Gutes regieren: Im Praxistest nicht so einfach

Von | 5. Dezember 2011

Ich habe am Wochenende end­lich die Zeit gefun­den, das Video über das Gespräch „Gutes Regieren” zwi­schen Frau Professor Gesine Schwan und Torsten Albig in Ruhe anzu­schau­en. Ich konn­te nicht da sein und weil es mich wun­der­te, dass zwar vie­le über irgend­wel­chen Kleinkram am Rande der Veranstaltung berich­te­ten, aber nie­mand (jeden­falls habe ich nichts gefun­den) über das Gespräch, woll­te ich die Veranstaltung auf alle Fälle noch mal sehen und schau­en, ob nicht auch der Inhalt loh­nens­wert war. Das kommt irgend­wann die Woche noch was von mir. Jetzt aber erst mal ein Zitat:

Torsten Albig warnt vor den Spezialexperten (etwas bei 06:04):

 

 

Ich glau­be, die gesam­te Finanzkrise seit 2008 haben wir, Politik wie Wirtschaft, im Kern nicht ver­stan­den (…) aber wir mei­nen, eine Rolle der Allwissenheit spie­len zu müs­sen.“

Da kann man, was die Konsequenzen angeht, Einwände erhe­ben (mach ich auch noch, wenn ich über die Veranstaltung nach­den­ke) aber im Hauptaspekt hat er unbe­dingt Recht: Es gibt nur weni­ge, die die Krise (die Krisen?) durch­drun­gen haben und die die ver­schie­de­nen Lösungsmöglichkeiten abwä­gen kön­nen. Wir, die Bürger, aber auch gefühl­te 99 Prozent der Bundestagsabgeordneten und Bundeskanzlerinnen, -minis­te­rin­nen und -minis­ter müs­sen Expertenvoten ver­trau­en. Das ist in immer kom­ple­xer wer­den Themenstellungen nicht ver­meid­bar. Wir kön­nen in die Entscheiderinnen und Entscheidern Vertrauen inves­tie­ren, wenn wir sehen kön­nen, dass sie Pro und Contra ange­hört haben, die­se abge­wo­gen haben, Entscheidungen kom­men und die­se kom­mu­ni­zie­ren und umset­zen. Ich hal­te es des­halb auch nicht für schlimm, wenn mir nur weni­ge Bundestagsabgeordnete den Rettungsschirm erklä­ren könn­ten, die meis­ten also nur sagen war­um sie dafür (oder für eine Alternative) gestimmt haben. Dieser Allwissenheitsanspruch ist Unfug, unrea­lis­tisch und kon­tra­pro­duk­tiv.

Wer kein Experte ist, der soll­te also die Stärke und Gelassenheit haben, bei eige­nen Lösungsvorschlägen Dieter Nuhr zu beach­ten: „Wenn man kei­ne Ahnung hat, ein­fach mal Fresse hal­ten“. Das kommt nicht nur bes­ser an son­dern wirkt auch über­zeu­gend.

Da muss­te ich dran den­ken, als ver­gan­ge­nen Donnerstag ein Antrag der SPD-Fraktion in Landtag „Für ein star­kes Europa gleich­be­rech­tig­ter Partner“ las:

„Der Schleswig-Holsteinische Landtag begrüßt den Schuldenschnitt für Griechenland und die höhe­re Effektivität beim Einsatz der Rettungsschirme. Damit ist ein ers­ter Schritt getan, um die Finanzkrise in Europa in den Griff zu bekom­men“

