Umfragen, so scheint es, sind sehr nützlich, um sich zu vergewissern, ob man zur Gruppe der Macht gehört beziehungsweise mittenmang dabei ist. Wenn die Parteien Umfragen bewerten müssen, verlangt das, Realismus und Zuversicht geschickt zu formulieren. Die Zögernden wollen aktiviert, die Aktiven motiviert, die Treuen bei der Stange gehalten und die Verlorenen gewonnen werden.
Zur Ausgangslage
So ging die Wahl 2009 aus. Und so sehen die Ergebnisse des NDR-Umfragen (Infratest dimap) im August 2010 und im Mai 2011 aus (Zahlen zitiert nach www.wahlrecht.de) :
Partei | Ergebnis LTW 2009 | Veränderung zur LTW 2005 | Umfrage August 2010 | Umfrage Mai 2011 |
---|---|---|---|---|
CDU | 31,5 | -8,7 | 32 | 33 |
SPD | 25,4 | -13,3 | 32 | 31 |
GRÜNE | 12,4 | +8,3 | 19 | 22 |
FDP | 14,9 | +6,2 | 5 | 4 |
LINKE | 6,0 | +0,7 | 4 | 2 |
SSW | 4,3 | +5,2 | 4 | 4 |
PIRATEN | 1,8 | +1,8 | s. Andere | s. Andere |
Andere | 3,6 | -1,1 | 4 | 4 |
Was geht?
Die CDU bleibt stärkste Partei. CDU, SPD und Grüne können in beliebiger Koalition Mehrheiten bilden. Der SSW (für den die 5%-Hürde nicht gilt) ist stabil drin. Die Linken sind weit davon entfernt, wieder in den Landtag einzuziehen. Die FDP kann immerhin noch bangen (Die Fehlerquote liegt bei 1,4 bis 3,1%).
Königsmacher? Zünglein an der Waage? Diese Worte sollten wir, wenigstens vorübergehend, zu den Akten legen. Die einen sind dafür aktuell zu stark, die anderen aktuell zu schwach. Nur wer ganz sicher gehen will, mag vielleicht den SSW fragen, ob er der Dritte im Bunde sein möchte.
Was sagen die Parteien in Schleswig-Holstein:
Der Spitzenkandidat der CDU, Christian von Boetticher, vergleicht die beiden NDR-Umfragen und stellt fest, dass die CDU neben den Grünen als einzige Partei zugelegt habe. Aber: „Bis zu unserem Ziel, in einem Jahr 40 Prozent der Wählerstimmen zu erreichen, liegt allerdings noch viel Arbeit vor uns.” Er setzt auf eine berechenbare und geradlinige Politik, mit der er Schleswig-Holstein bis 2020 aus der Schuldenfalle herausführen, die Bildungsqualität steigern und die Rahmenbedingungen für Ausbildung und Arbeitsplätze verbessern werde.
Torsten Albig, Spitzenkandidat der Sozialdemokraten, sieht eine Mehrheit für eine rot-grüne Landesregierung. „Das ist eine gute Basis für das bevorstehende Jahr, das ich dazu nutzen möchte, im Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern ein Zukunftsprogramm für unser Land zu entwickeln.” Wahlen zu gewinnen ist für ihn kein Selbstzweck. Es gehe jetzt darum eine stabile Basis zu schaffen, um ab 2012 Schleswig-Holstein wieder solide zu regieren und gerecht zu gestalten.”
Bei den Grünen freut sich deren Landesvorsitzende Marlene Löhr, dass ihre Partei seit über einem Jahr Zustimmungswerte von mehr als 20 Prozent habe: „Es bestätigt uns darin, weiterhin sehr sachlich Politik zu machen und Konzepte für ein Grünes Schleswig-Holstein zu erarbeiten, die auch in einer Regierung tragfähig wären.” Sie findet, dass sich aus den Umfragewerte keine Koalitionsautomatismen ergäben: der Wettbewerb um die besten Konzepte für Schleswig-Holstein stehe auch weiterhin an erster Stelle. Den Grünen sei es besonders wichtig, die Schleswig-Holsteinerinnen und Schleswig-Holsteiner in die Zukunftsgestaltung dieses Landes einzubinden.
