Ein Schlagbaum ins Gesicht der EU?

Von | 12. Mai 2011

Die aktu­el­len Entwicklungen in der Einwanderungs- und Grenzpolitik unse­res nörd­li­chen Nachbarn Dänemark berei­ten vie­len Menschen Kopfzerbrechen. Durch den Einfluss der rechts­ori­en­tier­ten Dänischen Volkspartei DF wur­den in den letz­ten Jahren immer wie­der Verschärfungen an den Arbeits-, Aufenthalts- und Einreisegesetzen vor­ge­nom­men. Die vom 9. Mai stam­men­de Meldung der DF, in Kürze wie­der Grenzkontrollen ein­zu­füh­ren und somit die freie Einreise zu regu­lie­ren und zu beschnei­den, sorg­te hier­zu­lan­de für Verwunderung.

Zahlreiche Zeitungsjournalisten und Politiker sehen wie­der­mals den Anfang vom Ende der Europäischen Union bestä­tigt, wie zuvor schon in der Eurokrise oder bei Änderungen des Mediengesetzes in Ungarn. Andere beschwich­ti­gen und erwar­ten kaum Veränderungen.

Worum geht es und wie wirkt sich was auf Schleswig-Holstein aus?

Warum gibt es in der EU kei­ne Grenzkontrollen mehr?

Das Schengener Abkommen ebne­te dem Freien Personenverkehr in der Europäischen Union den Weg. Zunächst 1985 nur zwi­schen den Benelux-Staaten, Frankreich und Deutschland abge­schlos­sen, ist es seit 1997 Recht der Europäischen Union. Seitdem genie­ßen alle Bürger der EU-Staaten die soge­nann­ten 4 Grundfreiheiten:

  • Freier Warenverkehr
  • Freier Dienstleistungsverkehr
  • Freier Kapital- und Zahlungsverkehr
  • Personenfreizügigkeit.

Jeder EU-Bürger kann in jedem EU-Land woh­nen, arbei­ten, Geld anle­gen und Waren ein- oder aus­füh­ren. Hierbei hin­dern ihn kei­ne staat­lich auf­er­leg­ten Hindernisse wie die Beantragung von Visa oder Arbeitserlaubnissen. Dänemark war dem Schengener Raum erst im Jahr 2001 bei­ge­tre­ten. Zuvor befand sich der skan­di­na­vi­sche Raum in einer eige­nen Passunion.

Grenzkontrollen sind an „EU-Inlandsgrenzen” nur in Ausnahmefällen zeit­lich befris­tet erlaubt. Dies war bei­spiels­wei­se bei der Fussball WM 2006 der Fall, bei der eine hohe Anzahl von „Nicht-EU-Bürgern” kurz­fris­tig in die EU ein­reis­te. Kürzlich brach­te auch die CSU Grenzkontrollen an der süd­li­chen Grenze Bayerns ins Gespräch, da sie eine Einwanderung nord­afri­ka­ni­scher Flüchtlinge befürch­te­te.

Der Unterschied des DF-Vorschlags zu den genann­ten Beispielen liegt aller­dings in der Dauerhaftigkeit. Würde es nach der Dansk Folkeparti gehen, müss­te bald jeder (nach Dänemark ein­rei­sen­de) Grenzgänger an her­un­ter­ge­las­se­nen Schlagbäumen wie­der sei­ne Papiere vor­zei­gen, Lastwagen wür­den ver­stärkt auf Schmuggelware oder mut­maß­li­che ille­ga­le Migranten gefilzt.

Warum will die DF Grenzkontrollen?

Die DF will einen Anstieg in der Grenzkriminalität aus­ge­macht zu haben, der nur durch die­se Maßnahme gestoppt wer­den kön­ne. Besonders der Menschen- und Drogenhandel wird her­vor­ge­ho­ben. Der Flensburger Bundestagsabgeordnete Wolfgang Börnsen (CDU) hält dies für falsch:

„Der Anstieg grenz­über­schrei­ten­der Kriminalität bei Menschenschmuggel und Zollvergehen lässt sich durch kei­ne nach­weis­li­chen Daten bele­gen. Die geziel­ten Kontrollen im grenz­na­hen Umland haben sich als effek­tiv erwie­sen. Die „Grenze“ ist sicher […]”

Börnsen ist neben sei­ner Tätigkeit als Bundestagsabgeordneter eben­falls Ehrenpräsident der Europa-Union, einer Bürgerinitiaive die sich der Europäischen Einigung und Förderung von Vertiefender Zusammenarbeit auf Europäischer Ebene ver­schrie­ben hat. Daher sieht er natür­lich zunächst einen Rückschritt der däni­schen Europapolitik und eine Zerstörung des­sen, wofür Bürgerverbände Jahrzehnte gekämpft haben. Doch viel wich­ti­ger ist die Erkenntnis, das dies aus ver­kapp­ten Fremdenhass geschiet:

„Wenn die Dänische Volkspartei jetzt mit klein­ka­rier­ten und auf Populismus getrimm­ten Argumenten das Rad der Zeit zurück­dre­hen will, wird sie nichts gewin­nen, dafür aber viel Schaden anrich­ten. […] Es ent­steht der fade Beigeschmack von Ausländerfeindlichkeit.”

