Heimat 2.0 - Wer ist Schleswig-Holstein?

Von | 14. März 2012

Noch bevor der Wahlkampf rich­tig begon­nen hat, ereig­nen sich ers­te Merkwürdigkeiten: Die CDU stat­tet ihren Spitzenkandidaten per Computer auf dem Wahlplakat mit grü­nem Schal aus und packt ihn gele­gent­lich vor einen roten Hintergrund. Da ist es kein Wunder, wenn nicht nur Jost de Jager auf dem Plakat etwas ver­wirrt drein­schaut – son­dern auch der Betrachter rät­selt. Wahlplakate sol­len doch die Aussagen umfang­rei­cher Parteiprogramme, Strategien und gele­gent­lich sogar Charisma auf weni­gen qm zusam­men­fas­sen. Da wun­dert man sich natür­lich über die ver­meint­li­che poli­ti­sche Farbenblindheit der CDU. Es ist ein pein­li­ches Beispiel für den zen­tra­len Zielkonflikt eines jeden Wahlkampfes: Einerseits habe ich eine bestimm­te poli­ti­sche Position, ande­rer­seits muss ich dar­über hin­aus mög­lichst vie­le Menschen errei­chen um zu gewin­nen.

Beim Schmunzeln über die­se Posse wird bis­her ein viel span­nen­de­rer Umgang mit die­sem Zielkonflikt über­se­hen. Die Kampagne der SPD „mein-lieblingsland.de“ hat kaum Aufmerksamkeit erfah­ren. Hier wer­den nicht die poli­ti­schen Gegner ins Plakat ein­be­zo­gen, son­dern gleich das gan­ze Land. „SPD – die Schleswig-Holstein-Partei“ heißt es auf „mein-lieblingsland.de“. Das ist in zwei­fa­cher Weise wirk­lich neu: Zum Ersten erhe­ben die Sozialdemokraten da Anspruch auf einen Claim – um mal in der Werbersprache zu spre­chen – der CDU; gut 60 Jahre hat sich die CDU als Landespartei ver­mark­tet und zeit­wei­se sehr aktiv an einer Landesidentität gewer­kelt. Diese kon­ser­va­ti­ve Arbeit an einer Landesidentität stand in einer Tradition von den Anfängen des Landes Schleswig-Holstein bis in die 1980er Jahre. Sie konn­te an viel älte­re Stränge noch aus der preu­ßi­schen Zeit anknüp­fen. Ihr stand ein rei­ches Arsenal aus Erinnerungsorten, Gedenktagen und Brauchtum zur Verfügung – lokal eif­rig gepflegt von einem ein­fluss­rei­chen bür­ger­li­chen Milieu. Am stärks­ten aus­ge­prägt war dies unter der frü­he­ren Lichtgestalt der CDU, Gerhard Stoltenberg. Dieser bezog sich selbst gar als „der gro­ße, kla­re aus dem Norden“ gleich in die Identitätsstiftung mit ein und war als Marke — um wie­der die Werbersprache zu bemü­hen – äußerst erfolg­reich. Unter sei­ner Führung ent­wi­ckel­te die Staatkanzlei Ende der 1970er bei­spiels­wei­se den Schleswig-Holstein-Tag als Showbühne Stoltenbergs. Da wur­de eine schles­wig-hol­stei­ni­sche Identität recht bunt „von oben“ zusam­men­ge­mischt. Das Volk durf­te klat­schen und konn­te sich wohl­füh­len, v.a. aber wähl­te man alle paar Jahre pas­send. Ein „ech­ter“ Schleswig-Holsteiner muss­te danach kon­ser­va­tiv sein. Und dies zeig­te lan­ge Wirkung. Die CDU regier­te 38 Jahre am Stück. Die Sozialdemokraten arbei­te­ten sich an die­sem uni­que sel­ling point – wie­der die Werber — jahr­zehn­te­lang immer nur ab. Sie kri­ti­sier­ten, hin­ter­frag­ten (wenn auch unter Heide Simonis sehr viel weni­ger). Seit den 1980er Jahren trug das eins­ti­ge CDU-Erfolgsmodell der Identitätsstiftung über die­se numi­no­se Heimat nicht mehr so recht. Anders als die CSU in Bayern mit ihrem Claim von „Lederhose und Laptop“ hat­te die schles­wig-hol­stei­ni­sche CDU zu lan­ge an alten Identitätsangeboten fest­ge­hal­ten, die höchs­tens noch im sehr rura­len Milieu unan­ge­foch­ten waren. Man kann sagen, dass die CDU den Heimatbegriff für den poli­ti­schen Nutzen regel­recht abge­wirt­schaf­tet hat­te. Zuletzt lächel­te Peter-Harry Carstensen neben dem aus­drucks­lo­sen Slogan „Heimat, Aufschwung, Zukunft“ vom Wahlplakat. Es schien, dass die letz­te Schwundstufe erreicht sei.

