Wie bleibt man 27 Jahre trocken? – Antworten eines Betroffenen

Von | 1. März 2012

Auch nach vie­len Jahren des Trockenseins ist natür­lich Achtsamkeit gebo­ten. Das heißt dar­auf ach­ten, dass zum Beispiel auch das Essen alko­hol­frei ist. In den unter­schied­lichs­ten Restaurationen erle­be ich immer wie­der fol­gen­de Redensarten: Auf mei­ne Frage, ob die Soße mit Alkohol abge­schmeckt sei, kommt häu­fig die Antwort: „Nein, — machen wir aber ger­ne!“ Und auf mei­ne Frage, was für alko­hol­freie Getränke im Angebot sind, heißt es häu­fig: „Mein Herr, neh­men Sie doch etwas Alkoholarmes, viel­leicht einen Campari.“ Dort, wo ich mit mei­nen Trink- und Essgewohnheiten bekannt bin, sagen die Bedienungen häu­fig: „Ach, Herr Legband stimmt ja, Sie dür­fen ja kei­nen Alkohol trin­ken“. Ich ant­wor­te dann meis­tens: „Unsinn, ich will kei­nen Alkohol trin­ken!“ Dieser klei­ne Unterschied ist ent­schei­dend. Verboten hat mir nie­mand den Alkohol. Entscheidend war mein Wille, es nicht mehr zu tun!

In den über 27 Jahren des absti­nen­ten Lebens wur­de ich von mei­ner Umwelt nicht son­der­lich mit dum­men Sprüchen gequält. Ich den­ke, in all den Jahren waren es höchst vier bis fünf Situationen, in denen irgend­wel­che Zeitgenossen mit Unverständnis auf mei­nen alko­hol­frei­en Lebenswandel reagier­ten. Manchmal war es auch Gedankenlosigkeit. Sehr dümm­lich ver­hielt sich mal ein Arzt wäh­rend mei­nes Zeitungsvolontariats in Marne. Immer wie­der woll­te er mich, obwohl er wuss­te, dass ich nicht trank, zum Schnaps ver­füh­ren. Vor zahl­rei­chen Gästen stell­te ich ihn im „Holsteinischen Haus“ bloß: Ich frag­te, ob er so wenig Patienten habe, dass er auf die­sem Weg für neue sor­gen müs­se. Der Medizinmann ver­ließ wie ein geprü­gel­ter Hund das Lokal. Auf einem Empfang im Landeshaus, drück­te mir ein Politiker, der mich frü­her wegen mei­nes hef­ti­gen Alkoholkonsums kri­ti­siert hat­te und wuss­te, dass ich längst tro­cken war, ein Glas Sekt in die Hand. Ich guck­te ihm in die Augen und ließ es fal­len. Basta! Dass der gute Mann puter­rot anlief, war mir ein inne­rer Reichsparteitag.

Aber im Großen und Ganzen fällt es heu­te nicht mehr auf, wenn man auf Alkoholfreies bestehe. Die Gesellschaft hat sich gewan­delt. Ich sel­ber gehe nach wie vor aus­ge­spro­chen ger­ne in Gaststätten oder Cocktailbars. Ganz groß­ar­tig fin­de ich das umfang­rei­che Angebot von alko­hol­frei­en Getränken. Denn auf die Dauer wird Selters, Cola, Kaffee oder Tee ein­fach zu lang­wei­lig. Da gefällt schon mal eine „Virgin Mary“.

Als der sozia­le und wirt­schaft­li­che Tiefpunkt in mei­nem Leben erreicht war, habe ich mich an eine Alkoholselbsthilfegruppe gewandt. In mei­nem Fall war es das Blaue Kreuz in der evan­ge­li­schen Kirche. Hier habe ich vie­le Menschen getrof­fen, die das glei­che Schicksal wie ich hin­ter sich hat­ten und mir durch ihr Vorleben Möglichkeiten eines Lebens ohne Alkohol auf­ge­zeigt haben. Grundsätzlich ist es mei­nes Erachtens schwe­rer tro­cken zu blei­ben als tro­cken zu wer­den. Mir haben dabei eini­ge Regeln gehol­fen, die ich bis heu­te beach­te: Wird mir etwa von einem Gastgeber ein Sherry zur Begrüßung ange­bo­ten, sage ich nicht schnö­de „nein dan­ke“, son­dern nen­ne eine Alternative: „Ich wür­de mich sehr über eine Tasse Kaffee freu­en!“ Die Reaktion ist immer die Gleiche. Niemand fragt war­um, son­dern frau/​man will mich als guter Gastgeber zufrie­den stel­len und besorgt den Kaffee. Auf die Frage von Kollegen: „Kommen Sie heu­te Abend mit ein paar Bierchen zischen?“ ant­wor­te ich: „Gerne kom­me ich mit, aber Sie wis­sen ja, ich trin­ke kei­nen Alkohol.“ Und abends in der Kneipe mach ich dann ger­ne mit, kann fröh­lich ohne jede Art von Stoff sein. Als Genussmensch gön­ne ich mir ledig­lich eine gute Zigarre. Jedoch: ver­las­se ich den Tresen, um die Örtlichkeiten auf­zu­su­chen, trin­ke ich vor­her das Glas aus. Nur um sicher zu sein, dass mir nie­mand dort ein Schnäpschen rein­panscht.

