Schuldenbremse: Per aspera ad astra

Von | 10. Juni 2011

Um Schleswig-Holsteins finan­zi­el­le Lage steht es schlecht. Der Anteil der soge­nann­ten frei­wil­li­gen Leistungen im Landeshaushalt lag schon 1998 unter 5% der Gesamtausgaben. Der Rest ist ver­plant oder durch das Land nicht oder nur kaum beein­fluss­bar – für Löhne, Gehälter, Pensionen, Pflichtzahlungen und vor allem für eines: Zinsen.
Zur Zeit belau­fen sie sich auf 1 Milliarde Euro im Jahr, 2020 wer­den es schon 1,7 Milliarden Euro pro Jahr sein. Der Schuldenberg, den das Land ange­häuft hat, beträgt heu­te 27 Milliarden Euro, er erhöht sich bis 2020 auf wenigs­tens 33 Milliarden Euro.
1975 gab das Land für Vergangenheitslasten (Schulden, Pensionen…) 15% sei­ner Steuereinnahmen aus, heu­te sind es mehr als ein Drittel, 2020 wer­den es schon über 40% sein.

In die­ser Situation soll nun eine Schuldenbremse für Abhilfe sor­gen. Bis zum Jahr 2020 müs­sen die Länder ihre struk­tu­rel­le Neuverschuldung auf Null run­ter­fah­ren. Danach dür­fen sie nur noch Konjunktur-Dellen mit Krediten aus­glei­chen (die sie im Aufschwung wie­der zurück­zah­len müs­sen) oder in abso­lu­ten Notlagen Kredite auf­neh­men.

Doch die Bremse, die gera­de erst von allen Parteien (außer den Linken) in der Landesverfassung ver­an­kert wur­de, steht schon wie­der zur Debatte. Erst kürz­lich hat Thorsten Albig, Spitzenkandidat der Nord-SPD bei den Landtagswahlen am 6. Mai 2012, in einem Interview mit der Rheinischen Post gefor­dert, die Debatte über die Schuldenbremse neu zu füh­ren. Damit stell­te er den Sinn eines (Neu)verschuldungsstopps eben­so in Frage wie er sich ver­fas­sungs­recht­lich weit vor wagt. Ein guter Grund für den Landesblog, die­ses Thema in sei­ne Einzelheiten auf­zu­lö­sen.

Defizite — seit eh und je

Seit Jahrzehnte wird der Anstieg der Schulden wort­reich beklagt. 1983, älte­re Haushaltsdebatten stellt das Landtagsinformationssystem digi­tal nicht zur Verfügung, sag­te der dama­li­ge Finanzminister Roger Asmussen, dass der „schritt­wei­se Abbau der Neuverschuldung“ ein wesent­li­cher Schwerpunkt der dama­li­gen Landesregierung sei. Tatsächlich aber war und ist der Schuldenstand des Landes seit jeher ein ver­läss­li­cher Wachstumsbereich:

Quelle: Statistische Jahrbücher 2010/​11, 2005/​06, „Erfolgsrechnung“ der Regierung.
Die Beträge sind Millionen Euro (5.000 ent­spre­chen also  5 Milliarden Euro)

Auf der schiefen Ebene

Im Jahr 2006 zog Professor Helmut Seitz, Finanzwissenschaftler an der TU Dresden, in einem im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung erstell­ten Gutachten zur „Haushaltspolitischen Lage und Perspektive des Landes Schleswig-Holstein“ eine ver­nich­ten­de Bilanz: „Der Landeshaushalt (ver­fügt) über kei­ner­lei Risikoabsorptionsfähigkeit mehr. Erneute Einbrüche bei den Steuereinnahmen und/​oder zusätz­li­che unab­wend­ba­re Ausgabenlasten wür­den das Land in eine extre­me Haushaltsnotlage brin­gen, sofern nicht zügig und mas­siv finanz­po­li­tisch umge­steu­ert wird“. Die Folgekosten der Vergangenheit schränk­ten die Gestaltungsmöglichkeit in der Zukunft mehr und mehr ein: „Während 1975 nahe­zu die Hälfte der Einnahmen für zukunfts­ori­en­tier­te Investitionen in Infrastruktur- und Humankapital gelenkt wur­de, und ledig­lich cir­ca 15% zur „Vergangenheitsbewältigung“ genutzt wur­den, so wer­den heu­te weni­ger als 30% der Einnahmen für die Zukunftsorientierung auf­ge­wen­det, wäh­rend die Zins- und Pensionslasten zwi­schen­zeit­lich mehr als 25% der Einnahmen absor­bie­ren“.

Die Finanzkrise 2007 beleg­te erschre­ckend ein­drucks­voll die man­geln­de „Risikoabsorptionsfähigkeit“ der öffent­li­chen Haushalte: Die not­wen­di­gen Gegenmaßnahmen führ­ten zu einem wei­te­ren stei­len Anstieg der Verschuldung, zugleich bra­chen Einnahmen in einem in der Geschichte des Landes ein­ma­li­gen Umfang weg. Die im Gutachten ange­kün­dig­te Haushaltsnotlage für Schleswig-Holstein scheint sich, wie jüngst der Stabilitätsrat befand, trotz aller Mühen der aktu­el­len Landesregierung, zu bestä­ti­gen.

Letzte Ausfahrt

In den Verfassungen der Länder und des Bundes wur­de seit Ende der 1960er Jahre hin­weg die Höhe der Kredite, die ein Land auf­neh­men durf­te, an die Höhe der Ausgaben für Investitionen gekop­pelt. Bei einer „Störung des gesamt­wirt­schaft­li­chen Gleichgewichts“ durf­te man davon noch oben hin abwei­chen.

