Umsetzung des Bildungs- und Teilhabepakets

Von | 21. April 2011

Großes Gerangel gab es um die Anpassung der Hartz-IV-Sätze und her­aus­ge­kom­men ist neben der mini­ma­len Erhöhung der Sätze das Bildungs- und Teilhabepaket der Bundesregierung. Dieses besteht aus sechs Komponenten und umfasst:

  • Förderung von Schulausflügen und mehr­tä­gi­gen Klassenfahrten
  • Ausstattung mit per­sön­li­chem Schulbedarf
  • Schülerbeförderung
  • schu­li­sche Angebote ergän­zen­de Lernförderung
  • Teilnahme an gemein­schaft­li­cher Mittagsverpflegung
  • Bedarfe zur Teilhabe am sozia­len und kul­tu­rel­len Leben in der Gemeinschaft (z.B. Vereinsmitgliedschaften).

Klingt auf den ers­ten Blick gar nicht schlecht, ist aber bei nähe­rem Hinsehen wie­der ein­mal eine büro­kra­ti­sche Schlacht für die Betroffenen, wenn sie denn wis­sen, dass ihnen Leistungen zuste­hen und sie auch bean­tra­gen. Das scheint bis­her nicht in dem Maße gesche­hen zu sein, wie man es ange­sichts der Bedarfszahlen ver­mu­ten wür­de. In Schleswig-Holstein gibt es nach Angaben des shz 85.000 Kinder und Jugendliche von Hartz-IV-Beziehern, Kinder von Geringverdienern oder von Eltern, die Wohngeld oder Kinderzuschlag erhal­ten. 16,2 Prozent aller Kinder unter 14 Jahren in Schleswig-Holstein bekom­men Hartz-IV, dabei schwan­ken die Prozentquoten zwi­schen 31 Prozent in Kiel und 8,6 Prozent in Stormarn. Bedarf gibt es also eigent­lich genug, aber bis­her sol­len im Schnitt nur etwa zwei Prozent der Berechtigten einen Antrag gestellt haben. Das ist beson­ders ärger­lich, wenn man bedenkt, dass am 30. April die Frist aus­läuft, Ansprüche aus dem ers­ten Quartal rück­wir­kend gel­tend zu machen. Politiker aller Coleur dis­ku­tie­ren jetzt über eine Fristverlängerung, damit die Ansprüche für das ver­gan­ge­ne Quartal nicht ver­fal­len.

Woran liegt es nun, dass die Antragsflut aus­bleibt? In ers­ter Linie sicher­lich am Unwissen über die Möglichkeiten, die sich für die betrof­fe­nen Familien aus dem Bildungs- und Teilhabepaket erge­ben. Zwar wur­de mit Plakaten und auf­klä­ren­den Texten im Internet für die Möglichkeiten des Bildungs- und Teilhabepakets gewor­ben, aber die­se Informationen schei­nen nicht aus­ge­reicht zu haben. In ein­schlä­gi­gen Erwerbslosenforen liest man auch rei­hen­wei­se Berichte dar­über, dass Mitarbeiter der Jobcenter auf Anfragen nicht ange­mes­sen infor­mie­ren oder sogar Anträge von augen­schein­lich Berechtigten abwim­meln.

Nehmen wir doch ein­mal die ver­schie­de­nen Komponenten des Pakets genau­er unter die Lupe, um sie auf ihre Tauglichkeit zu prü­fen. Für Klassenfahrten und Schulausflüge gab es vom Amt schon in der Vergangenheit Zuschüsse, das ist also nicht wirk­lich etwas Neues.
Die Unterstützung für Schulmaterialien gab es bis­her auch schon, die­se wer­den nun aber in zwei Schüben mit dem monat­li­chen Sätzen über­wie­sen, zu Beginn des Schuljahres 70 Euro und zum Halbjahr noch ein­mal 30 Euro. Kosten für die Schülerbeförderung und die Mittagsverpflegung sind auch eini­ger­ma­ßen klar gere­gelt.

Nun jedoch die pro­ble­ma­ti­schen Punkte: Lernförderung und Teilhabe an sport­li­chen und musi­schen Aktivitäten. Die Lernförderung bezieht sich auf Nachhilfeunterricht, der nötig ist, damit das Kind das Lernziel der jewei­li­gen Klasse erreicht, sprich nicht sit­zen­bleibt. Auf dem Antrag für Lernförderung des Jobcenters Kiel liest sich das fol­gen­der­ma­ßen:

„Bei der Schülerin/​dem Schüler ist eine schu­li­sche Angebote ergän­zen­de ange­mes­se­ne Lernförderung erfor­der­lich, um die nach den schul­recht­li­chen Bestimmungen fest­ge­leg­ten wesent­li­chen Lernziele zu errei­chen (im Regelfall die Versetzung). Zu die­sen Lernzielen gehö­ren nicht das Erreichen eines höher­wer­ti­gen Schulabschlusses oder die Verbesserung des Notendurchschnitts.”