Und nun die Überraschung: Plötzlich ist die SPD die Schleswig-Holstein-Partei und die Genossen tre­ten mit Herz-Buttons am Revers auf. Aber, was wol­len die uns denn nun als unse­re Heimat ver­kau­fen? Das Übliche, Erwartbare ist dabei, klar; ohne die wei­ten Horizonte, das Meer und ähn­li­che Requisiten ist in der Bildsprache wohl nicht aus­zu­kom­men. Die ver­mit­tel­te Botschaft ist jedoch neu. Die Kampagnenseite erklärt: „Unser Lieblingsland ist die Summe vie­ler ein­zel­ner star­ker Teile. Doch der stärks­te Teil sind die, die hier leben: wir! Wir haben es in der Hand, wie es mit unse­rem Lieblingsland wei­ter­geht.“

Da ist der zwei­te Punkt, der die­se Kampagne her­aus­hebt. Die Menschen bekom­men kein Bild prä­sen­tiert, wie Schleswig-Holstein immer schon war und wo ihr Platz auf der Scholle ist. Als eine Art Endmoräne des SPD-Demokratiesommers, in dem Torsten Albig durchs Land reis­te und mit den Bürgern sprach, kön­nen die Schleswig-Holsteiner im Internet selbst SPD-Plakate zu ihrem Land und mit ihren Slogans gestal­ten. Dann wird abge­stimmt und der belieb­tes­te Entwurf wird groß­flä­chig pla­ka­tiert. Sie sind kei­ne blo­ßen Konsumenten von Heimattümelei, son­dern im Jargon des Web2.0 „Prosumenten“ (Produzenten und Konsumenten) ihrer Landesidentität zugleich. Der Blick geht also nicht in die Vergangenheit, um die Gegenwart zu erklä­ren. Im Gegenteil sol­len die Menschen selbst ange­ben, was Ihnen wich­tig ist, wie Schleswig-Holstein aus­se­hen soll. Die Identitätsstiftung ergibt sich dar­aus, dass alle gemein­sam für die Zukunft anpa­cken – eine Heimat 2.0 schaf­fen.

Gut, so ganz neu ist die Idee nicht. Robert Habeck hat ein ähn­li­ches Konzept des „lin­ken Patriotismus“ bereits vor ein paar Jahren als Buch auf den Markt gewor­fen. Aber das ist ein Thema des Spitzenkandidaten, nicht sei­ner Grünen. Und auch für das Wahlkampfmotiv gibt es Vorläufer. Björn Engholm ließ bereits pla­ka­tie­ren: „Stell Dir vor, es gibt eine Regierung, die hört Dir zu!” Aber hier wird in einer Kampagne gemein­sam eine zukunfts­wei­sen­de Identität gesucht, in der alle Menschen als Akteure mit­wir­ken kön­nen. Das ist wirk­lich neu und auf der Höhe der Generation „Gefällt mir“.

Die poli­ti­schen Gegner haben die Tragweite die­ses Identifikationsangebots, die­ser Aneignung von Heimat 2.0 nicht ver­stan­den. So sieht der mei­nungs­freu­di­ge Wolfgang Kubicki in Albigs Lieblingsland eine Utopie (Kleine Parteien neh­men sich Albig zur Brust, SHZ, 13.12.2011). Mal abge­se­hen davon, dass Kubicki offen­sicht­lich gene­rell nicht um die Kräfte, die Utopien in den Köpfen ent­wi­ckeln kön­nen, weiß: In die­sem auf die Zukunft gerich­te­ten Verständnis von Schleswig-Holstein steckt viel­leicht der Schlüssel zum Wahlsieg. Heimat 2.0 kann der SPD das Etikett der Mitte ver­lei­hen. Anscheinend mögen die Menschen das Präsidiale, das von der poli­ti­schen Auseinandersetzung Enthobene. Sie wäh­len Leute wie Angela Merkel und Olaf Scholz, denen sie zuschrei­ben, alter­na­tiv­los bzw. ver­nünf­tig zu regie­ren. Die Lieblingsland-Kampagne kann es schaf­fen, Torsten Albig die­ses Etikett eben­falls zu ver­pas­sen. In den Worten Torsten Albigs wird es kein „auf Konflikt und Krawall ange­leg­ter Wahlkampf, in dem ich mich mit dem CDU-Spitzenkandidaten ver­bal prü­ge­le“(Die Wahl ist noch weit weg, SHZ, 11.12.2011). Das neue Konzept ist Ausdruck des Strebens nach der Mitte. In kurz: Wer glaub­haft für sich bean­spru­chen kann, „unser“ Land zu ver­tre­ten, der hat die Mitte – und damit den Wahlsieg.

