Das Landesblog pflegt eine Seite, auf der alle Facebook-Accounts der Landtagsabgeordneten verzeichnet sind. Wir machen das als Service und habe nie vorgehabt, die Accounts irgendwie in eine wertende Reihenfolge zu bringen. Schon, weil es an einem überzeugenden Maßstab für „richtige“ Facebook-Benutzung fehlt.
Ich könnte sagen, was ich für falsch halte: Sich anmelden und dann nie was machen. Oder: Freundschaftsanfragen nur einmal im Monat beantworten — wunderbar erkennbar am stets an Ausschusssitzungstagen wiederkehrenden „Paula Baumann ist jetzt mit Fred Clausen und 122 weiteren Personen befreundet“. Oder: ausschließlich mit der Drittverwertung von Tweets und Presserklärungen vollgemüllte Nachrichtenströme.
Ich kenne aber kein „richtig” bei Facebook. Social media hat viel mit Kommunikation zu tun; mit der Idee, sich untereinander inhaltlich — aber nicht: formal — auszutauschen. Social media ist keine Visitenkarte. In der deutschen Übersetzung Soziale Medien darf man nicht in den sprachlichen Fehler verfallen, sozial mit dem fürsorgerischen und leicht von oben herab schauenden Deutung zu verwenden, sondern sollte eher an Gemeinsamkeit, Verbundenheit auf Augenhöhe denken. Das gibt die Richtung vor, eröffnet Spielraum und bringt dabei auch einige klare Regel mit. Zum Beispiel: Stehe zu dem, was Du sagst. Sage das, wozu Du stehst. Sei authentisch.
Wir müssen bestimmte gesellschaftliche Regeln für den Umgang mit social media lernen. Am Beispiel der Zwiebel Facebook: Zuerst erschlägt uns die Fülle des Angebots. Dann erkennen wir fast intuitiv die Einfachheit des Angebotes. Um dann schließlich die Schale zu sehen, die uns die Details der Verästelungen der Facebook-Feinheiten präsentiert. Ist eine private Seite „besser” als eine Fan-Seite? Muss eigentlich jede Institution als private Seite daherkommen oder ist eine Fan-Seite oder eine Gruppe nicht auch was Gutes?
Anders gefragt: Schmücken wir nicht auch unserer eigenes Ego, wenn wir uns mit Giselle Bündchen oder Sascha Lobo befreunden können, anstatt deren Fanpage toll zu finden?
Und wie gehen eigentlich Medienvertreter mit Facebook um? Darf der Journalist, das, was er auf der Seite des mit ihm befreundeten Politikers liest, als Nachricht verwenden. Oder ist das nicht eher „unter C” oder weitergehend einfach nur was privates. Ich handhabe das zum Beispiel so und würde nie etwas unreflektiert auf dem Landesblog veröffentlichen, ohne mich gefragt zu haben, ob ich die Nachricht nur deshalb sehe, weil jemand mit mir befreundet ist. Ich glaube nicht, dass das jeder so reflektiert macht. Angesichts der Tatsache, dass mehr und mehr Mitglieder der Landespressekonferenz bei Facebook sind, wäre diese Diskussion gelegentlich sinnvoll.
Bei der Frage nach Facebook und dem Privaten muss man nicht gleich das ganz große Rad drehen und das Ende der Privatheit, je nach Gusto, herbeisehen oder beklagen. Man kann das auch ganz schlicht beantworten: Wer am öffentlichen Strand ins öffentliche Wasser geht, wird nass und wird sich vor allen anderen abtrocknen und umziehen. Na und? Das erfordert Souveränität. Bei jedem Schritt. Und ist schnell Gewohnheit. Heute sind Sachen normal und alltäglich, die es gestern noch nicht waren. Ein alter Hut.
Christian von Boetticher ist so ein öffentlich Badender. Er hat, schon seit längerem, einen privaten Facebook-Account und, wie sich das für einen Prominenten Politiker mit Ambitionen in diesen Tagen scheinbar gehört, ganz viele „Freunde“ bei Facebook (Ich schreibe Freunde in Anführungszeichen um zu betonen, dass bei Facebook der Begriff „Freunde” anders gedeutet werden muss als in anderen Kontexten). Und wie das halt so ist in der vernetzten, veröffentlichten Welt, hat er zu einer politischen, schwierigen Veranstaltung nicht zugesagt und dann am Abend des Termins die Mondfinsternis Facebook-öffentlich betrachtet. Darüber haben sich manche (Parteifreunde) aufgeregt. Nicht zum ersten Mal. Ihm war schon vor längerem, als er Bilder von einem Poloturnier auf Sylt veröffentlichte, angelastet worden, so etwas tue man nicht. Warum auch immer. Wenn er so ist, dann ist er so. Und sollte sich nicht verbiegen.
