Unter dem Titel „Blick über den Gartenzaun” haben wir zur Landtagswahl in Hamburg die Kollegen des Landesblogs um einige Zeilen zum Ergebnis gebeten. Auch anlässlich des Ausgangs des Mitgliederentscheids des SPD-Landesverbandes Schleswig-Holstein über die Spitzenkandidatur zur kommenden Landtagswahl wollten wir wieder wissen, was die Kollegen denken:
Ulf Kämpfer: Dass Ralf Stegner als Partei- und Fraktionsvorsitzender gegen einen Kandidaten mit zwei großen Mankos — begrenzte Bekanntheit und kurze OB-Amtszeit — nicht einmal ein Drittel der Stimmen erreicht hat, ist ganz bitter.
Die hohe Wahlbeteiligung und das klare Ergebnis verleihen Torsten Albig nach außen und in die Partei hinein eine unhinterfragbare Autorität. Andererseits: So wie Albig in den ersten Interviews nach der Entscheidung die SPD allein in der „gesellschaftlichen Mitte” verortet hat, mag sich manch Genosse, der Ralf Stegner bewusst als Vertreter der „linken” SPD gewählt hat, provoziert gefühlt haben; da muss Albig aufpassen. Die gemeinsame Pressekonferenz und Albigs Unterstützung einer erneuten Kandidatur Stegners für den Landesvorsitz (und indirekt auch für dessen Verbleib als Fraktionsvorsitzender) ist ein wichtiges Signal, aber auch ein riskantes, weil dies als mangelnde Durchsetzungsfähigkeit ausgelegt werden kann. Spannend wird, welches Ergebnis Stegner bei der Wahl des Landesvorsitzes erzielt und ob es Gegenkandidaten geben wird.
Die Unterstützung Albigs für Stegner bildet auch die neue Hierarchie ab: Stegner muss nun nehmen, was man ihm gibt bzw. lässt. Ob Stegner und Albig auf Dauer, d.h. über die Landtagswahl hinaus, wirklich vertrauensvoll miteinander arbeiten können, steht auf einem ganz anderen Blatt und darf bezweifelt werden. Die heutige Pressekonferenz beruht auf einer Vernunftentscheidung beider Spitzengenossen. Besonders für Stegner dürfte es ganz schwierig werden, sich „unter” einem Ministerpräsidenten Albig einzureihen, und Albig ist nicht der Typ, der Illoyaliät dulden wird.
Für die derzeitige Regierungskoalition ist das klare Votum für Albig der denkbar ungünstigte Ausgang. Albig hat zum zweiten Mal aus der Herausfordererposition aus dem Stand eine Wahl gewonnen, und anders als Ralf Stegner und Christian von Boetticher muss sich Albig im kommenden Wahlkampf nicht für die Landespolitik der letzten Jahre bzw. Jahrzehnte politisch verhaften lassen. Die lahmen Reaktionen von CDU und FDP auf den Sieg Albigs zeigen, dass man dort überhaupt noch keine Idee hat, wie Albig beizukommen sein könnte.
Ruediger Kohls: Nein, keine Gratulation zum Sieg von Sympathie und Pragmatismus über praktizierten Machtwillen und Dogmatismus an den neuen SPD-Spitzenkandidaten, sondern ein ganz ernstgemeinter Glückwunsch an die SPD-Basis: Sie hat sich mit dieser Abstimmung erfolgreich und klar von ihrer Funktionärsebene, und ihrem Landes- und Fraktionsvorsitzenden emanzipiert und den Kandidaten gewählt, den sie verdient. Das die SPD Schleswig-Holstein dies als gelungenes Wagnis politischer Basisdemokratie feiert, kann nicht davon ablenken, dass sich damit der durch die Sozialdemokratie im Land gehende Riss Bahn gebrochen hat, durch den der unterlegene Teil zwangsläufig zu Recht enttäuscht werden muss. Der Parteitag wird zeigen, ob der von der Basis erkorene Spitzenkandidat diese Wunde wird heilen können.
Spannender wird seit heute allerdings die Frage sein, wie die SPD einen möglicherweise trotzig anmutenden Willen des Landesvorsitzenden quittieren wird, sich trotz des klaren Misstrauensvotums der Parteibasis im Amt wiederwählen zu lassen. Dass die basisdemokratische Entscheidung für den Spitzenkandidaten nun qua Funktionärsentscheidung für den nächsten Versuch einer „Zwei-Mann-Troika” aus Spitzenstrahlemann an der Front und Landesvorsitzenden am Ruder relativiert wird, zeigt, was die Parteispitze wirklich von der Entscheidung der Mitglieder hält. Wieviel Blatt Papier zwischen dem neuen Polit-Zwillingspärchen aus neuem Kellner und altem Koch tatsächlich passen mögen, sei mal dahingestellt, aber schon jetzt scheint für die politischen Mitbewerber eine große Zielscheibe darauf gemalt.