Für den SSW erklärt Flemming Meyer, Landesvorsitzender, die zwei Ziele, die der SSW sich für die kommende Landtagswahl gesetzt habe: „Erstens wollen wir über 5% bekommen um wieder mit mindestens vier Abgeordneten im Landtag vertreten zu sein. Zweitens muss die schwarz-gelbe Landesregierung weg.” Beide Ziele sind seiner Meinung nach in Reichweite.
Wolfgang Kubicki, Fraktionschef der FDP im Kieler Landtag befand gegenüber dpa, dass seine Partei nicht in Panik verfallen werde: „Wir haben unsere Werte regelmäßig im letzten Jahr vor der Wahl von den Meinungsumfragen zum Wahlergebnis verdoppelt.”
Königsmacher wird es immer geben… nur wird dies 2012 jemand anderes sein als 2009.
Die Denke beim bisherigen „Könige machen” oder „Zünglein an der Waage sein” basiert auf den 2 1/2-Parteien-System der Nachkriegs-Bundesrepublik des 20sten Jahrhunderts, das wiederum auf den klassischen Milieus der Weimarer Zeit beruhte. Diese System haben wir nicht mehr. Den klassischen Königsmacher, der in dem Schröderschen Bild vom Koch und Kellner seinen peinlichen Abschluss fand, hat ausgedient. Wir haben seit einiger Zeit eine Gruppe von drei recht stabil starken Parteien. Ich kann mir vorstellen, dass die Linke, die FDP und eine rechte, nicht faschistische Partei ebenfalls hinreichend Wählerpotential binden können. Und, nicht mehr im tradierten rechts-linke-Schema gedacht, da sind auch Parteien wie die Piraten denkbar — sowie auf- und abtauchende Parteien des Zeitgeist, der Mode oder aktueller Protestthemen. Das passt auch ganz gut zu der nicht mehr nach dauerhaft strengen, engen Milieus sortierten Gesellschaft, sondern zu den „Sinus-Milieus” (deren Wandel durch Weiterentwicklung ja auch irgendwie ihr Wesen spiegelt). Mein Tipp: sechs bis acht Parteien, die wie kommunizierende Röhren ab- und zunehmen. Das bedeutet viel Wandel: Im Wahlrecht, in den praktischen Prozessen zur Mehrheitsfindung/-bildung oder bei jedweder Partizipation.
Ach ja, „Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen” soll Niels Bohr gesagt haben. Umfragen sind keine Wahlergebnisse. Selten haben einfache Trendverlängerungen wirklich die Zukunft vorhergesagt. Warten wir mal ab, ob die Wählerinnen und Wähler wirklich auf eine stärkere Zergliederung der Parteienlandschaft setzen oder es wieder zu Konzentrationsprozessen kommt. Zur Zeit sieht es ja eher so aus, als ob die Grünen hauptsächlich „auf Kosten” der anderen kleineren Parteien gewachsen sind. Von 1947 bis 1958 saßen übrigens auch schon 6 Parteien im schleswig-holsteinischen Landtag und wenn man dieser Umfrage glauben könnte, wären es ab 2012 nur noch 4. Ich finde zwar die ganzen Milieu-Diskussionen in diesem Zusammenhang auch sehr interessant, aber manchmal zeitlich und räumlich etwas kurz gegriffen. Viele neigen dazu, den relativ kurzen Zeitraum von 1961 bis 1983 mit nur vier Parteien und drei Fraktionen im Bundestag für den „Normalzustand” der parlamentarischen Demokratie zu halten. Das ist sowohl historisch als auch europaweit aber eher die Ausnahme.
Damit es wieder zu einer Konzentration auf wenige Parteien kommt, bedarf es eines Grundes. Ich kann den nicht erkennen.
Die Weimarer Republik war eine Zeit des Auf- und Umbruchs (ich bin in diesem Zusammenhang sehr beeindruckt von Peter Gay — Republik der Außenseiter). So lassen sich die vielen Klientel-orientierten Parteien erklären. Die klassischen Milieus konnten ihre Bindungswirkung nicht entfalten.
