Man sollte ja meinen, dass es sich rumgesprochen hat, dass Netzsperren nicht funktionieren. Und zwar unabhängig davon, ob man das, was da gesperrt werden soll, nun „böse“ findet oder nicht.
Dem ist aber nicht so. Die Ministerpräsidenten der Länder haben kürzlich in ihrem Entwurf für einen Staatsvertrag zur Änderung des Glücksspielstaatsvertrages beschlossen, dass 16 14 (Schleswig-Holstein und die in Bremen in Regierungsverantwortung befindlichen Grünen haben signalisiert, dass sie den Vertragsentwurf ablehnen) Landesbehörden nach eigenen Vorstellungen Internetzensor spielen dürfen (mehr dazu hier im Landesblog).
Bei der am Mittwoch (04. Mai) anstehenden Fortsetzung der Anhörung zum Glückspielgesetz wird sich Prof. Michael Rotert, Vorstandvorsitzender des Verbandes Deutscher Internetwirtschaft (eco) unter anderen die Meinung seines Verbandes zum Thema Netzsperren äußern. In den vorab veröffentlichten Schwerpunkten seiner mündlichen Stellungnahme heißt es dazu:
Blockierung bzw. netzseitige Sperrung von Websites zur Unterbindung der Nutzung in Deutschland nicht zugelassener Glücksspielangebote ist nicht zielführend und stellt keine Handlungsoption dar. Sie ist ineffektiv und für jedermann leicht umgehbar. Sperrmaßnahmen generell und insbesondere solche, die wettbewerbsrechtlich motiviert zu Markabschottungszwecken eingesetzt werden, lehnt eco ab.
Die in den vergangenen Monaten geführte breite politische und gesellschaftliche Diskussion zur Sperrung von kinderpornographischen Inhalten im Internet hat deutlich gezeigt, dass das Sperren von Websites kein probates Mittel ist, technische Schwierigkeiten und zudem eine Vielzahl an rechtlichen Fragestellungen aufwirft. Ausdrücklich wurde auf die nicht intendierten Auswirkungen sowie auf die Gefahren für die grundrechtlich gewährleistete Meinungsfreiheit hingewiesen.
Im Gegensatz zu netzseitigen Zugangssperren stellt die Kanalisierung auf die legalen und kontrollierten Angebote im Internet ein zielführendes Mittel, um den Anreizen nicht-zugelassener Glücksspielangebote entgegenzuwirken und damit deren Nutzung bestmöglich zu verhindern. Existieren solche legalen Angebote in Deutschland in ausreichender Weise, wären die Ziele einer Glücksspielregulierung, insbesondere Jugend- und Spielerschutz zu gewährleisten und die ordnungsgemäße Durchführung von Glücksspielen sicherzustellen, nachhaltig gesichert.
Man sollte sich wohl nicht zu sicher sein, dass die „in den vergangenen Monaten geführte breite politische und gesellschaftliche Diskussion“ wirklich weit bis in die Politik vorgedrungen ist. So steht im gerade beschlossenen grün-roten Koalitionsvertrag in Baden-Württemberg auf Seite 77, dass „die Ablehnung aller Versuche, Zensur- und Kontrollinfrastrukturen für das Netz“ Grundlage grün-roter Netzpolitik in Baden-Würrtemberg sei. 18 Seiten zuvor hat man sich gleichwohl blauäugig „für das staatliche Monopol bei Lotterien und Sportwetten“ ausgesprochen aber kein Wort darüber verloren, wie man den Widerspruch auflösen will.
Bitte: Diese Monopol gibt es längst nicht mehr! Und Zahnpasta kann man nicht zurück in die Tube schieben. Es gibt Millionen(!) Deutsche, die sich im Internet seit Jahren einen Kehricht um das Monopol kümmern. Die lassen sich nicht mehr durch solche Beschlüsse vom Zocken abhalten. Die kann der Staat nur wieder einfangen, wenn er die Angebote kontrolliert legalisiert; zum Schutz der Jugend und gefährdeter Spieler.
Der Glücksspielstaatsvertrag benötigt gemäß des bisher bekannt gewordenen Entwurfs 13 teilnehmende Bundesländer, um in Kraft gesetzt zu werden. Sollten Schleswig-Holstein und Bremen nicht mitspielen, fehlen also lediglich noch zwei Bundesländer zum Scheitern dieses Unsinns.
