Auf der Tagesordnung der nächsten Landtagssitzung steht der „Entwurf eines Gesetzes zum Fünfzehnten Rundfunkänderungsstaatsvertrag“. Dabei geht es um die Neuordnung der Rundfunkgebühr, zu der uns unschöne Begriffe wie GEZ, Schnüffeleien, Gebühren für Autoradios oder Internet-Abgabe oder PC-Steuer einfallen.
Die bisher geräteabhängig erhobene Rundfunkgebühr soll zu einem Rundfunkbeitrag umgebaut werden, der unabhängig von der Anzahl der bereitgehaltenen Geräte für jeden Haushalt und jede Betriebsstätte erhoben wird. Der typische Privatnutzer soll weiterhin 17,98 € im Monat zahlen. Das hört sich einfach an.
Was kommt aber genau auf uns zu?
Vorgeschichte
Fast alle europäischen Länder kennen einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Er hat überall in etwa den gleichen Auftrag: In kultureller Verantwortung und wirtschaftlicher sowie politischer Unabhängigkeit eine Grundversorgung der Bürger an Unterhaltung und Information zu gewährleisten sowie eine Teilhabe an der gesellschaftlichen Meinungs- und Willensbildung zu ermöglichen. Urmutter dieser Idee ist die BBC. Sie wurde als erste Rundfunkanstalt Ende der 1920er-Jahre „in den Dienst der Öffentlichkeit“ gestellt. Mit der Royal Charter wurde sie weitgehend von wirtschaftlicher und regierungspolitischer Abhängigkeit befreit. Nach dem Zweiten Weltkrieg verbreitete sich das BBC-Modell in vielen europäischen Ländern. Zuvor war der Rundfunk allzu oft Sprachrohr der Regierungen. Tom Schimmek hat das in seiner Rede Wem gehören die Medien so formuliert: „Meiner Ansicht nach ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk eines der schönsten Geschenke, die uns die alliierten Siegermächte, vorneweg die Briten, nach 1945 gemacht haben. Aus der verheerendsten Propagandawaffe der Nazis wurde ein zumindest potentiell demokratisches Medium, das obendrein, zumindest potentiell, im Besitz aller ist.”
Eine Rundfunkgebühr gibt es in Deutschland seit Beginn des Rundfunks 1923. Die Gebühr wird grundsätzlich für jedes einzelne Empfangsgerät erhoben, in Privathaushalten zumeist unabhängig von deren Anzahl nur einmal.
In Europa besteht mittlerweile ein breiter Konsens hinsichtlich des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Dieser Konsens ist recht jung. Er wuchs erst in den 1980er- und 1990er-Jahren heran. In den meisten Ländern Europas erfolgt die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks über Steuern, Werbeeinnahmen oder Rundfunkgebühren — oder einer Mischung daraus.
Ein neues Modell muss her
Mit der Einführung der privaten Rundfunks seit den 1980er-Jahren sowie mit der immer größer werdenden Universalität und Mobilität des Computers in den Jahren um die Jahrtausendwende geriet das Modell einer geräteabhängigen Gebühr zunehmend in Zweifel: Nicht nur ein Radio ist jetzt ein Radio. Und nicht jeder Bildschirm ist auch ein Fernseher.
Das bisherige gerätefixierte Finanzierungssystem ist an seine Grenzen gekommen. Es ist kaum noch nachvollziehbar und wird gesellschaftlich immer weniger akzeptiert (Stichworte: GEZ-Kontrolleure, Schwarzseher).
Für die Abschaffung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gibt es keine nachhaltig überzeugenden Gründe. So musste über Alternativen der Finanzierung nachgedacht werden. Die nahe liegende Lösung, ARD, ZDF und Deutschlandradio über Steuereinnahmen zu finanzieren (wie schon heute die Deutsche Welle), wurde verworfen, da man in diesem Fall um die Unabhängigkeit der Sender fürchtete und zudem das Gebot der Staatsferne verletzt werden könnte. Die Bedeutung der Staatsferne des Rundfunks für die Bundesrepublik Deutschland kann man an der Geschichte des „Adenauer-Fernsehens” exemplarisch nachvollziehen.
Die der Steuerfinanzierung innewohnenden Vorteile einer nicht mehr notwendigen Kontrolle jedes einzelnen Bürgers und die vergleichsweise verwaltungsarme Erhebung soll nun eine haushaltsbezogene Abgabe ermöglichen.
Die Ausgestaltung der Abgabe basiert weitgehend auf einem Gutachten von Professor Paul Kirchhof, das dieser im Auftrag der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten erstellt hat. Der ehemalige Verfassungsrichter ging das gewünschte Ziel taktisch an:
- Die erneuerte Abgabe wird behutsam bemessen, so dass die vertraute „Gebühr“ ersichtlich erhalten bleibt, deren Strukturfehler aber ebenso offensichtlich bereinigt werden.