Und heute? Heute ist der soziale Kontext anders verwoben, dass merken die Parteien, die Gewerkschaften, die Kirchen, die anderen (ehemals) großen Vereine und Verbände. Wo es das nicht mehr gibt, kann es nicht mehr zu Prägungen, die zur (langfristigen) Identifikation mit einer Partei führen, kommen. Ich stamme z.B. aus einem zutiefst sozialdemokratischen Elternhaus, habe erst mühselig gelernt, dass es neben „der Partei” noch andere gibt und dass mich in der Schule alle immer mißverstehen, wenn ich von „der Partei” rede :-) Was an Bedeutung gewinnt ist die Frage nach dem eigenen politischen oder ökonomischen Nutzen, gelegentlich gepaart mit der stetigen indirekten Betroffenheit, die unsere vernetztere mediale Welt mit sch bringt. Das ist kein Boden, auf dem Konzentration gut wächst.
Wir werden uns wohl an einen häufigeren Wechsel einstellen müssen, keine dauerhaften Muster wie das aus der Ausnahmezeit der 1960ern und 1970ern , auf die Du zurecht hinweist. Und in so einer Welt, die ja nicht bedrohlich ist, ist keine Partei mehr Königsmacher — oder jede Partei kann nach einer Wahl in diese Rolle kommen.
Die Umfrage sagt ja nichts zu den Wählerwanderungen. Allein nach den Zahlen könnte man vermuten, dass die FDP an die Grünen abgegeben hat. Die Wahlanalysen in BW und RP haben nochmal deutlich gemacht, dass das Feld der Nichtwähler ein lohnender Acker ist. Die Grünen haben bürgerliche Wähler zudem aus allen Parteien an sich gezogen. Aktuell scheint das nicht dazu zu führen, dass sich das Protestwählerpotential nun eine neue Protestbewegung sucht.
Fast jede Zergliederung hat bisher irgendwann mit einem Konzentrationsprozess geendet, weil es in Zeiten allzu großer Vielfalt häufig eine Sehnsucht nach Übersichtlichkeit und Stärke gibt, die übrigens auch gefährlich sein kann. Ebenso haben größere Einheiten auch eine Tendenz wieder zu zerfallen. Beides kann man z.B. in der italienischen Politik der letzten Jahrzehnte gut beobachten. In welchem Zeitrahmen sich diese Prozesse abspielen hängt von vielen Faktoren ab, die zum Teil halt auch unvorhersehbar sind, weshalb ich da auch keine Voraussagen treffen mag.
Bisher haben sich aber gerade die Politilogen mit Voraussagen bezüglich Parteienentwicklung, die einen Zeitraum von mehr als 5 Jahren betrafen, immer blamiert. Scheint mir ein bißchen so zu sein, wie Börsenkurse oder das Wetter über längere Zeiträume vorhersagen zu wollen. In den 90ern wurde auch mit Verve die Überzeugung vertreten, dass uns die Arbeit ausgehen würde. Eine Folge war, dass die Qualifizierung des Nachwuchses auf der Strecke blieb (gibt ja eh genug, wir nehmen dann halt nur die Besten etc.). Und dann ist es doch anders gekommen und alles schreit Fachkräftemangel! Es gibt noch viele andere Beispiel, deshalb teile ich Bohrs grundsätzliche Skepsis zum Thema Vorhersagbarkeiten und warte ab, was der Souverän bei den Wahlen so tut oder lässt.
Nachtrag:
In der kurzen Weimarer Republik, auf die Du Dich beziehst, saßen übrigens bis zu 16 Parteien im Reichstag. Auch mit 5%-Hürde wären es bis zu 7 (!) gewesen.
Ich werde die Freien Wähler Schleswig-Holstein wählen, weil ich merke, das die derzeit im Landtag vertretenen Parteien den Schuldenberg immer größer werden lassen. Die Interessen des Bürgers werden kaum noch ernst genommen von den sogenannten Volksparteien, die keine mehr sind. Vielleicht schadet das jahrzehntelange durch-regieren von CDU und SPD dem demokratischen System, so das sich Lobby-istenverbände zu stark in die Politik einmischen, können.
Wie hoch ist denn der Blog der Nichtwähler gewesen 2009?