Klaus Schlie wird wohl einer sein, der Niederlagen wegstecken kann. Das hat er 2004 bewiesen, als ihm, nach einem Wahlkampfauftakt voller Pleiten, Pech und Pannen, der Posten des Wahlkampfmanager entzogen wurde und er dann obendrein bei der Bildung der großen Koalition (2005) dem Proporz zum Opfer fiel und nicht als Innenminister ins Kabinett kam sondern als Staatssekretär für Verwaltungsmodernisierung und Entbürokratisierung ins Kieler Finanzministerium einzog.
Er kann sich aber auf alle Fälle glaubhaft und überzeugend entschuldigen. Das bewies er zu Beginn der gestrigen (22. Juni) Sitzung des Innen- und Rechtsausschusses des Kieler Landtages, als er sich öffentlich, vor dem anwesenden Vater, für Fehler seiner Polizei bei der Identifizierung einer im November 2010 bei Brunsbüttel angeschwemmten Leiche entschuldigte. Durch eine unglückliche Kette von Versäumnissen, teils in Bremen, größtenteils in Kiel, war die Identität der jungen Frau erst im Juni 2011 festgestellt worden.
Doch wenn es um im Grunde einfache Sachverhalte geht, dann klappt das nicht. Eine zaghafte Opposition nutze die Chance nicht.
Fast 1 ½ Stunden bewegte sich in Kieler Innen- und Rechtsausschuss die Diskussion um den Brief des Innenministers an eine Elmshorner Richterin (das Landesblog berichtete) kurz oberhalb der politischen Grasnarbe. Dabei hätte es so einfach sein können: Wohl aus durchaus ehrenwerten Gründen hat sich der Innenminister vergaloppiert. Hätte er gesagt: Tut mir leid, mittlerweile erkenne ich auch, dass das mit dem Brief Mist war, dann hätte man sich nach weiteren drei Minuten mit oppositionellen Du, Du, Du über die Sache unterhalten können, nämlich über (später zu ziehende) Konsequenzen aus dem wohl durch die Instanzen gehenden Urteil. Dem Polizeiminister ging es im Grunde um zwei Dinge: Wegen der hohen Verunsicherung in der Polizei nach dem Urteil eines Elmshorner Gerichts über den Einsatz von Pfefferspray wollte er klar stellen, dass dessen Einsatz seiner Meinung nach auch ohne gegenwärtigen körperlichen Angriff weiterhin polizeirechtlich gerechtfertigt sein könne. Diese Rechtsauffassung habe er der Polizei vermitteln wollen. Außerdem habe er einen öffentlichen Diskurs zu dem Thema initiieren wollen.
Man braucht nicht viel (politischen) Verstand um zu erkennen, dass ein Brief an die Richterin das unsinnigste Mittel ist, um dieses Ziel zu erreichen. Allenfalls Plakat-Aktionen in der Antarktis oder Gespräche vor wilden Tieren wären noch untauglicher gewesen. Aber nein, die Zuhörer im Sitzungszimmer 142 im Landeshaus musste wieder und wieder hören, dass Herr Schlie mit dem Brief keinen Einfluss auf die Justiz ausüben wollte (was im Ergebnis durchaus zutrifft — den Brief hat sicher keiner in der Richterschaft wirklich ernst genommen) und dass das auch nicht in den Brief hinein interpretiert werden könne (was sicher auch stimmt, denn es ist so offensichtlich, dass man da nichts hinein interpretieren muss). Wieder und wieder wiederholte er Variationen des Mantras „Ich habe das Urteil nicht bewertet“ und „Ich wollte einen öffentlichen Diskurs eröffnen“. Nützt alles nichts: Der Brief ist eine Bewertung; wäre er es nicht, hätte er die Adressatin mangels Grund nicht zur nächtlichen Streifenfahrt einladen können. Das ist so banal, das ich mich wundere, warum nach der vierten Wiederholung niemand schreiend den Raum verlassen hat. Und einen öffentlichen Diskurs damit zu eröffnen, dass die Richterin namentlich in die Öffentlichkeit gezerrt wird und noch vor der Bekanntgabe des schriftlichen Urteils eines vermeintlich Besseren belehrt werden soll, kenne ich nur aus dem Gossenjournalismus der BILD-Zeitung. Mal ganz abgesehen davon, dass Diskurs, jedenfalls in meinen Sprachgebrauch, was mit einem an Verständnis und Verständigung orientierte Austausch auf Augenhöhe zu tun hat. Und nicht mit einseitigen, von oben herab belehrenden nächtlichen Streifenfahrten.
Klaus Schlie stand dann auch allein da. Justizstaatssekretär Michael Dölp, der in Vertretung von Justizminister Emil Schmalfuß in den Ausschuss gekommen war, war sichtlich bemüht, den Ball flach zu halten und verwies wortkarg auf den Brief seines Ministers und sagte leise etwas von Dienstwegen. Der FDP-Abgeordnete Gerrit Koch fand, er hätte den Brief nicht geschrieben, wenn er Rechtssicherheit in der Polizei und die Sensibilisierung der Gerichte hätte erreichen wollen. Und auch der CDU-Abgeordnete Michael von Abercron hob nicht zur Verteidigung seines Parteifreundes an, sondern fragte nach, ob die Fortbildung der Gerichte wohl noch verbessert werden müsse.
