Großes Gerangel gab es um die Anpassung der Hartz-IV-Sätze und herausgekommen ist neben der minimalen Erhöhung der Sätze das Bildungs- und Teilhabepaket der Bundesregierung. Dieses besteht aus sechs Komponenten und umfasst:
- Förderung von Schulausflügen und mehrtägigen Klassenfahrten
- Ausstattung mit persönlichem Schulbedarf
- Schülerbeförderung
- schulische Angebote ergänzende Lernförderung
- Teilnahme an gemeinschaftlicher Mittagsverpflegung
- Bedarfe zur Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft (z.B. Vereinsmitgliedschaften).
Klingt auf den ersten Blick gar nicht schlecht, ist aber bei näherem Hinsehen wieder einmal eine bürokratische Schlacht für die Betroffenen, wenn sie denn wissen, dass ihnen Leistungen zustehen und sie auch beantragen. Das scheint bisher nicht in dem Maße geschehen zu sein, wie man es angesichts der Bedarfszahlen vermuten würde. In Schleswig-Holstein gibt es nach Angaben des shz 85.000 Kinder und Jugendliche von Hartz-IV-Beziehern, Kinder von Geringverdienern oder von Eltern, die Wohngeld oder Kinderzuschlag erhalten. 16,2 Prozent aller Kinder unter 14 Jahren in Schleswig-Holstein bekommen Hartz-IV, dabei schwanken die Prozentquoten zwischen 31 Prozent in Kiel und 8,6 Prozent in Stormarn. Bedarf gibt es also eigentlich genug, aber bisher sollen im Schnitt nur etwa zwei Prozent der Berechtigten einen Antrag gestellt haben. Das ist besonders ärgerlich, wenn man bedenkt, dass am 30. April die Frist ausläuft, Ansprüche aus dem ersten Quartal rückwirkend geltend zu machen. Politiker aller Coleur diskutieren jetzt über eine Fristverlängerung, damit die Ansprüche für das vergangene Quartal nicht verfallen.
Woran liegt es nun, dass die Antragsflut ausbleibt? In erster Linie sicherlich am Unwissen über die Möglichkeiten, die sich für die betroffenen Familien aus dem Bildungs- und Teilhabepaket ergeben. Zwar wurde mit Plakaten und aufklärenden Texten im Internet für die Möglichkeiten des Bildungs- und Teilhabepakets geworben, aber diese Informationen scheinen nicht ausgereicht zu haben. In einschlägigen Erwerbslosenforen liest man auch reihenweise Berichte darüber, dass Mitarbeiter der Jobcenter auf Anfragen nicht angemessen informieren oder sogar Anträge von augenscheinlich Berechtigten abwimmeln.
Nehmen wir doch einmal die verschiedenen Komponenten des Pakets genauer unter die Lupe, um sie auf ihre Tauglichkeit zu prüfen. Für Klassenfahrten und Schulausflüge gab es vom Amt schon in der Vergangenheit Zuschüsse, das ist also nicht wirklich etwas Neues.
Die Unterstützung für Schulmaterialien gab es bisher auch schon, diese werden nun aber in zwei Schüben mit dem monatlichen Sätzen überwiesen, zu Beginn des Schuljahres 70 Euro und zum Halbjahr noch einmal 30 Euro. Kosten für die Schülerbeförderung und die Mittagsverpflegung sind auch einigermaßen klar geregelt.
Nun jedoch die problematischen Punkte: Lernförderung und Teilhabe an sportlichen und musischen Aktivitäten. Die Lernförderung bezieht sich auf Nachhilfeunterricht, der nötig ist, damit das Kind das Lernziel der jeweiligen Klasse erreicht, sprich nicht sitzenbleibt. Auf dem Antrag für Lernförderung des Jobcenters Kiel liest sich das folgendermaßen:
„Bei der Schülerin/dem Schüler ist eine schulische Angebote ergänzende angemessene Lernförderung erforderlich, um die nach den schulrechtlichen Bestimmungen festgelegten wesentlichen Lernziele zu erreichen (im Regelfall die Versetzung). Zu diesen Lernzielen gehören nicht das Erreichen eines höherwertigen Schulabschlusses oder die Verbesserung des Notendurchschnitts.”