Dieser Nettoneuverschuldungsgrenze lag die Annahme zugrun­de, dass Investitionen etwas Werthaltiges sind, wes­halb man in ihrer Höhe auch Kredite auf­neh­men dür­fe. Die Belastungen durch die (höhe­ren) Schulden glei­chen sich mit den Vorteilen durch die öffent­li­chen Investitionen gene­ra­tio­nen­über­grei­fend aus. In der prak­ti­schen Umsetzung ver­sag­te die Regelung aus vie­ler­lei Gründen:

  • Mit ein­ma­li­gen Investitionen sind häu­fig dau­er­haf­te (kon­sum­ti­ve) Folgekosten ver­bun­den.
  • Der Begriff der Investition ist für öffent­li­che Haushalte, die Abschreibungen nicht ken­nen, Inventar nicht aus­wei­sen, Privatisierungserlöse nicht gegen­rech­nen und die Bewertung von Vermögen und Schulden man­gels Bilanzierung unter­las­sen, zu unge­nau.
  • Verzögert sich eine eta­ti­sier­te Investitionen, kön­nen Kredite gleich­wohl auf­ge­nom­men wur­den.
  • In „guten“ Zeiten wur­de nicht Schulden getilgt, son­dern die Ausgaben erhöht oder Steuern gesenkt.
  • Folgekosten der ange­häuf­ten Schulden wer­den ver­nach­läs­sigt
  • Die „Störung des gesamt­wirt­schaft­li­chen Gleichgewichts“ war so schwam­mig for­mu­liert, dass sie in den letz­ten Jahren zum Normalfall wur­de.

Da der Kurs in eine Sackgasse geführt hat­te, wur­de das bis­he­ri­ge Paradigma ver­wor­fen und neu defi­niert. Unter dem Eindruck der Finanzkrise beschlos­sen Bund und Länder 2009 eine Schuldenbremse — eine ver­fas­sungs­recht­li­che Regelung, die Bund und Ländern ver­bind­li­che Vorgaben zur stu­fen­wei­sen Verminderung des Haushaltsdefizits macht. Der Bund muss ab 2016 grund­sätz­lich ohne neue struk­tu­rel­le (das sind: nicht kon­junk­tur­be­ding­te) Kredite aus­kom­men. 2020 soll dann auch für die Länderhaushalte Schluss mit der struk­tu­rel­len Neuverschuldung sein. Konjunkturelle Dellen dür­fen in einem engen Rahmen durch Kredite aus­ge­gli­chen wer­den. Naturkatastrophen und außer­ge­wöhn­li­che Notsituationen las­sen Ausnahmen zu. Schleswig-Holstein nahm im Mai 2010, zur Finanzkrise hat­te sich die Eurokrise gesellt, eine dem Bund ver­gleich­ba­re, im Detail stren­ge­re, Regelung in die Artikel 53 und 59a sei­ner Verfassung auf .

Teufel versus Beelzebub?

Nun ist die Einführung der Schuldenbremse nicht ohne Kritik geblie­ben. Insbesondere von der Teilen der Linken, der Gewerkschaften sowie ihnen nahe­ste­hen­den Volkswirtschaftlern (Exemplarisch die Kritik von Prof. Peter Bofinger) wur­de die Schuldenbremse als Zukunftsbremse abge­tan. Die teil­wei­se sehr fun­da­men­tal vor­ge­tra­ge­ne Kritik kann mich im Ergebnis nicht über­zeu­gen:

  • Sie unter­stellt ein anti­zy­kli­sches Verhalten des Staates, das so nie statt­ge­fun­den hat.
  • Die Tatsache, dass der fak­tisch wider­stand­los wach­sen­de Verschuldensstand die not­wen­di­gen Spielräume zur akti­ven poli­ti­schen Gestaltung wei­ter und wei­ter ein­engt, wird ver­nach­läs­sigt.
  • Die unter­stell­ten Interdependenzen öffent­li­cher Haushalte, die auf einer Ebene wert­vol­le Ausgaben finan­zie­ren sol­len, wäh­rend die Ernte aus die­sen Investitionen ande­ren Ebenen zufließt, exis­tie­ren nicht.
  • Die Kritik löst nicht den Widerspruch auf, wie nach­hal­tig­keits­wirk­sa­me öffent­li­che Ausgaben über­haupt finan­ziert wer­den sol­len, wenn durch schon vor­han­de­ne Kreditfinanzierungs- und Tilgungskosten der Handlungsspielraum fak­tisch gegen Null ten­diert.
  • Sie irrt, wenn sie unter­stellt, Kredite sei­en zukünf­tig per se böse; die „Goldene Regel“, das mach­te auch der Sachverständigenrat in sei­nem Gutachten „Staatsverschuldung wirk­sam begren­zen“ deut­lich, soll nicht zu der Akte „Irrtümer der jün­ge­ren Geschichte“ gelegt, son­dern, nach­hal­tig begrenzt, wie­der vom Kopf auf die Füße gestellt wer­den.
  • Die Ausweitung des Investitionsbegriffs auf Ausgaben, die das Humankapital erhö­hen, ist durch­aus rich­tig. Ihm müss­ten dann aber auch, um die gemach­ten Fehler nicht zu wie­der­ho­len, die Abschreibungen gegen­über­ge­stellt wer­den. Das Gutachten des Sachverständigenrates legt (Ziffer 129) den Verdacht nahe, dass das im Ergebnis auf ein Nullsummenspiel hin­aus läuft.