Unabhängig davon stellt sich mir allerdings die Frage, wie es praktisch funktionieren soll, wenn nicht alle mitspielen. Werden dann Angebote, die in Schleswig-Holstein per Glücksspielgesetz legal lizensiert sind, in anderen Bundesländern per Netzsperren blockiert? Und wenn ja: Auf welcher Basis? Ist dann der Firmensitz des Zugangsproviders oder der des Benutzers entscheidend? Wird also einem Schleswig-Holsteiner bei einem Berliner Provider der Zugang gesperrt und einem Berliner bei einem schleswig-holsteinischen Provider nicht? Oder umgekehrt? Und hat sich von diesen geistig hochstehenden Verfechtern der Netzsperren in den jeweiligen Landesregierungen darüber überhaupt schon jemand Gedanken gemacht? Oder spielen Rahmenbedingungen der realen Welt dort schon lange keine Rolle mehr?
Und wenn die in Schleswig-Holstein legalen Angebote in anderen Bundesländern nicht gesperrt werden: Welcher Sinn wird dem Glücksspielstaatsvertrag dann noch zugeschrieben, wenn allein Schleswig-Holstein entscheidet, was in Deutschland legal ist und was nicht? Außer natürlich, dass er so eine Wirtschafts- und Einnahmeförderungsmaßnahme für unser schönes Bundesland wäre…
Fragen über Fragen…
Wegen der Kohärenz hier die (auch durch ihr teilweise ausweichendes Antworten) interessante Antwort auf eine kleine Anfrage der Grünen.
Ich bin da kein Experte, gehe aber davon aus, dass die EU sich den GlüStV vornehmen wird (so er denn in Kraft tritt, was ich persönlich nicht glaube) und dann entscheidet, ob die (neue) Regelung endlich EU-konform ist oder (wieder) nicht. Es gäbe dann zwei Regelungen in Deutschland: Die eine (SH) wohl EU-rechtskonform, die andere (unterzeichnende Länder) wohl nicht.
Ich kann mir vorstellen, dass die EU dann die Bundesrepublik Deutschland auffordern wird, eine einheitliche EU-Rechtskonforme Lösung zu finden.
Bis dahin können wir uns dann an der Absurdität des Verfahrens laben. Aus Sicht eines Blogs: prima, das garantiert viele Artikel. Es ist offensichtlich, dass wir hier eine lebenspraktisch längst nicht mehr taugliche föderale Länderkompetenz pflegen. Und es ist ein Trauerspiel, dass sich so viele Bundesländer vom Deutschen Lottoblock am Nasenring durch die weitgehend menschenleere Arena ziehen lassen. Womit ich nicht gasgt haben will, dass ich das Zusammenspiel der CDU- und FDP-Fraktion mit der Lobby der privaten Wettanbieter besonders glücklich finde. Ich hätte mir zum Beispiel (Stichwort Bundestreue) gewünscht, dass SH einen alternativen EU-Rechtskonformen Glücksspielstaatsvertragsentwurf vorlegt.
Wegen der Mehreinnahme für SH bin ich eher skeptisch. Sowas wird sich im LFA (Länderfinanzausgleich) wegnivellieren. Eher geht es um einen (sich mittelbar natürlich finanziell auswirkenden) Imagegewinn.
Rein praktisch gehe ich (gefühlt) eher davon aus, dass im Laufe des Jahres noch ein, zwei Länder die Nerven verlieren werden und in Konkurrenz zu SH gehen wollen.
Wenn sich jede Mehreinnahme durch den Länderfinanzausgleich wegnivelliert: Wieso macht sich Schleswig-Holstein eigentlich Deiner Meinung nach die Mühe einer Haushaltskonsolidierung? Wäre dann doch analog eh für die Katz, oder?
Weil es eine politische Pflicht und eine gesellschaftliche Notwendigkeit ist (Nein, das meine ich nicht polemisch).
Dann ist es doch aber auch eine Pflicht, zu versuchen, die Einnahmen zu verbessern. Oder gilt das dort nicht?
Das ist ja die gerade die Kritik am LFA: Er schafft das Dilemma, das sich der eigensüchtige Wunsch nach Einnahmen nicht rationall begründen lässt, weil das Zusammenspiel von Finanzkraftmesszahl und Ausgleichsmesszahl den Eindruck einer Hängematte entstehen lässt.
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