Briefe an den neuen Landtag – lass uns Friendica sein

Von | 24. Mai 2012

Lieber Landtag,

wir haben im Landesblog nicht nur ein­mal unse­re Freude dar­über geäu­ßert, dass vie­le Abgeordnete und ande­re poli­tisch inter­es­sier­te Bürgerinnen und Bürger in Schleswig-Holstein das „web 2.0“ zur Kommunikation mit den Wählerinnen und Wählern und unter­ein­an­der nut­zen. Auf die­se Art und Weise belegt ihr auch, dass Dienste wie Facebook nicht nur zum Austausch von Partybildern nütz­lich sind son­dern auch zum poli­ti­schen Austausch tau­gen. Na ja: Fast. Denn gleich­zei­tig habe ich auch dar­ge­legt, war­um ich Facebook für „bro­ken by design“ hal­te. Es wäre halt schön, wenn die Entwicklung so ver­lau­fen könn­te, dass Facebook sei­ne Monopolstellung ver­liert und wir Nutzer unse­re Freiheit und Selbstbestimmtheit zurück­ge­wön­nen.

Das kann natür­lich nur funk­tio­nie­ren, wenn es Alternativen zu Facebook gäbe, die die Funktionen, die Facebooks Erfolg aus­ma­chen, eben­falls anbie­ten und zugleich des­sen Defizite nicht wie­der­ho­len. Für mich beson­ders wich­tig ist die Abkehr vom „wal­led gar­den“, für ande­re sind bes­se­re Privatsphäre-Möglichkeiten, kei­ne Werbung, kei­ne Spiele, kei­ne Server in den USA oder ande­re Sachen wich­tig.

Google+ hat die­se Erwartungen nur teil­wei­se erfüllt. Diaspora begann kon­zep­tio­nell hoff­nungs­voll, steckt aber offen­sicht­lich seit Monaten in einer Krise, sta­gniert. Der Twitter-Klon identi.ca funk­tio­niert, fris­tet aber ein Schattendasein.

Seit eini­ger Zeit gibt es aber einen wei­te­ren Bewerber, den ich kurz vor­stel­len möch­te, weil sich ein Blick lohnt: Friendica, ein sozia­les Netzwerk ähn­lich Facebook.

Friendica ist ein dezen­tra­les sozia­les Netzwerk, das von einer „Handvoll begeis­ter­ter Entwickler, Programmierer und Serverbetreiber“ mit dem Ziel betrie­ben wird, die ver­schie­de­nen sozia­len Netzwerke zu ver­bin­den und den Menschen zu ermög­li­chen „im Internet unab­hän­gig und sou­ve­rän zu kom­mu­ni­zie­ren.

Konten, die man bei Facebook, Twitter, identi.ca, Diaspora oder ande­ren besitzt, kön­nen inte­griert wer­den. (Ja, rich­tig gele­sen: man muss dort nicht weg­ge­hen). In die ande­re Richtung kann man von dort aus auf vie­le ande­re sozia­le Netzwerke, aber auch auf sei­nem WordPress-Blog, bei Tumblr, Posterous und in ande­ren Diensten ver­öf­fent­li­chen.

Friendica kommt mit so ziem­lich jeder Eigenschaft, die Techies, Entwickler oder Datenschützer und ande­re kri­ti­sche oder unab­hän­gi­ge Geister begeis­tert: Privatsphäre wird groß­ge­schrie­ben. Das Netz ist dezen­tral ange­legt. Die Software ist open source. Es gibt kei­ne Firma, die das Projekt initi­iert hat oder trägt.

Und den­noch soll das Ganze nicht kom­pli­ziert sein. Man stellt selbst­be­wusst im deutsch­spra­chi­gen Blog die Frage. „Was wäre, wenn sozia­le Netzwerke so ein­fach wie Email funk­tio­nie­ren wür­den?

Je nach eige­nem Zutrauen oder Interesse soll jeder sei­nen eige­nen Server betrei­ben kön­nen oder – für vie­le unter uns sicher die lebens­nä­he­re Variante – auf pri­vat betrie­be­ne öffent­li­che Server zugrei­fen kön­nen.

Ich habe, selbst tech­nisch inter­es­siert, aber nicht im Ansatz tech­nisch begabt oder bewan­dert, einen Server für mich auf­ge­setzt und bin ange­nehm über­rascht, wie schnell das Projekt Fortschritte macht. Und wie erstaun­lich sta­bil die Software läuft. Sie scheint das Landesblog, das auf dem glei­chen Rechner läuft (nichts Tolles übri­gens, das Ganze ist ein Standardprodukt) nicht zu stö­ren.