Warum kann (und will) die DF so etwas for­dern?

Die DF „tole­riert” seit zwei Jahren die kon­ser­va­tiv-libe­ra­le Regierung des däni­schen Ministerpräsidenten Lars Løkke Rasmussen. Dieser hat kei­ne Mehrheit im Parlament, befin­det sich also in einer Minderheitsregierung. Um die nöti­gen Stimmen (bei­spiels­wei­se bei der jähr­li­chen Abstimmung über den Staatshaushalt) zusam­men zu bekom­men, geht er regel­mä­ßig Kuhhandel mit der rechts­po­pu­lis­ti­schen DF ein. Deren Parteichefin Pia Kjærsgaard konn­te so jedes Jahr neue Verschärfungen im Aufenthalts-, Arbeits- und Einreiserecht durch­set­zen. Zuvor hat sie dies auch bei Løkke Rasmussens Vorgänger erfolg­reich durch­ge­setzt.

Die Zusammenführung von Familien mit Ehepartnern von außer­halb der EU setzt seit­her ein Mindestalter von 24 Jahren vor­aus. Ein kom­pli­zier­tes Punktesystem und eine „Kaution” in Höhe von 13.500 Euro, die bei der Staatskasse hin­ter­legt wer­den muss, erschwe­ren die Nachreise von Angehörigen. Zunächst woll­te die DF den Empfang von ara­bi­schen TV-Sendern  ver­bie­ten las­sen. In einer Erweiterung der däni­schen „Ghetto-Strategie” for­der­te sie hier­bei ein Verbot von Sattelitenschüsseln für Migranten — bis­her ohne Erfolg.

Die „Ausländerfrage„“ beschäf­tigt die däni­sche Politik seit Jahren sehr hef­tig, durch die Vorfälle im Karikaturstreit hat beson­ders die poli­ti­sche Hetze gegen Somalier zuge­nom­men. Und die­sen Herbst soll wie­der gewählt wer­den. Da die wei­ter links ste­hen­den Parteien in Dänemark bereits ankün­dig­ten, die schar­fen Ausländergesetze nicht dros­seln zu wol­len, muss die DF in ihrer eige­nen Logik nun noch wei­ter gehen, um sich rechts zu posi­tio­nie­ren.

Wie wahr­schein­lich ist eine Umsetzung des Vorschlags?

Mit ihrem Vorschlag macht die DF den klas­si­schen Versuch, mit außen­po­li­ti­schen Ideen und Protektionismus innen­po­li­tisch zu punk­ten. Sie ver­gisst dabei aller­dings, das euro­päi­sches Gemeinschaftsrecht nicht ein­fach von natio­na­ler Seite auf­ge­ho­ben wer­den kann. Gerade für sol­che Fälle, in denen radi­ka­le und popu­lis­ti­sche Parteien die euro­päi­sche Einigung und Gemeinschaft beschä­di­gen wol­len, haben die Nationalstaaten gemein­schaft­li­che Abkommen getrof­fen. Das heißt ver­ein­facht: Dänemark kann so etwas nicht allei­ne ent­schei­den. Sollten sie dies tun, wür­den sie gegen gel­ten­des Recht ver­sto­ßen.

Damit wür­de Dänemark aller­dings nicht allei­ne ste­hen. Die EU-Kommission hat­te jüngst eine Verschärfung  des Schengen-Abkommens vor­ge­schla­gen, um den Mitgliedsstaaten (ins­be­son­de­re Frankreich und Italien) Grenzkontrollen wie­der zu erlau­ben. Die Mehrheit der euro­päi­schen Bürgerlichen Parteien fürch­tet sich schein­bar vor erwar­te­ten Flüchtlingsströmen aus Nordafrika. Auch der neue Bundesinnenminister Friedrich unter­stützt die von EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström vor­ge­schla­ge­ne Änderung des Abkommens. Die Festung Europa nimmt Gestalt an. Im Gegensatz zum däni­schen Vorstoß aller­dings in einem ordent­li­chen juris­ti­schen Vorgehen. Nachdem die Kommission und der Ministerrat für Innere Angelegenheiten hier weit­ge­hend über­ein­stim­men, steht auf euro­päi­scher Ebene nur noch das Parlament dem Vorschlag kri­tisch gegen­über.

