Blick auf die Roten Beete

Von | 28. Februar 2011

Unter dem Titel „Blick über den Gartenzaun” haben wir zur Landtagswahl in Hamburg die Kollegen des Landesblogs um eini­ge Zeilen zum Ergebnis gebe­ten. Auch anläss­lich des Ausgangs des Mitgliederentscheids des SPD-Landesverbandes Schleswig-Holstein über die Spitzenkandidatur zur kom­men­den Landtagswahl woll­ten wir wie­der wis­sen, was die Kollegen den­ken:

Ulf Kämpfer: Dass Ralf Stegner als Partei- und Fraktionsvorsitzender gegen einen Kandidaten mit zwei gro­ßen Mankos — begrenz­te Bekanntheit und kur­ze OB-Amtszeit — nicht ein­mal ein Drittel der Stimmen erreicht hat, ist ganz bit­ter.

Die hohe Wahlbeteiligung und das kla­re Ergebnis ver­lei­hen Torsten Albig nach außen und in die Partei hin­ein eine unhin­ter­frag­ba­re Autorität. Andererseits: So wie Albig in den ers­ten Interviews nach der Entscheidung die SPD allein in der „gesell­schaft­li­chen Mitte” ver­or­tet hat, mag sich manch Genosse, der Ralf Stegner bewusst als Vertreter der „lin­ken” SPD gewählt hat, pro­vo­ziert gefühlt haben; da muss Albig auf­pas­sen. Die gemein­sa­me Pressekonferenz und Albigs Unterstützung einer erneu­ten Kandidatur Stegners für den Landesvorsitz (und indi­rekt auch für des­sen Verbleib als Fraktionsvorsitzender) ist ein wich­ti­ges Signal, aber auch ein ris­kan­tes, weil dies als man­geln­de Durchsetzungsfähigkeit aus­ge­legt wer­den kann. Spannend wird, wel­ches Ergebnis Stegner bei der Wahl des Landesvorsitzes erzielt und ob es Gegenkandidaten geben wird.

Die Unterstützung Albigs für Stegner bil­det auch die neue Hierarchie ab: Stegner muss nun neh­men, was man ihm gibt bzw. lässt. Ob Stegner und Albig auf Dauer, d.h. über die Landtagswahl hin­aus, wirk­lich ver­trau­ens­voll mit­ein­an­der arbei­ten kön­nen, steht auf einem ganz ande­ren Blatt und darf bezwei­felt wer­den. Die heu­ti­ge Pressekonferenz beruht auf einer Vernunftentscheidung bei­der Spitzengenossen. Besonders für Stegner dürf­te es ganz schwie­rig wer­den, sich „unter” einem Ministerpräsidenten Albig ein­zu­rei­hen, und Albig ist nicht der Typ, der Illoyaliät dul­den wird.

Für die der­zei­ti­ge Regierungskoalition ist das kla­re Votum für Albig der denk­bar ungüns­tig­te Ausgang. Albig hat zum zwei­ten Mal aus der Herausfordererposition aus dem Stand eine Wahl gewon­nen, und anders als Ralf Stegner und Christian von Boetticher muss sich Albig im kom­men­den Wahlkampf nicht für die Landespolitik der letz­ten Jahre bzw. Jahrzehnte poli­tisch ver­haf­ten las­sen. Die lah­men Reaktionen von CDU und FDP auf den Sieg Albigs zei­gen, dass man dort über­haupt noch kei­ne Idee hat, wie Albig bei­zu­kom­men sein könn­te.

Ruediger Kohls: Nein, kei­ne Gratulation zum Sieg von Sympathie und Pragmatismus über prak­ti­zier­ten Machtwillen und Dogmatismus an den neu­en SPD-Spitzenkandidaten, son­dern ein ganz ernst­ge­mein­ter Glückwunsch an die SPD-Basis: Sie hat sich mit die­ser Abstimmung erfolg­reich und klar von ihrer Funktionärsebene, und ihrem Landes- und Fraktionsvorsitzenden eman­zi­piert und den Kandidaten gewählt, den sie ver­dient. Das die SPD Schleswig-Holstein dies als gelun­ge­nes Wagnis poli­ti­scher Basisdemokratie fei­ert, kann nicht davon ablen­ken, dass sich damit der durch die Sozialdemokratie im Land gehen­de Riss Bahn gebro­chen hat, durch den der unter­le­ge­ne Teil zwangs­läu­fig zu Recht ent­täuscht wer­den muss. Der Parteitag wird zei­gen, ob der von der Basis erko­re­ne Spitzenkandidat die­se Wunde wird hei­len kön­nen.