- Gläubiger (Rundfunkanstalten) und Schuldner (Haushalte und Gewerbetriebe) bleiben gleich.
- Der rechtfertigende Grund der Rundfunkabgabe — das allgemeine Angebot von Rundfunksendungen — bleibt unverändert.
- Die Abgabenhöhe kann entsprechend der gewohnten Last bemessen bleiben.
- Der fremdelnde Begriff der Geräteabhängigkeit wird durch die Begriffe Haushalt (Wohnung) und Gewerbebetrieb (Betriebsstätte) ersetzt.
- Die Erneuerung wird mit dem Begriff „Rundfunkbeitrag“ ins allgemeine Bewusstsein gerückt.
Die Befürworter der Haushaltsabgabe sahen ihre Anforderungen erfüllt:
- Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten erhalten nicht mehr Geld als bislang (Aufkommensneutralität).
- Die derzeitige monatliche Gebühr in Höhe von 17,98 € für den typischen Normalnutzer bleibt konstant.
- Nicht nur der private sondern auch der nicht-private Bereich wird an der Finanzierung beteiligt.
- Die Zahlungspflicht entsteht nicht mehr durch das „Bereithalten eines Gerätes“. Die damit verbundene Problematik der Medienkonvergenz entfällt.
- Die Erhebung der Abgabe erfolgt staatsfern.
- Die Abgabe ist sozial gerecht gestaltbar, einkommensabhängige oder an persönlichen Umständen hängende Befreiungen sind möglich.
- Der Verwaltungsaufwand ist gering(er als bisher).
- Europarechtliche Vorschriften (z.B. die gelegentlich aufgestellte Behauptung, es könne sich bei der Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks um nicht erlaubte Beihilfen handeln) werden beachtet.
- Der unbeliebte Beauftragtendienst („GEZ-Kontrolleure“) kann wesentlich reduziert werden.
- Der Schutz der Privatsphäre der Bürger wird verbessert.
Die bisher mögliche Vermeidung der Rundfunkgebühr mit dem Hinweis, man habe keine Rundfunkgeräte, fällt weg. Zukünftig wird jeder zahlungspflichtig sein — auch wer bisher bewusst auf TV oder Radio verzichtete. Die Rundfunkabgabe unterstellt einen grundsätzlichen gesellschaftlichen Nutzen des allgemein zugänglichen öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Wer ihn empfangen kann, soll auch dazu beitragen. Als Abgrenzungsmerkmal dient (im privaten Bereich) die Zugehörigkeit zu einer Wohnung. Unterschiedliche Nutzungsgewohnheiten innerhalb einer Wohnung gleichen sich aus.
Das neue Werk
An die Stelle des bisherigen Rundfunkgebührenstaatsvertrages tritt der Rundfunkbeitragsstaatsvertrag.
Zukünftig ist im privaten Bereich für jede Wohnung von deren Mieter(n) ein Rundfunkbeitrag zu leisten. Wohnen mehrere volljährige Personen in einer Wohnung, so haften sie als Gesamtschuldner (§ 2).
Der Begriff der Wohnung wird nah am umgangssprachlichen Begriff definiert. Kasernen, die Kleingartenlaube, das Patientenzimmer im Krankenhaus oder etwa die Gefängniszelle gelten nicht als Wohnung. Zweitwohnungen oder privat genutzte Ferienwohnungen hingegen schon (§ 3).
Empfänger staatlicher Sozialleistungen wie Hilfe zum Lebensunterhalt, Sozialgeld, Arbeitslosengeld oder etwa Hilfe zur Pflege können auf Antrag von der Beitragspflicht befreit werden. Blinde, stark Sehbehinderte, Hörgeschädigte oder Menschen mit schweren Behinderungen, die finanziell leistungsfähig sind, werden zukünftig mit einem Drittel des sonst üblichen Betrages herangezogen.
Wer einen Antrag auf Befreiung oder Ermäßigung stellt, hat dabei auch die Namen aller weiteren volljährigen Mitbewohner mitzuteilen (§ 4).
Im nicht privaten Bereich wird für jede Betriebsstätte von deren Inhaber ein Rundfunkbeitrag erhoben, dessen Höhe nach der Anzahl der dort Beschäftigten gestaffelt ist. Wer mehr als ein Hotel- und Gästezimmer oder eine Ferienwohnung betreibt. hat je Zimmer (Raumeinheit) ein Drittel des Beitrages zu entrichten. Unabhängig vom Umfang der Nutzung gilt dies auch für praktisch jedes gewerblich genutzte oder gemeinnützigen oder öffentlichen Zwecken dienende Kraftfahrzeug — Omnibusse im ÖPNV mal außen vorgelassen. Das erste Auto je Betriebsstätte ist jedoch frei.
Gemeinnützige Einrichtungen, Kindergärten, Schulen, Feuerwehr, Polizei und ähnliche Institutionen müssen unabhängig von der Anzahl der Beschäftigten einen Rundfunkbeitrag leisten.