Am 19. Mai 2010 beschloss der Kieler Landtag fast ein­stim­mig (ohne die Stimmen der Linken) die Aufnahme einer Schuldenbremse in die Schleswig-Holsteinische Landesverfassung. CDU, FDP, Grüne, SPD und SSW zeig­ten sich, wie ein Blick auf die Presseerklärungen der Fraktionen oder in das Protokoll der Sitzung belegt, rea­lis­tisch und gewillt, den Karren nicht wei­ter in den Dreck zu zie­hen.

Per aspera ad astra

Die Schuldenbremse steht nun in der Landesverfassung, wäre nur mit einer — aktu­ell nicht ersicht­li­chen — 2/3-Mehrheit zu ändern und wür­de zudem beim Wegfall ansatz­los durch die weit­ge­hend deckungs­glei­che Regelung im Grundgesetz ersetzt.

Weitgehend. Denn die Schleswig-Holsteinische Variante der Schuldenbremse ist in zwei Bereichen strin­gen­ter als die Bundesregelung: kon­junk­tu­rell bedingt auf­ge­nom­me­ne Kredite müs­sen in einem fes­ten Zeitraum wie­der zurück­ge­zahlt wer­den. Und die Feststellung einer „Naturkatastrophe oder außer­ge­wöhn­li­chen Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates ent­zie­hen und die staat­li­che Finanzlage erheb­lich beein­träch­ti­gen“, die eine außer­or­dent­li­che Kreditaufnahme erlaubt, bedarf einer 2/3-Mehrheit im Parlament. Das soll nicht hei­ßen, dass die Regelung lücken­los wäre. Man braucht nicht viel Phantasie, um sich Umgehungen aus­zu­ma­len: Verlagerung der öffent­li­chen Kreditaufnahmen auf Sondervermögen oder lan­des­ei­ge­ne Gesellschaften; unwirt­schaft­li­che Verkäufe von Vermögen; Leasing oder ÖPP-Maßnahmen — um nur eini­ge Ideen zu nen­nen.

Wer sich auf den Weg macht, Politik in Schleswig-Holstein zu gestal­ten, der muss neben die­sen Rahmenbedingungen auch noch diver­se wei­te­re finan­zi­el­le Untiefen ken­nen: Steigende Zinsen, eine etwai­ge Ausweitung oder Fortsetzung der Euro-Krise, die Folgen des demo­gra­phi­schen Wandels, der Anstieg der Pensionszahlungen für die Beamten, finanz­wirk­sa­me Beschlüsse des Bundes bedro­hen die freie Fahrt auf den Gewässern in und um Schleswig-Holstein.

Damit ist noch nicht Schluss: Die Einnahmen des Landes las­sen sich nur in gerin­gem Umfang selbst gestal­ten. Der Schuldenberg wird bis 2020 wei­ter anstei­gen und den Anteil der Kosten der „Vergangenheitsbewältigung“ anwach­sen las­sen — zu Lasten der Zukunftsinvestitionen. Die über­fäl­li­ge Strukturreform der Kommunen wird kein Selbstgänger wer­den und muss zudem kei­ne hohe Einsparpotentiale nach sich zie­hen. Das oben erwähn­te Gutachten von Seitz hat kei­ne „loh­nen­den“ ver­deck­ten Einsparpotentiale benannt, ein wider­spruchs­frei­es Kürzungspotential ist also nicht erkenn­bar.

Und immer noch kein Ende: Die Ausgaben im Landeshaushalt sind weit­ge­hend durch Bundesgesetze, recht­li­che Verpflichtungen oder ver­trag­li­che Bindungen gebun­den. Der Gestaltungsspielraum wäre also auch ohne die rund 130 Millionen Euro, die jeder zukünf­ti­ge Haushalt bis 2020 abspe­cken muss, klein.

Um neben dem Verzicht auf Neuverschuldung wie­der Handlungsspielraum für einen zukunfts­ori­en­tier­te Politik zu eröff­nen, müs­sen, wie das Gutachten von Seitz ein­drucks­voll belegt, die Ausgaben über Jahre deut­lich weni­ger stei­gen als die Einnahmen.

Die 80 Millionen Euro, die der Bund dem Land jähr­lich als Konsolidierungshilfe gewäh­ren wird, ver­spre­chen nur eine kaum spür­ba­re Entlastung und sind zudem end­lich, müs­sen also ab 2020 durch Landeseinnahmen ersetzt wer­den.

Es ist also wahr­lich kein Zuckerschlecken, Politik in Schleswig-Holstein gestal­ten zu wol­len. Aber Politik ist kein Ponyhof und bringt nur noch mehr Spaß, wenn Gestaltungswillen und nicht Spendierhose nach­ge­fragt wird.

Das Ziel, aus dem Blickwinkel der Geldströme betrach­tet, ist klar: Schleswig-Holstein muss wie­der ein hand­lungs­fä­hi­ger Staat wer­den, der sei­ne Altlasten im Griff hat, der auch auf­grund sei­ner Einnahmen hin­rei­chend freie Ausgaben zur Verfügung hat, um die poli­tisch not­wen­di­gen, zukunfts­prä­gen­den Maßnahmen, Förderungen und Investitionen nach­hal­tig zu leis­ten – ohne im Portemonnaie rum­krat­zen zu müs­sen und ohne den Staat (noch wei­ter) finan­zi­ell an die Wand zu fah­ren.

