Für seinen wöchentlichen Überblick hat Swen Wacker beschlossen, sich künftig auf „Veranstaltungen des Parlaments, seiner Ausschüsse und des Präsidiums” zu konzentrieren. In dieser Woche beschreibt er dort unter anderem die Aktivitäten des Innen- und Rechtsausschusses. Dabei geht es auch um die kommunalen Straßenausbaubeiträge. Er schreibt: „Außerdem geht es um […] den Willen der CDU/FDP, die Straßenausbaubeiträge in der Gemeindeordnung und im Kommunalabgabengesetz neu zu regeln […].” Bei den Straßenausbaubeiträgen handelt es sich um den Anteil der Kosten von Baumaßnahmen an Verkehrswegen der Gemeinden, die direkt auf die Eigentümer angrenzender Grundstücke umgelegt werden.
Bei Facebook führte dieser unscheinbare Satz zum Hinweis, dass diese geplanten Änderungen bisher wenig bekannt und den Bürgern nicht kommuniziert sind. Der Autor muss gestehen, dass sie auch an ihm bisher einigermaßen unbemerkt vorbeigegangen sind. Grund genug, einmal einen Blick darauf zu werfen. Der entsprechende Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Gemeindeordnung und des Kommunalabgabengesetzes findet sich mit Datum vom 15. Juni des letzten Jahres als Drucksache 17/1600 in der Infothek des Landtages. Eingebracht haben ihn Werner Kalinka und Gerrit Koch für die Fraktionen von CDU und FDP. Die geplanten Änderungen erkennt man am besten, wenn man die aktuellen Versionen der Gemeindeordnung für Schleswig-Holstein (Gemeindeordnung — GO -) in der Fassung vom 28. Februar 2003 und des Kommunalabgabengesetzes des Landes Schleswig-Holstein (KAG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 10. Januar 2005zum Vergleich heranzieht.
Entscheidungsfreiheit für die Gemeinden
Die geplanten Änderungen an der Gemeindeordnung sind übersichtlich. In Artikel 1 des Gesetzentwurfs heißt es dazu:
§ 76 Absatz 2 erhält einen neuen Satz 2:
„Eine Rechtspflicht zur Erhebung von Straßenausbaubeiträgen besteht nicht.“
§ 76 befasst sich mit den Grundsätze der Finanzmittelbeschaffung. Besagter Absatz 2 lautet bisher:
[Die Gemeinde …] hat die zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlichen Finanzmittel
1. aus Entgelten für ihre Leistungen,
2. im Übrigen aus Steuern
zu beschaffen, soweit die sonstigen Finanzmittel nicht ausreichen.
Mit der Änderung soll Klarheit geschaffen werden, dass die Gemeinde dabei künftig nicht mehr verpflichtet ist, Straßenausbaubeiträge zu erheben.
Höhe des Ausbaubeitrages und Entscheidungsfreiheit der Gemeinden
Diese Änderung wird dann durch Artikel 2 des Gesetzentwurfs aufgenommen, der mehrere Änderungen des KAG umfasst. Hier sollen zunächst die Höhe des Ausbaubeitrages und die bereits beschriebene Entscheidungsfreiheit der Gemeinden geregelt werden. Der Gesetzentwurf lautet wie folgt:
1.) § 8 Absatz 1 Satz 3 erhält folgende Fassung:
„Bei Straßenbaumaßnahmen tragen die Beitragsberechtigten mindestens fünfzehn vom Hundert des Aufwandes, es sei denn, die Gemeinde hat beschlossen, dass sie auf die Erhebung von Straßenausbaubeiträgen verzichtet.“
In der heutigen Fassung lautet den entsprechende Satz:
Bei Straßenbaumaßnahmen tragen die Beitragsberechtigten mindestens zehn vom Hundert des Aufwandes.
Der Entwurf sieht also vor, den Mindestanteil aus den allgemeinen Finanzmitteln der Gemeinden (also der Beitragsberechtigten) von 10 auf 15 Prozent zu erhöhen – bis hin zu einem kompletten Verzicht auf Ausbaubeiträge. Der Restsatz des Gesetzentwurfes nach dem Komma löst übrigens einen Logikalarm aus, denn auch und gerade wenn die Gemeinde auf die Erhebung von Straßenausbaubeiträge verzichtet, leistet sie mindestens fünfzehn Prozent des Aufwandes – nämlich sagenhafte 100 Prozent. Die Formulierung „es sei denn” ist dementsprechend unpassend.
