Der Zählappell in der Regierungskoalitionen im Kieler Landtag scheint gut verlaufen zu sein: Alle Mann an Bord und alle bereit, um für das Glücksspielgesetz in die Wanten zu steigen. CDU und FDP wollen in der kommenden Woche im Kieler Landtag den eingebrachten Entwurf eines Glücksspielgesetzes in dritter Lesung beschließen.
Das Gesetz soll die Lücke schließen, die der zum Jahreswechsel auslaufende Glücksspielstaatsvertrag reißen wird. Der von 15 Bundesländern ausgehandelte Nachfolger war im Juli von der EU-Kommission in sieben Punkten wettbewerbsrechtlich scharf kritisiert worden. Zuvor hatte es, insbesondere bei FDP, Grünen und Netzaktivisten, erhebliche Bedenken gegen die im Vertragsentwurf vorgesehenen Netzsperren gegeben. Es gilt deshalb als unsicher, ob die für das Inkrafttreten erforderlichen Zustimmung von 13 Bundesländern überhaupt zusammenkommen werden.
Nach der eindeutigen Absage der EU zum Entwurf der 15 Bundesländer hatte man in Kiel wohl mehr Bewegung im Rest der Republik erwartet und sogar eine unübliche dritte Runde in der Parlamentsbefassung eingelegt. Aber anscheinend ist es hinter den Kulissen recht still geblieben. Da die Kieler Koalition sich zu Gute schreibt, dass der schleswig-holsteinische Entwurf wettbewerbsrechtlich in Brüssel notifiziert wurde, will man nun im Land zwischen den Meeren Fakten schaffen und das Gesetz beschließen: „Unsere Landesbehörden können sich damit auf das Ende des aktuellen Glücksspielstaatsvertrages der 16 Bundesländer einstellen und die nötigen Weichenstellungen für eine verfassungs- und europarechtskonforme Regelung vornehmen“, so FDP-Fraktionschef Wolfgang Kubicki.
Aber eine Hintertür bleibt offen: Konzessionen, die auf der Grundlage des neuen schleswig-holsteinischen Glücksspielgesetzes erteilt werden, gelten erst ab März 2012. „Wir haben immer gesagt, dass eine schleswig-holsteinische Einzellösung in Zeiten zunehmender internationaler Zusammenarbeit und einer weltweiten Vernetzung nicht unsere bevorzugte Lösung ist. Deshalb geben wir die Hoffnung nicht auf, dass es doch noch zu einer gemeinsamen Lösung kommen wird“, sagte Hans-Jörn Arp, stellvertretender Vorsitzender der CDU-Fraktion.
CDU und FDP im Kieler Landtag hatten stets betont, dass sie kein uferloses Zockerparadies zwischen Sylt und Lübeck eröffnen wollen und zum Beispiel auf die im Gesetzesentwurf beschriebenen Maßnahmen zur Suchtprävention hingewiesen. In diesem Bereich sollen nun sogar „noch weitere Verbesserungen vorgenommen“ werden, so Werner Kalinka von der CDU: „Wir stärken die Kontrolle, werden über eine Verordnung die Zuverlässigkeitskriterien präzisieren, nehmen Berichtspflichten über die Wirksamkeit des Spielerschutzes auf und sorgen über einen Fachbeirat für den Ausschluss anstößiger Wetten.” Das und ein ebenfalls heute vorgelegter Resolutionsentwurf, nach dem die Landesregierung bereits in der Novembersitzung des Landtages einen ersten Entwurf für ein eigenes, schärferes Spielhallengesetz vorlegen soll, das dem „ausufernden Automatenspiel” — nach Meinung vieler Experten mit einem hohen Suchtpotential ausgestattet — Einhalt gebietet, haben anscheinend letzte Zweifel in der Koalitionsreihen besänftigt. Auch soll die ursprünglich geplante neue Aufsichtsbehörde entfallen und die Glücksspielaufsicht nun doch durch das Innenministerium erfolgen — finanziert durch kostendeckend erhobene Gebühren.
Ob die Opposition das auch alles toll findet, kann bezweifelt werden. Die Grünen, anscheinend durchaus offen für die Idee, den faktisch bestehenden Onlineglücksspielmarkt jedenfalls teilweise zu regulieren, hatten erst vor wenigen Tagen einen umfangreichen, sehr detaillierten und noch unbeantworteten Fragenkatalog veröffentlicht. Sie werden deshalb sicher aufmerksam Änderungen im Entwurf beäugen, die der CDU-Abgeordnete Werner Kalinka gestern (6. September 2011) verkündete: „Es wird keine Anstalt gegründet, wie ursprünglich im Entwurf der Koalitionsfraktionen vorgesehen, sondern die Landesregierung wird über die Vergabe der Lizenzen entscheiden. Diese werden zeitlich begrenzt. Lizenzen aus anderen EU-Ländern gelten nicht automatisch in Schleswig-Holstein.“
SPD-Fraktionschef Ralf Stegner hatte vor wenigen Tagen den schwarzgelben Plänen eine klare Abfuhr erteilt und vor einem „Las Vegas im Norden“ gewarnt. Er sieht das Land durch die Ideen von CDU und FDP zur Liberalisierung des Glücksspiels „isoliert und auf dem Holzweg“. Die Landesregierung solle sich besser „für die Fortsetzung einer gemeinsamen Glücksspielregelung in der Bundesrepublik Deutschland durch Abschluss eines neuen Glücksspielstaatsvertrages“ engagieren.
Peter Harry Carstensen, der als Ministerpräsident im Herbst turnusgemäß den Vorsitz der Ministerpräsidentenkonferenz übernimmt, steht vor der schweren Aufgabe, die Länder und dem im Hintergrund wohl bremsend wirkenden deutschen Lotto- und Totoblock von einem neuen, EU-konformen Staatsvertragsentwurf zu überzeugen. Keine Aufgabe, um die man ihn beneiden würde: Denn das sogenannte Kohärenzprinzip verpflichtet die Mitgliedsstaaten der EU, in sich stimmige und widerspruchsfreie Rechtslagen zu schaffen. Ein Staatsvertrag für 15 Länder und ein Extrawurst für Schleswig-Holstein werden da wohl keinen Bestand haben können.