Was sich ändern muss

Was nicht hilft, ist ein rein fis­ka­li­sches Betrachten der Dinge. Auch wenn das nach all der Vorrede über­ra­schen mag: Politik ist in mei­nen Augen nicht: Landeshaushalt. Politik gestal­ten ist nicht: Geld aus­ge­ben. Politik darf sich nicht auf Haushaltsansätze, Einsparkorridore oder Streichlisten redu­zie­ren. Und umge­kehrt ist es ein Trugschluss, den Erfolg der Politik an dem Umfang der Spendierhose zu mes­sen. Politik muss sich mit der Realität aus­ein­an­der set­zen, sie ana­ly­sie­ren und auf die­ser Basis Konzepte und Visionen ent­wi­ckeln. Sonst wird sie zur sozi­al­ro­man­ti­schen Märchenstunde.

Wer arm ist, muss klug sein. Da kommt es drauf an.

Dafür braucht es einen aus­ge­präg­ten Willen zur Transparenz und eine Beteiligungsmentalität bei den poli­ti­schen Akteuren. Der erkenn­ba­re Wunsch vie­ler Bürger nach Beteiligung und Einfluss, häu­fig als „Wutbürger“ dis­kre­di­tiert, kann und muss genutzt wer­den, um die not­wen­di­gen Diskussionen offen zu füh­ren und die – sicher nicht beque­men – Entscheidungen nach­voll­zieh­bar zu tref­fen.

Betrachten wir zurück­schau­end die Subventionen für die Werften, in der Landwirtschaft oder im Bergbau, dann erken­nen wir, dass all das Geld den Wandel in die­sen Bereichen nicht ver­hin­der­te. Die Menschen mit ihren Problemen allein zu las­sen und die Verluste der Unternehmer zu sozia­li­sie­ren, ist kei­ne zukunfts­ge­rich­te­te (Wirtschafts)Politik. (Übrigens: das ist kein neo­li­be­ra­ler Schnack, son­dern ein fast wört­li­che Zitat von Jochen Steffen). Heute ist das Zauberwort „sys­tem­im­ma­nent.” Banken schmü­cken sich mit die­sem Zusatz, um Staatsknete zu for­dern. Weitere Branchen wer­den fol­gen. Und sicher sind auch die Grenzen man­cher Kreise oder Städte sys­tem­im­ma­nent.

Die auf uns zukom­men­den Verhandlungen im Länderfinanzausgleich eröff­nen die Chance, die finan­zi­el­len Dinge von Grund auf neu zu regeln. Von der neu­en Landesregierung, von den Parteien, die um mei­ne Stimme wer­ben, erwar­te ich, als Ergänzung zu den hier schon mal vor ein paar Wochen in die Runde gewor­fe­nen Ideen und Gedanken:

  • Wie soll die Steuergesetzgebung und Verteilung der Steuererträge neu geord­net wer­den?
  • Wie wer­den die Länder in die Lage ver­setzt, eige­ne, gestalt­ba­re Einnahmequellen zu erhal­ten?
  • Wie errei­chen wir Konnexität (Der Bundesgesetzgeber hat für einen finan­zi­el­len Ausgleich der von ihm defi­nier­ten Aufgaben zu sor­gen)?
  • Wie defi­nie­ren wir Investitionen neu?
  • Wie krie­gen wir alle Länder (und dem Bund) dazu, einem Altschuldenfonds bei­zu­tre­ten?

Was ich nicht brau­che, sind Kirchturmprediger und Gefälligkeitsredner, die ein­fach alles, vor allem aber ihr Spezialgebiet, als sys­tem­im­ma­nent, unver­zicht­bar oder Tabubereich bezeich­nen und sich zugleich zur Nachhaltigkeit ihrer Politik beken­nen — und die unbe­que­men Seite der Medaille nicht benen­nen oder irgend­wel­chen himm­li­schen Mächten über­las­sen wol­len. Was ich hören will an guten Taten soll nur das sein, was auch ein­ge­hal­ten wer­den kann. Was ich auch hören will ist das, was auf den Prüfstand kommt, was weg­fal­len soll. Butter bei die Fische.

Das muss nicht hei­ßen, dass es ab sofort kei­ne neu­en poli­ti­schen Initiativen mehr geben darf. Eine Schuldenbremse schafft weder Erbhöfe noch Denkverbote und über­legt das Land auch nicht mit einer Veränderungssperre. Nicht jede Initiative muss mit einem Kostendeckungsvorschlag ein­her­ge­hen. Keine Initiative des poli­ti­schen Mitbewerbers mit dem Hinweis auf die Schuldenbremse abge­lehnt wer­den. Das wäre unpo­li­ti­sche Kleinkrämerei. Das poli­ti­sche Koordinatensystem ist unstim­mig, wenn es einem das Gefühl ver­mit­telt, eine als not­wen­dig erkann­te Ausgabe sei allein wegen der Schuldenbremse nicht mög­lich. Die Schuldenbremse ist näm­lich kein poli­ti­sches Ziel son­dern ein Handwerkszeug, damit gestal­ten­de Politik mög­lich bleibt. Es wäre sinn­los, sie in Frage zu stel­len (Sinnvoll wäre viel­leicht eine Umbenennung. Sie ist näm­lich ihrem Wesen nach weder Bremse noch Schranke son­dern eine Leitplanke). In der Gesamtsicht der Vorschläge einer Partei oder Gruppierung muss aber erkenn­bar wer­den, dass das Prinzip der kom­mu­ni­zie­ren­den Röhren gelebt wird. Meinethalben auch: Yin und Yang. Sonst ist das poli­ti­sche Konzept unfer­tig, die Vision unglaub­wür­dig. Der Lackmustest lau­te­te also: Ein Programm ist gut, wenn es die Schuldenbremse nicht mehr erwähnt, son­dern ver­in­ner­licht hat.

