Richterschelte: Innenminister als neue Alice Schwarzer?

Von | 20. Juni 2011

Der ita­lie­ni­scher Regierungschef Silvio Berlusconi hat eine von ihm ange­streb­te Justizreform damit begrün­det, man habe „fast eine Diktatur der lin­ken Richter”. Was nicht passt, wird also pas­send gemacht? Demokratien funk­tio­nie­ren glück­li­cher­wei­se anders, als Hobbyhandwerker, Despoten oder Berlusconis sich das so vor­stel­len. Ihr inne­res Gleichgewicht ist eben­so fili­gran wie sta­bil aus­ta­riert. Und wenn mal einer, ohne lan­ge nach­zu­den­ken, einen Nagel in die Küchenwand schlägt, dann rich­tet es die Zeit: Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse erbos­te sich über ein Pfandbon-Urteil eines Berliner Gerichts — das spä­ter, ganz ohne Thierse, vom Bundesarbeitsgericht gekippt wur­de.

Peinlicher ist schon, wenn einer erst lan­ge vor sich hin­denkt und dann trotz­dem fröh­lich ober­halb der Steckdose Nägel in die Wand schlägt. Klaus Schlie, Innenminister in Schleswig-Holstein ist anschei­nend so ein Hobbybastler.

Was war gesche­hen? Am 6. Juni hat­te eine Gericht einen Polizisten wegen „gefähr­li­cher Körperverletzung im Amt” zu einer Geldstrafe in Höhe von 6.300 Euro. Er hat­te Pfefferspray, nach Überzeugung des Gerichts: „unver­hält­nis­mä­ßig”, also ohne Not, ein­ge­setzt. (Update: Sachverhaltsdarstellung des Gerichts, Presseerklärung des LG Itzehoe vom 01.06.2010). Innenminister Klaus Schlie hat der Richterin des­halb am 15. Juni einen Brief geschrie­ben und sie dar­an zu einer „Nachtfahrt” mit Polizeibeamten ein­ge­la­den. Damit nichts schief läuft, will er gleich mit­fah­ren und hat den Brief in der Landespolizei her­um­ge­schickt – unter vol­ler Nennung des Namens der Richterin. Hier ist der Brief im Wortlaut: Seite 1, Seite 2, das Landesblog hat den Namen der Richterin enfernt.

Vorweg zwei Dinge zu Klarstellung:

Ist Richterschelte sakro­sant? Nein, Richterschelte ist Ausdruck der öffent­li­chen Meinung. Da müs­sen Richter aus­hal­ten, dafür wer­den sie (hof­fe ich doch) geschult. Sie urtei­len schließ­lich „im Namen des Volkes” und betrie­ben kei­ne Geheimbündelei. Wer mal in juris­ti­schen Fachzeitschriften blät­tert, der sieht aber auch schnell, dass Kritik an Urteilen üblich ist – und nicht sel­ten deut­lich im Ton.

Kann sich ein Innenminister nicht vor sei­ne Polizisten stel­len? Ja, er kann nicht nur, er muss es sogar: Um zu zei­gen, dass er hin­ter „sei­nen“ Polizisten steht, selbst wenn einer tat­säch­lich mal dane­ben gele­gen haben soll­te. Und um zu zei­gen, dass man auch die Probleme des all­täg­li­chen „klein­klein“, die schnell mal zum „gro­ßen“ Ereignis wer­den kön­nen, im Auge hat. So setzt man ein Signal, das sagt, dass man stets dar­auf ach­ten wird, die Vorschriften der Polizei und die Ausbildung der Polizisten so zu gestal­ten, dass sie den beruf­li­chen Alltag sinn­voll und effek­tiv beglei­ten.

Und wie soll man das machen, wenn nicht durch Briefe schrei­ben? Ein Ministerium hat viel­fäl­ti­ge Möglichkeiten der Öffentlichkeitsarbeit, kann Fachtagungen orga­ni­sie­ren, mit dem Justizminister Meinungen aus­tau­schen über die Ausbildung von Richtern, kann viel­fäl­tigs­te Fortbildungen, Kongressen, Broschüren, Fachaufsätzen und noch vie­les mehr ver­an­stal­ten oder ver­öf­fent­li­chen, um die Öffentlichkeit und die fach­lich Interessierten über die eige­nen Motive, Sorgen und Nöte auf­zu­klä­ren. Ein Minister, der das nicht macht, füllt sein Amt nicht gut aus.

Der Brief, den Klaus Schlie geschrie­ben hat, erfüllt all dies nicht. Und das, nach­dem der Minister für sei­ne feh­ler­freie Ermessensentscheidung gan­ze 10 Tage Zeit hat­te — nicht wie der Polizist, der in Sekunden ent­schei­den muss­te.

