Der Konflikt zwischen dem Unabhängigen Landeszentrum für Datenschutz (ULD) und Facebook um den „Gefällt-Mir-Button“ und Fanseiten hat zu kontroversen Diskussionen bei Parteien, Institutionen, Verbänden und Experten, aber auch auf Seiten der Besucher/-innen und Nutzer-/innen von Facebook geführt.
Das Landesblog will nicht nur berichten, sondern auch Platz für Debatten sein. Ich habe deshalb alle Parteien sowie einige Verbände aus Schleswig-Holstein gebeten, uns ihre Sicht der Dinge zum Themenkomplex Facebook/Datenschutz im Landesblog darzustellen. Hier der Beitrag der Schleswig-Holsteinischen Linken.
Weitere Artikel in der Debatte um Facebook finden Sie hier.
Der Autor Heinz-Werner Jezewski ist medienpolitischer Sprecher der LINKEN im Kieler Landtag. Er besitzt neben seiner Facebook-Profil dort auch eine Fanpage.
Millionen Nutzerinnen, Milliarden wert: Facebook ist ein Gegner, mit dem Datenschützer sich anlegen sollten. Gründe zum sich anlegen gibt es genug. Es ist unbestritten, dass Facebook mit den Daten seiner Nutzer nicht so umgeht, wie das deutsche Datenschutzrecht es eigentlich vorschreibt.
So what, sagen die einen, das machen doch alle so, die eine Verfolgung in Deutschland mittels geschickt ausgewählter Zweigniederlassungen nicht fürchten müssen.
Kein Problem, sagen die anderen, man kann solche Firmen auch anders in die Knie zwingen. Indem man ihre Geschäftspartnerinnen angeht, die in Deutschland fassbar sind.
Manchmal wünschte auch ich mir dass das so einfach wäre. Dass Banken strafrechtlich verfolgt werden, wenn sie Gewinne aus illegalem Internet-Glücksspiel auf deutsche Konten transferieren. Ein Vorgang, den man auch „Beihilfe zur Geldwäsche“ nennen könnte.
Beim Glücksspiel geht es also nicht, bei Verstößen gegen den Datenschutz wohl, Thilo Weichert sei Dank. Wir werden wohl bald den ersten Musterprozess vor einem Schleswig-Holsteinischen Gericht erleben. ULD versus IHK zu Lübeck, tippe ich.
Unbestritten ist sicherlich, dass Thilo Weichert eine Diskussion angestoßen und in die Öffentlichkeit geschoben hat, die überfällig ist. Dafür gebührt ihm Anerkennung. Unbestritten ist sicherlich auch, dass alle Internet-Dienste, die Daten dorthin transferieren, wo deutsches Datenschutzrecht nicht gilt, dies klar und deutlich vorher angeben müssen. So, dass jede es versteht, nicht am Ende eines mehr als neunzig-seitigen und dann noch mehrsprachigen Textes über die allgemeinen Geschäftsbedingungen.
Wo aber liegt das Problem? Zum ersten ist es ein Irrtum, so zu tun, als ob die Frage weltweiter offener Kommunikation mit dem Hinweis auf Privatheit zu beantworten wäre.
Es geht nicht darum, ob wir als Einzelpersonen irgendwelche Rechte und Pflichten haben, sondern viel genereller darum, wie wir Freiheit im Internet schützen können.
Damit sind wir bei der Frage nach den Voraussetzungen, die diese Privatheit ermöglichen.
Dass sich Leute in Deutschland beim Bier treffen können und maßlos über die Republik ablästern dürfen, ohne dass dies Folgen hat ist ein Beispiel für das, was ich meine.
Die Voraussetzung dieser Privatheit ist, dass man nicht Angst davor haben muss, morgens um sechs Besuch von Geheimdienstmitarbeitern zu bekommen. Dass wir frei reden können hängt nicht so sehr davon ab, ob wir frei reden wollen, sondern ob die freie Rede rechtsstaatlich geschützt ist.
Das ist die zentrale Frage: wie kann Freiheit, wie kann freie Kommunikation im Internet ermöglicht werden? Am Beispiel Facebook wird ganz deutlich, dass das Geschäftsmodell dieser Firma (ebenso wie das Modell anderer kommerzieller sozialer Netzwerke) nicht auf die Lösung dieser Frage abzielt.
Um das beurteilen zu können ist es hilfreich zu sehen was ist: Millionen Nutzerinnen von Facebook erfreuen sich an den neuen Kommunikationsmöglichkeiten. Und begeben sich damit in eine asymmetrische Abhängigkeit.
Facebook kann von einer Sekunde zur anderen bestimmte Dienste, ändern, neu schaffen oder einstellen. Einfach so. Ein wichtiges Moment von Freiheit ist aber, davon ausgehen zu können, dass Kommunikationsmöglichkeiten verlässlich verfügbar sind. In diesem Sinne macht facebook unfrei.
Ein weiteres Moment von Freiheit ist die Integrität unserer Äußerungen. Wir müssen uns darauf verlassen können, dass das, was uns zugeschrieben wird, auch von uns kommt. Wie sieht es aber aus, mit der Manipulation von Internetdaten? Momentan kann Facebook Daten von Nutzern nach Belieben verwenden und verändern. Kann Facebook uns auch Daten unterschieben. Oder kann das nur der Staat mit dem Bundestrojaner?
