Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
mag lähmender Gewohnheit sich entraffen.
Im Jahr 2020 jährt sich die Volksabstimmung in Schleswig, die zur Abtretung Nordschleswig an Dänemark führte, zum 100sten Mal. Grund genug für das heutige Schleswig-Holstein, im Jahr 2020 fit zu sein für die nächsten 100 Jahre.
Im Jahr 2020 passieren noch ein paar andere Dinge.
- Die Schuldenbremse, eine in der Verfassung stehende Regelung, nach der Bund und Länder ihre Haushalte ohne Kredite auszugleichen haben, tritt in Kraft.
- Der heute geltende Länderfinanzausgleich (LFA) läuft 2019 aus. Er wird neu verhandelt werden. Der LFA besteht aktuell aus zwei Regelkreisen: Zunächst betrachten die Länder ihre Einnahmen und gleichen ihre Finanzkraft untereinander aus (horizontal). In einem weiteren Schritt überweist der Bund den Länder zusätzliches Geld (vertikal).
- Der nicht an Einnahmen orientierte, sondern teilungsbedingte Sonderlasten betrachtende Solidarpakt, der den ostdeutschen Bundesländern zusätzliche Bundesgelder im Rahmen des LFA beschert, endet ebenfalls 2019. Man kann davon ausgehen, dass von Seiten der Empfänger eine Nachfolgeregelung eingefordert wird.
- Die Olympischen Spiele finden nicht in Deutschland statt.
Mit Ausnahme der Olympischen Spiele geht es immer um die Länder. Es geht immer darum, dass deren Einnahmen reichen müssen, um die Ausgaben leisten zu können.
Das bedrückt. Denn es stimmt was nicht. Entweder mit den Einnahmen. Oder mit den Ausgaben. Oder mit den Ländern. Oder mit deren Aufgaben.
An allen Orten wird schon mit den Hufen gescharrt. Bayern, vor 25 Jahren selbst noch Empfänger im LFA, findet, der aktuelle Finanzausgleich wirke wie eine Strafsteuer für die, die gut wirtschaften. Die „Geberländer”, das sind die an örtlichen Einnahmen relativ „reichen” Länder, überlegen anstatt einer Neuverhandlung schon mal den demonstrativ unpolitischen Akt einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht. Die Bundeskanzlerin hat Verständnis für das Wehklagen. Die Nehmerländer, dass sind die an Einnahmen „armen” Länder, wollen dann vielleicht aber auch mal klagen. Roman Herzogs „Konvent für Deutschland“ schlägt, verfasst von Prof. Karl-Heinz Paqué, Oswald Metzger, Gerhard Stratthaus und Henning Voscherau, Leitlinien zur Reform des LFA vor, die Steuern, die Ausgaben, den horizontalen LFA, die Altschulden und mögliche Länderfusionen zum Streitpunkt zu erheben. Und auch im hiesigen Landtag stehen erste Diskussionen an.
Es ist gut und richtig, schon jetzt im Land mit der Debatte zu beginnen und sich zeitig und vorbereitet in die Diskussion über die ab 2020 geltenden Nachfolgeregelungen einzubringen. Wer dort Getriebener ist, wird verlieren.
Mir scheint jedoch, hier wird eine Diskussion angefangen, ohne eine Bestandsaufnahme gemacht zu haben, die einer notwendigen, zukunftsfähigen Verortung dient. Die tut aus bekannten Gründen Not:
Die Diskussion um die Schuldenbremse, deren prinzipielle Sinnhaftigkeit und Notwendigkeit von realitätsnahen Politiker nicht angezweifelt wird, hat deutlich gemacht, dass wir mit den bisherigen Strukturen im Landeshaushalt nicht mehr voran kommen werden. Jedes Jahr bis 2020 müssen 125 Millionen Euro an Ausgaben gestrichen werden (Übrigens: wer den Verzicht auf kreditfinanzierten Ausgaben „sparen“ nennt, der setzt drei Runden aus, geht schnurstracks zur nächstgelegenen Volkshochschule und belegt einen Grundkurs Deutsch. „Sparen” ist, wenn ich Geld, das ich frei zur Verfügung habe, für später zurücklege). Die aus konjunkturellen Gründen zu erwartenden Steuermehreinnahmen gehen voraussichtlich schon für die unvermeidbaren Mehrausgaben, Pensionen, Lohnerhöhungen, Transferleistungserhöhungen, zusätzliche Zinsen — und hoffentlich nicht für steigende Zinssätze drauf. Es ist unredlich und angesichts gebundender Hände auch unrealistisch, als Lösungsalternative allein auf (durch den Bund) zu erhöhende Steuern zu verweisen.