Hier ist der ers­te Kritikpunkt natür­lich, dass es vor allem auch den Kindern aus den weni­ger betuch­ten Familien ermög­licht wer­den soll­te, durch ent­spre­chen­de Lernförderung einen höhe­ren Schulabschluss oder einen bes­se­ren Notendurchschnitt zu errei­chen, als bis­her zu ver­mu­ten war. Dafür sind die Gelder aus dem Bildung- und Teilhabepaket jedoch nicht gedacht — die glei­che Bildung für alle ist wie­der ein­mal in wei­te Ferne gerückt. Zudem muss die Schule bestä­ti­gen, dass die­ser Bedarf vor­han­den ist und in der Schule kei­ne der­ar­ti­gen kos­ten­lo­sen Angebote bestehen.

Einige Kieler Schulen haben sich nun mit der Volkshochschule zusam­men getan, um ein Konzept zur Förderung in der Schule, auf Grundlage des Pakets, zu erar­bei­ten. Hierbei wur­den Doppelbesetzungen im Regelunterricht durch Mitarbeiter der Volkshochschulen in Betracht gezo­gen, damit die Kinder, die ver­stärk­ter Förderung bedür­fen, ent­spre­chend unter­stützt wer­den kön­nen. Für eini­ge Pädagogen vor Ort klingt das nach einem guten Konzept, denn im Rahmen des bin­nen­dif­fe­ren­zier­ten Arbeitens in Regional- und Gemeinschaftsschulen ist eine Zweitbesetzung im Unterricht Gold wert, weil dadurch ein­zel­ne Schülerinnen und Schüler gezielt geför­dert wer­den kön­nen. Doch auch hier ist ein immenser büro­kra­ti­scher Aufwand nötig. Die Lehrkraft spricht die in Frage kom­men­den Elternhäuser an und gibt ihnen einen Antrag, auf dem der Bedarf für das jewei­li­ge Kind for­mu­liert ist. Mit die­sem müs­sen die Eltern dann zum Jobcenter gehen und sich einen Gutschein für Lernförderung abho­len. Auf Grundlage die­ses Gutscheins wird der jewei­li­gen Klasse dann eine ent­spre­chen­de Anzahl von Stunden für die Doppelbesetzung zuge­spro­chen. Laut Antrag beträgt die Regelleistung dabei zwei Stunden pro Woche, in beson­de­ren Fällen kann eine Einzelfallregelung bewil­ligt wer­den. Bei Schulkonzepten, die ein Sitzenbleiben, auch bei schlech­te­ren Leistungen, nicht mehr vor­se­hen bzw. in denen eine Notenvergabe bis zu einer gewis­sen Klassenstufe nicht prak­ti­ziert wird, ergibt sich hier natür­lich eine gewal­ti­ge Grauzone. Wann ist ein Kind so schlecht, dass es das Klassenziel eigent­lich nicht errei­chen wür­de? Was ist mit den Kindern, die sich auf­grund feh­len­der häus­li­cher Strukturen mit ihren man­gel­haf­ten Lern- und Arbeitsverhalten selbst im Weg ste­hen? Und wo blei­ben die Kinder, die mit ein wenig mehr Förderung die Chance hät­ten, einen weit­aus höhe­ren Schulabschluss anzu­stre­ben, jetzt aber durch­aus im Durchschnitt lie­gen?

Ein wei­te­rer Punkt des Pakets ist die Teilhabe an außer­schu­li­scher sport­li­cher und musi­scher Teilhabe. Es ste­hen laut Regelung des Bildungs- und Teilhabepakets monat­lich 10 Euro für die­sen Bereich pro Kind zur Verfügung. Die Anmeldung in einem Sportverein ist mit die­sem Budget durch­aus mög­lich. Bei Kampfsport- oder Musikschulen sowie Reitsportangeboten sehen die Beiträge schon anders aus und man kommt mit dem zur Verfügung ste­hen­den Betrag längst nicht aus. Von den Kosten für ein Musikinstrument oder das nöti­ge Zubehör für einen bestimm­ten Sport mal ganz zu schwei­gen. Auch hier wer­den die Kinder aus den betrof­fe­nen Familien inso­fern aus­ge­grenzt, dass ihnen nur ein Teil der Teilhabe mög­lich gemacht wird, sie aber nicht frei ent­schei­den kön­nen, wirk­lich der Freizeitbeschäftigung nach­zu­ge­hen, die sie sich wirk­lich wün­schen.

Fazit: Das Bildungs- und Teilhabepaket ver­folgt zwar einen durch­aus posi­ti­ven Ansatz, es ist aber nicht gerecht und es erge­ben sich gro­ße Probleme bei der tat­säch­li­chen Umsetzung. Nicht alle Lehrkräfte wer­den den Aufwand betrei­ben wol­len, um mit allen betrof­fe­nen Elternhäusern in Kontakt zu tre­ten und ihnen die Abläufe des Antragsverfahrens zu erklä­ren, da das ja eigent­lich auch pri­mär die Aufgabe der Mitarbeiter des Jobcenters wäre. Warum wer­den nicht auch die guten Schülerinnen und Schüler geför­dert, damit sie einen bes­se­ren Schulabschluss errei­chen kön­nen? Wo bleibt die Entscheidungsfreiheit für die bedürf­ti­gen Kinder in Bezug auf ihre Freizeitgestaltung, wenn nur 10 Euro im Monat dafür zur Verfügung ste­hen?

Von:

Melanie Richter lebt seit mehr als 20 Jahren in Kiel, ist parteilos, seit 2010 Mitglied im Verein für Neue Medien Kiel e.V. und arbeitet in einer Kieler Gemeinschaftsschule.

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