Um mit einer Tradition des autodidaktischen Polit-Twitteraten Dr. Ralf Stegner mit SPD-Fraktionsvorsitz im Hauptberuf zu beginnen: Mein Musik-Tipp für den gestrigen Tag wäre Roland Kaiser gewesen: „Ich glaub´ es geht schon wieder los — das darf doch wohl nicht wahr sein…“ Denn dieses Murmeltier grüßt vielleicht nicht täglich, aber in immer wiederkehrender Unregelmäßigkeit.
Wohl kaum ein deutscher Politiker nutzt Twitter für seine Ego-Propaganda zum selbstverstandenen Wohle der Partei offensiver als Ralf Stegner. Geschmacklosigkeiten, die Hollywoodstars wie Ashton Kutcher kurzzeitig zum selbstauferlegten Twitter-Zölibat zwangen, kennt der sozialdemokratische Politiker nicht — er erhebt sie zum wohldosierten Mittel politischer Dramaturgie und ist sich auch nicht zu schade, sich auf die Meinungsfreiheit und den Feierabend zu berufen, wenn er mal wieder über das Ziel hinausschießt.
So wie vorgestern, am 16. November 2011, als Stegner offenbar den Tanztrend für die neue Wahlkampfsaison setzen wollte und einen Niveau-Limbo uraufführte, bei dem er die Latte schon ziemlich tief hängen ließ:
Kubicki beschwört Unheil vergangener Wahlkämpfe
Der FDP-Fraktionsvorsitzende Wolfgang Kubicki kommentierte die Sache gestern (17. November) Vormittag im Rahmen einer persönlichen Erklärung in der laufenden Plenarsitzung, indem er Stegner vom Rednerpult aus zu einer Entschuldigung aufforderte: „Aber dieses ist eine so unglaubliche Entgleisung, dass ich sie bitte, wirklich bitte, sich dafür zu entschuldigen, sowohl bei Herrn Arp, als auch bei mir, denn die Unterstellung, dass der Kollege Arp und ich Geldwäsche und Prostitution Vorschub leisten wollen, ist so ungeheuerlich, dass ich meine Erregung kaum noch im Zaum halten kann. Herr Kollege Dr. Stegner, ich appelliere gleichzeitig an Sie und an die Sozialdemokraten, diese Form nicht zur Wahlkampfführung zu benutzen! Mit der Diffamierung von Persönlichkeiten und Personen in Schleswig-Holstein haben wir in der Vergangenheit schon schlechte Erfahrungen gemacht, dass sollten sie nicht wiederholen! Und wenn sie für sich selbst Achtung und Respekt — zu Recht — einfordern, Herr Dr. Stegner, gilt das für den Kollegen Arp und mich in gleicher Weise! Deshalb bitte ich sie wirklich, sich hierfür zu entschuldigen!“
Stegners Begründung: Niemand hört mir zu!
Stegner trat ans Pult, tat aber nicht wie geheissen: Eine Minute referierte er trotzig zunächst über seine Veranlassung zu den inkriminierten Tweets, nämlich die Enttäuschung, dass offenbar niemand auf seinen Beitrag als erster Redner der Debatte der Plenarsitzung des Vortrages reagiert habe. Darin habe er darauf hingewiesen, dass das Landeskriminalamt Online-Poker als die „ungefährlichste und risikoloseste Art der Geldwäsche“ ansehe: „Das ist anonym: Einmal richtig auf Schwarz gesetzt und ihr Geld ist sauber!“
Zudem habe er die Pressemitteilung Arps in Richtung des deutschen Poker-Weltmeisters Pius Heinz für kritikwürdig erachtet. Stegner weiter wörtlich: „Darauf ist in der Debatte niemand eingegangen auf dieses Thema! Dazu wäre Gelegenheit gewesen. Ich bleibe dabei, dass ich das für eine hochgradig problematische Form halte! Ich habe weder in der Debatte, noch in dem, was ich außerhalb des Parlaments — auch nicht zur Parlamentszeit — in freier Meinungsäußerung anderswo geäußert habe unterstellt, dass die beiden namentlich genannten Protagonisten persönliche Verwicklungen in diesem Bereich haben. Das ergibt sich aus dem Text auch nicht! Das habe ich nicht und das wollte ich auch nicht unterstellen! […] Ich sage nochmal ausdrücklich, eine persönliche Verunglimpfung der beiden Personen, was ihre Rolle angeht, war damit weder verbunden, noch gemeint. Ich sage nochmal, ich habe das wiederholt, was ich im Parlament zur Sache gesagt habe, dabei bleibe ich. Wenn sie das als persönliche Verunglimpfung empfunden haben, bedaure ich dieses, zur politischen Aussage meiner Punkte stehe ich allerdings nach wie vor!“.
