Die Süddeutsche Zeitung hat am Wochenende über eine geplante Änderung der Geschäftsordnung des Bundestages berichtet, die auf einen „Maulkorb“ für Abgeordnete hinauslief (und nebenbei den aufrechten Bundestagspräsident Lammert an die enge Leine nimmt):
Mit den neuen Regeln soll der Parlamentspräsident verpflichtet werden, das Wort nur mehr den von der Fraktion eingeteilten Rednern zu erteilen. Andere Abgeordnete darf er nur ganz ausnahmsweise und nur noch drei Minuten lang reden lassen — auch dies nur „im Benehmen mit den Fraktionen”.
CDU/CSU, SPD und FDP beschlossen das im Geschäftsordnungsausschuss, lediglich Grüne und Linke stimmten dagegen.
Ein Sturm der Entrüstung brauste auf – auch aus den Reihen der Fraktionen, die das so beschlossen hatte. Im Laufe des gestrigen Tages (16. April) erfolgte dann der Rückzug.
Ich habe die Fraktionen im Kieler Landtag gestern gefragt, was sie von dieser Idee halten. Wäre das auch in Schleswig-Holstein vorstellbar?
Die Antworten – die noch vor dem Berliner Rückzieher formuliert wurden – zeigen, dass die Fraktionen im Schleswig-Holsteinischen Landtag ein anderes Verständnis von Redekultur haben.
Die CDU-Fraktion im Schleswig-Holsteinischen Landtag machte kein langes Federlesen: Für sie sind die Vorschläge für eine offenere und dialogfreudigere Parlamentskultur, die die von Landtagspräsident Torsten Geerdts eingesetzte Arbeitsgruppe vor wenigen Monaten vorgelegt hat, der richtige Weg.
Für Ralf Stegner, SPD-Fraktionsvorsitzender ist das Parlament der Ort, „wo Abgeordnete miteinander diskutieren, wo sie ihre Meinung und ihr Abstimmungsverhalten öffentlich diskutieren und begründen sollen. Dafür muss es Regeln geben. Es ist aber kein Zeichen von Souveränität, wenn per Geschäftsordnung das Rederecht von Abgeordneten derart beschränkt werden soll. Wir haben im Schleswig-Holsteinischen Landtag eine vorbildliche Regelung, die jeder und jedem die Möglichkeit von 3-Minutenbeiträgen eröffnet.“
Auch für Anke Spoorendonk vom SSW sind die Berliner Vorschläge unvorstellbar: „Im Schleswig-Holsteinischen Landtag haben wir eine politische Kultur entwickelt, die dem entgegen gesetzt werden kann. Die Gleichberechtigung der Fraktionen steht im Mittelpunkt und Redezeiten werden einvernehmlich abgesprochen. Die Überlegung des Landtagspräsidenten, durch feste Redezeitkontingente für alle Fraktionen die Debatte lebendiger zu gestalten, indem die Fraktionen eigene Schwerpunkte in der Debatte bilden, sehen wir positiv.“
Der Spitzenkandidat der Piratenpartei, Torge Schmidt, der sich auf einen Einzug in Parlament vorbereiten kann, sieht die Rechte der Abgeordneten höher als die der Fraktionen: „Nur wenn jeder Parlamentarier volles Rederecht behält ist gewährleistet, dass Stellungnahmen nach dem Grundsatz des Gewissens auch weiter wahrgenommen werden können. Ansonsten besteht die Möglichkeit, dass unbequeme Meinungen einfach von der Fraktion übersteuert werden.“