Mein-Lieblingsland ist Heimat 2.0 — zum mit­ge­stal­ten. Es ist nicht mehr der Versuch, über eine Auswahl von Lokalkolorit poli­ti­sche Einstellungen als typisch oder nor­mal für ein gan­zes Land zu behaup­ten. Die SPD will Vielfalt. Für sie ist Schleswig-Holsteins Kultur in den Worten Albigs sowohl Theodor Storm als auch Rötger Feldmann. Aber das Gegenteil der „alten“ Heimat ist es bei aller Vielfalt und Beteiligungsmöglichkeiten auch nicht auto­ma­tisch. Es besteht immer die Gefahr, dass wohl­fei­le Landlust-Romantik die unbe­que­men poli­ti­schen Streitpunkte aus der Wahrnehmung ver­drängt. Diese Heimat fän­den dann zwar alle gut, sie wäre aber auch ziem­lich belie­big. Ein der­ar­ti­ger Konsens mag kurz­fris­tig gemüt­lich sein, er trägt jedoch kaum über den Wahlsieg hin­aus. Das Lieblingsland zeich­net sich nicht nur durch kul­tu­rel­le Vielfalt aus; es gibt eben auch nicht das Eine, gemein­sa­me poli­ti­sche Interesse, son­dern vie­le ver­schie­de­ne. Dies gilt umso mehr in Zeiten der Schuldenbremse und des strik­ten Sparkurses. Es wird hart ver­han­delt wer­den müs­sen, wohin Geld gehen wird und für was kei­nes mehr da sein soll.

Nun liegt es erst­mals in den Händen der Bürger als Prosumenten ihr Lieblingsland zu beschrei­ben und dabei nicht nur Landlust, son­dern v.a. poli­ti­sche Verantwortung für das Land ein­zu­for­dern. Entscheidend ist nicht der blan­ke Hans, son­dern dass Hans blank ist. Die Idee zu mein-Lieblingsland ist inno­va­tiv; wenn sie funk­tio­niert, wird der Konsens hin­ter­her im Parlament gefun­den wer­den und nicht schon im Vorgriff auf der Litfaßsäule.

Knud Andresen
Von:

Dr. Knud Andresen, 30, wohnt in Kiel und arbeitet an einer Schnittstelle zwischen Politik und Kultur. Sozialdemokrat.

10 Gedanken zu “Heimat 2.0 - Wer ist Schleswig-Holstein?”:

  1. Pingback: Es ist eindeutig Wahlkampf « KielKontrovers

  2. Ulrich Bähr

    Ich stim­me mit ein — bei einem sol­chen, schein­bar neu­tral bewer­ten­dem Text erst durch Klick auf das Autorenprofil zu erfah­ren, dass der Autor zumin­dest im Verdacht der Befangenheit steht, ist unzu­rei­chend. Da sind selbst die Verlage wei­ter — schreibt z.B. die Medienseite der Financial Times Deutschland über RTL, so wird dort direkt im Text ange­merkt, dass man zum glei­chen Konzern gehört. Das muss ich als Leser nicht erst selbst im Impressum nach­le­sen.
    Als reger Leser bit­te auch ich hier um Besserung (denn die Analyse ist ja nicht falsch, wird aber irgend­wie schal…)

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  3. Swen Wacker

    Als Thilo heu­te mor­gen sei­ne Kritik äußer­te, stand „Dr. Knud Andresen, 30, wohnt in Kiel und arbei­tet an einer Schnittstelle zwi­schen Politik und Kultur. Er ist Mitglied der SPD” noch nicht im Autorenprofil Autorenprofil. Dies war ein Versäumnis von mir, als ich ges­tern Abend den Autorenstammsatz anleg­te; Knud Andresen hat­te mir die Daten gelie­fert. Ich habe den Text gegen 10.00 Uhr nach­ge­tra­gen. Ich kann mal schau­en, ob ich die Autorenbox stets unter den Text erschei­nen las­sen, dann tau­chen sol­che Mißverständnisse, für die ich mich gern ent­schul­di­ge, nicht mehr auf.

    In der Sache ver­ste­he ich ehr­lich gesagt nicht, war­um der Artikel als Lob der Kampagne begrif­fen wird. Der Autor lei­tet die Argumenatation der Kampagne zwar her, resü­miert dann aber: „Es besteht immer die Gefahr, dass wohl­fei­le Landlust-Romantik die unbe­que­men poli­ti­schen Streitpunkte aus der Wahrnehmung ver­drängt. Diese Heimat fän­den dann zwar alle gut, sie wäre aber auch ziem­lich belie­big. Ein der­ar­ti­ger Konsens mag kurz­fris­tig gemüt­lich sein, er trägt jedoch kaum über den Wahlsieg hin­aus”. Das ist für mich eine recht deut­li­che Kritik an der Kampagne.