Oliver Fink: Das Ergebnis der Mitgliederbefragung hat offenbart, dass die deutliche Mehrheit der Partei sich nicht so weit in eine linksideologische Ecke drängen lassen wollte, wie Ralf Stegner es mit der Landes-SPD vorhatte. Mit Torsten Albig wurde mit klarer Mehrheit ein Spitzenkandidat erkoren, der die SPD in der Tradition Björn Engholms wieder in der Mitte der Gesellschaft verorten will. Damit wird auch eine Kluft zwischen den einfachen Mitgliedern und Albig auf der einen Seite und den Amts- und Funktionsträgern der Partei auf der anderen deutlich, denn letztere schienen mehrheitlich Stegner zu unterstützen.
Mit der heutigen Pressekonferenz versuchen die Sozialdemokraten den Brückenschlag zwischen Albig und Stegner. Letzterer will weiterhin Parteivorsitzender bleiben, der Rendsburger Bürgermeister Andreas Breitner muss sich also noch ein wenig gedulden. Albig muss bei diesem Vorgehen befürchten, dass der Fraktions- und Parteivorsitzende den Burgfrieden aufkündigen und in üblicher Manier querschießen wird, sobald Stegner sich einen Vorteil davon verspricht. Das Problem Stegners bei seinen Attacken im Landtag wird hingegen künftig sein, dass er sich immer wird fragen lassen müssen, ob er dort als gekränkter Wahlverlierer, als Stimme einer Parteiminderheit oder tatsächlich als Stimme des neuen Herausforderers und der Parteimehrheit auftritt. Die Sozialdemokraten gehen für die Einheit des Landesverbandes ein hohes politisches Risiko ein. Ob sie damit besser als mit einem klaren personellen Schnitt fahren, wird die Zukunft zeigen. Man darf daran zweifeln.
Swen Wacker: Der Sieg Torsten Albigs war kein knapper, die Niederlage Ralf Stegners eine deutliche. Die Motivlage scheint klar zu sein. Es geht nicht in erster Linie um längst tradierte Begriffe wie Links und Mitte. Dazu waren die Festlegungen der Kandidaten zu vage. Nein, die Mitglieder der SPD — und nicht nur die — sind zunächst einfach nur den Zwist und Zoff, die andauernden Streitigkeiten und das elendige Gezänke leid gewesen. Der Typus Politiker, der sich über den personifizierenden Streit definiert, stirbt aus. Und das ist gut so. Und das gilt nicht nur für SPD. Das gilt auch für das Gerede mancher Regierungspolitiker: allein in die Vergangenheit gerichtete Argumentationslinien, die sich darin erschöpfen, dass es uns in Schleswig-Holstein gut gehen würde, wenn nur die SPD nicht an der Macht gewesen wäre, sind keinen Deut besser und öden den willigsten Wähler an.
Grade, klare Worte sind das eine. Torsten Albig ist mit der klaren Ablehnung der Linken als Koalitionspartner und dem Bekenntnis zu einer an den (finanziellen) Realitäten orientierten Politik ersten Schritt gegangen. Viele weitere Schritte raus aus der formelhaften Wiederholung alter Thesen hin zu beherzten Besetzung zukünftiger Inhalte werden folgen müssen. Dazu mag es manchmal nötig sein, alte Streiter mit ins Boot zu nehmen. Der Übervater der schleswig-holsteinischen SPD, Björn Engholm, hat am Wochenende gegenüber den Lübecker Nachrichten die Notwendigkeit zur Gemeinsamkeit der beiden bisherigen Widersacher betont, so wie es weiland Brandt, Schmidt und Wehner taten. Albigs Unterstützung für einen Landesvorsitzenden Stegner — vom Fraktionsvorsitzenden Stegner sprach er übrigens nicht — mag so gedeutet werden. Dass das kein Allheilmittel ist, zeigt das grandiose Scheitern der Troika Scharping, Lafontaine und Schröder. Es kommt halt eben auch auf die handelnden Personen an. Man schaue sich dazu einfach mal die gestrige Pressekonferenz an: Drei Minuten redete Ralf Stegner mit gesenkten Schultern; drei Minuten waren Torsten Albigs Arme verschränkt, sein Blick fast ständig nach unten gerichtet, nur für Sekunden beim Kontrahenten. Da standen zwei nebeneinander, aber nicht zusammen.
Der Blick in die Zukunft ist das andere. Mit dem fulminanten Vorsprung im Rücken kann der designierte Spitzenkandidat seine Partei in Schwung bringen und sich selbst aufmachen, das an die Habeckschen Grünen verlorene Terrain bei der programmatischen und pragmatischen Besetzung zukunftsträchtiger Politikfelder zurückzugewinnen. Für das Land wäre ein Wettbewerb der Ideen allemal ein Gewinn.
