Missbräuche. Damit ist die Gorch Fock sicher nicht sin­gu­lär, gera­de beim Militär ist sowas oft der Fall, sie­he auch die von mir zitier­te Untersuchung.

        2. Oliver Fink

          Ich muss und will nicht los­le­gen. Warum auch? Streng Dich doch selbst ein biss­chen an. Vielleicht kommst sogar Du ganz allein von selbst drauf. Und wenn nicht, werd ein­fach glück­lich mit Deiner Weltsicht…

          Reply

Schreibe einen Kommentar zu Oliver Fink Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert