Noch bis 2005 konnte ich von Breitbandinternet nur träumen. Ich lebte zwar nicht auf dem Land aber eben in einem Vorort Kiels und ADSL, mit Bandbreiten zwischen einem und sechs MBit/s, war nur in einigen wenigen Straßen zu haben. In meiner nicht.
Ende des Jahres 2005 zog ich in die Innenstadt, wo sich mir ein gänzlich anderes Bild bot: auch in den ältesten Häusern mit den abenteuerlichsten Verkabelungen war “High-Speed Internet”, das seinem Namen alle Ehre machte, verfügbar. Über die vergangenen Jahre konnte ich die mir zur Verfügung gestellte Bandbreite sukzessive von 16 über 24 auf die aktuellen 50 MBit/s steigern.
Auch mein ehemaliges Zuhause hat inzwischen zumindest Anschluss gefunden. ADSL-Anschlüsse mit 16 MBit/s sind der Standard, manch einer kann inzwischen auch dort vom noch schnelleren VDSL profitieren. Aber wie sieht es mit dem Rest Schleswig-Holsteins aus?
Der Breitbandausbau in Schleswig-Holstein ist eine Erfolgsgeschichte. Das verkündete (YouTube) Wirtschaftsminister Jost de Jager bei der gestrigen Landtagssitzung. Er verwies auf den Bericht der Landesregierung (PDF) und zitierte wahre Fabelzahlen. Schon heute würden 98,1% der Schleswig-Holsteiner über einen Breitbandzugang mit mindestens 1 MBit/s zum Internet verfügen. Das sei bundesweit, unter den Flächenländern, Platz zwei hinter dem deutlich dichter besiedelten Nordrhein-Westfalen.
Johannes Callsen, ebenfalls CDU, wusste zu ergänzen, dass sich dieser Wert mit den noch laufenden Maßnahmen auf 99% steigern ließe, womit das Ziel flächendeckenden Breitbandzugangs für Schleswig-Holstein erreicht wäre.
Mit einem Blick in die nicht allzu ferne Zukunft erwähnte Callsen die kommende Generation des Mobilfunks, LTE (Long Term Evolution), die die restlichen weißen Flecken auf der Breitbandkarte Schleswig-Holsteins abdecken soll. Eingehend auf eine Pressemitteilung des Parlamentariers Detlef Buder (SPD) ergänzte er, dass trotz LTE natürlich weiterhin der Ausbau des Glasfasernetzes voran getrieben werden müsse.
Zustimmung und Kritik aus der Opposition
Buder war es dann auch der quasi gemeinsam mit Lars Harms (SSW) die wichtigsten Kritikpunkte an dem aktuellen Stand der Dinge in Sachen Breitbandausbau in Schleswig-Holstein anbrachte:
“[…] nach Angaben der Landesregierung [haben] mindestens 300 Gemeinden keine oder eine nur unzreichende Grundversorgung mit Breitband […]” (Buder) und “[…] angesichts der rasend schnellen Entwicklung des Internets […] wissen wir bereits heute, dass die vorhandene Leistungskapazität nicht ausreicht. […] wir unterhalten uns heute darüber, wie wir […] flächendeckend die Technik von gestern anbieten können, anstatt darüber zu reden, wie wir die Netze der Zukunft gestalten.” (Harms).
Breitband ist nicht gleich Breitband.
Bevor man anfängt sich darüber zu streiten, ob nun knapp 100% oder vielleicht doch viel weniger Schleswig-Holsteiner über einen Breitbandzugang zum Internet verfügen können, ist es sicherlich sinnvoll zu klären, wie schnell ein Internetzugang im Jahr 2011 eigentlich sein muss, um das digitale Leben in vollen Zügen genießen zu können.
Anfang der Woche hat die Firma Microsoft das erste “Service Pack” zu seinem aktuellen Betriebssystem Windows 7 veröffentlicht. Will man seinen Heim-PC auf den neuesten Stand bringen, so steht einem zunächst ein knapp 1GB großer Download bevor. Mit einem Anschluss, der einem 1MBit/s bietet, kommt man auf eine Downloadzeit von knapp fünf Stunden*. Als Städter mit einem VDSL-Anschluss braucht man dafür keine fünf Minuten.
In Zeiten da immer mehr Anbieter “video on demand” liefern, muss man sich mit einem 1MBit/s-Anschluss am besten schon mal einen Abend im Voraus überlegen, welchen Film man am Samstag Abend schauen möchte — oder halt doch lieber wieder in die Videothek fahren.
Noch schlechter sieht es aus, wenn sich mehrere Menschen einen Internetanschluss teilen. Zum Beispiel in einer Familie. Wenn Töchterchen “videochattet” (was bei einem oder zwei MBit/s schon eher eine Dia-Show als einem Videochat ähnelt) kann der Rest der Familie nach dem Klick auf einen Link erst mal etwas anderem widmen, bis sich die Seite vollständig aufgebaut hat.
Aber für wie viele Menschen ist das denn nun wirklich der Alltag? Ein wirklich belastbare Antwort auf diese Frage wird sich nicht finden lassen, da die wirklich verfügbare Bandbreite, gerade im ländlichen Bereich, häufig von den hübsch bunten Karten der Internetanbieter abweicht. Das “Breitband-Kompetenzzentrum Schleswig-Holstein” (BKZSH) liefert mit dem “Breitbandatlas Schleswig-Holstein” ein Bild der Realität, dass eher dem obigen Zitat von Herrn Buder entspricht. Hier lässt sich leicht erkennen, dass das Gros der ländlichen Gebiete über nicht mehr als 2MBit/s verfügt. Ein Großteil wiederum davon verfügt lediglich über “bis zu 1MBit/s”. Dörfer wie Haßmoor oder Ehlersdorf der Gemeinde Bovenau verfügen derzeit praktisch über gar keine Anbindung ans Internet.