Weil die Schuldenbremse kein Ziel, son­dern ein Werkzeug ist, ver­bie­tet es sich auch, zukünf­tig die Gestaltung der Politik allein nach der Höhe der Ausgaben zu dis­ku­tie­ren. Staatliche Einnahmen oder der Verzicht auf die­se durch Befreiungen sind kei­ne sakro­san­ten Beträge. Manchmal muss man sie auch erhö­hen.

Zurück auf Start

Was ich auch nicht brau­che, sind Interviews wie das, das Torsten Albig der Rheinischen Post gewährt hat und in dem er die Schuldenbremse in Frage stellt: „Schleswig-Holstein muss wie­der erfolg­reich wer­den. Ich habe mei­ne Zweifel, ob die Schuldenbremse mit ihren der­zei­ti­gen Vorgaben dafür die ein­zi­ge Wegweisung sein kann. Meine Sorge ist, dass sie an Akzeptanz ver­liert, wenn wir kurz­at­mig und will­kür­lich Ausgaben sen­ken und dann die nach­hal­ti­ge Lösung unse­rer wirk­li­chen Probleme aus dem Blick ver­lie­ren.”

Menno, es sagt doch kei­ner, dass die Schuldenbremse die ein­zi­ge Wegweisung ist. Der Landtag zum Beispiel hat doch auf Initiative der Sozialdemokratie zusam­men mit der Schuldenbremse eine Resolution beschlos­sen, die genau das aus­drückt. Und wer, wenn nicht Torsten Albig, soll denn eigent­lich der Ministerpräsident des Jahres 2012 sein, der da „kurz­at­mig und will­kür­lich“ Ausgaben sen­ken wird? Nein, da war die SPD schon wei­ter: „Eine Schuldenbremse allein macht kei­ne Politik. Politisch wird es bei ihrer Ausgestaltung“ sag­te die SPD-Landtagsabgeordnete Birgit Herdejürgen bei der Verabschiedung der Schuldenbremse. Und: Was sind denn die „wirk­li­chen Probleme“, die ein an die Wand gefah­re­ner Landeshaushalt nach­hal­tig lösen soll?

Auf die Nachfrage, ob er also die Schuldenbremse in Frage stel­le, wird es etwas unüber­sicht­lich. Wenn ich die Antwort rich­tig deu­te, dann schwebt ihm so etwas wie eine Verschiebung des Zeitpunkts des Neuverschuldungsverbotes (2020) nach hin­ten (2030?) vor.
Ich bin mir sicher, dass die dafür nöti­ge ver­fas­sungs­än­dern­de Mehrheit in Bund und(!) Land nicht wahr­schein­lich oder erkenn­bar ist. Ich glau­be auch nicht, dass zehn wei­te­re Jahre fort­ge­setz­ter Verschuldung die not­wen­di­gen Einschnitte in der Ausgabenstruktur ver­mei­den hel­fen wer­den. Im Gegenteil: Es erhöht nur die Chance, dass unser Land bis dahin kom­plett hand­lungs­un­fä­hig ist und das Parlament zu einer Quasselbude ohne Gestaltungsmöglichkeiten degra­diert wird. 
Ich bin mir ande­rer­seits sicher, dass die­ses aus der Hüfte geschos­se­ne Hin und Her einer Partei kei­ne Stimmen und ers­te Recht kei­ne Mehrheiten bringt — son­dern nur den Verdruss über „die Politiker“ för­dert. Es ist und bleibt näm­lich nichts ande­res als ein nicht halt­ba­res Versprechen. Ich ken­ne zwar kei­ne aktu­el­len Umfragen, bin mir aber gefühlt recht sicher, dass die Menschen in unse­rem Land ver­stan­den haben, dass die nächs­ten zehn Jahre schwer sein wer­den. Und ich bin mir sicher, dass sie einen guten Blick dafür haben, ehr­li­che Wahrheiten und halt­lo­se Versprechen zu unter­schei­den. Die zwei Prozent für die Linken kom­men nicht von irgend­wo her.

Was bleibt, ist der Eindruck, dass der im Triumpfzug gewähl­te Spitzenkandidat der SPD nach nur weni­gen Wochen viel Wert dar­auf legt, nicht über­schätzt zu wer­den. Nach der Ankündigung, die Kürzungen im kom­mu­na­len Finanzausgleich zurück­zu­neh­men und der Bestandgarantie für die Lehrerstellen kommt nun mit der eben­so frucht­lo­sen wie inhalt­lich fal­schen und ohne Not vom Zaun gebro­che­ne Diskussion um die Schuldenbremse der nächs­te finanz­po­li­ti­sche Clou. Wen soll das an die Wahlurne locken? Was ist die Taktik hin­ter all die­sen Vorstößen? Was kommt als nächs­tes? Wann kom­men end­lich die Ziele und Visionen, wes­halb man jeman­den zum Ministerpräsidenten wäh­len möch­te? Es geht doch nicht ums Geld, es geht um die Zukunft des Landes!


Von:

Swen Wacker, 49, im Herzen Kieler, wohnt in Lüneburg, arbeitet in Hamburg.

10 Gedanken zu “Schuldenbremse: Per aspera ad astra”:

  1. Oliver Fink

    Dem ist wenig hin­zu­zu­fü­gen. Außer viel­leicht, dass ich mir bei der Betrachtung als Kommunalpolitiker wün­schen wür­de, dass die Landespolitik die Konnexität end­lich auch gegen­über den Kreisen und Gemeinden übt. Die Beispiele dafür, dass Landesentscheidungen (und auch sol­che des Bundes!) kos­ten­mä­ßig der kom­mu­na­len Familie auf­ge­bür­det wer­den, sind Legion.