Spannender wird seit heu­te aller­dings die Frage sein, wie die SPD einen mög­li­cher­wei­se trot­zig anmu­ten­den Willen des Landesvorsitzenden quit­tie­ren wird, sich trotz des kla­ren Misstrauensvotums der Parteibasis im Amt wie­der­wäh­len zu las­sen. Dass die basis­de­mo­kra­ti­sche Entscheidung für den Spitzenkandidaten nun qua Funktionärsentscheidung für den nächs­ten Versuch einer „Zwei-Mann-Troika” aus Spitzenstrahlemann an der Front und Landesvorsitzenden am Ruder rela­ti­viert wird, zeigt, was die Parteispitze wirk­lich von der Entscheidung der Mitglieder hält. Wieviel Blatt Papier zwi­schen dem neu­en Polit-Zwillingspärchen aus neu­em Kellner und altem Koch tat­säch­lich pas­sen mögen, sei mal dahin­ge­stellt, aber schon jetzt scheint für die poli­ti­schen Mitbewerber eine gro­ße Zielscheibe dar­auf gemalt.

Oliver Fink: Das Ergebnis der Mitgliederbefragung hat offen­bart, dass die deut­li­che Mehrheit der Partei sich nicht so weit in eine links­ideo­lo­gi­sche Ecke drän­gen las­sen woll­te, wie Ralf Stegner es mit der Landes-SPD vor­hat­te. Mit Torsten Albig wur­de mit kla­rer Mehrheit ein Spitzenkandidat erko­ren, der die SPD in der Tradition Björn Engholms wie­der in der Mitte der Gesellschaft ver­or­ten will. Damit wird auch eine Kluft zwi­schen den ein­fa­chen Mitgliedern und Albig auf der einen Seite und den Amts- und Funktionsträgern der Partei auf der ande­ren deut­lich, denn letz­te­re schie­nen mehr­heit­lich Stegner zu unter­stüt­zen.

Mit der heu­ti­gen Pressekonferenz ver­su­chen die Sozialdemokraten den Brückenschlag zwi­schen Albig und Stegner. Letzterer will wei­ter­hin Parteivorsitzender blei­ben, der Rendsburger Bürgermeister Andreas Breitner muss sich also noch ein wenig gedul­den. Albig muss bei die­sem Vorgehen befürch­ten, dass der Fraktions- und Parteivorsitzende den Burgfrieden auf­kün­di­gen und in übli­cher Manier quer­schie­ßen wird, sobald Stegner sich einen Vorteil davon ver­spricht. Das Problem Stegners bei sei­nen Attacken im Landtag wird hin­ge­gen künf­tig sein, dass er sich immer wird fra­gen las­sen müs­sen, ob er dort als gekränk­ter Wahlverlierer, als Stimme einer Parteiminderheit oder tat­säch­lich als Stimme des neu­en Herausforderers und der Parteimehrheit auf­tritt. Die Sozialdemokraten gehen für die Einheit des Landesverbandes ein hohes poli­ti­sches Risiko ein. Ob sie damit bes­ser als mit einem kla­ren per­so­nel­len Schnitt fah­ren, wird die Zukunft zei­gen. Man darf dar­an zwei­feln.

