Die aktuellen Entwicklungen in der Einwanderungs- und Grenzpolitik unseres nördlichen Nachbarn Dänemark bereiten vielen Menschen Kopfzerbrechen. Durch den Einfluss der rechtsorientierten Dänischen Volkspartei DF wurden in den letzten Jahren immer wieder Verschärfungen an den Arbeits-, Aufenthalts- und Einreisegesetzen vorgenommen. Die vom 9. Mai stammende Meldung der DF, in Kürze wieder Grenzkontrollen einzuführen und somit die freie Einreise zu regulieren und zu beschneiden, sorgte hierzulande für Verwunderung.
Zahlreiche Zeitungsjournalisten und Politiker sehen wiedermals den Anfang vom Ende der Europäischen Union bestätigt, wie zuvor schon in der Eurokrise oder bei Änderungen des Mediengesetzes in Ungarn. Andere beschwichtigen und erwarten kaum Veränderungen.
Worum geht es und wie wirkt sich was auf Schleswig-Holstein aus?
Warum gibt es in der EU keine Grenzkontrollen mehr?
Das Schengener Abkommen ebnete dem Freien Personenverkehr in der Europäischen Union den Weg. Zunächst 1985 nur zwischen den Benelux-Staaten, Frankreich und Deutschland abgeschlossen, ist es seit 1997 Recht der Europäischen Union. Seitdem genießen alle Bürger der EU-Staaten die sogenannten 4 Grundfreiheiten:
- Freier Warenverkehr
- Freier Dienstleistungsverkehr
- Freier Kapital- und Zahlungsverkehr
- Personenfreizügigkeit.
Jeder EU-Bürger kann in jedem EU-Land wohnen, arbeiten, Geld anlegen und Waren ein- oder ausführen. Hierbei hindern ihn keine staatlich auferlegten Hindernisse wie die Beantragung von Visa oder Arbeitserlaubnissen. Dänemark war dem Schengener Raum erst im Jahr 2001 beigetreten. Zuvor befand sich der skandinavische Raum in einer eigenen Passunion.
Grenzkontrollen sind an „EU-Inlandsgrenzen” nur in Ausnahmefällen zeitlich befristet erlaubt. Dies war beispielsweise bei der Fussball WM 2006 der Fall, bei der eine hohe Anzahl von „Nicht-EU-Bürgern” kurzfristig in die EU einreiste. Kürzlich brachte auch die CSU Grenzkontrollen an der südlichen Grenze Bayerns ins Gespräch, da sie eine Einwanderung nordafrikanischer Flüchtlinge befürchtete.
Der Unterschied des DF-Vorschlags zu den genannten Beispielen liegt allerdings in der Dauerhaftigkeit. Würde es nach der Dansk Folkeparti gehen, müsste bald jeder (nach Dänemark einreisende) Grenzgänger an heruntergelassenen Schlagbäumen wieder seine Papiere vorzeigen, Lastwagen würden verstärkt auf Schmuggelware oder mutmaßliche illegale Migranten gefilzt.
Warum will die DF Grenzkontrollen?
Die DF will einen Anstieg in der Grenzkriminalität ausgemacht zu haben, der nur durch diese Maßnahme gestoppt werden könne. Besonders der Menschen- und Drogenhandel wird hervorgehoben. Der Flensburger Bundestagsabgeordnete Wolfgang Börnsen (CDU) hält dies für falsch:
„Der Anstieg grenzüberschreitender Kriminalität bei Menschenschmuggel und Zollvergehen lässt sich durch keine nachweislichen Daten belegen. Die gezielten Kontrollen im grenznahen Umland haben sich als effektiv erwiesen. Die „Grenze“ ist sicher […]”
Börnsen ist neben seiner Tätigkeit als Bundestagsabgeordneter ebenfalls Ehrenpräsident der Europa-Union, einer Bürgerinitiaive die sich der Europäischen Einigung und Förderung von Vertiefender Zusammenarbeit auf Europäischer Ebene verschrieben hat. Daher sieht er natürlich zunächst einen Rückschritt der dänischen Europapolitik und eine Zerstörung dessen, wofür Bürgerverbände Jahrzehnte gekämpft haben. Doch viel wichtiger ist die Erkenntnis, das dies aus verkappten Fremdenhass geschiet:
„Wenn die Dänische Volkspartei jetzt mit kleinkarierten und auf Populismus getrimmten Argumenten das Rad der Zeit zurückdrehen will, wird sie nichts gewinnen, dafür aber viel Schaden anrichten. […] Es entsteht der fade Beigeschmack von Ausländerfeindlichkeit.”