Im Prinzip gehe ich sehr offen mit mei­ner Krankheit um. Ich bin damit auch immer gut gefah­ren. Ich bin­de nie­man­dem die Story unge­fragt auf die Nase. Will es aber jemand wis­sen, dann rede ich dar­über. Noch eines zum Thema Gastronomie. Wie gesagt, ich schät­ze ein viel­fäl­ti­ges gas­tro­no­mi­sches Angebot sehr und kann auch damit umge­hen, dass in mei­ner Umgebung hef­tig gebe­chert wird. Denn mein Tresengenosse kann ja nichts dafür, dass ich nicht mit Alkohol umge­hen kann. Nur zu Hause, da ist mei­ne alko­hol­freie Zone. Denn das ist der Ort, an dem ich mich fal­len las­se, wo auch schon mal Gemütsschwankungen statt­fin­den sol­len und dür­fen. Da wäre es mir zu gefähr­lich, auf einen Vorrat von Wein oder Hochprozentigem zu woh­nen. Der Weg in die nächs­te Kneipe ist gege­be­nen­falls weit und da wird dann im Fall des Falles ja wohl das Gehirn wie­der ansprin­gen. Hoffentlich!

Wie gehe ich am Arbeitsplatz mit dem Thema Alkohol um. Das ist ein wei­tes Feld, um es mit einem Nobelpreisträger zu sagen. Als ich mei­nen Job bei der Industrie- und Handelskammer zu Kiel antrat, wur­de mir zum Beispiel in der Geschäftsführerrunde ein Glas Sekt ange­bo­ten. Das habe ich freund­lich abge­lehnt und (sie­he oben) nach einem Wasser gefragt. Seitdem habe ich nie wie­der am Arbeitsplatz Alkohol ange­bo­ten bekom­men. Und bei der einen oder ande­ren Veranstaltung, wo Getränke ange­bo­ten wer­den, ste­hen ja eh immer alko­hol­freie Drinks auf dem Tisch.

Wie gehe ich mit Kollegen um, von denen ich weiß, dass sie Alkoholiker sind oder zumin­dest stark gefähr­det. Ich lau­fe nicht als Apostel durch die Gegend und ver­su­che mei­ne Mitmenschen zu mis­sio­nie­ren. Aber ich leh­ne kon­se­quent jede Art von Co-Alkoholismus ab. So habe ich es zum Beispiel stets abge­lehnt, für Redaktionskollegen die Arbeit mit zu erle­di­gen, wenn die­se stän­dig durch einen dicken Kopf oder ähn­li­che Alkohol beding­te Ausfallerscheinungen auf­fie­len. Entsprechend auch mei­ne Begründung gegen­über den Kollegen. War ich Vorgesetzter, so habe ich die Problematik sehr deut­lich ange­spro­chen. Bis hin zum Rausschmiss mit der Zusage: „Du kannst hier wie­der anfan­gen, wenn Du tro­cken bist!“ – War zwar nicht ganz gesetz­lich. Hat aber gehol­fen. Zwei ehe­ma­li­ge Kollegen sind mir bis heu­te dank­bar, dass ich sie so wach­ge­rüt­telt habe und sie heu­te tro­cken sind. Also: auch hier offen mit dem Konflikt umge­hen und nicht her­um­ei­ern. Ein Abhängiger ver­steht nur die har­te Sprache. Alles ande­re hilft nicht!

Michael Legband
Von:

geboren 1952 in Itzehoe, arbeitete als Zeitungs- und Fernsehredakteur für verschiedene Verlage und Sender und ist heute im Hauptberuf Pressesprecher der Industrie- und Handelskammer zu Kiel sowie der IHK Schleswig-Holstein. Nebenberuflich initiiert er Mal-Symposien und verfasst Kunstbücher und betätigt sich als Autor historischer Schriften.

