Nachfolgend der Wortlaut des zwischenzeitlich vom Ministerium für Bildung und Kultur zurückgezogenen Erlassentwurfes, der Auslöser für die Behauptung war, eine „sozialdemokratisch durchzogene Ministerialbürokratie” konterkariere „weiterhin die Bildungspolitik von FDP und CDU”. Über diesen Vorwurf und seine Weiterungen haben wir heute morgen hier berichtet. Es handelt sich um eine Abschrift, der Entwurf liegt der Redaktion des Landesblogs nur als Fax vor.
Auswahlkriterien für die Zuordnung von Schülerinnen und Schülern innerhalb eines Gymnasiums mit achtjährigen und neunjährigen Bildungsgang
Anhörungsfassung
Runderlass des Ministeriums für Bildung und Kultur vom … 2011
1.) Die Eltern wählen nach § 24 SchulG im Rahmen der festgesetzten Aufnahmemöglichkeiten eine Schule der gewünschten Schulart aus. Nach § 44 Abs. 2 SchulG können an einem Gymnasium der achtjährige und der neunjährige Bildungsgang parallel angeboten werden. Es besteht kein Anspruch auf einen bestimmten Bildungsgang.
An Gymnasien, die sowohl den achtjährigen als auch den neunjährigen Bildungsgang anbieten, ist wie folgt zu verfahren:
(1) Die Eltern melden ihr Kind an der Schule an und benennen eine Option für den achtjährigen oder neunjährigen Bildungsgang, ggf. unter Darlegung von Gründen.
(2) Bei der Überschreitung der Kapazitäten eines Bildungsgangs nimmt die Schulleiterin oder der Schulleiter eine Zuordnung der Schülerinnen und Schüler vor. Es müssen spezifische Gründe, die für das einzelne Kind zum Tragen kommen, berücksichtigt werden, so dass eine Einzelfallentscheidung zu treffen ist.
Folgende Kriterien für eine vorrangige Zuordnung finden Berücksichtigung:
(2.1) Neunjähriger Bildungsgang:
a. Die Eltern weisen durch Vorlage eines entsprechenden ärztlichen Attestes nach, dass der physische oder psychische Gesundheitszustand des Kindes eine längere Lernzeit notwendig macht.
b. Die Verfügbarkeit des Nachmittags wird als dringend geboten nachgewiesen. Mögliche Gründe können sein: Musikalische Spezialförderung, Leistungssport u.Ä..
c. Die Erreichbarkeit des Elternhauses nach der Schule ist bei einem Stundenplan im achtjährigen Bildungsgang deutlich erschwert, die Fahrtzeit unzumutbar lang.
(2.2) Achtjähriger Bildungsgang:
a. Besondere familiäre Umstände machen ein längeres Verweilen am Nachmittag in der Schule notwendig.
b. Getestete und bestätigte Hochbegabung erfordert ggf. ein schnelleres Durchlaufen des gymnasialen Bildungsganges.
(3) Sind nach der Zuordnung aufgrund der vorgenannten Kriterien noch freie Plätze in der Lerngruppe eines Bildungsganges zu vergeben, sind diese unter den Bewerberinnen und Bewerbern zu verlosen, soweit nicht andere besondere Gründe eine bestimmte Zuordnung erforderlich machen.
2.) Der Erlass tritt am Tage nach seiner Veröffentlichung in Kraft.
Und vielleicht erklärt mir jetzt einmal der Gegner des Schulgesetzes wo der Aufreger an diesem Erlass ist – oder einer der Befürworter, warum man deshalb auf die illoyale „Ministerialbürokratie” schimpfen muss? Man kann diesen Erlass ja unglücklich oder falsch finden. Erregungspotential sehe ich allerdings nicht wirklich. Stand vielleicht einfach keine andere Sau für das Rennen durchs Dorf zur Verfügung?
Ich hatte ja erst fast Mitleid, weil der Herr Minister vielleicht auch nicht jede 100-seitige Abhandlung studieren kann — aber eine Seite? Vielleicht ist es ja auch vielmehr so, dass Herr Klug den Psychotest für 9-Ender eigentlich ganz gut findet. Dann gibt es Aufregung. Er merkt, dass die Leute es nicht mögen. Also behauptet er der fiese Sozi hätte ihm dass untergeschoben. Jeder weiß ja, dass das Ministerium betriebsratsverseucht… äh „sozialdemokratisch durchzogen” ist.
Ich finde es völlig okay, wenn versucht wird, Kriterien zu finden, mit denen knappe Plätze bei G8 oder G9 vergeben werden. Und ich finde an diesen Kriterien nicht einmal viel Kritikwürdiges – ganz gleich, ob sie vom Minister so intendiert waren oder ihm von der pösen „Ministerialbürokratie” untergeschoben wurden. Also noch einmal: Wo konkret ist doch gleich der Aufreger?
@Tim: Dir ist schon klar, dass diese Kriterien nur dann greifen sollen, wenn nicht ausreichend Plätze zur Verfügung stehen?
Warum der Aufreger? Als politisch sehr aktiver Mensch sollte man das schon sehen…
Weil ‚physischer oder psychischer Gesundheitszustand’ wohl kaum eine adäquate Formulierung ist. Es geht hier nicht darum, Kinder in eine Anstalt einzuweisen.
Und: Welche Eltern möchten ihren Kindern diese Eigenschaft testieren lassen?
Das wäre dann ein Grund für ruhige, sachliche Kritik – keiner für Aufregung. Als politisch aktiver Mensch sollte man übrigens auch den Mut aufbringen, mit seinem Namen für die eigene Meinung einzustehen. Es sei denn, man steht nicht so richtig zu dem, was man schreibt…
Absolut! Man sollte seien Namen angeben. Aus bestimmten Gründen hier jedoch nicht…
Ich stehe zu dem was ich schreibe — als Interpretation der Reaktion der Presse.
Die Reaktion der Presse halte ich allerdings für absolut überzogen. Dass sie dann auch noch aus den eigenen Reihen angefacht wurde, verblüfft doch sehr.
Allerdings sind die gewählten Formulierungen des Erlasses schlicht instinktlos.
Es wäre so einfach gewesen, zwei Prioritäten zu definieren: A für ‚irgendwie’ formal nachgewiesene Gründe, z.B. durch einen Psychologen. B für alle anderen. Sofern zu viele Plätze nachgesucht worden wären, wären nach Losverfahren freie Plätze an B zugewiesen worden.
PS: Bin politisch interessiert, aber absolut nicht aktiv. Hm, leider…
„Irgendwie” formal nachgewiesene Gründe führen zu Verwaltungsgerichtsprozessen unzufriedener Eltern. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirchen. Der Erlass macht nicht anderes, als dass er Möglichkeiten aufzählt. Ich halte die Aufregung für künstlich. Von beiden Seiten. Weder wird hier eine Gruppe pauschal stigmatisiert noch wird hier eine politische gewollte Wahlmöglichkeit auf dem Verwaltungswege wieder einkassiert.