Tiefenmäßige Begrenzung
Hier formuliert der Entwurf wie folgt:
2.) § 8 Absatz 1 Satz 4 erhält folgende Fassung:
„Tiefenmäßige Begrenzungen sind zulässig.“
Die zurzeit gültige Regelung lautet:
Im unbeplanten Bereich ist eine tiefenmäßige Begrenzung zulässig.
Der Autor versteht die Regelung so, dass bei der Zuordnung der Beiträge per Grundstücksfläche eine Grenze bei besonders tiefen Grundstücken gezogen werden kann, sodass Bereiche ab einer gewissen Entfernung von der Straße nicht mehr bei der Bemessung des Beitrages berücksichtigt werden. Der Entwurf möchte nun wohl erreichen, dass diese Änderung auch in den Bereichen einer Gemeinde angewendet werden kann, die mit einem Bebauungsplan überplant sind.
Wiederkehrender Beitrag
Sehr umfangreich ist der Änderungswunsch der Antragsteller hinsichtlich der Einführung eines wiederkehrenden – also dauerhaften – Beitrags anstelle der Heranziehung der Eigentümer mit ihrem vollen Anteil bei konkret anstehenden Maßnahmen:
3.) Es wird ein neuer § 8a eingefügt:
„§ 8a Wiederkehrender Beitrag für Verkehrsanlagen(1) Die Gemeinden können durch Satzung bestimmen, dass anstelle der Erhebung einmaliger Beiträge die jährlichen Investitionsaufwendungen für die öffentlichen Straßen, unselbstständigen Gehwege, Wege und Plätze (Verkehrsanlagen) ihres gesamten Gebiets oder einzelner Abrechnungseinheiten (Gebietsteile) als wiederkehrender Beitrag auf alle in dem Gebiet oder in der Abrechnungseinheit gelegenen Grundstücke verteilt werden, denen durch die Möglichkeit der Inanspruchnahme der im Abrechnungsgebiet gelegenen Verkehrsanlagen ein besonderer Vorteil geboten wird.
(2) Die zu einem Abrechnungsgebiet zusammengefassten Verkehrsanlagen gelten als einheitliche kommunale Einrichtung. Die Bildung eines Abrechnungsgebiets setzt voraus, dass die Straßen in einem räumlichen und funktionalen Zusammenhang stehen. Ein derartiger Zusammenhang kann insbesondere deshalb gegeben sein, weil die Verkehrsanlagen
1. innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile der Gemeinde oder
2. innerhalb selbstständiger städtebaulicher Einheiten oder
3. innerhalb einzelner Baugebiete (§ 1 Abs. 2 der Baunutzungsverordnung)
liegen. Die Abrechnungsgebiete sind in der Satzung zu bestimmen.(3) Der Beitragssatz wird ermittelt, indem die jährlichen Investitionsaufwendungen für alle Verkehrsanlagen des Abrechnungsgebiets nach Abzug des Gemeindeanteils (Absatz 4) auf die Grundstücke verteilt werden, die der Beitragspflicht nach Absatz 1 unterliegen. Bei der Ermittlung des Beitragssatzes kann anstelle der jährlichen Investitionsaufwendungen vom Durchschnitt der im Zeitraum von bis zu fünf Jahren zu erwartenden Investitionsaufwendungen ausgegangen werden. Weichen nach Ablauf dieses Zeitraums die tatsächlichen von den im Durchschnitt erwarteten Investitionsaufwendungen ab, so ist das Beitragsaufkommen der folgenden Jahre entsprechend auszugleichen.
(4) Bei der Ermittlung der Beiträge bleibt ein dem Vorteil der Allgemeinheit entsprechender Teil (Gemeindeanteil) außer Ansatz, der dem nicht den Beitragsschuldnern zuzurechnenden Verkehrsaufkommen entspricht. Der Gemeindeanteil ist in der Satzung festzulegen und beträgt nicht weniger als 15 vom Hundert des Aufwandes.
(5) Die Beitragsschuld entsteht jeweils mit Ablauf des 31. Dezember für das abgelaufene Kalenderjahr. Auf die Beitragsschuld können ab Beginn des Kalenderjahres angemessene Vorauszahlungen verlangt werden.
(6) Im Übrigen gilt § 8 Abs. 5 und 7 entsprechend.