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    1. Oliver Fink

      Wie wür­dest Du denn den Rollgriff in den kom­mu­na­len Finanzausgleich zur Sanierung der Landesfinanzen bezeich­nen wol­len?

      Und wie die Entscheidung der vor­he­ri­gen Landesregierung zur Einführung von Regional- und Gemeinschaftsschulen beim gleich­zei­ti­gen Ausstieg aus der Schulbauförderung? Mit wel­chen Landesmitteln sol­len die Kommunen denn jetzt die lan­des­po­li­tisch indu­zier­ten Kosten aus offe­nen Ganztagsschulen sowie geän­der­ten Raumkonzepten auf Grundlage geän­der­ter päd­ago­gi­scher Konzepte finan­zie­ren?

      Sind wohl die Mittel für das kos­ten­lo­se drit­te Kindergartenjahr für die Kommunen aus­kömm­lich gewe­sen?

      Und… – ach, was reg’ ich mich auf…

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  2. Dieter HoogestraatDieter Hoogestraat

    Schleswig-Holsteins Schuldenberg ist also der Calvarienhügel, auf dem Thorsten Albig unbe­dingt enden will. In einem aber hat er Recht: „Einsparungen”, die in der Zukunft zu Kosten füh­ren — und zwar womög­lich zu Kosten, die noch über den ursprüng­li­chen „Einsparungen” lie­gen — wären genau das Gegenteil einer „Schuldenbremse”. Das könn­te zum Beispiel der Fall sein, wenn not­wen­di­ge Sanierungs- und Unterhaltungsmaßnahmen „ein­ge­spart” wer­den und anschlie­ßend Ruinen abge­wi­ckelt wer­den müs­sen. Ähnlich Desaströses ist in der Bildungspolitik denk­bar, wo „Einsparungen” jetzt zu hohen sozia­len Folgekosten spä­ter füh­ren kön­nen. Den haus­halts­po­li­ti­schen Schachzug „Dafür müss­ten dann aber Bund oder Kommunen auf­kom­men *grins*” darf man nicht gel­ten las­sen. Ansonsten: Ein tol­ler und vor allem wich­ti­ger Artikel. Klasse!

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    1. Swen Wacker Post author

      Kontraproduktive „Einsparungen” haben wir in Mengen und seit Jahren. Der Sanierungsstau an vie­len öffent­li­chen Gebäuden und Bauwerken, an und in Hochschulen und Uni-Kliniken ist für jeder­mann sicht­bar. Der Bau von Straßen erfolgt anschei­nend zuneh­mend mit hei­ßer Nadel …
      Bei die­sen Dingen zeigt sich die Grenze eines wirt­schaf­ten­den Systems, das in ein­zel­nen Jahren denkt. Der Haushalt einer Kommune, des Landes, des Bundes muss in einem Haushaltsjahr aus­ge­gli­chen sein, nicht „auf lan­ge Sicht”. Die Mittelfristigen Finanzplanungen, die vor­ge­legt wer­den, sind rela­tiv unver­bind­lich. Ich bin mir nicht sicher, ob eine dop­pi­sche Buchhaltung das Problem löst. Buchführung ist reak­tiv, sie zeich­net auf. Eine Kosten- und Leistungsrechnung hilft auch wenig, da sie eher auf die kurz­fris­ti­gen ope­ra­ti­ven Dinge schaut. Eine lang­fris­ti­ge, stra­te­gi­sche Planung, also so etwas wie eine Investitionsrechnung, muss neben den betriebs­wirt­schaft­li­chen Komponenten auf die poli­ti­schen Erwartungen berück­sich­ti­gen. Das ver­langt aber auch ein ande­res Denken in den Parlamenten und eine ande­re Art der Entscheidungsfindung bei den Abgeordneten. Solche Systeme ken­ne ich nicht, das wäre ein Riesenprojekt, sicher loh­nens­wert, täte aber weni­ger der Verwaltung als den poli­ti­schen Gremien sehr viel neu­es Denken abver­lan­gen.

      In einem sol­chen System kann man genau die­se Fragen ein­flie­ßen las­sen.

      Albigs Kritik an einer (von sehr vie­len) Entscheidungen, die auch nega­ti­ve Folgen haben kön­nen, ist aber nicht der Schuldenbremse zuzu­schrei­ben (hier irrt er in der Argumentationskette sträf­lich), son­dern ein Argument, das bei der Umsetzung der (im jet­zi­gen Denksystem nicht anzu­zwei­feln­den) Schuldenbremse zu berück­sich­ti­gen ist.

      Dabei soll­te man aller­dings auch auf­pas­sen, nicht zu Leuchtturmhaft auf eine von vie­len Stellschrauben zu schau­en: Bildungspolitik besteht nicht allein aus einer mög­lichst hohen Anzahl von Lehrern. Es geht, wenn wir den Erfolg von Bildungspolitik mes­sen wol­len, auch um deren Ausbildung, das System unse­rer Schulen, die Art des Unterrichts, den gesell­schaft­li­chen Stellenwert und dut­zen­de ande­re Komponenten. Und selbst die Anzahl der Stellen sagt nichts über die Kosten aus, weil ich damit ja noch kei­ne Aussage über das zu geben­de Stundensoll, das Gehalt der Lehrkräfte respek­ti­ve ihre Ausbildung/​Studium sage — es könn­ten ja auch mehr SozialarbeiterInnen an Schulen hilf­reich sein.

