Ich habe am Wochenende endlich die Zeit gefunden, das Video über das Gespräch „Gutes Regieren” zwischen Frau Professor Gesine Schwan und Torsten Albig in Ruhe anzuschauen. Ich konnte nicht da sein und weil es mich wunderte, dass zwar viele über irgendwelchen Kleinkram am Rande der Veranstaltung berichteten, aber niemand (jedenfalls habe ich nichts gefunden) über das Gespräch, wollte ich die Veranstaltung auf alle Fälle noch mal sehen und schauen, ob nicht auch der Inhalt lohnenswert war. Das kommt irgendwann die Woche noch was von mir. Jetzt aber erst mal ein Zitat:
Torsten Albig warnt vor den Spezialexperten (etwas bei 06:04):
„Ich glaube, die gesamte Finanzkrise seit 2008 haben wir, Politik wie Wirtschaft, im Kern nicht verstanden (…) aber wir meinen, eine Rolle der Allwissenheit spielen zu müssen.“
Da kann man, was die Konsequenzen angeht, Einwände erheben (mach ich auch noch, wenn ich über die Veranstaltung nachdenke) aber im Hauptaspekt hat er unbedingt Recht: Es gibt nur wenige, die die Krise (die Krisen?) durchdrungen haben und die die verschiedenen Lösungsmöglichkeiten abwägen können. Wir, die Bürger, aber auch gefühlte 99 Prozent der Bundestagsabgeordneten und Bundeskanzlerinnen, -ministerinnen und -minister müssen Expertenvoten vertrauen. Das ist in immer komplexer werden Themenstellungen nicht vermeidbar. Wir können in die Entscheiderinnen und Entscheidern Vertrauen investieren, wenn wir sehen können, dass sie Pro und Contra angehört haben, diese abgewogen haben, Entscheidungen kommen und diese kommunizieren und umsetzen. Ich halte es deshalb auch nicht für schlimm, wenn mir nur wenige Bundestagsabgeordnete den Rettungsschirm erklären könnten, die meisten also nur sagen warum sie dafür (oder für eine Alternative) gestimmt haben. Dieser Allwissenheitsanspruch ist Unfug, unrealistisch und kontraproduktiv.
Wer kein Experte ist, der sollte also die Stärke und Gelassenheit haben, bei eigenen Lösungsvorschlägen Dieter Nuhr zu beachten: „Wenn man keine Ahnung hat, einfach mal Fresse halten“. Das kommt nicht nur besser an sondern wirkt auch überzeugend.
Da musste ich dran denken, als vergangenen Donnerstag ein Antrag der SPD-Fraktion in Landtag „Für ein starkes Europa gleichberechtigter Partner“ las:
„Der Schleswig-Holsteinische Landtag begrüßt den Schuldenschnitt für Griechenland und die höhere Effektivität beim Einsatz der Rettungsschirme. Damit ist ein erster Schritt getan, um die Finanzkrise in Europa in den Griff zu bekommen“
Ach, wer hätte gedacht, dass es so einfach ist! Da diskutieren sie in ganz Europa und der halben Welt seit Monaten und keiner auf die Idee, die SPD im Kieler Landtag zu fragen. Jetzt aber: Völker, hört das Kieler Signal: Man nehme „strengere Finanzmarktregulierung“, einen „Beitrag der Finanzwirtschaft“, füge „Transparenz“, „staatliche Aufsicht“ hinzu und rühre „Finanztransaktionssteuer“ hinzu – und fertig ist der Teig für „eine konsequente europäische Krisenpolitik“. Dann noch mit ein paar gute Dinge aus dem bewährten Kochbuch: „Wachstums- und Beschäftigungsprogramm“ „nachhaltiges Wachstum“, „Primat der Politik“ zum alles garnieren und kurz, bevor wir unser Werk in den Ofen schieben, noch mal schnell den Gegner benennen: „gegen die Herrschaft der Finanzmärkte“ – und schon haben wir fertig und „die Menschen in Europa wieder eine Zukunft“.
Lieber Landtag! Die Euro-Krise bewegt uns alle. Sie zu lösen, zu überstehen, ist unser aller Wunsch. Und jeder glaubt unbesehen, dass auch der Schleswig-Holsteinische Landtag, nicht nur wegen des Blicks auf die Schulden unseres Landes, seinen Teil dazu beiträgt. Niemand erwartet aber von Dir, dass Du nur den Hauch einer Ahnung davon hast, wie man die aktuelle Finanzkrise löst. Niemand braucht diese Debatte im Kieler Landtag. Zu allerletzt der europäische Gedanke. Deshalb tue mir bitte einen Gefallen: Verkomme nicht zur Quasselbude. Wärme Themen nicht zum hundertsten Mal auf. Verschwendet keine Redezeit für Dinge, die Du nicht lösen kannst und musst.
Du willst Europa in den Landtag bringen? Du willst uns, den Bürger, Europa näher bringen? Dann hätte ich lieber eine Debatte über … also, wie wäre es zum Beispiel mit dem Wolfsmanagementplan? Darüber habt ihr überhaupt noch nicht geredet! Das Thema ist vielleicht nicht ganz so cool wie Euro-Rettung oder Wildtiere in Zirkussen, birgt aber mehr Möglichkeiten, Deine Schleswig-Holstein-Kompetenzen unter Beweis zu stellen. Und zwar auch unter europapolitischen Aspekten. Den Wolf zu erhalten, hat nämlich viel mit Europa zu tun, mit dem Wegfall von Grenzen, mit der Angst vor dem Fremden. Europapolitik muss nicht in erster Linie heißen, die europäische Agenda in Kirchnüchel zu diskutieren. Sie kann auch bedeuten, dass unsere Kirchtürme, auch wenn sie im Dorf bleiben, immer auch dazu beitragen, eine europäische Silhouette zu bilden.
Klar, Europa hat immer auch etwas mit Geld zu tun. Vielleicht führt es aber manchmal weiter, nicht das große Ganze erledigen zu wollen sondern auf das Kleingeld in der Hand zu schauen. Dieses Jahr gab es ein Deutschland eine 2 Euro Gedenkmünze. Der Kölner Dom schmückt das Innere der Münze, zusammen mit dem Namen des Bundeslandes, in dem der Kirchturm steht, prägt er den Eindruck, den wir von der Münze haben. Die zwölf Sterne, die die Europäische Union repräsentieren, sind außen, am Rand. Der Kirchturm wird Europa. Der Kirchturm ist Europa. Das Regionale erkennt seine Bedeutung, beherrscht das Bild. Das vermeintlich Regionale ist ein zentral europäisches Thema. Nicht allein Europa nach Schleswig-Holstein holen wollen, sondern Schleswig-Holstein europäisieren. So geht es auch.