(7) Um eine Doppelbelastung von Grundstückseigentümerinnen oder Grundstückseigentümern oder Erbbauberechtigten zu vermeiden, können die Gemeinden durch Satzung Überleitungsregelungen für die Fälle treffen, in denen vor oder nach der Einführung des wiederkehrenden Beitrags Erschließungsbeiträge oder Ausgleichsbeträge nach dem Baugesetzbuch oder Kosten der erstmaligen Herstellung auf Grund öffentlich-rechtlicher Verträge, insbesondere Erschließungsverträge, sonstiger städtebaulicher Verträge oder auf Grund eines Vorhaben- und Erschließungsplans nach dem Baugesetzbuch geleistet worden sind oder zu leisten sind. Entsprechendes gilt, wenn von einmaligen Beiträgen nach § 8 auf wiederkehrende Beiträge oder wenn von wiederkehrenden Beiträgen auf einmalige Beiträge umgestellt wird. Für Fälle nach Satz 1 und Satz 2, erste Alternative ist ein Zeitraum zu bestimmen, innerhalb dessen die Grundstücke bei der Ermittlung des wiederkehrenden Beitrags nicht berücksichtigt und nicht beitragspflichtig werden. Bei der Bestimmung des Zeitraums sollen die übliche Nutzungsdauer der Verkehrsanlagen und der Umfang der einmaligen Belastung berücksichtigt werden. Bei der Umstellung von wiederkehrenden Beiträgen auf einmalige Beiträge ist in der Satzung der Umfang der Anrechnung von geleisteten wiederkehrenden Beiträgen auf den nächsten einmaligen Beitrag zu bestimmen. Dabei können wiederkehrende Beiträge, die nach der letzten mit wiederkehrenden Beiträgen finanzierten Investitionsmaßnahme an der Verkehrsanlage gezahlt worden sind, auf den einmaligen Beitrag angerechnet werden. Wiederkehrende Beiträge, deren Zahlung, gerechnet ab dem Zeitpunkt der Entstehung der Beitragspflicht nach § 8 Abs. 4 S. 3, länger als der Zeitraum der üblichen Nutzungsdauer zurückliegt, können auf den einmaligen Beitrag nicht angerechnet werden.“
Die Idee eines wiederkehrende Beitrags anstelle eines Ausbaubeitrags in voller Höhe anstelle einer Einmalbelastung bei einer konkreten Baumaßnahme besitzt zunächst einmal einen gewissen Charme. Betrachten wir deshalb die aufgeführte Regelung absatzweise:
Absatz 1: Den Gemeinden wird erlaubt, bestimmte Abrechnungsbereiche für öffentliche Verkehrswege einzurichten und in diesen die jährlichen Investitionsaufwendungen auf die Grundstückseigentümer umzulegen. Die Festlegung besagter Abrechnungsbereiche dürfte nicht trivial sein, aber die Gemeinden sind ja auch nicht verpflichtet, wiederkehrende Beiträge einzuführen. Sie scheinen aber berechtigt zu sein, in einigen Bereichen ihres Gemeindegebiets so zu verfahren, während sie in anderen Bereichen weiterhin die traditionellen Beiträge erheben.
Absatz 2: Hier werden weitere Grundsätze festgelegt, nach denen ein solcher Abrechnungsbereich festgelegt werden kann. Wie rechtssicher diese Grundsätze dann sind, kann der Autor nicht beurteilen. Allerdings hält er Klagen gegen solche Festlegungen durch einzelne Grundstückseigentümer für nicht unwahrscheinlich.
Absatz 3: Anstelle der Berechnung der jährlichen Aufwendungen kann auch ein Durchschnitt über fünf Jahre berechnet werden. Oftmals werden jedoch über einen längeren Zeitraum keine Baumaßnahmen in bestimmten Straßenbereichen durchgeführt. Dann bestehen weder jährliche Aufwendungen noch ein Durchschnitt über fünf Jahre. Zudem ist dem Autor nicht klar, ob die jährlichen Aufwendungen auch die Abschreibungen auf die Verkehrswege umfassen oder nur lediglich tatsächlich geleistete Zahlungen. Weiterhin ist versteht der Autor nicht, wie die Beiträge ausgeglichen werden sollen, wenn die Investitionsaufwendungen zu hoch angesetzt wurden. Sollen sie dann auf einen passenden Satz angepasst werden – oder eben auch um die Überzahlungen vermindert? Wie sähen dann die Regelungen im Falle zwischenzeitlicher Eigentümerwechsel aus?