      Der Schachzug „dann müs­sen ande­re halt zah­len” ist in der Tat zwei­schnei­dig. Ausgaben auf die Kommunen zu ver­la­gern ist, außer wenn sie es erkenn­bar effi­zi­en­ter machen kön­nen, nicht hilf­reich: die kom­mu­na­len Haushalte hän­gen wei­test­ge­hend an Tropf der Länderhaushalte; das wäre ein Nullsummenspiel.
      Anders beim Bund: Das habe ich in mei­nem Artikel hier schon mal am Beispiel Steuerverwaltung ange­deu­tet. Zudem hat der Bund immer­hin die Möglichkeit, sei­ne (Steuer)Einnahmen zu ver­än­dern. Wobei ich mir erhof­fe, dass im Rahmen der anste­hen­den Diskussionen über die Bund-Länder-Finanzbeziehungen die Gestaltungsmöglichkeiten der Länder hin­sicht­lich ihrer Einnahmen ver­bes­sert wer­den.

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      1. Dieter HoogestraatDieter Hoogestraat

        In der Tat: Die Konzentration auf einen „aus­ge­gli­che­nen Haushalt“, der dann doch nur ein Jahr umfasst, ist – man ringt mit Worten, um nicht unhöf­lich zu wer­den – wenigs­tens naiv. Die Bildungspolitik, der Straßenbau und der Unterhalt öffent­li­cher Gebäude sind Beispielfelder, auf denen sich beob­ach­ten lässt, wel­chen Schaden die­ser Verdrängungsmechanismus anrich­tet.

        Auch die Doppelte Buchführung ist natür­lich kein Allheilmittel, auch nicht in Verbindung mit einer Kosten- und Leistungsrechnung. Doch ist sie eine gute Basis für ein Rechnungslegungssystem, das in der Lage sein muss, ver­schie­de­nen poli­ti­schen Strömungen ver­läss­li­che Daten zur Beurteilung ihrer Spielräume und der Auswirkungen ihrer Entscheidungen an die Hand zu geben.

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        1. Swen Wacker

          Warum „nur ein Jahr umfasst”? Die Schuldenbremse (sofern in der Verhandlungen zum LFA nichts ande­res ver­ein­bart wird) greift auch 2021 wei­ter. Dann liegt noch die Rückzahlung des Schuldenberges vor uns.

          Hier mal eine gro­be Schätzung: Das Land wird 2020 etwa 36 Mrd € Schulden haben, zahlt augen­blick­lich 1 Mrd an Zinsen. Das wer­den 2020 mehr sein, die Schulden stei­gen ja bis dahin und außer­dem ken­nen wir die Zinsentwicklung nicht. Unterstellen wir mal was total güns­ti­ges und 1.2 Mrd zu zah­len­de jähr­li­che Zinsen. Dann bräuch­ten wir schlap­pe 46,3 Jahre, um den Kredit bei 3 Prozent Zinsen und 1 Prozent Tilgung abzu­be­zah­len, 100 Mio monat­li­che Rate unter­stellt. Eine Altschuldenfonds, finan­ziert zu 50 Prozent aus einer Steuererhöhung /​ Streichung von Steuervergünstigungen und zu 50 Prozent aus einem Beitrag des Landes könn­te dem Land einem mas­si­ven Zuwachs an Investitionsmöglichkeiten geben.

          Der Verdrängungsmechanismus hat schon statt­ge­fun­den, hat uns in die jet­zi­ge Situation gebracht. Wer jetzt „wei­ter so” sagt, setzt den alten Verdrängungsmechanismus fort.

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          1. Dieter HoogestraatDieter Hoogestraat

            Swen, das „Haushaltsjahr“ hast du völ­lig rich­ti­ger­wei­se in dei­nem letz­ten Kommentar selbst ins Spiel gebracht. Erst durch die Konzentration auf das Haushaltsjahr wird es doch mög­lich, Folgen aus­zu­blen­den. Auf Seite 3 der Kieler Nachrichten von heu­te, 17. Juni 2011, war das in den Interviews mit Torsten Albig und Christian von Boetticher noch ein­mal in aller Klarheit nach­zu­le­sen. Dort lernt man auch, dass die Nebelkerzen, mit denen die Untauglichkeit einer sol­chen Rechnungslegung mit Begriffen wie „struk­tu­rel­le Verschuldung“, „nach­hal­tig“ und „auf­wach­sen­de Personalkosten“ ver­schlei­ert wer­den soll.

            Wer glaubt, es rei­che, Einnahmen und Ausgaben in Einklang zu brin­gen, der fällt auch auf ein „Kaufe heu­te, zah­len in zwei Jahren“-Angebot her­ein. Dummerweise hat er dabei immer noch einen aus­ge­gli­che­nen Haushalt. Wenn Albig – durch­aus mit guten Argumenten – die poli­ti­sche Elastizität der „Schuldenbremse“ aus­zu­tes­ten scheint: Was die Rechnungslegung, die Kontrolle der Auswirkungen eige­ner Entscheidungen also, angeht, steht ihm sein Konkurrent von der CDU in nichts nach. Dies ist in fast schon Freud’schen Sinne das Defizit, das den Verdrängungsmechanismus in Gang setzt

  3. Stefan Wehmeier

    „Die Ursache für das Sinken des Zinsfußes wird vor­züg­lich dar­in gefun­den, daß die beson­ders ren­ta­blen Kapitalanlagen gro­ßen Maßstabes heu­te erschöpft sind und nur Unternehmungen von gerin­ger Ergiebigkeit übrig blei­ben. …Nur ein all­ge­mei­ner euro­päi­scher Krieg könn­te die­ser Entwicklung Halt gebie­ten durch die unge­heu­re Kapitalzerstörung, wel­che er bedeu­tet.”