Swen Wacker: Der Sieg Torsten Albigs war kein knap­per, die Niederlage Ralf Stegners eine deut­li­che. Die Motivlage scheint klar zu sein. Es geht nicht in ers­ter Linie um längst tra­dier­te Begriffe wie Links und Mitte. Dazu waren die Festlegungen der Kandidaten zu vage. Nein, die Mitglieder der SPD — und nicht nur die — sind zunächst ein­fach nur den Zwist und Zoff, die andau­ern­den Streitigkeiten und das elen­di­ge Gezänke leid gewe­sen. Der Typus Politiker, der sich über den per­so­ni­fi­zie­ren­den Streit defi­niert, stirbt aus. Und das ist gut so. Und das gilt nicht nur für SPD. Das gilt auch für das Gerede man­cher Regierungspolitiker: allein in die Vergangenheit gerich­te­te Argumentationslinien, die sich dar­in erschöp­fen, dass es uns in Schleswig-Holstein gut gehen wür­de, wenn nur die SPD nicht an der Macht gewe­sen wäre, sind kei­nen Deut bes­ser und öden den wil­ligs­ten Wähler an.

Grade, kla­re Worte sind das eine. Torsten Albig ist mit der kla­ren Ablehnung der Linken als Koalitionspartner und dem Bekenntnis zu einer an den (finan­zi­el­len) Realitäten ori­en­tier­ten Politik ers­ten Schritt gegan­gen. Viele wei­te­re Schritte raus aus der for­mel­haf­ten Wiederholung alter Thesen hin zu beherz­ten Besetzung zukünf­ti­ger Inhalte wer­den fol­gen müs­sen. Dazu mag es manch­mal nötig sein, alte Streiter mit ins Boot zu neh­men. Der Übervater der schles­wig-hol­stei­ni­schen SPD, Björn Engholm, hat am Wochenende gegen­über den Lübecker Nachrichten die Notwendigkeit zur Gemeinsamkeit der bei­den bis­he­ri­gen Widersacher betont, so wie es wei­land Brandt, Schmidt und Wehner taten. Albigs Unterstützung für einen Landesvorsitzenden Stegner — vom Fraktionsvorsitzenden Stegner sprach er übri­gens nicht — mag so gedeu­tet wer­den. Dass das kein Allheilmittel ist, zeigt das gran­dio­se Scheitern der Troika Scharping, Lafontaine und Schröder. Es kommt halt eben auch auf die han­deln­den Personen an. Man schaue sich dazu ein­fach mal die gest­ri­ge Pressekonferenz an: Drei Minuten rede­te Ralf Stegner mit gesenk­ten Schultern; drei Minuten waren Torsten Albigs Arme ver­schränkt, sein Blick fast stän­dig nach unten gerich­tet, nur für Sekunden beim Kontrahenten. Da stan­den zwei neben­ein­an­der, aber nicht zusam­men.

Der Blick in die Zukunft ist das ande­re. Mit dem ful­mi­nan­ten Vorsprung im Rücken kann der desi­gnier­te Spitzenkandidat sei­ne Partei in Schwung brin­gen und sich selbst auf­ma­chen, das an die Habeckschen Grünen ver­lo­re­ne Terrain bei der pro­gram­ma­ti­schen und prag­ma­ti­schen Besetzung zukunfts­träch­ti­ger Politikfelder zurück­zu­ge­win­nen. Für das Land wäre ein Wettbewerb der Ideen alle­mal ein Gewinn.

Und Sie, lie­ber Leser, haben Sie auch eine Meinung dazu? Falls ja, haben wir dafür unten ein Feld vor­ge­se­hen, in wel­chem Sie die­se for­mu­lie­ren kön­nen. Wir freu­en uns dar­über.

6 Gedanken zu “Blick auf die Roten Beete”:

  1. Malte Steckmeister

    Die SPD hat sich einen Bärendienst erwie­sen. Die publi­ci­ty­t­räch­ti­ge mona­te­lan­ge Personaldiskussion mün­de­te in einem glas­kla­ren und von beacht­li­cher Wahlbeteiligung getra­ge­nen Signal gegen den Landes- und Fraktionsvorsitzenden. Und für nicht ganz einen Tag sah es so aus, als könn­te sich die Basis gegen die Funktionäre durch­set­zen. Doch nach weni­ger als 24 Stunden wird klar: Personen und Programm wer­den bei der SPD nicht zusam­men­fin­den kön­nen. Albig hat kei­ne Macht. Er soll nur als Feigenblatt für den Linkskurs Stegners die­nen. Die SPD will also mit einem Etikettenschwindel-Experiment an die Macht. Viel Spaß dabei — der Wähler wird schon wis­sen, was er davon hält…

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  2. Lennart Fey

    Meine Partei hat vie­les rich­tig gemacht, dabei aber etwas ver­ges­sen, was gro­ße Parteien sonst so oft machen: Langsam agie­ren.