Saisonbetriebe, die länger als drei Monate schließen, müssen für diesen Zeitraum keinen Beitrag entrichten (§ 5).
Der Begriff der Betriebsstätte ist umfassender formuliert, als es etwa die Abgabenordnung vorsieht. Er umfasst auch öffentliche und gemeinnützige Betriebe mit und ohne Erwerbsziel. Schiffe sind nur dann eine Betriebsstätte, wenn sie gewerblich genutzt werden (§ 6).
Anmeldungen und Änderungsmeldung haben unverzüglich zu erfolgen. Änderungen in der Zahl der Beschäftigten sind jeweils bis zum 31. März eines Jahres anzuzeigen. Die Anmeldungen müssen sehr detailliert erfolgen und sind auf Verlangen nachzuweisen (§ 8).
Den Landesrundfunkanstalten wird, wenn ihnen tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, dass jemand seinen Pflichten nach § 8 nicht oder nicht vollständig nachkommt, ein umfangreiches Auskunftsrecht zugestanden, das sie auch im Verwaltungszwangverfahren durchsetzen können (§ 9).
Die Gebühreneinzugszentrale (GEZ) bleibt faktisch erhalten, heißt nur zukünftig anders. Die Landesrundfunkanstalten haben zudem die Möglichkeit, Inkassobüros mit einzelnen Aufgaben bei der Durchführung des Beitragseinzugs oder der Ermittlung von Beitragsschuldnern zu beauftragen (§ 10, besonders Absatz 7).
Die von den Landesrundfunkanstalten (bzw. von der neuen GEZ) gespeicherten personenbezogener Daten können diese, soweit sie das für erforderlich halten, untereinander austauschen. Um die Datenbasis für die Betragserhebung zu verbreitern, dürfen die Landesrundfunkanstalten bzw. die neue GEZ nicht nur bei öffentlichen sondern auch bei nichtöffentlichen Stellen ohne Kenntnis der Betroffenen bestimmte personenbezogene Daten erheben, verarbeiten oder nutzen (§ 11).
Privatpersonen sollen ab dem 1. Januar 2013 ihrer Landesrundfunkanstalt alle Umstände mitteilen, die sich auf ihre Beitragspflicht (oder deren Ermäßigung bzw. Befreiung davon) beziehen. Nicht-private Rundfunkteilnehmer sind sogar verpflichtet, diese ab dem 1. Januar 2012 auf Nachfrage der Landesrundfunkanstalt mitzuteilen, widrigenfalls droht ein Bußgeld.
Für den privaten Bereich ändert sich nach den Vorstellungen des Gesetzesentwurfes für den schon jetzt den Regelbetrag Zahlenden nichts. Er muss also auch nichts veranlassen, der Beitrag wird einfach weiter erhoben. Aber: Wer bisher von der Gebühr befreit war, sollte sich kümmern. Wer nichts macht, muss damit rechnen, zukünftig wenigstens ein Drittel des Beitrages zu zahlen, denn bestandskräftige Rundfunkgebührenbefreiungsbescheide werden je nach Grund der Befreiung durchaus unterschiedlich behandelt. Erteilte Lastschrift- und Einzugsermächtigungen bleiben bestehen.
Jede Meldebehörde hat den Landesrundfunkanstalten einmalig bestimmte Daten aller ihr bekannten volljährigen Personen zu melden. Nach Abschluss dieser bis Ende 2014 dauernden Aktion können die Landesrundfunkanstalten Adressdaten privater Personen ankaufen (§ 14).
Der Staatsvertrag soll am 1. Januar 2013 in Kraft treten, einige Regelung des § 14 schon zum 1. Januar 2012. Sind bis zum 31. Dezember 2011 nicht alle Ratifizierungsurkunden eingetroffen, ist der Staatsvertrag gegenstandslos (Artikel 7).
In einer Protokollerklärung aller Länder weisen diese unter anderem darauf hin, dass sie erwarten, dass ARD, ZDF und Deutschlandradio ihre barrierefreien Angebote ausweiten.
Die finanziellen Auswirkungen, auch mit Blick auf die Beitragspflicht für Kraftfahrzeuge, sollen mit dem 19. KEF-Bericht (also im Dezember 2013) festgestellt und ausgewertet werden.
Hamburg, Niedersachsen, Sachsen und Sachsen-Anhalt unterstreichen in einer weiteren Protokollerklärung, die für die Akzeptanz des neuen Finanzierungssystems entscheidende aufkommensneutrale Gestaltung.
Schleswig-Holstein bekennt sich schließlich in einer eigenen Protokollerklärung zu dem Ziel, die Beitragspflicht wegen des damit verbundenen Verwaltungsaufwandes für nicht-private Kfz entweder ganz fallen zu lassen oder in die Beitragsstaffel des § 5 zu integrieren.
Die Kritik der Verbände und Parteien an dem Gesetzesentwurf werde ich in einem weiteren Artikel darstellen.
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