Und Sie, lieber Leser, haben Sie auch eine Meinung dazu? Falls ja, haben wir dafür unten ein Feld vorgesehen, in welchem Sie diese formulieren können. Wir freuen uns darüber.
Die SPD hat sich einen Bärendienst erwiesen. Die publicityträchtige monatelange Personaldiskussion mündete in einem glasklaren und von beachtlicher Wahlbeteiligung getragenen Signal gegen den Landes- und Fraktionsvorsitzenden. Und für nicht ganz einen Tag sah es so aus, als könnte sich die Basis gegen die Funktionäre durchsetzen. Doch nach weniger als 24 Stunden wird klar: Personen und Programm werden bei der SPD nicht zusammenfinden können. Albig hat keine Macht. Er soll nur als Feigenblatt für den Linkskurs Stegners dienen. Die SPD will also mit einem Etikettenschwindel-Experiment an die Macht. Viel Spaß dabei — der Wähler wird schon wissen, was er davon hält…
Meine Partei hat vieles richtig gemacht, dabei aber etwas vergessen, was große Parteien sonst so oft machen: Langsam agieren.
Dass Torsten Albig mit solch einen hohen Ergebnis gewinnt, ja sogar dass er gewinnt, war für viele linke Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten wie mich schwer vorstellbar und ist nun auch nicht für alle leicht zu verkraften.
57 Prozent sind so klar, dass die Akzeptanz für Torsten Albig aber schneller kommen wird, als wenn wir ein 51/49 Ergebnis gehabt hätten. Und: Torsten macht das meiner Meinung nach sehr geschickt. Durch die weitere Einbindung von Ralf Stegner als Landesvorsitzenden können die Mitglieder die Ralf gewählt haben schneller Torsten als Spitzenkandidaten akzeptieren.
Einen Etikettenschwindel sehe ich hier nicht, denn der Landesparteitag bestimmt das Wahlprogramm und die Listenaufstellung, nicht der Landesvorsitzende.
Trotz dessen hätte meine Partei behäbiger reagieren können.
Sonntag, 27.02.2011, 15 Uhr: Beginn Landesvorstandssitzung
Sonntag, 27.02.2011, 16:30 Uhr: Beginn Pressekonferenz
Wir Mitglieder hatten keine Chance mitzudiskutieren, unsere (positive oder negative) Kritik an diesen Vorgehen zu üben. Dies wird erst heute beim Landesparteirat geschehen (19:30 Legienhof, Kiel). Ich hätte mir erst eine Aussprache mit den Mitgliedern gewünscht, und dann eine öffentliche Erklärung.
Mit Albig und Stegner als „Doppelspitze” (hässliches Wort, hat grünen Charme) werden alle SPD-Mitglieder für die schleswig-holsteinische Sozialdemokratie werben und mit ihr ein SPD-geführter Schleswig-Holstein gewinnen.
Eine Doppelspitze funktioniert nur, wenn sie auch harmoniert. Du schreibst richtig, dass das Wort „grünen Charme” habe. Dieser entsteht, weil die Doppelspitze dort institutionalisiert ist. In der Landes-SPD ist sie nur vom guten Willen der Beteiligten abhängig. Den optischen Eindruck der künftigen Zusammenarbeit hat Swen Wacker anhand der Pressekonferenz gut beschrieben – ein Eindruck, der sich auch mir aufdrängte.
Dass Du als Parteimitglied und Unterstützer Ralf Stegners die Doppelspitze erst einmal positiv sehen willst, ist völlig okay. Es kann ja auch klappen. Der Blick in die jüngere Geschichte Deiner Partei und auf die Persönlichkeitsstruktur des Fraktions- und Parteivorsitzenden lässt mich allerdings daran zweifeln. Ich zitiere auch noch Annette Borns während der Pressekonferenz: „meine Lebenserfahrung ist anders aber ich lerne gerne dazu”. Du siehst also, dass nicht nur der Mitbewerb und der böse sh:z zweifeln, ob das zur Zeit bei Euch alles so optimal läuft.
Ach ja, zur Zeit auch ohne Doktortitel besser nichts ohne korrekte Quellenangabe: http://www.spd-schleswig-holstein.de/index.php?sp=de&id=3902 ;-)
Habe ja Verständnis, daß Du Dir das schönreden mußt. Aber Mimik und Gesten sowie der lustige Lapsus von „kein Blatt Papier zwischen uns“ auf der Pressekonferenz sagt doch alles — wie auch die in den Zeitungen ohne Namensnennung gebrachten Zitate von führenden Sozialdemokraten (fassungslos, grotesk etc.).
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