„Den Raum für Freiheit zu schaffen ist Aufgabe der Politik. Die Freiheit selbst zu verwirklichen, ist Sache aller und eines jeden.“ Fast scheint mir, als ob der Kieler Landtagsabgeordnete Björn Thoroe von den Linken das Zitat von Karl Theodor zu Guttenberg (der Vater von dem Amerikafahrer) zu weit auslegt. Schon im letzten Jahr unterstützte er das „Castor Schottern“ – und erhielt dafür Kritik. Auch in diesem Jahr zeigt er seine Solidarität. Gestern (13. Oktober 2011) Abend twitterte Björn Thoroe:
Was richtig ist: Atomkraft ist und bleibt gefährlich. Und: Atomkraftgegner müssen wachsam bleiben; denn der beschlossene Atomausstieg ist in meinen Augen frühestens dann einer, wenn er tatsächlich umgesetzt worden ist. Zudem: Es gibt kein sicheres „Endlager“ oder „Zwischenlager“. Ich befürchte, wir werden sie auch nie haben können; das ist einer der vielen Gründe, warum ich seit meiner politischen Sozialisation, die eng mit den Demonstrationen gegen den Atommeiler in Brokdorf zusammenhängt, gegen Atomkraft bin und auch heute noch nach Möglichkeit an Demonstrationen gegen Atomkraftwerke, Atomtransporte und vermeintliche Endlager teilnehme.
Castor-Transporte dürfen keine Selbstverständlichkeit werden, über die (deshalb) nicht mehr berichtet wird. Protestaktionen gegen anstehende Transporte sind also politisch nicht nur okay, sie sind auch weiterhin nötig. Und deshalb werde ich im November wohl auch im Wendland sein.
Ich finde es auch gut, wenn Abgeordnete wie Rasmus Andresen dort zugegen sind und beobachten(!), was diejenigen machen, die ihren Widerstand gegen Atomkraft durch schottern ausdrücken wollen — sehr genau wissend, dass schottern nicht legal ist. Wir haben im Landesblog darüber vor knapp einem Jahr, als der CDU-Abgeordnete Jens-Christian Magnussen Rasmus Andresen missverstand, berichtet.
Wer mag, kann darin meinethalben in Demonstrationen gegen Castor-Transporte den „Widerstand gegen (…) neo-imperialistische[n] Solarstromprojekte in Nordafrika“ sehen und glauben, dass so ein Gegengewicht zu einer Politik geschaffen werde, „die die atomaren-fossilistischen Interessen der Energiekonzerne vertritt“, wie es die Initiative „Castor? Schottern! 2011“ in ihrer diesjährigen Erklärung tut. Und wahrscheinlich kann man mit nur ein wenig verquaster Rhetorik auch die Hersteller von Windkraftanlagen als Handlanger des militärisch-industriellen Komplexes entlarven, deren Produkte in der Regel durch internationale monopolistische Kapitalistenverbände finanziert werden. Auf dem Platz in dieser Republik, auf dem die relevanten gesellschaftlichen Kräfte um die Zukunft einer atomfreien Energiepolitik streiten, kommt man damit aber nicht an. Das macht auch nichts, es besteht keine Pflicht zum konstruktiven Mitmachen und sich einmischen in der Republik. Aber wozu dann das Ganze? Wer braucht diese Art des Protestes, um etwas zu verändern oder anzuklagen? Wer braucht diese Art des Protestes, um die Gefahren der Atomkraft der Bevölkerung zu verdeutlichen? Wer braucht diese Art des Protestes, um „den Staat“ oder „die Regierenden“ daran zu erinnern, dass sie ihre Richtung nicht mehr ändern dürfen? Oder will eine Bewegung allein sich selbst beweisen? Für eine Legitimation, als Rechtfertigung der Protestierenden für ihr Handeln, reicht das nicht. Schottern ist deshalb in meinen Augen kein legitimer Ausdruck des Protestes.