Warum kann (und will) die DF so etwas fordern?
Die DF „toleriert” seit zwei Jahren die konservativ-liberale Regierung des dänischen Ministerpräsidenten Lars Løkke Rasmussen. Dieser hat keine Mehrheit im Parlament, befindet sich also in einer Minderheitsregierung. Um die nötigen Stimmen (beispielsweise bei der jährlichen Abstimmung über den Staatshaushalt) zusammen zu bekommen, geht er regelmäßig Kuhhandel mit der rechtspopulistischen DF ein. Deren Parteichefin Pia Kjærsgaard konnte so jedes Jahr neue Verschärfungen im Aufenthalts-, Arbeits- und Einreiserecht durchsetzen. Zuvor hat sie dies auch bei Løkke Rasmussens Vorgänger erfolgreich durchgesetzt.
Die Zusammenführung von Familien mit Ehepartnern von außerhalb der EU setzt seither ein Mindestalter von 24 Jahren voraus. Ein kompliziertes Punktesystem und eine „Kaution” in Höhe von 13.500 Euro, die bei der Staatskasse hinterlegt werden muss, erschweren die Nachreise von Angehörigen. Zunächst wollte die DF den Empfang von arabischen TV-Sendern verbieten lassen. In einer Erweiterung der dänischen „Ghetto-Strategie” forderte sie hierbei ein Verbot von Sattelitenschüsseln für Migranten — bisher ohne Erfolg.
Die „Ausländerfrage„“ beschäftigt die dänische Politik seit Jahren sehr heftig, durch die Vorfälle im Karikaturstreit hat besonders die politische Hetze gegen Somalier zugenommen. Und diesen Herbst soll wieder gewählt werden. Da die weiter links stehenden Parteien in Dänemark bereits ankündigten, die scharfen Ausländergesetze nicht drosseln zu wollen, muss die DF in ihrer eigenen Logik nun noch weiter gehen, um sich rechts zu positionieren.
Wie wahrscheinlich ist eine Umsetzung des Vorschlags?
Mit ihrem Vorschlag macht die DF den klassischen Versuch, mit außenpolitischen Ideen und Protektionismus innenpolitisch zu punkten. Sie vergisst dabei allerdings, das europäisches Gemeinschaftsrecht nicht einfach von nationaler Seite aufgehoben werden kann. Gerade für solche Fälle, in denen radikale und populistische Parteien die europäische Einigung und Gemeinschaft beschädigen wollen, haben die Nationalstaaten gemeinschaftliche Abkommen getroffen. Das heißt vereinfacht: Dänemark kann so etwas nicht alleine entscheiden. Sollten sie dies tun, würden sie gegen geltendes Recht verstoßen.
Damit würde Dänemark allerdings nicht alleine stehen. Die EU-Kommission hatte jüngst eine Verschärfung des Schengen-Abkommens vorgeschlagen, um den Mitgliedsstaaten (insbesondere Frankreich und Italien) Grenzkontrollen wieder zu erlauben. Die Mehrheit der europäischen Bürgerlichen Parteien fürchtet sich scheinbar vor erwarteten Flüchtlingsströmen aus Nordafrika. Auch der neue Bundesinnenminister Friedrich unterstützt die von EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström vorgeschlagene Änderung des Abkommens. Die Festung Europa nimmt Gestalt an. Im Gegensatz zum dänischen Vorstoß allerdings in einem ordentlichen juristischen Vorgehen. Nachdem die Kommission und der Ministerrat für Innere Angelegenheiten hier weitgehend übereinstimmen, steht auf europäischer Ebene nur noch das Parlament dem Vorschlag kritisch gegenüber.