5 Gedanken zu “Wie bleibt man 27 Jahre trocken? – Antworten eines Betroffenen”:

  1. Daniela

    Vielen Dank für die­se offe­nen Worte. Ich hab als Kind schon gelernt, dass bei Vereinsfesten etc. als „Danke schön” für akti­ve Mitglieder weder Weinflaschen noch Schokolade mit Alkohol drin gekauft wur­den, und das habe ich eigent­lich mein Leben lang bei­be­hal­ten (es sei denn, es sind Geschenke für Freunde und Bekannte, bei denen ich den gemä­ßig­ten Alkoholkonsum ken­ne).

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  2. mschild

    Ja, ihre Ausführung ist wirk­lich sehr gut. Ich bin jetzt seit neun Jahren tro­cken, und kom­me auch sehr gut klar. Auch wenn ich heu­te oft von Feiern frü­her nach Hause gehe, weil ich es nicht lei­den kann wenn fast alle um einen her­um betrun­ken sind, nicht weil ich ihnen den Alkohol nei­de, son­dern weil Menschen, die nüch­tern total lieb und nicht ner­vig sind auf Alkohol zu regel­rech­ten Stressbolzen mutie­ren. Ich fra­ge mich dann immer: Ob ich frü­her auch so war? Grusel. Ekelig. :)

    Auffällig ist hier­bei, wie schnell sich die Leute betrin­ken. Sind wir frü­her mit einer Pulle Korn und einem Sixer Bier bis Morgens hin­ge­kom­men, trin­ken vie­le Heute so eine Flasche Hochprozentigen in zwei Stunden leer. Das Vorglühen hat mas­siv über­hand genom­men, meist gehen die Leute schon völ­lig besof­fen in die loka­le Dorfdisko (hier: D-Halle, Meldorf). Dort klebt dann der Boden, es ist als hät­te man Magnetschuhe an, die Toiletten sind nicht begeh­bar und man kann nicht lau­fen oder sogar ste­hen, ohne ange­rem­pelt zu wer­den.

    Aber viel­leicht war es frü­her schon genau so, ich habe es nur nicht gemerkt, weil ich selbst immer voll drauf war.

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  3. dagoli

    Es ist schön zu lesen.
    Der Titel führt einen etwas in die Irre.
    „Wie bleibt man tro­cken.”
    Es wird beschrie­ben was einem geschieht, wenn man ohne Alkohol ist. Es wird aber nicht beschrie­ben, wie man dann lebt.
    Ich kann mir gut vor­stel­len, ein Leben ohne Alkohol ist sicher­lich viel ange­neh­mer. Man lebt also viel bes­ser. Man lebt gesun­der. Der Alkohol bestimmt nicht mehr das Leben. Das Leben ist nicht mehr so teu­er. Und so wei­ter, und so wei­ter …Wie lebt man ohne Alk? Man lebt bes­ser.
    Danke und vie­le Tage ohne Alkohol.
    Ciao

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  4. Misses B

    Ein tol­ler Beitrag! Sehr offen… Ich per­sön­lich war nie süch­tig nach Alkohol. Nach diver­sen betrun­ke­nen Wochenenden in jun­gen Jahren habe ich ein­fach auf­ge­hört, weil die Siechtage immer mehr wur­den. Nun trin­ke ich schon seit gut acht Jahren kaum Alkohol (mal ein Glas Sekt zu Silvester). Meine Erfahrung ist jedoch, dass ich mich sehr oft recht­fer­ti­gen muss, weil ich kei­nen Alkohol möch­te. Das nervt und ist für Suchtgefährdete oder Alkoholsüchtige wohl kaum zu ertra­gen. Mir per­sön­lich fällt es nicht schwer abzu­leh­nen, da mir die meis­ten alko­ho­li­schen Getränke schlicht­weg nicht schme­cken. Meine per­sön­li­che Meinung ist, dass Alkohol in der Gesellschaft viel zu sehr ver­harm­lost und als Lebensmittel betrach­tet wird.
    Ich wün­sche Ihnen eine lebens­lan­ge „Trockenzeit”.
    Herzlichst
    Misses B

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  5. Henning

    Hallo,

    auch ich dan­ke dir für dei­ne schö­nen und per­sön­li­chen Worte. Ich muss sagen, dass ein­fach in unse­rer Gesellschaft der Konsum von Alkohol viel zu harm­los dar­ge­stellt wird. Auf jeder Party, Geburtstag gibt es Alkohol. In den Medien wird viel zu häu­fig der Konsum von Alkohol gezeigt. Unserer Regierung soll­te dage­gen etwas neh­men.

    Grüße
    Henning

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