Niveau-Limbo der neuen Wahlkampfsaison uraufgeführt: Stegner legt die Latte niedrig

Von | 18. November 2011

Um mit einer Tradition des auto­di­dak­ti­schen Polit-Twitteraten Dr. Ralf Stegner mit SPD-Fraktionsvorsitz im Hauptberuf zu begin­nen: Mein Musik-Tipp für den gest­ri­gen Tag wäre Roland Kaiser gewe­sen: „Ich glaub´ es geht schon wie­der los — das darf doch wohl nicht wahr sein…“ Denn die­ses Murmeltier grüßt viel­leicht nicht täg­lich, aber in immer wie­der­keh­ren­der Unregelmäßigkeit.

Wohl kaum ein deut­scher Politiker nutzt Twitter für sei­ne Ego-Propaganda zum selbst­ver­stan­de­nen Wohle der Partei offen­si­ver als Ralf Stegner. Geschmacklosigkeiten, die Hollywoodstars wie Ashton Kutcher kurz­zei­tig zum selbst­auf­er­leg­ten Twitter-Zölibat zwan­gen, kennt der sozi­al­de­mo­kra­ti­sche Politiker nicht — er erhebt sie zum wohl­do­sier­ten Mittel poli­ti­scher Dramaturgie und ist sich auch nicht zu scha­de, sich auf die Meinungsfreiheit und den Feierabend zu beru­fen, wenn er mal wie­der über das Ziel hin­aus­schießt. 

So wie vor­ges­tern, am 16. November 2011, als Stegner offen­bar den Tanztrend für die neue Wahlkampfsaison set­zen woll­te und einen Niveau-Limbo urauf­führ­te, bei dem er die Latte schon ziem­lich tief hän­gen ließ: 

Kubicki beschwört Unheil vergangener Wahlkämpfe 

Der FDP-Fraktionsvorsitzende Wolfgang Kubicki kom­men­tier­te die Sache ges­tern (17. November) Vormittag im Rahmen einer per­sön­li­chen Erklärung in der lau­fen­den Plenarsitzung, indem er Stegner vom Rednerpult aus zu einer Entschuldigung auf­for­der­te: „Aber die­ses ist eine so unglaub­li­che Entgleisung, dass ich sie bit­te, wirk­lich bit­te, sich dafür zu ent­schul­di­gen, sowohl bei Herrn Arp, als auch bei mir, denn die Unterstellung, dass der Kollege Arp und ich Geldwäsche und Prostitution Vorschub leis­ten wol­len, ist so unge­heu­er­lich, dass ich mei­ne Erregung kaum noch im Zaum hal­ten kann. Herr Kollege Dr. Stegner, ich appel­lie­re gleich­zei­tig an Sie und an die Sozialdemokraten, die­se Form nicht zur Wahlkampfführung zu benut­zen! Mit der Diffamierung von Persönlichkeiten und Personen in Schleswig-Holstein haben wir in der Vergangenheit schon schlech­te Erfahrungen gemacht, dass soll­ten sie nicht wie­der­ho­len! Und wenn sie für sich selbst Achtung und Respekt — zu Recht — ein­for­dern, Herr Dr. Stegner, gilt das für den Kollegen Arp und mich in glei­cher Weise! Deshalb bit­te ich sie wirk­lich, sich hier­für zu ent­schul­di­gen!“ 

Stegners Begründung: Niemand hört mir zu! 

Stegner trat ans Pult, tat aber nicht wie geheis­sen: Eine Minute refe­rier­te er trot­zig zunächst über sei­ne Veranlassung zu den inkri­mi­nier­ten Tweets, näm­lich die Enttäuschung, dass offen­bar nie­mand auf sei­nen Beitrag als ers­ter Redner der Debatte der Plenarsitzung des Vortrages reagiert habe. Darin habe er dar­auf hin­ge­wie­sen, dass das Landeskriminalamt Online-Poker als die „unge­fähr­lichs­te und risi­ko­lo­ses­te Art der Geldwäsche“ anse­he: „Das ist anonym: Einmal rich­tig auf Schwarz gesetzt und ihr Geld ist sau­ber!“ 

Zudem habe er die Pressemitteilung Arps in Richtung des deut­schen Poker-Weltmeisters Pius Heinz für kri­tik­wür­dig erach­tet. Stegner wei­ter wört­lich: „Darauf ist in der Debatte nie­mand ein­ge­gan­gen auf die­ses Thema! Dazu wäre Gelegenheit gewe­sen. Ich blei­be dabei, dass ich das für eine hoch­gra­dig pro­ble­ma­ti­sche Form hal­te! Ich habe weder in der Debatte, noch in dem, was ich außer­halb des Parlaments — auch nicht zur Parlamentszeit — in frei­er Meinungsäußerung anders­wo geäu­ßert habe unter­stellt, dass die bei­den nament­lich genann­ten Protagonisten per­sön­li­che Verwicklungen in die­sem Bereich haben. Das ergibt sich aus dem Text auch nicht! Das habe ich nicht und das woll­te ich auch nicht unter­stel­len! […] Ich sage noch­mal aus­drück­lich, eine per­sön­li­che Verunglimpfung der bei­den Personen, was ihre Rolle angeht, war damit weder ver­bun­den, noch gemeint. Ich sage noch­mal, ich habe das wie­der­holt, was ich im Parlament zur Sache gesagt habe, dabei blei­be ich. Wenn sie das als per­sön­li­che Verunglimpfung emp­fun­den haben, bedau­re ich die­ses, zur poli­ti­schen Aussage mei­ner Punkte ste­he ich aller­dings nach wie vor!“. 

