Schleswig-Holstein ordnet das Glücksspiel neu

Von | 14. September 2011

Wie zu erwar­ten, haben CDU und FDP heu­te (14. September 2011) im Kieler Landtag ihr Gesetz zur Neuordnung des Glücksspiels in nament­li­cher Abstimmung mit 46 zu 45 gegen die Stimmen der Opposition beschlos­sen. Die Koalition ent­schloss sich zu dem Alleingang, nach­dem die ande­ren Bundesländer sich bis­lang nicht auf einen EU-kon­for­men neu­en Vertragsentwurf eini­gen konn­ten. Der bis­he­ri­ge­re Glücksspielstaatsvertrag, der Ende des Jahres aus­läuft, war vom Europäischen Gerichtshof wegen sei­ner Wettbewerbswidrigkeit gekippt wor­den. Der Nachfolgevorschlag der 15 ande­ren Länder war im Sommer von der EU-Kommission wegen sei­ner offen­sicht­li­chen EU-recht­li­chen Mängel ver­wor­fen wor­den, wäh­rend der Kieler Entwurf in Brüssel wett­be­werbs­recht­lich noti­fi­ziert wor­den sein soll. Innerhalb Deutschland waren zudem die im Entwurf ent­hal­te­nen Netzsperren von Grünen und FDP abge­lehnt wor­den. Pikant: Ausgerechnet Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Peter-Harry Carstensen muss nun ver­su­chen,  den ande­ren Ländern einen EU-Rechtskonformen Vertrag ohne Netzsperren zu ent­lo­cken: Schleswig-Holstein über­nimmt tur­nus­ge­mäß im Oktober den Vorsitz der Ministerpräsidentenkonferenz.

Mit dem Beschluss kön­nen sich die Anbieter von Sportwetten oder Online-Casinospiele und -Poker in Schleswig-Holstein nie­der­las­sen. Buchmacher und Spiele-Anbieter kön­nen eine Fünf-Jahres-Lizenz bean­tra­gen, auf die eine Abgabe von 20 Prozent des Ertrages an das Land zu ent­rich­ten ist. Bis zu 60 Millionen Euro pro Jahr soll das ein­brin­gen. Geld, das bis­lang an der Landeskasse vor­bei­fließt, da die Anbieter im Ausland fir­mie­ren. Das Veranstaltungsmonopol für das in der Vergangenheit stark rück­läu­fi­ge Lotto behält das Land. Das Gesetz hält eine Tür für eine län­der­über­grei­fen­de Lösung offen: Die Konzessionen wer­den erst ab dem März 2012 gel­ten.