Nicht nur deshalb gibt es in meinen Augen für die aktive Unterstützung solcher Aktionen durch Abgeordnete eines Parlamentes keinen Grund. Im Gegenteil: Wer für die Wahl in den Landtag kandidiert, das Mandat annimmt, den vollen Eid (mit religiöser Beschwörungsformel) leistet, der begibt sich in ein System und wird damit Teil des Systems. Er ist bereit Gesetze zu beschließen – und akzeptiert damit unausweichlich auch die daraus geltenden Regeln. Nicht in erster Linie „de jure“. Sondern viel mehr noch verlangt das den politischen Willen, einen bestimmten, nämlich staatsnahen, Weg zu gehen. Das bedeutet, den Verzicht auf das Übertreten Verletzen bestimmter Grenzen zu akzeptieren, den Verzicht auf Rechtsbruch aus politischem Kalkül zu leben. Wahltaktisch gedacht: Mit so was lockt man keine Sau mehr an die Wahlurne. Ganz im Gegenteil.
Und noch was: Das Lied hieß „Die letzte Schlacht gewinnen wir“.
Hierzu eine alternative Sichtweise: Demokratie ist nicht entstanden, dadurch das Menschen staatsnah waren, sondern, dadurch, dass sie Grenzen überschritten haben. In dem sie die Rolle des Königs hinterfragt haben. Demokratien sind erst durch Revolutionen möglich geworden. Das Aufbegehren gegen die Staatsmacht selbst, ist ein demokratischer Akt. Das geht so weit, dass der Bevölkerung sogar bestimmte Recht zugestanden werden. Gerade aktuell sind ja auch die Blockaden in Dresden verhandelt worden. Ziviler Ungehorsam ist nötig, um die Demokratie zu erhalten oder auch zu erweitern. Insofern mag ich dem staatstragenden Gedanken nicht folgen. Wenn alle immer so gedacht hätten, hätten wir heute noch einen Kaiser.
Das leuchtet mir ein. Demokratisch gewählte Abgeordnete stärken die Demokratie, indem sie demokratisch beschlossene Regeln ignorieren und verletzen. That’s fucking for virginity.
Ja, ne, alles klar. Der demokratieerhaltende Charakter von Steuerhinterziehung und Subventionsbetrug war mir doch glatt einen Moment lang völlig entfallen.
Wo Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht,
hat Bert Brecht gedichtet, und mit diesem Anspruch begann die Anti-Atom-Bewegung. Auch Wyhl wäre legal gewesen, wie Brokdorf, Krümmel und all die anderen Atomkraftwerke. Wie vielen Kindern wäre die Krebserkrankung erspart geblieben, wenn der damalige Widerstand erfolgreich gewesen wäre?
Die Frage beim Schottern ist m.E. eher, ob diese Form des Widerstandes das moralische Dilemma der Gewalt heraufbeschwört. Ist es, wie die Staatsanwaltschaft Lüneburg offenbar vermutet, eine Gefährdung des Personenverkehrs, wenn Menschen Steine unter Gleisen herausgraben, über die seit Jahren keine Personenzüge fahren?
Ich würde abwägen wollen, zwischen der Notwendigkeit gerade jetzt immer mahnend darauf hinzuweisen, dass die Gefahren der Atomkraft nach dem Abschalten einiger weniger Kraftwerke keinesfalls verschwunden sind, und einer eventuellen Gefährdung von Menschen. Letzteres bin ich nicht bereit, hinzunehmen.
Weil ich ersteres aber für immens wichtig halte, wünsche ich mir, dass jede Kritik am „Schottern” konstruktiv erfolgt, nämlich mit kreativen Vorschlägen, wie man es erreichen kann, im Bewusstsein zu halten, dass tausende von Tonnen gefährlich Strahlenden Atommülls immer noch unser Leben bedrohen.
Die Kritik am Schottern ist das eine. Man darf beispielsweise fragen, ob es schon rein inhaltlich sinnvoll ist, den Protest gegen die Gefahren der Atomkraft dadurch auszudrücken, dass man die Gefahren für den Transport des Atommülls erhöht. Außerdem stelle ich in Abrede, dass bei der Atomkraft „Unrecht zu Recht wird”, bloß weil Ihnen und mir das Ergebnis nicht gefällt. Aber darum geht es in diesem Artikel noch nicht einmal.
Etwas ganz anderes ist es nämlich, wenn sich ein Abgeordneter an rechtswidrigen Maßnahmen wie dem Schottern beteiligt. Er dokumentiert dadurch die Geringschätzung eines demokratisch beschlossenen Ordnungsrahmens für unsere Gesellschaft. Wenn jede Partei für sich in Anspruch nähme, nur diejenigen demokratisch gefassten Beschlüsse zu akzeptieren, die ihr in den Kram passen, können wir eine rechtsstaatliche Ordnung vergessen. Auf eine solche ist jedoch auch Ihre Partei mit Gesetzen angewiesen, die sie in den Parlamenten verabschiedet, in denen sie an der Regierung beteiligt ist. Was Herr Thoroe hier macht, ist doch plumpes Oppositionstheater. Mit eigener Mehrheit würde er ganz anders sprechen und auf die Einhaltung von ihm selbst mitbeschlossener Gesetze pochen.