Stegner war noch nicht wie­der ganz auf sei­nem Platz, als Landtagspräsident Thorsten Geerdts die Plenarsitzung unter­brach, um den Ältestenrat ein­zu­be­ru­fen. Wieder zurück im Plenum räum­te Stegner dann eine „offen­sicht­lich miss­glück­te“ Formulierung ein. Laut Abgeordnetenkreisen ver­mied es der SPD-Fraktionschef jedoch, das Wort „Entschuldigung“ in den Mund zu neh­men. Kurze Zeit spä­ter waren die umstrit­te­nen Tweets gelöscht, was ange­sichts des Gedächtnisses des World Wide Web jedoch nur den sym­bo­li­schen Rückzug bedeu­ten kann. 

Kubicki und Arp wollen Entschuldigung, FDP und CDU reagieren empört 

Den bei­den Koalitionspolitikern Kubicki und Arp reicht das Stegnersche Bedauern nicht, sie for­dern eine rich­ti­ge Entschuldigung. 

Die unpar­la­men­ta­ri­schen und belei­di­gen­den Twitter-Mitteilungen des SPD-Landes- und -Fraktionsvorsitzenden bele­gen ein­mal mehr, wel­chen poli­ti­schen Stil Dr. Ralf Stegner wählt. Seine anschlie­ßen­de Entschuldigung erweck­te nicht den Eindruck, als sei sie ernst gemeint gewe­sen.“, sprang der stell­ver­tre­ten­de Ministerpräsident Dr. Heiner Garg (FDP) sei­nem Fraktionsvorsitzenden und dem CDU-Abgeordneten zur Seite.

Der Spitzenkandidat der Union, Wirtschaftsminister Jost de Jager ver­ur­teil­te die Sache staats­män­nisch: „Die Äußerungen von Herrn Stegner sind in Form und Stil inak­zep­ta­bel und empö­rend. Offenbar führt er nicht nur das Wort in der SPD, son­dern prägt wei­ter­hin die Außenwirkung sei­ner Partei. Damit eröff­net die SPD für sich — unge­ach­tet der halb­her­zi­gen Entschuldigung von Herrn Stegner im zwei­ten Anlauf — einen Schmutzwahlkampf. Dies ent­spricht nicht mei­nem Verständnis von poli­ti­scher Kultur, auch nicht im Wahlkampf. Wir betei­li­gen uns dar­an aus­drück­lich nicht.“ 

Eklat zieht Kreise — Landtagspräsidium will künftigen Umgang mit Handys, iPads und sozialen Netzwerken prüfen 

Unterdessen hat der neu­er­li­che Twitter-Eklat unter Stegner-Beteiligung inner­halb der Landtagsverwaltung Kreise gezo­gen: Nach Medienberichten las­se das Präsidium prü­fen, wie man künf­tig mit Smartphones und iPads sowie sozia­len Netzwerken umge­hen wol­le. Landtagspräsident Torsten Geerdts (CDU) habe an die Fraktionen appel­liert, einen Kodex im Umgang mit sozia­len Netzwerken zu fin­den.

Ruediger Kohls
Von:

WestCoast-Liberaler, Verkehrspolitiker, stv, Mitglied im Wirtschaftsausschuss des nordfriesischen Kreistages.

3 Gedanken zu “Niveau-Limbo der neuen Wahlkampfsaison uraufgeführt: Stegner legt die Latte niedrig”:

  1. Stephan Krukowska

    Man muss nicht jede kur­ze Äußerung via Twitter skan­da­li­sie­ren. Das gilt erst recht für einen Politiker wie Herrn Kubicki, der selbst nicht eben als Mann des Ausgleichs bekannt ist. Inhaltlich soll­te man zur Kenntnis neh­men, daß beim „Großen Bruder” USA Online-Glückspiele seit 2006 ver­bo­ten sind. Das FBI etwa ermit­telt gegen meh­re­re Online-Poker-Portale u.a. wg. des Verdachts der Geldwäsche. Einige Anbieter sind denn auch nur noch in Europa prä­sent, sol­len jedoch Zugriffe aus den USA blo­ckie­ren. Möchten wir sowas ver­mehrt bei uns haben? Das ist doch der Skandal und nicht eini­ge mei­net­we­gen im Ton über­zo­ge­ne Äußerungen von Herr Stegner. Wir haben (Vor-)Wahlkampf — da wird hän­de­rin­gend nach Inszenierungen gesucht, die das Wahlvolk empö­ren sol­len. Ich aber kann mich mehr über die gegen­wär­ti­ge Politik in SH empö­ren.