Auch auf Landesebene formiert sich Widerstand: Der Landtagsabgeordnete Bernd Voß (Grüne) forderte in einer Pressemitteilung Ministerpräsident Carstensen auf, sich bei den Dänen für die Erhaltung der offenen Grenzen einzusetzen. Auch die SPD-Abgeordneten Rolf Fischer und Birte Pauls sehen in der Dänischen Haltung eine europapolitische „Rolle rückwärts” und wünschen sich eine verstärkte Kooperation in der Dänisch-Deutschen Grenzregion.
Die Landesregierung scheint bemüht, den Ball flach zu halten und die Diskussion nicht ohne Not anzuheizen. Peter Harry Carstensen, der am Freitag in Kopenhagen an einem Verkehrs- und Wirtschaftssymposium der IHK Schleswig-Holstein teilnehmen und abends das Preopening Konzert des SHMF besuchen wird, wird von der liberal-konservativen dänischen Tageszeitung Berlinske zitiert:
I landdagen i Kiel ser man sagen „kritisk”, hedder det. „Den harmonerer ikke med den europæiske idé om fri bevægelighed” og „skyldes nok mest den danske valgkamp”, formodes det.
(Ungefähr: Im Kieler Landtag sieht man den Fall „kritisch”. „Das harmonisiert nicht mit dem europäischen Gedanken der Freizügigkeit” und „hänge wahrscheinlich mit dem dänischen Wahlkampf zusammen”, vermute man.)
Trotzdem steht seit dem gestrigen (11. Mai) Nachmittag eine parlamentarische Mehrheit im Folketing bereit, die den Vorschlag schnellstmöglich in ein Gesetz gießen möchte. Die geplanten Maßnahmen sähen vor allem permanente Kontrolleinrichtungen und Überwachungselektronik wie Kennzeichenscanner an der A7 und einigen Landstraßen vor. Außerdem sollen vermehrt mobile Kontrollteams in Zügen und Fähren zum Einsatz kommen. Schranken und Schlagbäume soll es allerdings vorerst nicht geben. In den nächsten 4 Jahren sollen für die Grenzsicherung 40 Millionen Euro ausgegeben werden.
Was bedeutet das für mich?
Vor allem die bis zu 4.000 Berufspendler könnten unter den Kontrollen zu Leiden haben, wenngleich die Arbeitsagentur Flensburg die Situation gelassen sieht. Nach Einschätzung der Sprecherin Silke Jahn würden die regionalen Kennzeichen des Raums Schleswig-Flensburg und Umgebung nicht „in erster Reihe bei Kontrollen stehen”. Wie die Umsetzung am Ende tatsächlich aussieht, bleibt abzuwarten.
Die Besitzer der Flensburger Einkaufszentren, die stark von den Dänischen Kunden profitieren, sehen ebenfalls gelassen in die Zukunft. Die Dänen hätten auch schon zu Zeiten der damaligen Kontrollen gern in Deutschland eingekauft.
Doch auch wenn die wirtschaftliche Situation sich nicht verändern sollte, ist die momentane Entwicklung mit Argwohn zu betrachten. Die Fähigkeit einer extremen Minderheitenpartei, über 10 Jahre den Diskurs in einem Land zu bestimmen, und die Feigheit der anderen Parteien, nicht dagegen vorzugehen, sind erschreckend. Und wieso sind die politischen Linien der Präsidenten Frankreichs und Italiens, des deutschen Innenministers und der schwedischen EU-Kommissarin so deckungsgleich mit der Linie einer kleinen, rechten Populistenpartei?
(Update: Der Absatz mit dem Zitat Peter Harry Carstensen aus der Berlinske (Die Landesregierung scheint bemüht …) war in der ersten Fassung versehentlich aus dem Text gerutscht)