Absatz 4: Mindestens 15 Prozent des Aufwandes sind aus den allgemeinen Finanzmitteln der Gemeinde begleichen, da neben den Anwohnern auch die Allgemeinheit von den Verkehrswegen profitiert.
Die Absätze 5 und 6 regeln die allgemeinen Grundlagen der Abrechnung, Absatz 7 beschreibt Übergangsregeln, auf die hier nicht weiter eingegangen wird.
Stellungnahme des Gemeindetages
Die Stellungnahme des Schleswig-Holsteinischen Gemeindetags findet sich im Umdruck 17/3140. (Ganz nebenbei könnte man kritisieren, dass es nicht möglich war, diese Stellungnahme in elektronischer Form barrierefrei in die Infothek des Landtags einzustellen. Stattdessen findet sich an dieser Stelle ein eingescanntes Dokument.) Dabei verfährt der Gemeindetag in seiner Anmerkung I nach dem Radio-Eriwan-Prinzip. Einerseits wird es begrüßt, dass Gemeinden auf die Erhebung der Ausbaubeiträge verzichten können, andererseits wird kritisch gesehen, dass damit die entsprechenden Einnahmen im demokratischen Prozess vor Ort tatsächlich entfallen könnten. Deshalb wird die Prüfung angeregt, ob es nicht sinnvoller sein könnte, die Wirtschaftswege im ländlichen Raum aus der Veranlagung im KAG herauszunehmen, denn hier würde das maßgebliche Problem mit den Ausbaubeiträgen der Gemeinden liegen. In seiner Anmerkung II regt der Gemeindetag erwartungsgemäß an, den verpflichtenden Gemeindeanteil nicht auf 15 Prozent anzuheben, sondern vielmehr bei 10 Prozent zu belassen. Weiterhin möchte er die Regelungen zu den tiefenmäßigen Begrenzungen konkreter gefasst sehen. Die Einführung der wiederkehrenden Beiträge begrüßt der Gemeindetag in seiner Anmerkung III sehr und verweist sowohl auf die positiven Erfahrungen in anderen Bundesländern als auch auf die aus seiner Sicht überschaubaren rechtlichen Risiken.
Stellungnahme des Innenministeriums
Das Innenministerium hat am 5. Dezember 2011 Stellung genommen. (Ganz nebenbei könnte man kritisieren, dass es nicht möglich war, diese Stellungnahme in elektronischer Form barrierefrei in die Infothek des Landtags einzustellen. Stattdessen findet sich an dieser Stelle ein eingescanntes Dokument.) Es weist darauf hin, das der Gesetzesentwurf weitestgehend den Regelungen in Rheinland-Pfalz entspricht. Da diese Regelungen jedoch dem Bundesverfassungsgericht zur Prüfung vorgelegt wurden, rät es dazu, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes abzuwarten.
Hinsichtlich der tiefenmäßigen Begrenzung teilt der Innenminister die Bedenken des Schleswig-Holsteinischen Gemeindetags und der Firma GeKOM. (Ganz nebenbei könnte man kritisieren, dass es nicht möglich war, diese Stellungnahme in elektronischer Form barrierefrei in die Infothek des Landtags einzustellen. Stattdessen findet sich an dieser Stelle ein eingescanntes Dokument.) Im Ergebnis rät er von der Regelung ab.
Hinsichtlich des wiederkehrenden Beträge sieht das Innenministerium als wesentlichen Vorteil die temporäre Entlastung für einzelne Grundstückeigentümer. Es sieht aber auch mögliche Akzeptanzprobleme und — jedenfalls vorübergehend — Rechtsunsicherheiten. Die wiederkehrenden Beiträge sind auch der Grund für das rheinland-pfälzische Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht.
Fazit
Insgesamt könnte die Diskussion über dieses Thema für Kommunalpolitiker sehr interessant werden. Dabei wird sich dann auch zeigen, ob die Einschätzung Kai Dolgners richtig ist, der auf Facebook verkündete:
Wer sich die Stellungnahmen auch bezüglich der rechtlichen Bedenken durchliest, kann eigentlich nicht dazu kommen, dass es sich hier schon „handwerklich” um ein sinnvolles Gesetzespaket handelt. Schwarzgelb hatte das auch immer wieder geschoben, so dass wir auf Einsicht gehofft hatten und haben deshalb nicht „draufgeschlagen”…