Seit dem 1. November 2010 gibt es den neuen elektronischen Personalausweises (nPA), mit dessen eID-Funktion der Inhaber sich, wenn er sie bei der Passbehörde einschalten lies, gegenüber Dritten elektronisch authentifizieren kann. Der neue Personalausweis soll den bisherigen schrittweise bis 2020 ablösen. Bislang wurden etwa 7 Millionen neue Personalausweise ausgegeben, 2 Millionen davon mit eingeschalteter eID-Funktion. Diese Zahlen, die deutlich niedriger sind als die im November von der Bundesdruckerei geschätzten 10 Millionen bis Ende 2011, nennt der Referentenentwurf des Gesetz zur Förderung der elektronischen Verwaltung sowie zur Änderung weiterer Vorschriften.
Über das Unbehagen mit dem nPA berichteten wir im Landesblog schon ab und an. So richtig will sich die große Begeisterung für den Ausweis immer noch nicht nicht einstellen. Die BITKOM berichtete Ende 2011, lediglich 45 Prozent der Bundesbürger stünden ihm grundsätzlich positiv gegenüber, immerhin 44 Prozent lehnten ihn ab. Hinzu kommt, dass die „Killer-Applikation“, also die Anwendung, bei der jeder sagt: „Ja, die muss ich haben“ anscheinend noch immer auf sich warten lässt.
Eine Kleine Anfrage des Abgeordneten Gerrit Koch (FDP) zeigt nun, wie die elektronischen Funktionen des offiziellen Dokumentes vor sich hin dümpeln: Das Bundesministerium des Innern veröffentlicht unter http://www.ccepa.de/onlineanwendungen (Hinweis: die in der Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage genannten Adresse ist falsch, sie gehört nicht dem BMI – Mein Browser (chrome) weigert sich sogar, die Seite zu öffnen) aktuell bundesweit ganze 34 Anwendungen, 13 davon stammen von Behörden. Die Behörden in Schleswig-Holstein vermelden Fehlanzeige, lediglich das Finanzministerium bereite eine eID-Nutzung über das Government-Gateway vor, das gemeinsam mit der Freien und Hansestadt Hamburg bei Dataport betrieben wird.
Kochs Frage nach Erkenntnissen über die Akzeptanz der Angebote durch die Nutzer bei Behörden und Unternehmen blieb unbeantwortet — der Landesregierung liegen hierzu keine Erkenntnisse vor.
Die Katze beißt sich in den Schwanz, wenn die Landesregierung das bislang nicht stark ausgeprägte Interesse der Verwaltungen an der Nutzung der eID mit der durch die Gültigkeitsdauer des Personalausweises bedingten, lediglich schrittweisen Einführung begründet.
Aber vielleicht sind die Bürgerinnen und Bürger und die Verwaltungen in Schleswig-Holstein sogar schlau, wenn sie den eID an sich vorbei ziehen lassen:
10 Jahre sind der IT eine lange Zeit. Und schon heute, berichtete der Heise-Verlag vor drei Monaten, tüftelten Wissenschaftler die nächste Ausweis-Generation aus. Von „multimodaler Biometrie“ ist die Rede und von einem „Volumen-Hologramm, Fingerabdrucksensoren auf den Karten und biometrischen Aufzeichnungen der Unterschrift. All das soll den Ausweis dann „wirklich fälschungssicher“ machen — so wie Ariel die Wäsche unserer Mütter sogar weißer als weiß waschen konnte. Ob das nun stimmt oder nicht: den „alten“ neuen Personalausweis wird dann so oder so niemand mehr nutzen wollen.
Diesen „neuen” Schnüffelausweis werde ich dann erst echt nicht nutzen ;)
Was bedeutet das dann für das E-Gov-Gesetz? Die Behörden sollen dann nach §3a VwVfG zwangsweise den elektronischen Zugang eröffnen (was sie schon seit 28.12.2009 wegen Artikel 8 EU-Dienstleistungsrichtlinie längst müssten).
Dann kann man entweder mit nicht standardisierter E-Mail und qualifizierter Signatur (gibt es die noch zu kaufen oder sind die Verkaufsstellen so geheim wie Weicherts Prüfung des Trojaners im LKA S-H?) oder mit DE-Mail auf die Behörden zugreifen. Für DE-Mail ist aber nach dem E-GovG-E die „sichere Anmeldung” erforderlich. Die Telekom bietet für die sichere Anmeldung mobileTAN und eID an beim Webzugriff:
http://www.t-systems.de/tsip/servlet/contentblob/t-systems.de/de/801936_1/blobBinary/De-Mail_Informationsblatt-DE-Mail-Gesetz-ps.pdf;jsessionid=7045C938EDE04B574C6AAEF233053155?ts_layoutId=170878
Wenn dann kaum einer die eID freigeschaltet hat, bleibt also eher nur E-Mails an Behörden in Verbindung mit einem Handy und gegen Zahlung von Gebühren von ca 30 €/Mail schicken kann. Die Einmauerung in die Trutzburg ist also perfekt: die Verwaltung kann weiter das Internet ignorieren und sagen, ruf an, komm vorbei oder schicke einen Brief. Aber bitte nicht Internet?
In den USA, UK und Niederlanden (die drei habe ich geprüft), kann man mit normaler E-Mail rechtskräftige Geschäfte mit dem Staat verrichten. Mit der Wirtschaft weltweit sowieso. E-Mail kann man kostenlos versenden wie bei GMX und anderen Provider. Mache ich seit 14 Jahren da, super Service, kostenlos, kann ich mit S/MIME auch verschlüsselt und signiert. Da habe ich auch für privat ein kostenloses X.509-Zertifikat.
Beim Handy habe ich Flatrate für Vodafone und Festnetz. Aber das Staat will sich da auskoppeln und verlangt trotz Faltrate bis zu 10 Cent/Minute (also doppelt so viel wir günstige Anrufe in die Türkei). Jetzt soll E-Mail, die in anderen Staaten mit Wirtschaft und Staat kostenlos ausgetauscht werden, bei uns in Deutschland so um die 30 Cent kosten. Aber ich haben noch nirgendwo einen Business Case gesehen, der die Sonderbehandlung der Deutschen an Internationalen Standards vorbei rechtfertigt. Sind die deutschen Behörden besonders unsicher? Oder haben wir nur ein verstecktes Wirtschaftssubventionsprogramm mit verdeckten Kosten, mit einer nicht akzeptierten Technologie, die seit 15 Jahren regelmäßig ernsthaftes E-Government abwürgt?
Habe ich einen Denkfehler oder können wir uns das E-GovG sparen, weil wir seit 15 Jahren nichts lauffähiges und akzeptiertes auf die Beine kriegen und der neue hyperkomplexe Ansatz nicht die Bohne Realisierbarkeit erscheinen lässt, die EU-Dienstleistungsrichtlinie weiterhin in Deutschland nicht umsetzt (Art. 8 EU-DLR) und die Deutschen gegenüber anderen Völkern (auch schon nur in der EU) herabsetzt?
See also: http://wk-blog.wolfgang-ksoll.de/2012/02/26/e-government-in-der-trutzburg-das-rheingold/