Hier soll dann LTE weiterhelfen.
Wie geht’s nun weiter?
LTE ist erst mal nichts anderes als die konsequente Weiterentwicklung (“Evolution”) des aktuellen Geschwindigkeitskönigs im Mobilfunk, UMTS. Theoretisch lassen sich über LTE Downloadraten von 300MBit/s und Uploadraten von 75MBit/s erreichen. Wer heute schon zum Beispiel Mobilfunkgeräte mit UMTS-Internetzugang nutzt weiß, dass die Bandbreiten im Mobilfunk enormen Schwankungen unterlegen sind. Zum Einen hängt die tatsächlich erreichbare Bandbreite von der Entfernung zur nächsten Funkzelle ab. Zum Anderen darf nicht außer Acht gelassen werden, dass sich alle Nutzer einer Zelle die zur Verfügung gestellte Bandbreite teilen müssen. Ein weiterer ganz praktischer Nachteil an LTE wird die zu erwartende Preispolitik der Mobilfunkanbieter sein. Wer heutzutage ein Smartphone sein Eigen nennt kennt das schon: im Mobilfunkvertrag ist zwar eine Internet-Flatrate enthalten, die Geschwindkeit wird jedoch nach Erreichen eines bestimmten Volumens drastisch reduziert. Der Autor dieses Artikels zahlt momentan 50€ pro Monat an die Telekom und surft nach Erreichen der 1GB-Volumengrenze mit einer Geschwindigkeit, die der auf vielen Dörfern ähnelt: weniger als 1MBit/s.
1GB Transfervolumen auf dem Telefon sind eine ganze Menge und der Durchschnittsbürger 2011 dürfte diese nur in den seltensten Fällen erreichen. Aber denken wir zurück an die oben genannten Download-Beispiele: schon das Update eines Windows-PCs Anfang der Woche hätte dieses Volumen fast vollständig aufgezehrt. Wieder hätte man eine Zweiklassengesellschaft: zwar hätten nun alle deutlich höhere Bandbreiten, sozusagen “echte” Breitbandzugänge, aber wahrscheinlich nicht den ganzen Monat über.
Während sich in den Städten die Geschwindkeit der mobilen Datenübertragung aufgrund der Dichte an Mobilfunkmasten ins schier unermessliche steigern wird, wird LTE so auf dem Land vermutlich nur ein weiterer Tropfen auf den heißen Stein sein.
Was also tun? Sämtliche Fraktionen tun gut daran, den Ausbau des Glasfasernetzes weiter zu forcieren. Bis dies aber zu einem zufrieden stellenden Grad erreicht ist werden noch Jahre vergehen. Jahre, die für viele Orte und Gemeinden eventuell den “Tod” bedeuten werden. Es ist ja schon jetzt kaum vorstellbar, wie ein Ort ohne Breitbandzugang gerade auf junge Menschen und Familien attraktiv wirken soll. Die ländliche Idylle alleine dürfte dafür immer weniger ausreichen.
In der Zwischenzeit bietet sich hier eventuell die Möglichkeit für Internetanbieter mit WiMAX (etwa: “Langstrecken-WLAN”) aktiv zu werden und für viele Dörfer als Ritter in scheinender Rüstung daher zu kommen, um sie vor dem Ungeheuer “Schmaldband-Internetzugang” zu erretten.
Fest steht somit nur, dass auch bei den gestern von Jost de Jager präsentierten Zahlen nicht alles Gold ist was glänzt und dass hier noch weit mehr zu tun ist, als eine “Breitband-Abdeckung von 98,1% in Schleswig-Holstein” glauben lässt.
*: Sämtliche Zeitangaben sind theoretische Werte. Die realen Werte dürften in den meisten Fällen nach oben abweichen.
Pingback: Detelf Buder: Gemeinsam letzte Internet-Lücken in den Dörfern schließen - AK Digitale Gesellschaft der SPD Schleswig-Holstein
Inzwischen hat sich die Bundeskanzlerin erneut zu dem Thema zu Wort gemeldet, und peilt 50MBit/s für jedermann an — bis 2040. Nein, ich habe mich nicht verlesen: 2040. Da wird mal eben 30 Jahre im Voraus „geplant”. Wenn man bedenkt, welchen Anstieg der Bandbreite wir in den letzten 30 Jahren hatten und was heute schon in vielen Ländern Realität ist/wird (nämlich Bandbreiten jenseits der 100 MBit/s-Mark), ist das doch eher erschreckend, wird wenig überlegt und eher so daher gesagt.
Die gesamte Rede anlässlich der CeBIT(ja, die gibt’s noch)-Eröffnung gibt es hier nachzulesen: http://www.bundeskanzlerin.de/Content/DE/Rede/2011/02/2011 – 02-28-bkin-cebit.html
Ein Kollege von mir meinte gerade, das soll bestimmt 2014 und nicht 2040 heißen. 50 Mbps im Jahr 2040 dürfte so in etwa 9600 bps heute entsprechen… :-)