Ach, wer hät­te gedacht, dass es so ein­fach ist! Da dis­ku­tie­ren sie in ganz Europa und der hal­ben Welt seit Monaten und kei­ner auf die Idee, die SPD im Kieler Landtag zu fra­gen. Jetzt aber: Völker, hört das Kieler Signal: Man neh­me „stren­ge­re Finanzmarktregulierung“, einen „Beitrag der Finanzwirtschaft“, füge „Transparenz“,staat­li­che Aufsicht“ hin­zu und rüh­re „Finanztransaktionssteuer“ hin­zu – und fer­tig ist der Teig für „eine kon­se­quen­te euro­päi­sche Krisenpolitik“. Dann noch mit ein paar gute Dinge aus dem bewähr­ten Kochbuch: „Wachstums- und Beschäftigungsprogramm“ „nach­hal­ti­ges Wachstum“, „Primat der Politik“ zum alles gar­nie­ren und kurz, bevor wir unser Werk in den Ofen schie­ben, noch mal schnell den Gegner benen­nen: „gegen die Herrschaft der Finanzmärkte“ – und schon haben wir fer­tig und „die Menschen in Europa wie­der eine Zukunft“.

Lieber Landtag! Die Euro-Krise bewegt uns alle. Sie zu lösen, zu über­ste­hen, ist unser aller Wunsch. Und jeder glaubt unbe­se­hen, dass auch der Schleswig-Holsteinische Landtag, nicht nur wegen des Blicks auf die Schulden unse­res Landes, sei­nen Teil dazu bei­trägt. Niemand erwar­tet aber von Dir, dass Du nur den Hauch einer Ahnung davon hast, wie man die aktu­el­le Finanzkrise löst. Niemand braucht die­se Debatte im Kieler Landtag. Zu aller­letzt der euro­päi­sche Gedanke. Deshalb tue mir bit­te einen Gefallen: Verkomme nicht zur Quasselbude. Wärme Themen nicht zum hun­derts­ten Mal auf. Verschwendet kei­ne Redezeit für Dinge, die Du nicht lösen kannst und musst.

Du willst Europa in den Landtag brin­gen? Du willst uns, den Bürger, Europa näher brin­gen? Dann hät­te ich lie­ber eine Debatte über … also, wie wäre es zum Beispiel mit dem Wolfsmanagementplan? Darüber habt ihr über­haupt noch nicht gere­det! Das Thema ist viel­leicht nicht ganz so cool wie Euro-Rettung oder Wildtiere in Zirkussen, birgt aber mehr Möglichkeiten, Deine Schleswig-Holstein-Kompetenzen unter Beweis zu stel­len. Und zwar auch unter euro­pa­po­li­ti­schen Aspekten. Den Wolf zu erhal­ten, hat näm­lich viel mit Europa zu tun, mit dem Wegfall von Grenzen, mit der Angst vor dem Fremden. Europapolitik muss nicht in ers­ter Linie hei­ßen, die euro­päi­sche Agenda in Kirchnüchel zu dis­ku­tie­ren. Sie kann auch bedeu­ten, dass unse­re Kirchtürme, auch wenn sie im Dorf blei­ben, immer auch dazu bei­tra­gen, eine euro­päi­sche Silhouette zu bil­den.

Klar, Europa hat immer auch etwas mit Geld zu tun. Vielleicht führt es aber manch­mal wei­ter, nicht das gro­ße Ganze erle­di­gen zu wol­len son­dern auf das Kleingeld in der Hand zu schau­en. Dieses Jahr gab es ein Deutschland eine 2 Euro Gedenkmünze. Der Kölner Dom schmückt das Innere der Münze, zusam­men mit dem Namen des Bundeslandes, in dem der Kirchturm steht, prägt er den Eindruck, den wir von der Münze haben. Die zwölf Sterne, die die Europäische Union reprä­sen­tie­ren, sind außen, am Rand. Der Kirchturm wird Europa. Der Kirchturm ist Europa. Das Regionale erkennt sei­ne Bedeutung, beherrscht das Bild. Das ver­meint­lich Regionale ist ein zen­tral euro­päi­sches Thema. Nicht allein Europa nach Schleswig-Holstein holen wol­len, son­dern Schleswig-Holstein euro­päi­sie­ren. So geht es auch.

Von:

Swen Wacker, 49, im Herzen Kieler, wohnt in Lüneburg, arbeitet in Hamburg.

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