Am Freitag (11. Mai 2012) präsentierte der Landesrechnungshof seine Bemerkungen 2012 und schaute in die Zukunft. Am gleichen Tag sondierten SPD, Grüne und SSW erfolgreich die Möglichkeiten einer Regierung für die nächsten fünf Jahre in Schleswig-Holstein. Das war noch nicht alles. Die IHK legte an diesem Tag ein Strategiepapier „Zukunftsstandort Schleswig-Holstein – handeln, wachsen, leben“ vor. Der DGB und die Sozialverbände – machten nichts.
Unter der Leitlinie „Zukunftsstandort Schleswig-Holstein – handeln, wachsen, leben“ hat die IHK Schleswig-Holstein konkrete Handlungsoptionen formuliert. Selbstbewusst erklärt sie, dass das Papier ein „Leitfaden und Orientierungshilfe für Politik, Verwaltung und Wirtschaft im Land sein soll, damit diese ihre Kräfte zur nachhaltigen Stärkung des Standortes bündeln und auf die wichtigsten Felder fokussieren.“
Die wichtigen Felder. Um diese zu identifizieren hat die IHK 2000 Unternehmer zur Zukunftsfähigkeit des Landes und den für Schleswig-Holstein relevanten Trends befragt und dann zusammen mit 800 engagierten Unternehmerinnen und Unternehmern in Dutzenden von Sitzungen und Workshops zu einer Argumentationslinie verdichtet, die das Land davor bewahren soll „zu den Verlierern der Globalisierung zu gehören“. Das Papier war schon länger angekündigt, ist aber immer noch einmalig. Keine relevante gesellschaftliche Gruppe in Schleswig-Holstein hat, wenn ich es recht überblicke, bislang eine vergleichbare Vision für Schleswig-Holstein im Jahr 2030 definiert. Im Unterschied zur IHK Hamburg hat die IHK Schleswig-Holstein ihr Konzept selbst erarbeitet.
Die Autoren verharren nicht bei Begriffen wie „Konsolidierung des Haushalts“, streiten nicht über G8 oder G9 oder Y-Modelle. Für sie steht Schleswig-Holstein im Wettbewerb der Regionen. Wenn von Zusammenarbeit gesprochen wird, dann werden wie selbstverständlich in einer Reihe als Nachbarn die Metropole Hamburg, das Königreich Dänemark, Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern aufgezählt. Dort hat Schleswig-Holstein „Lagegunst“ und nimmt als Scharnier zwischen den Metropolen Hamburg und Kopenhagen/Malmö eine zentrale Rolle bei der Weiterentwicklung der Zusammenarbeit ein.
Wer so denkt, der definiert Themen anders: Demografischer Wandel, Nachhaltiges Wirtschaften, Wissensgesellschaft, Denken in Wirtschaftsräumen, Globalisierung, Digitalisierung der Lebens- und Arbeitswelten, Neue Urbanität, Individualisierung der Gesellschaft sind die Themen. Und bis auf die Bereiche Nachhaltiges Wirtschaften und Denken in Wirtschaftsräumen ist Schleswig-Holstein nach Auffassung der Wirtschaft in diesen Feldern nicht gut aufgestellt.
Die zentrale Forderung: Schleswig-Holstein wird Zuzugsland! „Der Anspruch muss sein, dass unser Land das attraktivste Bundesland wird. Die erste Adresse in Deutschland, um zu leben, zu lernen und zu arbeiten“, fasst Christoph Andreas Leicht, Präsident der IHK Schleswig-Holstein, die Ausrichtung des Strategiepapiers zusammen. Wirtschaft und Verwaltung, Politik und Gesellschaft müssen dazu ihre Kraft bündeln.