Die hinter uns liegenden Diskussion um den Landeshaushalt 2011/2012 zeigt deutlich, dass selbst bei redlichem Bemühen um Ausgabedisziplin und — bei aller notwendigen Kritik an der Vorgehensweise, an der Auswahl und an der handwerklichen Umsetzung — ehrlichem Versuch, strukturelle Kürzungen wenigstens mal vorzuschlagen, eine fast komplette politische Handlungsunfähigkeit angesichts eines schon heute weitgehend versteinerten Haushaltes nicht allzu fern ist. Das Königsrecht eines Parlamentes ist längst zur Farce verkommen, wenn de facto nur noch Unveränderbares beschlossen wird, beschlossen werden muss. Die früher gern vertretene Denkfigur, die beste zukünftige Entlastung sei eine heutige Investition in [hier bitte das Lieblingspolitikfeld der jeweiligen Wählerklientel eintragen] zieht mangels Handlungsfähigkeit und zur Verfügung stehender Masse schon längst nicht mehr und taugt nicht mal, um sich in die Zukunft zu lügen.Wäre der Landeshaushalt dann 2020 in Einnahmen und Aufgaben ausgeglichen, dann läge da immer noch ein Zinsen und Tilgung fressender Schuldenschlund vor uns, das bis dahin munter weiter auf dann bummelig 35 Milliarden Euro gewachsen ist und das dem Land auf Dauer jährlich weit mehr als eine Milliarde Euro an Gestaltungsspielraum nehmen wird. Wer nicht zu Depressionen neigt, kann jetzt einen Online-Annuitäten-Rechner aufsuchen und schauen, wie lange es überschlägig dauert, sowas ohne zwischenzeitlichen Staatsbankrott zu tilgen. Gibt es keine irgendwie geartete Entlastung der Länder von diesen Zahlungen, dann wäre mit den eben schon genannten jährlichen aufwachsenden Streichungen längst noch nicht Schluss. Und diese Entlastung wird es im Grunde nie geben: Denn auch, wenn ein Altschuldenfonds käme, würde er durch jemand getilgt werden müssen. Und dieser jemand wird eben dieses Geld nicht den Länder und damit auch nicht Schleswig-Holstein zukommen lassen können.
Länderfusionen, völlig losgelöst von der Frage, ob man denn überhaupt die notwendigen Mehrheiten in der Bevölkerung für sie bekäme, reduzieren die Kosten für eine Reihe von Abgeordneten, ein paar Behördenvorsteher und einige Minister sowie deren Autos. Das sind Beträge, die sich im Nachkommabereich abspielen. Geld geben Länder für Zinsen, Polizisten, Lehrer, Pensionen und so weiter aus. Diese Ausgaben ändern sich durch noch so viele Fusionen nicht. Schlimmer noch: Änderte sich nicht an jetzigen System des LFA, würden Länder, die vershmelzen wollen, durch sinkende Einnahmen bestraft werden. Dabei können Länderfusionen auf der alltäglichen Ebene vielerlei Sinn machen und den Bürgern den Frust nicht mehr erklärbare Unterschiede durch nicht mehr spürbaren Verwaltungsgrenzen nehmen. Das hat aber eigentlich nie etwas mit Kostenreduzierung zu tun. Natürlich können Länderfusionen den Raum, den sie umschließen, zu Prosperität verhelfen. Zudem spiele größere Einheiten eine gewichtigeres Instrument im Bund-Länder-Konzert. Mittelbar sind also Vorteile denkbar. Mittelbar. Mittelbar ist aber auch denkbar, dass die Zinsen steigen. Wer vorhin den Annuitäten-Rechner besucht hat, der weiß, was es bedeutet, wenn die Zinsen um mal gerade ein Prozent steigen.