Während der Christdemokrat und Handlungsreisende in Sachen Glücksspiel Hans-Jörn Arp CDU der Auffassung war, dass damit „Grauzonen und Illegalität“ besei­tigt wird und der libe­ra­le Frontmann Wolfgang Kubicki froh­lock­te, dass Schleswig-Holstein Geschichte schrei­be und – nicht typisch für Liberale – einen bis­her unkon­trol­lier­ten Markt regu­lie­re, unter­stell­ten die Oppositionsparteien den in der Vergangenheit häu­fig genug nicht glück­lich agie­ren­den Koalitionären, sie bedien­ten allein pri­va­te Profitinteressen und begä­ben sich ins poli­ti­sche Abseits. Trotz der im Gesetzesentwurf vor­han­de­nen Regelungen zum Spielerschutz befürch­te­te die SPD eine grö­ße­re Zahl der von Spielsüchtigen. Praktische Vorschläge, wie ein EU-Rechtskonformer Staatsvertrag aus­se­hen müss­te und wie ein Verbot ohne Netzsperren gehen soll, blieb die Fraktion aber wei­ter schul­dig. Sie setz­te auf die Empörungskarte, pro­phe­zei­ten den (wei­te­ren) Niedergang des Lotto- und Totospiels, befürch­te­te gar den Rauswurf Schleswig-Holsteins aus dem Deutschen Lotto- und Toto-Block und unter­stell­te dem schwarz-gel­ben Gesetzesentwurf, er sei (nur) „angeb­lich netz­sper­ren­frei“. Für die SPD kün­dig­te Ralf Stegner an, man wol­le das Gesetz nach dem Wahlsieg bei der Landtagswahl im Mai 2012 zurück­neh­men.
Der mög­li­che Koalitionspartner argu­men­tier­te dif­fe­ren­zier­ter: Monika Heinold warf den Staatskanzleien der ande­ren Länder Sturheit und Realitätsferne vor. Sie hielt eine Liberalisierung grund­sätz­lich für ange­bracht, lehn­te den Gesetzesentwurf im Ergebnis aber wegen des „dilet­tan­ti­schen Vorgehens“ und des „gna­den­lo­sen Erpressungsversuches“ gegen­über den ande­ren Ländern ab. In einem Antrag leg­ten die Grünen Leitlinien vor, an denen sich eine bun­des­ein­heit­li­che Liberalisierung ori­en­tie­ren soll­te. Der Antrag schließt Netzsperren expli­zit aus. Der ent­spre­chen­de Antrag der SPD legt sich hin­ge­gen inhalt­lich nicht fest, spricht sich nur pau­schal und ergeb­nis­of­fen für wei­te­re Verhandlungen mit den Ländern aus und erwähnt Netzsperren nicht.

Die Ausschussberatungen dau­er­ten bis kurz vor Sitzungsbeginn. Schwarz-Gelb, ver­mut­lich auch auf Druck aus den eige­nen Reihen und wegen sehr detail­lier­ter Nachfragen der Grünen, zim­mer­te an dem seit Monaten vor­lie­gen­den Gesetzesentwurf bis zur letz­ten Sekunde her­um. Zu Beginn der Plenarsitzung konn­te der Ausschussvorsitzende nur münd­lich berich­ten, da die Synopse noch nicht vor­lag. Unter ande­rem soll nun die Suchtarbeit und die Schuldnerberatung stär­ker aus der Glücksspiel-Abgabe geför­dert wer­den. Das Glücksspiel an Automaten wird durch ein von der Regierung noch in die­sem Jahr vor­zu­le­gen­des neu­es Spielhallengesetz stren­ger regu­lie­ren wer­den. In einem wei­te­ren Antrag bekräf­ti­gen CDU und FDP, ihre Absicht, „gemein­sam mit ande­ren Ländern ein dem ille­ga­len Glücksspiel ent­ge­gen­wir­ken­des, euro­pa­rechts­kon­for­mes Glücksspielrecht zu schaf­fen.“ Zudem will man sich Erkenntnisse über straf­ba­rer Geldwäsche im Zusammenhang mit Spielhallen, Spielcasinos und Glücksspiel ver­schaf­fen.