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  4. Thilo

    Also ich kann da kei­ne Kritik an der SPD-Kampagne erken­nen, da das da ja eher so ist, dass sich jeder sel­ber sein Plakat zusam­men­klickt.

    Wobei ich den Satz nicht ver­ste­he: „Die Idee zu mein-Lieblingsland ist inno­va­tiv; wenn sie funk­tio­niert, wird der Konsens hin­ter­her im Parlament gefun­den wer­den und nicht schon im Vorgriff auf der Litfaßsäule.”

    Welcher Konsens? Wer fin­det den?

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  5. Oliver Fink

    Auch ich sehe den Artikel der Kampagne gegen­über nicht kri­tisch. Muss er ja auch gar nicht sein. Dass der Hinweis auf die Parteimitgliedschaft des Autoren fehl­te, ist scha­de. Aber Fehler pas­sie­ren. Swen hat die­sen ein­ge­stan­den, ihn beho­ben und sich dar­über hin­aus dafür ent­schul­digt.

    Ich fin­de, ein ein­fa­cher Hinweis oder eine Nachfrage hät­ten gelangt. Aber jede Mücke freut sich, wenn sie auch ein­mal zum Elefanten wer­den darf…

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  6. Christopher-Daniel Gregorczyk

    Ob man nun wis­sen kann ob Knud SPD Mitglied oder gar Funktionär ist, spielt ja gar kei­ne Rolle. Ich kann mich erin­nern das in den Anfängen des Landesblogs die Autorenbox sicht­bar unter dem Artikel war. Dies soll­te Swen bit­te wie­der ein­füh­ren, es ver­hin­dert Irritationen.

    Auch ob die SPD Kampange nun Kritisch oder Euphorisch betrach­tet wird ist rela­tiv egal, denn für mich geht es in dem Beitrag um mehr als nur Selbstbeweihräucherung. Es wird vor allem die Einbindung des Bürgers posi­tiv her­vor­ge­ho­ben. Was ja nur ein Punkt der Kampagne ist. Ein Punkt der mir bei aller „Heimatverliebtheit” von Mein-Lieblingsland, sehr zuspricht.

    Mitmachen kann jeder.

    Das ist doch was Positives und wird sich in den kom­men­den Kampagnen der Parteien sicher wie­der fin­den.

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  7. Ulrich Bähr

    @ Oliver Fink: Mücken ärgern mich im Alltag aller­dings deut­lich mehr als Elefanten. Die ste­hen im Zoo und stö­ren nicht wei­ter ;-)

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  8. Ulrich Bähr

    In einer Sache irrt Knud Andresen.
    Er schreibt: „Dann wird abge­stimmt und der belieb­tes­te Entwurf wird groß­flä­chig pla­ka­tiert.”

    Auf der Website der Aktion wird das anders dar­ge­stellt: „Aus allen ein­ge­sen­de­ten Plakaten wählt eine Jury mit Torsten Albig ein Siegermotiv aus.”

    Das ist ver­ständ­lich, damit man nicht die hoch­ge­vo­te­te Kampagne der Piraten pla­ka­tie­ren muss (könn­te pas­sie­ren) oder irgend­ein ande­res Motiv, unter dem man das SPD-Signet nicht sehen möch­te.

    Andererseits zieht es der „Prosumer”-Story samt Identifikation doch ziem­lich den Zahn: Plakatiert wird nicht, womit sich die Teilnehmer am meis­ten iden­ti­fi­zie­ren, son­dern was die SPD für pas­send und kam­pa­gnen­wirk­sam hält.
    Die Kontrolle abzu­ge­ben, wirk­lich das zu pla­ka­tie­ren, was am meis­ten Zustimmung in der Netzgemeinde, das wäre tat­säch­lich mutig gewe­sen. Und hät­te sicher auch stark zur Teilnahme ani­miert.

    So fällt das gan­ze doch eher zurück in einen übli­chen Ideen-Einsendewettbewerb ab, wie ihn zuletzt die Uni Kiel mit ihrem Slogan ver­geigt hat.

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  9. Rüdiger Fischer

    Was mir an der „Lieblingsland-Kampagne” zuerst auf­fiel, war die Infantilisierung des Wahlvolkes. Man hat sich an kur­ze, knap­pe Botschaften auf den Wahlplakaten (und in Statements jeder Art) gewöhnt — aber „Lieblingsland”? Wirklich?
    Mein Lieblingsland heißt Bullerbü.

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