Hier ist der erste Kritikpunkt natürlich, dass es vor allem auch den Kindern aus den weniger betuchten Familien ermöglicht werden sollte, durch entsprechende Lernförderung einen höheren Schulabschluss oder einen besseren Notendurchschnitt zu erreichen, als bisher zu vermuten war. Dafür sind die Gelder aus dem Bildung- und Teilhabepaket jedoch nicht gedacht — die gleiche Bildung für alle ist wieder einmal in weite Ferne gerückt. Zudem muss die Schule bestätigen, dass dieser Bedarf vorhanden ist und in der Schule keine derartigen kostenlosen Angebote bestehen.
Einige Kieler Schulen haben sich nun mit der Volkshochschule zusammen getan, um ein Konzept zur Förderung in der Schule, auf Grundlage des Pakets, zu erarbeiten. Hierbei wurden Doppelbesetzungen im Regelunterricht durch Mitarbeiter der Volkshochschulen in Betracht gezogen, damit die Kinder, die verstärkter Förderung bedürfen, entsprechend unterstützt werden können. Für einige Pädagogen vor Ort klingt das nach einem guten Konzept, denn im Rahmen des binnendifferenzierten Arbeitens in Regional- und Gemeinschaftsschulen ist eine Zweitbesetzung im Unterricht Gold wert, weil dadurch einzelne Schülerinnen und Schüler gezielt gefördert werden können. Doch auch hier ist ein immenser bürokratischer Aufwand nötig. Die Lehrkraft spricht die in Frage kommenden Elternhäuser an und gibt ihnen einen Antrag, auf dem der Bedarf für das jeweilige Kind formuliert ist. Mit diesem müssen die Eltern dann zum Jobcenter gehen und sich einen Gutschein für Lernförderung abholen. Auf Grundlage dieses Gutscheins wird der jeweiligen Klasse dann eine entsprechende Anzahl von Stunden für die Doppelbesetzung zugesprochen. Laut Antrag beträgt die Regelleistung dabei zwei Stunden pro Woche, in besonderen Fällen kann eine Einzelfallregelung bewilligt werden. Bei Schulkonzepten, die ein Sitzenbleiben, auch bei schlechteren Leistungen, nicht mehr vorsehen bzw. in denen eine Notenvergabe bis zu einer gewissen Klassenstufe nicht praktiziert wird, ergibt sich hier natürlich eine gewaltige Grauzone. Wann ist ein Kind so schlecht, dass es das Klassenziel eigentlich nicht erreichen würde? Was ist mit den Kindern, die sich aufgrund fehlender häuslicher Strukturen mit ihren mangelhaften Lern- und Arbeitsverhalten selbst im Weg stehen? Und wo bleiben die Kinder, die mit ein wenig mehr Förderung die Chance hätten, einen weitaus höheren Schulabschluss anzustreben, jetzt aber durchaus im Durchschnitt liegen?
Ein weiterer Punkt des Pakets ist die Teilhabe an außerschulischer sportlicher und musischer Teilhabe. Es stehen laut Regelung des Bildungs- und Teilhabepakets monatlich 10 Euro für diesen Bereich pro Kind zur Verfügung. Die Anmeldung in einem Sportverein ist mit diesem Budget durchaus möglich. Bei Kampfsport- oder Musikschulen sowie Reitsportangeboten sehen die Beiträge schon anders aus und man kommt mit dem zur Verfügung stehenden Betrag längst nicht aus. Von den Kosten für ein Musikinstrument oder das nötige Zubehör für einen bestimmten Sport mal ganz zu schweigen. Auch hier werden die Kinder aus den betroffenen Familien insofern ausgegrenzt, dass ihnen nur ein Teil der Teilhabe möglich gemacht wird, sie aber nicht frei entscheiden können, wirklich der Freizeitbeschäftigung nachzugehen, die sie sich wirklich wünschen.
Fazit: Das Bildungs- und Teilhabepaket verfolgt zwar einen durchaus positiven Ansatz, es ist aber nicht gerecht und es ergeben sich große Probleme bei der tatsächlichen Umsetzung. Nicht alle Lehrkräfte werden den Aufwand betreiben wollen, um mit allen betroffenen Elternhäusern in Kontakt zu treten und ihnen die Abläufe des Antragsverfahrens zu erklären, da das ja eigentlich auch primär die Aufgabe der Mitarbeiter des Jobcenters wäre. Warum werden nicht auch die guten Schülerinnen und Schüler gefördert, damit sie einen besseren Schulabschluss erreichen können? Wo bleibt die Entscheidungsfreiheit für die bedürftigen Kinder in Bezug auf ihre Freizeitgestaltung, wenn nur 10 Euro im Monat dafür zur Verfügung stehen?