Die vor uns liegende demographische Entwicklung führt nicht nur dazu, dass weniger Kinder geboren werden und die Bevölkerung altert. Unsere Gesellschaft wird sich tiefgreifend ändern: Jetzt schon dünn besiedelte Gegenden werden Wolfserwartungsgebiete, in denen die nächste Grundschule 30 Kilometer entfernt liegt, während sich in den Ballungsgebieten und Metropolregionen das Leben konzentriert. Immer mehr Menschen werden als Einwanderer nicht nur von der Wirtschaft begrüsst werden. Schul(form)en, Postfilialen, alle möglichen regionalen Versorgungstrukturen werden sich wie die sozialen Sicherungsysteme, vorweg die Renten, dem Wandel nicht entziehen können. Überall, auf dem Lande aber vielleicht anders als in den Städten, werden sich die Strukturen der Familien ändern. So, wie sich im Privaten die Lebensentwürfe, die Biographien, die Art und Weise des Zusammenlebens ändern wird, wird sich die Art und Weise, wie wir regionale Planung denken, verändern müssen.
Also Kopf in den Sand, Handtuch werfen und nach den Betreuer rufen? Nö, das glaube ich nicht. Politik ist kein Ponyhof und bringt sogar noch mehr Spaß, wenn Gestaltungswillen und nicht allein Spendierhosen nachgefragt sind. Man sollte nur Schritt für Schritt vorgehen.
Drei Beispiele für Denk- und Argumentationsansätze. Keines von ihnen ist ohne Nachteil. Sie dienen mir nur als Beispielsfrage für die eigentlichen Hauptaufgabe.
Am Beispiel der Bildung: Es gibt in Deutschland keinen Wettbewerbs-Föderalismus. Der deutsche Föderalismus ist zunächst ein kooperativer Föderalismus, in dem die Länder nicht in erster Linie zusammenarbeiten sondern mehrheitlich zunächst darauf schielen, dass die verfassungsrechtliche gebotene “Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet” bewährleistet wird. Das tun die Länder nicht, weil sie flau sind, sondern weil das deutsche Konstrukt des Föderalismus an dem Geburtsfehler krankt, dass die Gesetzgebungs- und Einnahmegestaltungskompetenz beim Bund liegt, die Vollzugskompetenz und -last jedoch bei den Ländern (bzw. den Kommunen, die das gleiche Problem haben). Die Einwirkung der Länder im Bundesrat ist zudem kein legislativ konstituierter Föderalismus sondern ein — häufig genug ziemlich machtloser — Exekutivföderalismus. Weil bei einem Thema wie der Bildung zudem insgeheim eh jeder weiß, dass zwei plus zwei vier ist und dass ohne eine weitgehende Gleichheit oder Durchlässigkeit im Bundesgebiet (mitten in einem einheitlichen Bologna-Europa) eh nichts mehr läuft, bilden die Länder künstlich eine zentralistische Struktur nach: die KMK. Wer immer noch nicht glaubt, dass da kein Bildungs-Wettbewerb, kein Wettstreit von Bildungssystemen zum letztendlichen Vorteil aller stattfindet, der erkläre mir mal bitte mit seinem Wettbewerbsargument, warum wir bei PISA, IGLU oder TIMSS so abschneiden, wie wir abschneiden.
Auf der andere Seiten hadern die Kommunen als Schulträger mit den ebenso begründet notwendigen wie unerreichbar erscheinenden Mitteln zum Schulbau oder zur Unterhaltung oder Ausstattung der Gebäude. Und in den Schulen beschäftigt sich derweil pädagogisches Personal nicht mit Schule und Schülern sondern mit den Reibungsverlusten, die sich aus der Trennung der inneren und äußeren Schulträgerschaft ergeben.
Warum also nicht die Verantwortung zur grundsätzlichen Gestaltung und die Pflicht, die Ausgaben zu finanzieren, dorthin verschieben, wo es sinnvoll ist?! Der Bund wäre dann zuständig für den Rahmen und die Kommunen und ihre im Rahmen der Regeln autonomen Schulen erhielten das Geld von Bund (ja genau: Sie erhalten es direkt).