    Dass Torsten Albig mit solch einen hohen Ergebnis gewinnt, ja sogar dass er gewinnt, war für vie­le lin­ke Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten wie mich schwer vor­stell­bar und ist nun auch nicht für alle leicht zu ver­kraf­ten.

    57 Prozent sind so klar, dass die Akzeptanz für Torsten Albig aber schnel­ler kom­men wird, als wenn wir ein 51/​49 Ergebnis gehabt hät­ten. Und: Torsten macht das mei­ner Meinung nach sehr geschickt. Durch die wei­te­re Einbindung von Ralf Stegner als Landesvorsitzenden kön­nen die Mitglieder die Ralf gewählt haben schnel­ler Torsten als Spitzenkandidaten akzep­tie­ren.

    Einen Etikettenschwindel sehe ich hier nicht, denn der Landesparteitag bestimmt das Wahlprogramm und die Listenaufstellung, nicht der Landesvorsitzende.

    Trotz des­sen hät­te mei­ne Partei behä­bi­ger reagie­ren kön­nen.
    Sonntag, 27.02.2011, 15 Uhr: Beginn Landesvorstandssitzung
    Sonntag, 27.02.2011, 16:30 Uhr: Beginn Pressekonferenz

    Wir Mitglieder hat­ten kei­ne Chance mit­zu­dis­ku­tie­ren, unse­re (posi­ti­ve oder nega­ti­ve) Kritik an die­sen Vorgehen zu üben. Dies wird erst heu­te beim Landesparteirat gesche­hen (19:30 Legienhof, Kiel). Ich hät­te mir erst eine Aussprache mit den Mitgliedern gewünscht, und dann eine öffent­li­che Erklärung.

    Mit Albig und Stegner als „Doppelspitze” (häss­li­ches Wort, hat grü­nen Charme) wer­den alle SPD-Mitglieder für die schles­wig-hol­stei­ni­sche Sozialdemokratie wer­ben und mit ihr ein SPD-geführ­ter Schleswig-Holstein gewin­nen.

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    1. Oliver Fink

      Eine Doppelspitze funk­tio­niert nur, wenn sie auch har­mo­niert. Du schreibst rich­tig, dass das Wort „grü­nen Charme” habe. Dieser ent­steht, weil die Doppelspitze dort insti­tu­tio­na­li­siert ist. In der Landes-SPD ist sie nur vom guten Willen der Beteiligten abhän­gig. Den opti­schen Eindruck der künf­ti­gen Zusammenarbeit hat Swen Wacker anhand der Pressekonferenz gut beschrie­ben – ein Eindruck, der sich auch mir auf­dräng­te.

      Dass Du als Parteimitglied und Unterstützer Ralf Stegners die Doppelspitze erst ein­mal posi­tiv sehen willst, ist völ­lig okay. Es kann ja auch klap­pen. Der Blick in die jün­ge­re Geschichte Deiner Partei und auf die Persönlichkeitsstruktur des Fraktions- und Parteivorsitzenden lässt mich aller­dings dar­an zwei­feln. Ich zitie­re auch noch Annette Borns wäh­rend der Pressekonferenz: „mei­ne Lebenserfahrung ist anders aber ich ler­ne ger­ne dazu”. Du siehst also, dass nicht nur der Mitbewerb und der böse sh:z zwei­feln, ob das zur Zeit bei Euch alles so opti­mal läuft.

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  3. Malte Steckmeister

    Habe ja Verständnis, daß Du Dir das schön­re­den mußt. Aber Mimik und Gesten sowie der lus­ti­ge Lapsus von „kein Blatt Papier zwi­schen uns“ auf der Pressekonferenz sagt doch alles — wie auch die in den Zeitungen ohne Namensnennung gebrach­ten Zitate von füh­ren­den Sozialdemokraten (fas­sungs­los, gro­tesk etc.).

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