Um das Ziel zu erreichen, brauche man eine leistungsfähige Verkehrs-, Versorgungs- und Kommunikationsinfrastruktur. Schleswig-Holstein müsse auf allen Wegen optimal erreichbar sein, keine Region dürfe abgehängt werden. Unverzichtbar ist für die Kammer: „Eine exzellente Bildungsstruktur vom frühkindlichen Bereich über die Schulen bis zu den Hochschulen. Bei der Ausbildung des Nachwuchses dürfen keine Potenziale verschenkt werden. Eine gute Förderinfrastruktur und funktionierende Netzwerke seien aus Sicht der Unternehmerinnen und Unternehmer selbstverständlich.“
Das gilt auch für die Hochschulen. Sie haben als „Garant für Wissenstransfer eine Schlüsselrolle für die erfolgreiche Zukunft unseres Landes, erst recht, wenn sie mit benachbarten Wissenschaftsstandorten kooperieren“. Die Arbeitnehmer schauten, so die IHK, vor allem auf am Bedarf ausgerichtete Betreuungsangebote für Kinder und ältere Familienmitglieder sowie auf ein attraktives Angebot für die tägliche Nahversorgung. Beides sei unverzichtbar, um Familie und Beruf gut zu verbinden.
Wenn es nach der IHK Schleswig-Holstein geht, sind das die Leitziele:
- Die wirtschaftliche Basis weiter stärken, neue Potenziale erkennen und konsequent nutzen.
- Ein hochattraktives Bildungsumfeld und -klima schaffen, Technologie- und Wissenstransfer fördern.
- Das hervorragende Lebensumfeld ausbauen, nachhaltige wirtschaftliche Nutzung der Ressourcen sicherstellen.
- Grenzen überwinden, Kooperationschancen nutzen.
Die Kernaussagen des Strategiepapiers findet man hier.
Wenn der Präsident der IHK Schleswig-Holstein an die neue Landesregierung appelliert: „Der Diskurs muss jetzt beginnen. Die neue Landesregierung hat es in der Hand, die entscheidenden Weichen zu stellen. Die Wirtschaft sendet deshalb jetzt das Signal, sich am Zukunftsprozess zu beteiligen“, dann hört man nichts von rot-grünem Chaos, zweifelhaftem Wählerwillen, finanzpolitischen Hasardeuren oder unbotmäßigem dänischen Griff nach der Macht – sondern erkennt Pragmatismus und den Wunsch, sich einzubringen.
Mancher mag dem Papier vorhalten, es mache sich keine Gedanken über die Finanzierbarkeit der Forderungen an den Staat. Und mancher derjenigen, die hier was einfordern, wird mit zu denen gehören, die gegen jede Steuererhöhung sind und die jede den Staat Milliarden kostende steuerliche Subvention als „wirtschaftsfreundliches Klima schaffend” verabsolutieren. Das bedeutet aber nicht, dass wir uns nicht Gedanken machen müssen, wo wir als in nicht mal 20 Jahren stehen wollen. Der Wahlkampf der CDU in Schleswig-Holstein oder Nordrhein.Westfalen hat deutlich gezeigt, dass allein mit dem Versprechen, man wolle solide sein und sparen, keine politischen Mehrheiten gewonnen werden können. Politik ist halt mehr als das Herumreiten auf Schuldenabbau. Es bleibt immer noch Aufgabe in der Politik, Ziele zu formulieren und Strategien und Konzepte zu finden, um diese Ziele erreichen zu können.
Für die Kieler Koalitionäre, die nächste Woche damit beginnen, ihren Koalitionsvertrag zu formulieren, sollte das Papier der IHK Anlass genug sein, noch einmal durchzuatmen und sich zu fragen, was ihr Papier werden soll: Eine buchhalterische Auflistung von Einzelpunkten oder eine mutig formulierte Vision, wo unser Land 2030 stehen soll. „Koalition des Aufbruchs“, so hieß die Vereinbarung, die CDU und FDP 2009 unterschrieben. Was dann passierte, war sicherlich nicht falsch, blieb aber hölzern und löste keine Euphorie aus. Wofür auch, wenn kein Ziel erkennbar ist.
Über die Schuldenbremse müssen wir nicht mehr diskutieren. Wer sie in Zweifel ziehen will, hat die Realität eh nicht erreicht. Wer aber bei ihr verharrt, der verbaut sich den Blick in die Zukunft. Man muss nicht alles teilen, was die IHK Schleswig-Holstein fordert. Man muss aber anerkennen, dass sie etwas bewegen will. Die neue Regierung tut gut daran, den Diskurs zu suchen und möglichst viele gesellschaftliche Kräfte einzubeziehen. Vielleicht schaffen es ja auch mal die Gewerkschaften und Sozialverbände, ihre Sprachlosigkeit zu überwinden und ihre Sicht der Dinge einzubringen. Doch dann müssen Konzepte folgen.