Am Beispiel der Steuerverwaltung: Die Gesetzgebungskompetenz liegt beim Bund. Der Wunsch der Bürger und der Unternehmer ist es, im ganzen Bundesgebiet gleich besteuert (noch lieber: nicht besteuert) zu werden. Ein Wettbewerb wäre sogar staatszersetzend: Gäbe es tatsächlich einen Standort-Förderungs-Wettbewerb, der “siedeln sie Ihr Unternehmen hier an, denn hier werden sie nur alle 5 Jahre geprüft” hieße, dann wäre das staatszersetzendes Verhalten und verstieße gegen die Bundestreue. Ab und an wird an dieser Stelle eingeworfen, es würde den Föderalismus retten, wenn man den Ländern nur endlich eigene Einnahmequellen erschließen würde, wenn sie im Wettbewerb stehend selbst entscheiden könnten, wie hoch z.B. die Einkommenssteuer in Schleswig-Holstein, die Biersteuer in Bayern oder die Mineralölsteuer in Hamburg wäre. Ich bezweifle, dass wir in Deutschland einen gesellschaftlichen Willen für einen Wettbewerbsföderalismus haben, der jedwede ausgleichende Kooperation ablehnt. Die deutsche Geschichte ist anders verlaufen als die US-amerikanische. Solche Zeitläufe lassen sich kaum ausblenden. Zudem führt die deutlich dichtere Besiedlung in Deutschland zu völlig anderen Mechanismen zwischen den Gliedstaaten und der Wünschen seiner Bürger. Warum also muss es überhaupt eine Ländersteuerverwaltung geben? Die kann doch der Bund gern komplett übernehmen?! Hat Hans Eichel 2004 sogar schon mal vorgeschlagen. Die minimal vorhandenen Ansätze von Ländersteuern, die da eine Rolle spielen könnten, sind schon vom Aufkommen her komplett unerheblich. Die Länder haben (nicht nur hier) die Last der Ausführung der Bundesgesetze,ohne eigenen politischen Gestaltungsspielraum. Solche Dinge sind Aufgaben für (nachgeordnete) Behörden, nicht für politische Einheiten mit Gestaltungswillen.
Am Beispiel der Polizei: Auch hier könnte man sich überlegen, ob nicht manche polizeiliche Tätigkeit besser (im Sinne von effizienter) beim Bund oder bei den Kommunen angesiedelt sein könnte. Vergleiche mit der französischen Gendarmierie, den italienischen Carabinieri, der spanischen Guardia civil oder deren lokale Ergänzungen wie die Police municipale, Policía Municipal oder Polizia Municipale könnten die Diskussion positiv wie negativ beeinflussen.
Die Liste ließe sich fortsetzen: Justiz, Hochschulen, Agrarförderung. Halt! mag man jetzt rufen. Das ist doch der reine Verschiebebahnhof! Das spart Null Euro. Da verschiebt jemand Geld von hier nach dort. Ja, stimmt. Und dem Argument, die Verlagerung befreie den Landeshaushalt immerhin von Unmengen an impliziten Schulden (das sind versteckte Schulden wie Pensionsverpflichtungen), kann man sicher entgegen halten, dass der Bund diese Aufgabe nicht übernehmen wird, ohne den Anteil der Länder an irgendeiner Steuer entsprechend kürzen zu wollen.
Dennoch: Ein Land ohne die Möglichkeit zur eigenen Einnahmegestaltung, das sich von solchen träge machenden Verwaltungslasten befreit, kann sich viel eher bewusst werden, was es überhaupt zukünftig für eine Rolle spielen will:
- Wie will es sich positionieren in einem Europa der Regionen.
- Wie kann es dem Bürger wieder näher kommen und nicht länger als aus der Ferne Grenzen ziehende Monster auftreten, das dem mobilen urbanen Bürger von heute vorkommt wie ein staubiges Museum aus dem 19. Jahrhundert — völlig frei von spannenden, interessanten Ausstellungstücke.
- Was muss es anbieten (ja, ich meine das genau so: dienstleistend), um weiter nachgefragt zu bleiben in Bereichen wie Kultur, Infrastruktur, Natur, Erholungsräume. Und: Gehören die eben angesprochenen Politikfelder Bildung, Polizei, Steuerverwaltung, Hochschulen, Justiz … überhaupt noch oder nur in reduziertem Umfang zur Produktpalette.
- Wie kann es der Wirtschaft ein regional vernetzter Partner sein, der sich um die Arbeitsplätze in der Region sorgt. Der sich auch um die Dinge kümmert, für die er nicht selbst “zuständig” ist, wo er aber über gute Kontakte zu staatlichen “Partnern” verfügt.