Zukünftig will er nun sein öffentliches Bad kontrollierter nehmen, auf einer privaten privaten Seite und auf einer Fan-Seite. Viele seiner FB-Freunde erhielten die Tage eine Nachricht, in der Christian von Boetticher „liebe Facebook-Freunde“ darauf hinwies, dass er sich angesichts des bevorstehenden Landtagswahlkampfes in Schleswig-Holstein dazu entschlossen habe, sein private Facebook-Profil zu eben dem: sein privates Facebook-Profil zurückzuführen. Wer ihn in Zukunft auch via Facebook erfahren möchte, der gehe zu seiner „Fan-Seite” und drücke bitte einfach den „Gefällt mir“-Button.
Ich habe die Mail nicht bekommen. Er ist nämlich einer der wenigen Landespolitiker, die meine Freundschaftsanfrage nie beantwortet haben. Ich habe ihm das nicht krumm genommen, sondern dachte mir nach der Sylt-Geschichte, dass er mit Anfragen halt umsichtiger vorgehe. Es gibt keine Pflicht, auch nicht für öffentliche Personen, jeden als Freund zu akzeptieren. Und die Privatperson Christian von Boetticher ist mir, im besten Sinne des Wortes, eh egal. Und wenn ich unbedingt was wissen will, dann rufe ich (als Blogger) halt seinen Pressesprecher an oder schreibe ihm (als Bürger) eine E-Mail.
Als Blogger werde ich neben den üblichen Quellen (privates Archiv, RSS-Feed, Mails und Google, Anruf beim Pressesprecher …) halt auch den „Gefällt mir”-Knopf bei Facebook beklicken. Das stört mich nicht. Wie die meisten Leute, die bei Facebook sind, weiß ich, dass man das mit dem „Gefällt mir“ nicht wörtlich nehmen darf und beklicke ständig aus Informationsinteresse Quellen, die mir bestenfalls „egal” sind.
Die Schwachstelle ist also nicht Facebook, sondern unser Umgang damit. Wenn Christian von Boetticher sein privates Profil überschaubar halten möchte und Dinge trennt, die er trennen möchte, dann soll er das tun — natürlich mit ehrlicher, klarer Argumentation und ohne Ausflüchte, sonst wird das Private zum Geheimen und damit Anlass zur Kritik. Sein „Rückzug“ taugt also per se erstmal nicht zum Skandal. Ebenso wenig, wie vermeintliche „Ich bin so betrunken“-Tweets von Ralf Stegner Aufreger sind. Darüber regt sich nur auf, wer sich morgens ausgiebig mit Moralin die Zähne bürstet.
Zum Skandal wird so etwas erst (und nur), wenn man zu den offensichtlichen Dingen nicht steht.
Mir fallen ganz andere Dinge ein, über die sich eine politische Diskussion lohnte. Bei Facebook zum Beispiel: Wem gehört Schleswig-Holstein?
Aktuell beackert das anscheinend die Staatskanzlei, die dort eine eher zufällig anmutende Mischung aus Ferienland, Regierungsmeinung und Veranstaltungskalender vertreibt. Schleswig-Holstein gefällt ein Sammelsurium an Facebook-Seiten (KN-online.de, Wirtschaftsministerium Aktuell, delta radio, urlaub in schleswig-holstein*shz.de — Nachrichten aus Schleswig-Holstein, SG Flensburg Handewitt, Ostsee / Baltic Sea / Mer Baltique und Stanfour), wo man sich fragt, was das denn bitte für eine Mischung sein soll? KN und Delta-Radio ja, LN, RSH und NDR nein? Private Seiten wie das Ostsee-Dings, aber Eckernförde oder das IfW nicht? Die Flensburger SG, nicht aber der THW Kiel? Eine Musikband, bei Facebook aktive Bürgermeister wie Hans-Jürgen Kütbach oder Andreas Breitner aber nicht? Dafür darf dann aber in der Timeline tagelang Werbung rumstehen? (Nachfolgend eine Auswahl von Meldungen, die heute (21. Juni) Mittag, teilweise schon seit Tagen, zu sehen waren:
Bei aller Freude und Nachsicht über das „ausprobieren“ wäre, auch angesichts des Geldes, das die Regierung des Landes Schleswig-Holstein für mediale Beratung ausgibt, ein spürbares Konzept für den Auftritt bei Facebook längst überfällig. Und die Fraktionen und der Landtag, die so gern Heimat für die Beauftragten des Landes sein wollen, sollten sich fragen, warum sie ausgerechnet bei einem öffentlichkeitswirksamen Auftritt die Lufthoheit über den Begriff Schleswig-Holstein klaglos der Exekutive überlassen? Stört das denn niemanden im Landtag? So kurz vor Wahlkampf?
So eine Diskussion könnte ich verstehen. Wenn sich die Aufregung aber auf den seinen Facebook-Account aufräumenden Christian von Boetticher konzentriert, dann fehlt mir der Glaube an die Ernsthaftigkeit der Diskussion. Da sollte man die Aspekte social media und parteiinterne Kommunikation sauber trennen.
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