    (Aus der Zeitschrift des Sparkassenverbandes, 1891)

    „Trotz der hei­li­gen Versprechen der Völker, den Krieg für alle Zeiten zu äch­ten, trotz der Rufe der Millionen: ‚Nie wie­der Krieg’, ent­ge­gen all den Hoffnungen auf eine schö­ne­re Zukunft muß ich sagen: Wenn das heu­ti­ge Geldsystem, die Zinswirtschaft, bei­be­hal­ten wird, so wage ich es, heu­te schon zu behaup­ten, daß es kei­ne 25 Jahre dau­ern wird, bis wir vor einem neu­en, noch furcht­ba­re­ren Krieg ste­hen.
    Ich sehe die kom­men­de Entwicklung klar vor mir. Der heu­ti­ge Stand der Technik läßt die Wirtschaft rasch zu einer Höchstleistung stei­gern. Die Kapitalbildung wird trotz der gro­ßen Kriegsverluste rasch erfol­gen und durch Überangebot den Zins drü­cken. Das Geld wird dann gehams­tert wer­den. Der Wirtschaftsraum wird ein­schrump­fen, und gro­ße Heere von Arbeitslosen wer­den auf der Straße ste­hen. An vie­len Grenzpfählen wird man dann eine Tafel mit der Aufschrift fin­den kön­nen: ‚Arbeitssuchende haben kei­nen Zutritt ins Land, nur die Faulenzer mit voll­ge­stopf­tem Geldbeutel sind will­kom­men.’
    Wie zu alten Zeiten wird man dann nach dem Länderraub trach­ten und wird dazu wie­der Kanonen fabri­zie­ren müs­sen, man hat dann wenigs­tens für die Arbeitslosen wie­der Arbeit. In den unzu­frie­de­nen Massen wer­den wil­de, revo­lu­tio­nä­re Strömungen wach wer­den, und auch die Giftpflanze Übernationalismus wird wie­der wuchern. Kein Land wird das ande­re mehr ver­ste­hen, und das Ende kann nur wie­der Krieg sein.”

    Silvio Gesell, 1918

    Es dau­er­te tat­säch­lich „kei­ne 25 Jahre” vom Ende des ers­ten bis zum Beginn des zwei­ten Weltkrieges. Der drit­te Weltkrieg wäre in den 1980er Jahren fäl­lig gewe­sen und wur­de nur durch die ato­ma­re Abschreckung bis in die Gegenwart ver­hin­dert. Durch das Ausbleiben die­ser „über­fäl­li­gen Sachkapitalzerstörung” hat die Zinsumverteilung — sowohl inner­halb der Nationalstaaten als auch zwi­schen den Staaten — heu­te ein nie dage­we­se­nes Ausmaß erreicht, sodass die Weltwirtschaft auf ein Phänomen zusteu­ert, das der „Jahrhundertökonom” John Maynard Keynes als „Liquiditätsfalle” bezeich­ne­te: der mit­ge­kop­pel­te — also sich selbst beschleu­ni­gen­de — Zusammenbruch des Geldkreislaufs und damit der — irrever­si­ble — Zusammenbruch der gesam­ten Arbeitsteilung – das Ende jeg­li­cher Kultur.

    Liquiditätsfallen hat es in der Geschichte der halb­wegs zivi­li­sier­ten Menschheit vie­le gege­ben (schon solan­ge der Mensch Zinsgeld, anfangs Edelmetallgeld, benutzt) und alle Kulturen und Weltreiche sind an der Zinsumverteilung von der Arbeit zum Besitz zugrun­de gegan­gen. Heute ste­hen wir vor der abso­lu­ten Steigerung die­ses Phänomens: die glo­ba­le Liquiditätsfalle! Die Heilige Schrift bezeich­net die­ses Ereignis als „Armageddon”.

    Um die größ­te anzu­neh­men­de Katastrophe der Kulturgeschichte recht­zei­tig abzu­wen­den, bedarf es der „Auferstehung der Toten”. Als geis­tig Tote sind alle Existenzen zu bezeich­nen, die vor lau­ter Vorurteilen nicht mehr den­ken kön­nen. Es folgt der eigent­li­che Beginn der mensch­li­chen Zivilisation. Herzlich Willkommen im 21. Jahrhundert: http://www.deweles.de

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  4. Jopa

    Was dem Land /​ der Landespolitik vor allem fehlt, ist eine Art Bewußtsein dafür, wo man eigent­lich steht und wo man hin will, im kauf­män­ni­schen Bereich auch Strategie genannt. Die Frage, wie das Ganze jeweils zu finan­zie­ren ist, beant­wor­tet sich damit im Allgemeinen teil­wei­se schon selbst.

    Dies wür­de aller­dings zunächst eine rela­tiv offe­ne und scho­nungs­lo­se Aufnahme des Status Quo ver­lan­gen, und ange­sichts mei­nes Eindrucks, daß man sich schon dies­be­züg­lich gern in die Tasche lügt (von der sich anschlie­ßen­den Frage des Ziels mal ganz abge­se­hen), bin ich eher wenig opti­mis­tisch, son­dern neh­me an, daß es beim Durchwurschteln bleibt, so weh mir der Gedanke auch tut.

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