- Und wo sieht es die Grenze, wo es sich nicht verbiegen kann oder will, ohne seine Identität, seine Geschichte, seine inneren Zusammenhang zu verlieren.
Wer ängstlich auf der Stelle hockt, jede Änderung ablehnt und völlig ausblendet, dass sich um uns herum die Strukturen der gesellschaftlichen Zusammenlebens, die Bedürfnisse der Bürger, die Anforderungen der Unternehmern ändern, der wird abgekoppelt und aufs Abstellgleis geschoben. Zu Recht. Und Schade ist das auch nicht.
Wer sich auf das Erfinden und Aushandeln neuer oder bewährter Ausgleichmechanismen beschränkt, ohne vorher die eigene Rolle zu hinterfragen und zu definieren, der reiht an die nicht zukunftsweisende Föderalismusrefom I und Föderalismusrefom II eine zum Scheitern verurteilte Föderalismusrefom III an.
Ein Land wie Schleswig-Holstein definiert sich nicht über solche Ausgleichmechanismen. Seine Existenz begründet sich unabhängig von der genauen Anzahl der Gemeindegrenzen, Kreisen oder Abgeordneten; und wenn es sich allein darüber definierte, dann wäre es nicht ein Land sondern eine Behörde und gehörte schon deshalb ohne eine Träne abgeschafft. Die Art und Weise seiner Außengrenzen ist wie der gerade geltende exakte Verlauf schon immer einem Wandel unterworfen gewesen. Dem Land Schleswig-Holstein kann es egal sein, ob es ein Parlament beherbergt, dass nur und ausschließlich für Schleswig-Holstein da ist oder ob das in Kooperation mit anderen Ländern geschieht, solange wir nur weiterhin einen Bezug zur Geschichte und zu dem Begriff „Schleswig-Holstein” herstellen können. Wenn die hier Lebenden, ebenso wie die immer wieder gern kommenenden Gäste und Besucher, ein Lebensgefühl spüren, das einer Identität Leben einhaucht, um deren Erhalt sich gekümmert wird. Wie sagte unser neuer Ehrenbürger Armin Müller-Stahl neulich so treffend: „Wenn ich mit dem Fahrrad von Timmendorf nach Haffkrug fahre, dann sehe ich aufs Meer und nichts stößt an den Horizont. Dann geht das Herz auf. Das tut wirklich gut” und „Sprache und Meer sind für mich Heimat”. So kann man, so muss man Schleswig-Holstein stets neu erfinden.
Ich glaube, dass wir so eine Diskussion führen müssen. Dass wir Schleswig-Holstein politisch neu erfinden und verorten müssen. Dann können wir uns den Diskussionen über Föderalismus, Bund-Länder-Finanzstrukturen, Länderfusionen in aller Ruhe und selbstbewusst stellen.
Amen, Bruder! :-)
Endlich sagt’s mal jemand: „Länderfusionen […] reduzieren die Kosten für eine Reihe von Abgeordneten, ein paar Behördenvorsteher und einige Minister sowie deren Autos. Das sind Beträge, die sich im Nachkommabereich abspielen. Geld geben Länder für Zinsen, Polizisten, Lehrer, Pensionen und so weiter aus. Diese Ausgaben ändern sich durch noch so viele Fusionen nicht.”. Das spricht nicht gegen Länderfusionen, räumt aber mit der Mär auf, es würde sich haushaltstechnisch nennenswert etwas ändern. Die Gründe für Fusionen müssten dann eben andere sein – so diese sich finden.
Auch sonst enthält der Artikel viele interessante Denkansätze. Ob es allerdings gelingen kann, auf der einen Seite den Wettbewerb zwischen den Ländern auszuschalten (Bildung, Steuern) und ihn auf abstrakter Ebene dann – über die Identität – verstärkt zu führen, kann Thema einer spannenden Diskussion werden.
Sehr große Sympathie habe ich für die geäußerten Ideen zur Verantwortung der Kommunen für autonome Schulen in einem definierten allgemeinen Rahmen. Da wäre ich sogar bereit, diesen Rahmen vom Bund und nicht von den Ländern festlegen zu lassen, wenn im Gegenzug die Schulen eben Freiräume erhalten, wie sie in diesem Rahmen vereinbarte Bildungsziele erreichen. Und wenn mit diesem Rahmen eine gleichberechtigte Betrachtung aller Bildungsmethoden gemeint ist, die im lokalen Umfeld gemeinsam vereinbart werden – das meint mehr als nur die Auseinandersetzung zwischen binnen- und außendifferenzierendem Unterricht.