Auch auf Landesebene for­miert sich Widerstand: Der Landtagsabgeordnete Bernd Voß (Grüne) for­der­te in einer Pressemitteilung Ministerpräsident Carstensen auf, sich bei den Dänen für die Erhaltung der offe­nen Grenzen ein­zu­set­zen. Auch die SPD-Abgeordneten Rolf Fischer und Birte Pauls sehen in der Dänischen Haltung eine euro­pa­po­li­ti­sche „Rolle rück­wärts” und wün­schen sich eine ver­stärk­te Kooperation in der Dänisch-Deutschen Grenzregion.
Die Landesregierung scheint bemüht, den Ball flach zu hal­ten und die Diskussion nicht ohne Not anzu­hei­zen. Peter Harry Carstensen, der am Freitag in Kopenhagen an einem Verkehrs- und Wirtschaftssymposium der IHK Schleswig-Holstein teil­neh­men und abends das Preopening Konzert des SHMF besu­chen wird, wird von der libe­ral-kon­ser­va­ti­ven däni­schen Tageszeitung Berlinske zitiert:

I land­da­gen i Kiel ser man sagen „kri­tisk”, hed­der det. „Den har­mone­rer ikke med den europæis­ke idé om fri bevæge­lig­hed” og „skyl­des nok mest den dans­ke valg­kamp”, for­mo­des det.

 (Ungefähr: Im Kieler Landtag sieht man den Fall „kri­tisch”. „Das har­mo­ni­siert nicht mit dem euro­päi­schen Gedanken der Freizügigkeit” und „hän­ge wahr­schein­lich mit dem däni­schen Wahlkampf zusam­men”, ver­mu­te man.)

Trotzdem steht seit dem gest­ri­gen (11. Mai) Nachmittag eine par­la­men­ta­ri­sche Mehrheit im Folketing bereit, die den Vorschlag schnellst­mög­lich in ein Gesetz gie­ßen möch­te. Die geplan­ten Maßnahmen sähen vor allem per­ma­nen­te Kontrolleinrichtungen und Überwachungselektronik wie Kennzeichenscanner an der A7 und eini­gen Landstraßen vor. Außerdem sol­len ver­mehrt mobi­le Kontrollteams in Zügen und Fähren zum Einsatz kom­men. Schranken und Schlagbäume soll es aller­dings vor­erst nicht geben. In den nächs­ten 4 Jahren sol­len für die Grenzsicherung 40 Millionen Euro aus­ge­ge­ben wer­den.

Was bedeu­tet das für mich?

Vor allem die bis zu 4.000 Berufspendler könn­ten unter den Kontrollen zu Leiden haben, wenn­gleich die Arbeitsagentur Flensburg die Situation gelas­sen sieht. Nach Einschätzung der Sprecherin Silke Jahn wür­den die regio­na­len Kennzeichen des Raums Schleswig-Flensburg und Umgebung nicht „in ers­ter Reihe bei Kontrollen ste­hen”. Wie die Umsetzung am Ende tat­säch­lich aus­sieht, bleibt abzu­war­ten.

Die Besitzer der Flensburger Einkaufszentren, die stark von den Dänischen Kunden pro­fi­tie­ren, sehen eben­falls gelas­sen in die Zukunft. Die Dänen hät­ten auch schon zu Zeiten der dama­li­gen Kontrollen gern in Deutschland ein­ge­kauft.

Doch auch wenn die wirt­schaft­li­che Situation sich nicht ver­än­dern soll­te, ist die momen­ta­ne Entwicklung mit Argwohn zu betrach­ten. Die Fähigkeit einer extre­men Minderheitenpartei, über 10 Jahre den Diskurs in einem Land zu bestim­men, und die Feigheit der ande­ren Parteien, nicht dage­gen vor­zu­ge­hen, sind erschre­ckend. Und wie­so sind die poli­ti­schen Linien der Präsidenten Frankreichs und Italiens, des deut­schen Innenministers und der schwe­di­schen EU-Kommissarin so deckungs­gleich mit der Linie einer klei­nen, rech­ten Populistenpartei?

(Update: Der Absatz mit dem Zitat Peter Harry Carstensen aus der Berlinske (Die Landesregierung scheint bemüht …) war in der ers­ten Fassung ver­se­hent­lich aus dem Text gerutscht)

Von:

Ende 20, Politikwissenschaftler, Archäologe, Redakteur, Fotograf und Social Media Manager. Wohnt in Kiel, lebt im Internet, kommt aus Flensburg. Gehört keiner Partei an. Mag neben Politik und Medien alles was blinkt oder salzig schmeckt.

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