Die konstruktivste Kritik am Schottern ist übrigens, es einfach sein zu lassen. Demonstrieren: Ja, jederzeit. Blockieren: Halte ich sogar für akzeptabel, auch wenn es rechtlich umstritten ist. Schon hier würde ich mir als Abgeordneter allerdings überlegen, ob man sich daran dann unbedingt noch beteiligen muss. Schottern: Nein, geht gar nicht.
Am 1. Dezember 1955 verlangte ein weißer Fahrgast in einem Bus in Montgomery/USA die Räumung der für Weiße reservierten Sitzreihe, in der die Afroamerikanerin Rosa Parks saß. Die übrigen Personen machten den Platz frei, doch die damals 42-Jährige Rosa weigerte sich, da sie nicht die übrige Fahrt hindurch stehen wollte. Der Busfahrer James Blake rief daraufhin die Polizei und bestand auf ihrer Verhaftung. So wurde Parks wegen Störung der öffentlichen Ruhe verhaftet, angeklagt und zu einer Strafe von 10 Dollar und 4 Dollar Gerichtskosten verurteilt.
Teilweise als Antwort auf ihre Verhaftung organisierte Martin Luther King, zu diesem Zeitpunkt ein relativ unbekannter Baptistenprediger, Aktionen des Zivilen Ungehorsams, die zur Aufhebung der Rassentrennung in Bussen und Zügen führten.
Wie die Verurteilung von Rosa Parks zeigt, gab es jedoch damals viele Menschen, die ihr Handeln für nicht legitim hielten. Und Swen Wacker mag heute das Schottern nicht: „Schottern ist deshalb in meinen Augen kein legitimer Ausdruck des Protestes.”
Was ein Mensch für legitim oder nicht hält, das muß er mit seinem Gewissen ausmachen. Schottern ist aber mehr als „nur” Protest — es ist die Selbstermächtigung des mündigen Bürgers, der mündigen Bürgerin. Wir erleben das grade in vielen Teilen der Welt und es wird vor Deutschland nicht halt machen. Und deshalb werden wieder viele, viele Menschen im November im Wendland nicht „nur” protestieren, sondern sich an Aktionen des Zivilen Ungehorsams beteiligen. Sei es in Form von Ankettaktionen wie von greenpeace oder in Form der bäuerlichen Straßenblockaden oder in Form vorn Widersetzen (Gleisblockaden) oder xtausendmalquer (Straßenblockaden). Und ja, viele Menschen werden auch dieses Jahr wieder Schottern, also die Schottersteine unter den Schwellen entfernen, auf daß die Strecke für den Atommüllzug unpassierbar wird.
Schon beim letzten Castortransport war der Polizeiapparat an der Grenze seiner Leistungsfähigkeit. Ob der Atommüllzug rollen kann oder nicht, hängt also vom Dulden oder Nicht-Dulden der Menschen ab, so wie irgendwann die Menschen nicht mehr Bussesitze nur für Weiße geduldet haben.
Wir werden sehen.
:-)
Das Beispiel ist richtig prima. Rosa Parks hat demonstriert, vielleicht sogar einen Sitzplatz „blockiert”. Aber sie hat nicht die Radmuttern am Bus gelöst. Insofern danke ich für ein gutes Beipiel, das meine Haltung zum Schottern voll untermauert.
By the way: Rosa Parks war auch keine gewählte Abgeordnete. Auch das ist ein wesentlicher Aspekt dessen, worum es in diesem Artikel geht.
Es ist schön zu wissen, dass Du Wikipedia abschreiben kannst. Deiner Argumention wird dadurch aber nicht klarer. Im Gegenteil legt das offensichtlich unreflektierte Abschreiben den Verdacht nahe, dass eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Prinzip der Gewaltlosigkeit bei King (der von Ghandi inspiriert war) nicht erfolgt ist.
Deine Argumentation wäre allenfalls nachvollziehbar (nicht: annehmbar) gewesen, wenn Du Dich auf Malcolm X bezogen hättest.