Danke für einiges Denkfutter.
@Oliver Fink: Man müsste nur verhindern, dass die Lehrer alleine vor Ort gegen Eltern und Kommune durchsetzen müssten, wenn sie eine bestimmte Schulform haben wollen.
Tausche „Eltern” und „Lehrer” und Art. 6 GG ist genüge getan. Dann unterschreibe ich. ;-)
Eine Reihe von interessanten Dokumenten zu der Fragen rund um eine Fusion von Länder findet man hier. Die Enquetekommission „Norddeutsche Kooperation” hatte zu dem Thema „Welche Auswirkungen hätte eine Länderfusion der Freien und Hansestadt Hamburg mit Schleswig-Holstein auf den Länderfinanzausgleich” eine interessante Anhörung gemacht. Mich hatte die Anhörung in meinem Gefühl bestärkt, dass die Neuordnung der Länder kein finanzpolitisch zu diskutierendes Thema ist. Für mich ist eine etwaige Neuordnung der Länder (genauer: Länderverwaltungen) eher eine Folge aus einer ohne ideologische Scheuklappen geführten Diskussion „wer macht was wo und wie am Besten”. Da spielen Dinge wie Bürgernähe, EGovernment, Prozessorientierung eine Rolle. Ich mache aus meinem Herzen da keine Mördergrube: Ich stelle mir (mit Blick auf Verwaltungseinheiten, politische Parlamente können davon abweichen) größere, mit verlässlichen Einnahmen ausgestattete Kommunen vor, die (z.B. in Schulfragen) in einem klar vorgegebenen Rahmen, Dinge autonom regeln und dabei einem öffentlich einsehbaren Benchmarking unterliegen.
Mit den drei Beispielen wollte ich drei mögliche Aufgabenverteilungen andeuten: ich kann eine Aufgabe einer Ebene zuordnen kann (Steuer), zwei von drei Ebenen (Schule) oder unter allen drei aufteilen kann (Polizei). Außerdem wollte ich typische Argumentationslinien nachzeichnen. In den jeweiligen Sachthemen kann jemand mit Sachkunde bestimmt zu ganz anderen und sicher sogar besseren Ergebnissen kommen. Ich möchte nur anregen, diese Diskussion überhaupt zu führen. Wenn wir diese Diskussion führen, dann verorten wir Schleswig-Holstein (neu) — und wissen dann hoffentlich, wohin die Reise gehen kann.
Größere Kommunen – also ähnlich dem dänischen Modell – finden ebenfalls meine Zustimmung. Die aktuellen Gemeinden könnten über eine Art Ortsbeiräte vertreten bleiben, wenn sie denn ihre Identität bewahren wollen. Ämter könnten dann komplett entfallen. Und über die Notwendigkeit der Existenz von Kreisen könnte man dann auch gleich einmal diskutieren, wenn man eh schon dabei ist. ;-)
Ich sehe keinen Grund, warum man über die (weitere) Existenz von Kreise diskutieren müsste :-) Gleichwohl fürchte ich, dass sie uns erhalten bleiben; meine steile These: 75 Prozent der Delegierten auf den CDUSPDFDPGRÜNEN-Landesparteitagen sind Abgeordnete in einem Kreistag. Die werden schwerlich ihre Abschaffung und damit ihre eigenen (vermeintlichen) Niedergang beschließen. Das kann ich irgendwo auch nachvollziehen. Deshalb sollte man bei den Denkmodellen strikter trennen zwischen Verwaltungsstrukturen (Back Office) und demokratischer Interessensvertretung (Parlamenten, Gemeindeversammlungen, Kreistage …). Nicht jeder Verwaltungsebene muss eine parlamenarische Ebene beiwohnen.
Sehr guter Artikel! Pflichtlektüre für jeden MdL in Schleswig-Holstein um sich mal wieder dem großen Ganzen bewusst zu werden!
Die Zitate von Armin Müller-Stahl war aus seiner Dankesrede bei der Ehrenbürgerverleihung im Lübecker Theater oder?
Ja, die LN berichtete z.B. darüber. Ich habe es nicht verlinkt, weil es so häufig genutzt wird.