Stegner war noch nicht wieder ganz auf seinem Platz, als Landtagspräsident Thorsten Geerdts die Plenarsitzung unterbrach, um den Ältestenrat einzuberufen. Wieder zurück im Plenum räumte Stegner dann eine „offensichtlich missglückte“ Formulierung ein. Laut Abgeordnetenkreisen vermied es der SPD-Fraktionschef jedoch, das Wort „Entschuldigung“ in den Mund zu nehmen. Kurze Zeit später waren die umstrittenen Tweets gelöscht, was angesichts des Gedächtnisses des World Wide Web jedoch nur den symbolischen Rückzug bedeuten kann.
Kubicki und Arp wollen Entschuldigung, FDP und CDU reagieren empört
Den beiden Koalitionspolitikern Kubicki und Arp reicht das Stegnersche Bedauern nicht, sie fordern eine richtige Entschuldigung.
„Die unparlamentarischen und beleidigenden Twitter-Mitteilungen des SPD-Landes- und -Fraktionsvorsitzenden belegen einmal mehr, welchen politischen Stil Dr. Ralf Stegner wählt. Seine anschließende Entschuldigung erweckte nicht den Eindruck, als sei sie ernst gemeint gewesen.“, sprang der stellvertretende Ministerpräsident Dr. Heiner Garg (FDP) seinem Fraktionsvorsitzenden und dem CDU-Abgeordneten zur Seite.
Der Spitzenkandidat der Union, Wirtschaftsminister Jost de Jager verurteilte die Sache staatsmännisch: „Die Äußerungen von Herrn Stegner sind in Form und Stil inakzeptabel und empörend. Offenbar führt er nicht nur das Wort in der SPD, sondern prägt weiterhin die Außenwirkung seiner Partei. Damit eröffnet die SPD für sich — ungeachtet der halbherzigen Entschuldigung von Herrn Stegner im zweiten Anlauf — einen Schmutzwahlkampf. Dies entspricht nicht meinem Verständnis von politischer Kultur, auch nicht im Wahlkampf. Wir beteiligen uns daran ausdrücklich nicht.“
Eklat zieht Kreise — Landtagspräsidium will künftigen Umgang mit Handys, iPads und sozialen Netzwerken prüfen
Unterdessen hat der neuerliche Twitter-Eklat unter Stegner-Beteiligung innerhalb der Landtagsverwaltung Kreise gezogen: Nach Medienberichten lasse das Präsidium prüfen, wie man künftig mit Smartphones und iPads sowie sozialen Netzwerken umgehen wolle. Landtagspräsident Torsten Geerdts (CDU) habe an die Fraktionen appelliert, einen Kodex im Umgang mit sozialen Netzwerken zu finden.
Man muss nicht jede kurze Äußerung via Twitter skandalisieren. Das gilt erst recht für einen Politiker wie Herrn Kubicki, der selbst nicht eben als Mann des Ausgleichs bekannt ist. Inhaltlich sollte man zur Kenntnis nehmen, daß beim „Großen Bruder” USA Online-Glückspiele seit 2006 verboten sind. Das FBI etwa ermittelt gegen mehrere Online-Poker-Portale u.a. wg. des Verdachts der Geldwäsche. Einige Anbieter sind denn auch nur noch in Europa präsent, sollen jedoch Zugriffe aus den USA blockieren. Möchten wir sowas vermehrt bei uns haben? Das ist doch der Skandal und nicht einige meinetwegen im Ton überzogene Äußerungen von Herr Stegner. Wir haben (Vor-)Wahlkampf — da wird händeringend nach Inszenierungen gesucht, die das Wahlvolk empören sollen. Ich aber kann mich mehr über die gegenwärtige Politik in SH empören.