Offen blieb aus mei­ner Sicht die Frage, ob ein schles­wig-hol­stei­ni­scher Alleingang der erfor­der­li­chen Kohärenz im deut­schen Glücksspielrecht genü­gen kann. Es ist offen­sicht­lich, dass eine Regelung des inter­net­ba­sier­ten Glücksspiels durch ein sin­gu­lä­res Landesgesetz nicht durch­grei­fend mög­lich ist. Die zu ver­mu­ten­de Absicht, dass der Beschluss an der Kieler Förde die ande­ren Länder antrei­be und den Glücksspielunternehmen zugleich signa­li­sie­re, man sol­le sich schon mal hier ansie­deln, kann auf­ge­hen, muss aber nicht auf­ge­hen.
Weltfremd ist es, den ille­ga­len Glücksspielmarkt durch Verbote und Ignoranz aus­tro­cken zu wol­len. Wenn das so ein­fach mög­lich wäre, dann könn­ten wir auch ganz schnell per Landesgesetz Kriege in ande­ren Ländern ver­bie­ten.
Netzsperren sind Dünnsinn, alter­na­ti­ve Methoden zum effek­ti­ven Verbot sind nicht erkenn­bar. Warum die SPD sich den­noch nicht expli­zit gegen Netzsperren aus­spricht, bleibt unver­ständ­lich. Ihre Argumentation, die allein auf eine Skandalisierung des pein­li­chen Antichambrieren von Hans-Jörn Arp, Wolfgang Kubicki und Christian von Boetticher auf Veranstaltungen der Glückspielkonzerne abzielt, aber die Auseinandersetzung mit dem real exis­tie­ren­den und prak­ti­zier­ten Glückspiel im Internet scheut, ist wenig über­zeu­gend. Den Grünen muss man aner­ken­nen, dass sie mit einem ange­nehm unauf­ge­reg­tem Sinn für Realismus an die Sache her­an­gin­gen und auch eige­ne Positionen in Frage stel­len.
Der Entwurf der ande­ren 15 Länder ist der erkenn­bar hilf­lo­se Versuch, das staat­li­che Lotto und Toto-Spiel vor sei­nem wei­te­ren Untergang zu ret­ten, indem man ver­bie­tet, was nicht sein darf. Solche Vogel-Strauß-Mentalität igno­riert die Realität von zig­mil­lio­nen Deutschen, die online pokern oder Sportwetten abschlie­ßen, ist schlicht (und) unpo­li­tisch. Die Lotto-Umsätze wer­den, dafür muss man kein Prophet sein, wei­ter in den Keller rau­schen. Das Spiel ist – auch durch die Konzentration auf eini­ge weni­ge Gewinne und das Verbot des Onlinespielens – unin­ter­es­sant gewor­den und lockt nach­wach­sen­de Generationen nicht mehr an. Lotto droht das Schicksal der Kegelbahn: Der Durchschnittsspieler ist ein Jahrgang mit Johannes Heesters. Die Innovationen hem­men­de föde­ra­le Struktur und die Animositäten zwi­schen den Lottogesellschaften geben dem Modell den Rest. Zweistellige Umsatzrückgänge in den letz­ten Jahren wer­den, wenn der Block sich nicht refor­miert, zu einem immer grö­ßer wer­den­den Rückzug der Lottoannahmestellen aus der Fläche füh­ren. Mit oder mit ohne Glücksspielgesetz.

Von:

Swen Wacker, 49, im Herzen Kieler, wohnt in Lüneburg, arbeitet in Hamburg.

5 Gedanken zu “Schleswig-Holstein ordnet das Glücksspiel neu”:

  1. Joe

    Pharisäer !!!
    Noch vor kur­zem jubel­te die CDU Frau zu Guttenberg, der BILD und RTL II zu, wenn die­se — zu Recht — dafür sorg­ten, dass älte­re Männer ihre Posten ver­lie­ren, wenn die­se über den Chat mit 15jährigen Kontakt suchen.
    Jetzt wird die Stimme von Christian von Boetticher gebraucht — und schon wird er als Freund wie­der auf­ge­nom­men.
    Wo war „Innocence in dan­ger” ?

    Aber das Ergebnis war abseh­bar, da die Lobbyisten schon viel in Schwarz-Gelb inves­tiert hat­ten.
    Ich bin neu­gie­rig, wo die Verantwortlichen des Glücksspielgesetzes nach der Wahl ihre neu­en Jobs fin­den .….
    Wer erin­nert sich nicht an Schröder und Gazprom?

    Ich bedaue­re nur die ehr­li­chen Parteimitglieder und Kommunalpolitiker, deren Ruf durch sol­che Aktionen geschä­digt wird, weil irgend­wann „alle in einen Topf gewor­fen” wer­den.

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  4. Oliver Fink

    Ich bin „ehr­li­ches Parteimitglied” und „Kommunalpolitiker”. Und ich fin­de die Entscheidung des Landtags zu die­sem Thema über­aus begrü­ßens­wert. Damit wür­de ich gern in einen Topf gewor­fen.

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