Das Klammern an dem Begriff der „Legitimität” ist in meinen Augen der nicht erfolgreiche Versuch, sich bei gemäßigten Kräften des Protests anzubiedern. Was ihr wollt, ist Widerstand, der auch Gewalt als Mittel zulässt. Dann nennt das auch so. Ihr unterscheidet Euch klar von der Menge der gewaltfrei Protestierenden. Habt wenigstens den Mumm, genau dazu zu stehen und versucht Euch nicht in Rechtfertigungslyrik.
Nachtrag: Bei Abgeordneten, das hatte ich ja schon gesagt, klappt das mit der „Legitimität” noch weniger, da sie sich in einen engeren Bezugsrahmen zur Legalität des Systems Bundesrepublik Deutschland begeben haben.
Hm, wir können uns natürlich gegenseitig vorwerfen, irgedetwas „unreflektiert” zu tun. Mein Stil ist das nicht.
Castor Schottern ist keine militante Aktion, es geht nicht um den Angriff auf Polizeibeamte oder die für die Atompolitik verantwortlichen Topmanager und Politiker. Es handelt sich um eine klassische Aktion des Zivilen Ungehorsams, des Widerstands gegen eine als unerträglich empfundene Politik.
Und ich glaube auch nicht, daß die tausenden Menschen, die sich 2010 am Schottern beteiligt haben, zuwenig „Mumm” hatten. Sie haben offen gesagt, was sie machen werden und haben sich trotz Polizeiknüppel, Wasserwerfern, Hunden, Pfefferspray und einer etwaigen Strafverfolgung nicht einschüchtern lassen und sind immer wieder auf die Gleise gegangen, um dort Widerstand zu leisten.
Und ja, das Schöne ist, daß es die Mitte der Gesellschaft ist, die aufsteht. Ob in Stuttgart, in Dresden oder beim Schottern (um nur drei Beispiele zu nennen) beteiligen sich ALte & Junge, Hartz 4 & Gutverdiendende und eben auch Abgeordnete an Protesten und Widerstand auf der Straße, im Park, im Wald. Und dazu gibt es unterschiedliche Meinungen — du (und viele andere) finden das falsch, ich (und viele andere) finden das richtig. Schaun wir doch gelassen und ohne gegenseitige Vorwürfe, wie sich das entwickelt, was zukünftig als legitim angesehen wird. Die Welt ist in Bewegung :-)
Als Anhang noch zwei minutenfrische Links
http://www.open-report.de/artikel/Sitzblockade+bei+Hitzacker/141193.html
http://www.abendblatt.de/region/article2062215/Sitzblockade-der-Bahnstrecke-bei-Hitzacker-geplant.html
Lieber Swen,
Sachbeschädigung = Gewalt? Da mache ich so nicht mit.
Die einzige Gewalt, die ich auf Seiten der „Schotterer” gesehen habe, waren vor das Gesicht gerissene Unterarme, um Polizeiknüppel abzuwehren, oder Weglaufen, um den Hufen der Polizeipferde zu entgehen.
Es ist ein gewaltiger Unterschied, ob jemand einen Stein aus den Gleisen pult, oder ob er den Stein gegen einen Menschen (ob Polizist oder nicht, ist mir hier egal) wirft. Auch das Anstecken von Polizeifahrzeugen ist weit jenseits des Tolerierbaren, Erträglichen.
Aber das bewusste Inkaufnehmen, dass eine Bahnstrecke unpassierbar werden könnte (könnte, weil kein einzelner Schotterer in der Lage wäre, das zu erreichen. Dazu braucht es ganz viele, und der Einzelne ist ja bekanntlich immer nur für sein Tun verantwortlich) ist für mich keine Gewalttat. Speziell dann nicht, wenn allseits bekannt ist, dass auf dieser Strecke *ausschließlich* Atomtransporte fahren.
Bis vor kurzem galten in der öffentlichen Meinung auch Sitzblockaden als Gewalt, bis Gerichte klar gemachten, dass sie per se werder gewalttätig noch friedlich sind, und dass man den Einzelfall betrachten muss.
Ich würde mir wünschen, dass endlich mal ein Gericht den Einzelfall „Castor Schottern” beurteilt. Die Staatsanwaltschaft Lüneburg scheint daran kein großes Interesse zu haben…