Die Opposition fand unisono, dass man die Verunsicherung der Polizei ernst nehme müsse, deshalb habe man ja auch am 10. Juni einen Bericht des Innenministers im Ausschuss hierzu erbeten. Die Sinnhaftigkeit des Handelns des Ministers erschloss sich aber keiner der vier Oppositionsparteien.
Eine Trennung des Briefes des Verfassungsministers an eine Richterin von dem Sachverhalt Einsatz von Pfefferspray gelang nicht wirklich. Trotz der Vorwürfe, der Minister haben Grenzen überschritten, sein „untauglicher Versuch der Einschüchterung“ sei „unsäglich“, sein Bericht vor dem Ausschuss zeuge von „Uneinsichtigkeit“ und allenfalls der „besonnene“ Brief des Justizministers sei lobenswert, gelang es nicht, den Innenminister politisch zu stellen. Dabei bot der CDU-Politiker genügend Angriffsfläche. Den Vogel schoss in meinen Augen Thorsten Fürter (Grüne) an, als er den Begriff Untersuchungsausschuss in den Mund nahm. Jetzt mal im Ernst: Der Brief von Herrn Schlie ist zwar voll Panne, aber beileibe keine Staatsaffäre. Damit würde man dem Ganzen eine Bedeutung zumessen, die es nicht hat. Und die Handelnden sind bei weiten keine so gewieften Taktiker, dass man hier staatsgefährdend Böses vermuten müsste.
Man kann gespannt sein, ob es der Opposition gelingt, in der kommenden Woche in der beantragten aktuellen Stunde nicht in kleinliches Hickhack zu verfallen sondern ein politische Debatte zu provozieren, der es sich zuzuhören lohnt.
Update: In einer früheren Version des Artikel stand, dass die große Koalition 1995 eingegangen wurde. Das ist falsch gewesen.
gibt es denn tatsächlich niemanden in diesem gremien, der verantwortungsvoll und kompetent agiert. Was für ein theater! Ist das alles, was unser land an politischer intelligenz zu bieten hat?
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Ob Herr Schlie durch die vorsätzliche Umgehung seines Ministerkollegen Schmalfuß und den Versuch der Einflussnahme auf die Unabhängigkeit der Justiz eine Staatsaffäre ausgelöst hat, mag jeder selbst beurteilen.
Dass ich den Begriff des Untersuchungsausschusses in den Mund genommen habe, erscheint mir aber eine verkürzte Darstellung, da der Eindruck stehen bleiben könnte, ich würde einen solchen fordern oder auch nur befürworten.
Ich habe aber — im Gegenteil — gesagt, dass wegen der vorliegenden Schreiben, die den Vorgang gut dokumentieren, eben gerade KEIN Untersuchungsausschuss notwendig ist.
Ja, der Eindruck ist bei mir auch entstanden: Aus dem Hinweis, dass wegen der beiden veröffentlichten Briefe kein Untersuchungsausschuss nötig sei, habe ich gefolgert, dass die Grünen andernfalls einen für nötig gehalten hätten. Ich erkenne an, dass meine Verkürzung „den Begriff Untersuchungsausschuss in den Mund nahm” ohne diesen Hinweis missverstanden werden kann.
Zu der vorsätzlichen Umgehung von Justizminister Schmalfuß: Warum ist eigentlich gestern Minister Schlie nicht dafür angegangen worden, als er (sinngemäß zitiert aus meiner Erinnerung, ich habe meinen Notizzettel auf dem heimatlichen Schreibtisch liegen) in der Tat sehr klar sagte, er hätte „eine Einflussnahme von Minister Schmalfuß auf seinen Brief nicht haben wollen”? Spätestens hier fragte sich der interessierte Zuschauer ja, ob in der Regierung über jemand regiert (führt, leitet)?
Hallo Herr Wacker,
diese Frage halte ich für berechtigt und genau das habe ich gemeint, als ich von einer vorsätzlichen Übergriff in den Geschäftsbereich des anderen Ministers sprach. Mittelbar hat er dies durch seine Äußerung, die ich so erinnere wie sie, auch zugegeben.
Wir werden versuchen, dies mit Landtag aufzugreifen. Im übrigen bin ich mit der Leistung der Gesamtoppostion gar nicht so unzufrieden.
Dass kein Mitglied der Regierungsfraktion sich getraut hat, den unsinnigen Schritt des Herrn Ministers Schlie zu verteidigen — worauf sie zurecht hinwiesen — spricht für sich, finde ich. Ich glaube, dass Herr Schlie von dem Gegenwind, den er bekommen hat, selbst überrascht war.
Es lohnt sich an dieser Stelle festzuhalten, dass auch der Justizminister einer Richterin keine Anweisungen erteilen kann. Insofern ist es völlig egal, ob hier in den „Geschäftsbereich” eines anderen Ministers eingegriffen worden sein sollte. Zum „Geschäftsbereich” der gesamten Exekutive, und mithin auch des Justizministers, gehört garantiert nicht die Einflussnahme auf die Justiz. Sollte diese Auffassung von handelnden Personen vertreten werden, empfiehlt sich vor der Aktuellen Stunde ein kleiner Kurs in Verfassungskunde. Vielleicht könnte ein Richter des Landesverfassungsgerichts mal „belehrend” eingreifen.