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    1. Swen Wacker

      Bei der Stigmatisierung von 5 Millionen Online-Poker-Spielern in Deutschland zu „Geldwäschern” fra­ge ich mich manch­mal, war­um dass auch gern von Spielautomatenherstellern (http://www.spielautomatonline.de/nachrichten/mit-welchen-mitteln-poker-stars-geldwaesche-betrieben-haben) betont wird. Vielleicht, weil es denen ins Geschäftskonzept passt? Man kann da auch schnell vor einen frem­den Karren gespannt wer­den.

      Ich erken­ne nicht, mit wel­chem Argument ich anneh­men soll, die brei­te Masse der Online-Spieler sei an Geldwäsche gele­gen. Sollte ein Unternehmen sich geschäft­lich falsch geba­ren, könn­te es dadurch sei­ne Lizenz (in SH) ver­lie­ren. Das Gesetz in SH sieht eine Reihe von Regelungen zum Schutz von Spielern bzw. zur Suchtprävention vor. Das sit mehr als jetzt, wo es nur einen unre­gu­lier­ten Markt gibt.

      Das Argument „In den USA” ist schwie­rig. In den USA gibt es auch die Todesstrafe. Ich fin­de es wich­ti­ger, sich mit der Situation hier aus­ein­an­der­zu­set­zen. Und da ist es ein nicht weg­zu­dis­ku­tie­ren­des Fakt, dass Millionen Deutsche online zocken. Und dass die­ser Bereich kom­plett unre­gu­liert ist und kei­ner­lei Möglichkeit besteht, Einfluss zu neh­men oder Gewinne wenigs­tens teil­wei­se abzu­schöp­fen.

      Den Wunsch vie­ler, online zu pokern oder zu wet­ten, muss man nicht rich­tig fin­den. Ich z.B. fin­de das eher pro­ble­ma­tisch. Aber genau des­halb fin­de ich es falsch, den Kopf in den Sand ste­cken und ein­fach so tun, als ob die Menschen auf­hö­ren wür­den zu pokern, wenn man es wei­ter­hin fak­tisch ver­bie­tet — in der Praxis läuft der Vorschlag der 15 Länder, der ursprüng­lich erkennn­bar vom Deutschen Lottoblock for­mu­liert wor­den war, auf eine Erhaltung des Lottomonopols hin­aus. Das ist nur wegen der feh­len­den Ersatzfunktion des lang­sam dahin­ster­ben­en­den Lottogeschäftsmodells zu kurz­fris­tig gedacht und damit tak­tisch falsch.

      Ich stim­me Dir zu, das man nicht jede Äußerung von Politikern skan­da­li­sie­ren muss (das Medium ist mir zudem egal). Ich fin­de aber auch kei­nen Gefallen an einem pla­ka­ti­ven und argu­men­ta­ti­ons­ar­men Mantra, dass allei nda­ruf abzielt, den poli­ti­schen Gegner in eine Schmuddelecke zu stel­len. Das ist bil­lig, ab und an auch niveau­los.

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  2. Fabian Fermer

    Erstens zeigt die­ser ver­meint­li­che Twitter-Skandal, dass vie­les, was sich hin­ter sozia­len Netzwerken ver­birgt und was Social Media aus­macht, die poli­ti­schen Akteure noch nicht erreicht hat. Dabei gibt es gen­pgend Crashkurse, wie man’s rich­tig macht — das Twittern, FAcebooken, Liken, Xingen …

    Zweitens zeigt die inhalt­li­che Auseinandersetzung noch vie­les mehr, und zwar vom Demokratieverständnis des Herrn Dr. Stegner, gibt es doch zum neu­en Glücksspielgesetz in SH nicht nur eine hin­rei­chen­de Mehrheit, son­dern auch eine alles ande­re als ruhm­rei­che Historie, in der Besitzstandswahrer des Lotteriemonopols, ver­bor­genn hin­ter dem Deckmantel der Spielsuchtprävention, ihre Interessen druch­zu­set­zen such­ten. U. a. wur­de das neue SH-Gesetz im Gegensatz zu dem der Restrepublik — und auch im Gegensatz zu dem vom sei­ner­zei­ti­gen Innenminister Stegner erar­bei­te­tetn — nicht mehr­fach von Brüssel ver­wor­fen (vgl. http://www.isa-guide.de/gaming/articles/33498.html). Und die EU dürf­te kaum ein GEstz gut­hei­ßen, dass Geldwäsche Tür und Tor öff­net.

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