Bei der Stigmatisierung von 5 Millionen Online-Poker-Spielern in Deutschland zu „Geldwäschern” frage ich mich manchmal, warum dass auch gern von Spielautomatenherstellern (http://www.spielautomatonline.de/nachrichten/mit-welchen-mitteln-poker-stars-geldwaesche-betrieben-haben) betont wird. Vielleicht, weil es denen ins Geschäftskonzept passt? Man kann da auch schnell vor einen fremden Karren gespannt werden.
Ich erkenne nicht, mit welchem Argument ich annehmen soll, die breite Masse der Online-Spieler sei an Geldwäsche gelegen. Sollte ein Unternehmen sich geschäftlich falsch gebaren, könnte es dadurch seine Lizenz (in SH) verlieren. Das Gesetz in SH sieht eine Reihe von Regelungen zum Schutz von Spielern bzw. zur Suchtprävention vor. Das sit mehr als jetzt, wo es nur einen unregulierten Markt gibt.
Das Argument „In den USA” ist schwierig. In den USA gibt es auch die Todesstrafe. Ich finde es wichtiger, sich mit der Situation hier auseinanderzusetzen. Und da ist es ein nicht wegzudiskutierendes Fakt, dass Millionen Deutsche online zocken. Und dass dieser Bereich komplett unreguliert ist und keinerlei Möglichkeit besteht, Einfluss zu nehmen oder Gewinne wenigstens teilweise abzuschöpfen.
Den Wunsch vieler, online zu pokern oder zu wetten, muss man nicht richtig finden. Ich z.B. finde das eher problematisch. Aber genau deshalb finde ich es falsch, den Kopf in den Sand stecken und einfach so tun, als ob die Menschen aufhören würden zu pokern, wenn man es weiterhin faktisch verbietet — in der Praxis läuft der Vorschlag der 15 Länder, der ursprünglich erkennnbar vom Deutschen Lottoblock formuliert worden war, auf eine Erhaltung des Lottomonopols hinaus. Das ist nur wegen der fehlenden Ersatzfunktion des langsam dahinsterbenenden Lottogeschäftsmodells zu kurzfristig gedacht und damit taktisch falsch.
Ich stimme Dir zu, das man nicht jede Äußerung von Politikern skandalisieren muss (das Medium ist mir zudem egal). Ich finde aber auch keinen Gefallen an einem plakativen und argumentationsarmen Mantra, dass allei ndaruf abzielt, den politischen Gegner in eine Schmuddelecke zu stellen. Das ist billig, ab und an auch niveaulos.
Erstens zeigt dieser vermeintliche Twitter-Skandal, dass vieles, was sich hinter sozialen Netzwerken verbirgt und was Social Media ausmacht, die politischen Akteure noch nicht erreicht hat. Dabei gibt es genpgend Crashkurse, wie man’s richtig macht — das Twittern, FAcebooken, Liken, Xingen …
Zweitens zeigt die inhaltliche Auseinandersetzung noch vieles mehr, und zwar vom Demokratieverständnis des Herrn Dr. Stegner, gibt es doch zum neuen Glücksspielgesetz in SH nicht nur eine hinreichende Mehrheit, sondern auch eine alles andere als ruhmreiche Historie, in der Besitzstandswahrer des Lotteriemonopols, verborgenn hinter dem Deckmantel der Spielsuchtprävention, ihre Interessen druchzusetzen suchten. U. a. wurde das neue SH-Gesetz im Gegensatz zu dem der Restrepublik — und auch im Gegensatz zu dem vom seinerzeitigen Innenminister Stegner erarbeitetetn — nicht mehrfach von Brüssel verworfen (vgl. http://www.isa-guide.de/gaming/articles/33498.html). Und die EU dürfte kaum ein GEstz gutheißen, dass Geldwäsche Tür und Tor öffnet.