Warum eigentlich war uns das Postgeheimnis einmal so wichtig? Heute liest Facebook jede Nachricht mit, auch im angeblich „privaten“ Chat. So wird Vertrauen überstrapaziert. Sollten wir nicht stutzen, wenn eine Firma gleichzeitig kostenlose Dienste anbietet und Milliarden Euro wert ist. Facebooks Geschäftsmodell ist es, jene Daten, die das Postgeheimnis einst schützte, geschickt zu verknüpfen und an Werbetreibende zu verkaufen. Nicht der Verkauf von Adressen bringt ihnen das Geld, sondern der Verkauf von Interessen.
Damit sind wir bei den Kommunikationsproblemen des 21. Jahrhunderts.
Was geschieht eigentlich mit all den Informationen, die Facebook über mich hat? Worauf muss ich mich einstellen? Es ist realistisch anzunehmen, dass Facebook mehr über uns weiß, als wir selbst über uns wissen.
Soziale Vernetzungen sind mehr als die Summe der überschaubaren Kontakte Einzelner. Anhand verschiedener „Freundschaften“ und Kommentare („war das nett gestern Abend bei Karin“) lassen sich sogar vermeintlich anonyme Profile ganz gezielt realen Personen zuordnen.
Niemand sollte glauben, dass die Möglichkeit Daten miteinander zu verbinden und zu kombinieren ohne Einfluss auf die freie Kommunikation bleiben wird.
Und darum geht es: Den Kampf um die Freiheit im Internet zu führen, heißt über den wirkungsvollen Schutz der Freiheit zu streiten!
Insofern begrüße ich die Entschließung der 82. Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder am 28./29. September 2011 in München, in der es heißt: „Die Konferenz stellt insbesondere fest, dass die direkte Einbindung von Social-Plugins beispielsweise von Facebook, Google+, Twitter und anderen Plattformbetreibern in die Webseiten deutscher Anbieter ohne hinreichende Information der Internet-Nutzenden und ohne Einräumung eines Wahlrechtes nicht mit deutschen und europäischen Datenschutzstandards in Einklang steht.“
Dies zu ändern ist Aufgabe des ULD.
Ich teile durchaus Swen Wackers Meinung, dass sich im Moment im Internet Diskursräume zu öffnen beginnen, die selbst des Diskurses und der politischen Meinungsbildung – und irgendwann einmal der Beschlussfassung, z.B. eines neuen Datenschutzrechtes – bedürfen.
Zusätzlich ergibt sich akuter Handlungsbedarf. Es ist an der Zeit, über Formen der Mitbestimmung der Nutzerinnen an der Gestaltung sozialer Netzwerke nachzudenken. Dabei höre ich schon die Einwände, das sei schließlich allein Sache der vertragsschließenden Parteien, ergo Anbieterin und Nutzer. Aber genau darum geht es nicht: Es ist keine Frage der Privatheit, sondern eine Frage der Bedingungen, die Privatheit ermöglichen.
So wie es im Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmerin das Betriebsverfassungsgesetz gibt, müsste es für soziale Netzwerke ein Regelwerk geben, dass Rechte und Pflichten beider Seiten klar definiert.
Ich gehe die Wette ein, hätte es das 2011 schon gegeben, der neue Facebook-Chat wäre heute – wenn überhaupt – eine optionale Funktion. Und die Datenschutzrichtlinien aller sozialen Netzwerke wären eher in Übereinstimmung mit deutschem Recht. So wirkt Beteiligung. Oder besser: So könnte Beteiligung wirken.
Wirksam würde eine derartige Partizipation allerdings nur, wenn sie weltweit, mindestens aber im Rahmen der europäischen Staatengemeinschaft eingeführt würde.
Sie durchzusetzen ist sicher auch keine Sache von Monaten, eher eine von Jahrzehnten. Aber zwischen der „Gewerbeordnung“ der Frankfurter Nationalversammlung und der verpflichtenden Einführung von Bergarbeiter-Ausschüssen in Bayern lagen auch 52 Jahre. Zur Ehrenrettung der deutschen Arbeiterinnenbewegung muss aber angemerkt werden: Zu dieser Zeit gab es noch kein Internet!
Anmerkung: Aus Gründen der Geschlechtergerechtigkeit verwende ich weibliche und männliche Bezeichnungen abwechselnd, in der Hoffnung, dass dieses Verfahren die Lesbarkeit zumindest nicht verschlechtert.
Was ich nicht verstehe, ist, und ich greife mal das genannte Beispiel mit der Stammtischdiskussion auf, dass der Umstand, dass ein der Geheimdienst auftauchen könnte, als (naturgegeben?) akzeptiert wird?!
Das ist vermutlich das Dilemma: Wir akzeptieren, dass es grundsätzlich eine Kontrolle unserer Mitmenschen gibt. Vermutlich weil wir in den damit gekoppelten Sicherheitsgarantien (die man uns zunächst verkauft hat) einen Vorteil sehen. Einen Vorteil gegenüber wem? Genau — dem nächsten Mitmenschen. Und Mitmensch bin ich ggf. auch.
Nach dieser Logik bauen wir nun ein System in dem es Kontrolleure gibt, die die Kontrolleure kontrollieren, die die Kontrolleure kontrollieren, die die Kontrolleure etc.
Ich finde das nicht besonders schlau und frei macht mich das auch nicht.
Jens
Ich mache mir auch Sorgen, dass Provider Profile mittels deep package inspection erstellen. Indem sie einfach ALLE unverschlüsselte Kommunikation eines Nutzers analysieren. Daher fände ich es noch drängender, das p2p-Verbindungen wie auch Skype auch bei mobilen Onlineprovidern nicht länger verboten sein dürfen!!