Was dar­über hin­aus an dem Brief zu kri­ti­sie­ren ist:

Als Verfassungsminister soll­te der Innenminister wis­sen, dass der ein­zig erfolg­ver­spre­chen­de Weg gegen Urteile vor Gericht führt. Anderes gilt nur für die Bildzeitungsreporterin Alice Schwarzer oder ande­re Vertreter des Boulevards. Ein Verfassungsminister darf kei­nen Zweifel dar­an las­sen, dass die Gerichte als ver­fas­sungs­ge­woll­te Kontrollfaktoren der Exekutive nicht in den Geruch kom­men dür­fen, Büddel der Exekutive zu sein; „Einladungen“ zu per­sön­li­chem Erleben sind das Gegenteil. Richter wür­di­gen Sachverhalte voll­stän­dig, machen sich ein Bild vom Geschehen, befra­gen Zeugen und Beteiligten, wägen ab und ent­schei­den dann aus „Gründen“ — das mag einen im Einzelfall (den ent­schei­den Gerichte) mal gefal­len und mal nicht; der Hinweis, das Gericht möge doch mal kon­kre­te Arbeitsbelastungen und -erleb­nis­se per­sön­lich mit­er­le­ben ist schlicht nichts ande­res als der Vorwurf, das Gerichte habe die­se Dinge nicht berück­sich­tigt. Wobei: Wir wis­sen ja noch nicht ein­mal, ob das Gericht die­se Fragen nun abge­wo­gen hat oder nicht: Substantiierte Kritik ist augen­blick­lich nicht mög­lich, da das Urteil noch nicht schrift­lich vor­liegt. Um das Urteil ging es aber anschei­nend eh nicht. Denn sonst wäre uns die Wiedereinführung des öffent­li­chen Pranger als Mittel der (in jeder Hinsicht) Niederen Gerichtsbarkeit erspart geblie­ben. Der Minister ver­schickt und ver­öf­fent­licht einen Brief an eine Richterin mit vol­ler Namensnennung und dienst­li­cher Adresse der Richterin. Wer hat­te das gedacht bei einem Minister, der sich gegen Namensschilder oder ande­re ein­deu­ti­ge Kennzeichnungen bei Polizisten mit Händen und Füßen wehrt.

Innenminister Klaus Schlie hat mit sei­nem unge­schick­ten und dann auch noch ver­öf­fent­lich­ten Briefe Porzellan zer­schla­gen und der Landespolizei eine Bärendienst erwie­sen.

Was bleibt, ist die Suche nach dem Motiv.
Richterin? Ob er auch einen Mann so ange­schrie­ben hät­te? Das mag sein, kann aber kein Motiv sein. 
Wahlkampf? Kann es eigent­lich nicht sein. Ein Minister, der mit Richterinnenschelte ver­sucht, Wähler zu gewin­nen, die nicht wis­sen, dass es zum nor­ma­len Alltag einer Demokratie gehört, wenn die eine Instanz eines Gerichts mal so und nächst­hö­he­re dann so ent­schei­det, fischt in über­sicht­lich gro­ßen Gewässern.
Fürsorge? Wer mit Menschen spricht, die für Klaus Schlie arbei­ten oder gear­bei­tet haben, der hört immer wie­der: Der steht zu sei­nen Leuten, der steht vor sei­ner Mannschaft. Es wäre nun aber zu ein­fach, all das mit einen „der ist nun mal so“ abzu­tun. Das beant­wor­tet nicht, war­um all die ande­ren Wege nicht began­gen wur­den.

Nein, so darf ein Verfassungsminister nicht han­deln. Der in sei­ner Kritik eben­so sach­li­che wie deut­li­che Brief von Justizminister Emil Schmalfuß Seite 1, Seite 2, Seite 3, auch hier haben wir den Namen ent­fernt) zeugt von Souveränität. Es wäre schön, wenn wir das Niveau die­ses Briefes am 22. Juni, wenn sich der Innen- und Rechtsausschuss mit dem Thema beschäf­tigt, hal­ten könn­ten. Zum Beispiel mit einem Innenminister, der sich ohne Wenn und Aber für sei­ne began­ge­ne Dummheit ent­schul­digt, beson­ders bei der Richterin.

Von:

Swen Wacker, 49, im Herzen Kieler, wohnt in Lüneburg, arbeitet in Hamburg.

8 Gedanken zu “Richterschelte: Innenminister als neue Alice Schwarzer?”:

  1. KielKontrovers

    Was hat jetzt bit­te Alice Scharzer damit zutun?

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    1. Tim Schlotfeldt

      Alice Schwarzer ist durch eine sehr eige­ne Berichterstattung über den soge­nann­ten Kachelmann-Prozess in der Bildzeitung auf­ge­fal­len …

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      1. Swen Wacker

        Danke, ich mer­ke gera­de, dass ich den Schwarzer-Satz irgend­wann raus­ge­kürzt habe. Ich hät­te ihn aber nur ein­kür­zen sol­len, weil mir das Bild immer noch gefällt.

        Reply
        1. Tim Schlotfeldt

          Das Bild hat mir auch gefal­len, obwohl es im Grunde sehr böse ist. Es passt aber zum aktu­el­len Zeitgeist, der mit Recht und Verfassung sehr groß­zü­gig umzu­ge­hen scheint.

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          1. KielKontrovers

            Also wenns daraum geht, dass sie im Prozess ein­sei­tig Stellung bezo­gen hat, so kann ich das sehr gut nach­voll­zie­hen. Es ist ja bekannt, dass gera­de in Vergewaltigungsprozessen eigent­lich in den wenigs­ten Fällen Täter ver­ur­teilt wer­den. Da sag­te ja auch mal ein Richter letz­tes Jahr im Fernsehen, dass er sei­ner Tochter, falls sie betrof­fen wäre von einer Klage abra­ten wür­de, weil es unwür­dig wäre und der Täter eh frei­ge­spro­chen wür­de. Dazu fin­de ich bedarf es durch­aus eines Gegengewichtes. Also unab­hän­gig vom Frau Schwarzer: Dieser Vergleich hinkt!

    1. Swen Wacker

      Sollten sie? Für mich war das ein Einstieg, weil auch hier jemand etwas pas­send machen will. Dito Thierse.

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