Das Projekt zeigt, dass es (bald) mög­lich sein kann, sein sozia­les Wohnzimmer oder Büro im eige­nen Haus zu bezie­hen, ohne den Kontakt zu sei­nen Freunden bei Facebook zu ver­lie­ren.

Friendica ist augen­blick­lich noch fast völ­lig unbe­kannt. Aus der Kieler „Szene“ sind die übli­chen expe­ri­men­tier­freu­di­gen Verdächtigen schon da (Tim Schlotfeldt, der mich auf Friendica auf­merk­sam mach­te, Steffen Voss, Sven Thomsen, Henry Krasemann, Oliver Fink). Aber von einer leben­di­gen Szene kann man augen­blick­lich nicht spre­chen.

Das muss man ändern. Der Verein mit dem sper­ri­gen Namen FoeBud hat eine Initiative mit einem sper­ri­gen Namen gestar­tet, die dafür sor­gen möch­te, dass Projekte wie Friendica eine kri­ti­sche Masse errei­chen: Socialswarm – scha­de, dass sol­che Projekte kei­nen Namen bekom­men kön­nen, den auch nicht so netz­af­fi­ne Menschen instink­tiv ver­ste­hen kön­nen. Das Projekt will Nutzerinnen und Nutzer, Coderinnen und Coder und die Projekte zusam­men­füh­ren.

Spannender fän­de ich ja ein Projekt, in dem wir ein­fach mal zei­gen, dass es geht. Warum soll­te nicht der Landtag Schleswig-Holstein sei­nen Abgeordneten einen Friendica-Server zur Verfügung stel­len? Der Landtag hat gute IT-Leute. Das ULD soll­te das eigent­lich auch toll fin­den kön­nen und unter­stüt­zen. Viel Geld soll­te das nicht kos­ten. Und das Land wür­de ein gutes Zeichen set­zen: Für eine Idee – nicht gegen einen Anbieter.

Von:

Swen Wacker, 49, im Herzen Kieler, wohnt in Lüneburg, arbeitet in Hamburg.

15 Gedanken zu “Briefe an den neuen Landtag – lass uns Friendica sein”:

  1. Joachim Sucker

    Hallo Swen, schö­ne Idee.
    Ich bin nicht so tech­ni­ka­fin, aber Nutzer der sozia­len Netzwerke und arbei­te im Marketing der Hamburger Volkshochschule. Gleichzeitig bin ich ein Moderator einer Xing-VHS-Marketing-Gruppe mit 250 Mitgliedern aus dem deutsch­spra­chi­gen Raum.
    Bevor nun jeder über Links den Weg der eige­nen Entdeckung geht, könn­te doch ein Webinar gute Aufklärungsarbeit leis­ten. Ich könn­te es dann ent­spre­chend pro­mo­ten. Und wenn es etwas taugt, dann könn­ten VHS´sen hier­zu sicher einen Beitrag zur Verbreitung bei­steu­ern.
    Was meinst Du?
    Gruß Joachim

    Reply
    1. Swen Wacker Post author

      Das ist eine gute Idee, wobei ich mich nicht als son­der­lich guter Friendica-Kenner bezeich­nen möch­te. Tim Schlotfeldt ist da sicher bes­ser geeig­net. (Ich infor­mie­re ihn mal, falls er hier — aus guten pri­va­ten Gründen — momen­tan nicht mit­liest.

      Reply
    2. Ike

      Moin!

      Ich bin Admin zwei­er Friendica-Server und ent­wick­le auch am System mit. Ggf. könn­ten wir uns aus­tau­schen?

      Meine Friendica-Server hei­ßen pirati.ca und piratica.eu

      Michael

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  2. Sven Krumbeck

    Ich fin­de den Vorschlag Super und wer­de inner­halb mei­ner Fraktion Anregen den Vorschlag zu unter­stüt­zen.

    Gruß,

    Sven Krumbeck

    Reply
    1. Ike

      Moin Swen!

      Ulli hat­te die SH:IT schon mal wegen Friendica kon­ta­kiert.

      Ich leis­te auch ger­ne Support, ich lese SH:IT mit.

      Michael

      Reply
        1. Bastian aka NoEwS

          Moin Sven,

          klei­ne Erklärung:

          Uli = Uli König,MdL,Piratenfration SH
          SH:IT = Piraten-IT in SH
          „..lese SH:IT mit” = es wur­de Mailingliste der Piraten-IT SH abon­niert und damit kön­nen die dort ver­schick­ten Mails mit­ge­le­sen wer­den.

          hof­fe konn­te etwas auf­klä­ren ;)

          Gruss
          Bastian
          Helfer SH:IT

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          1. Swen Wacker

            Es gibt wahr­schein­lich nicht viel mehr als 50 Leute in der SH, die mit die­sen Kürzeln was anfan­gen kön­nen. Bei durch­schnitt­lich mehr als 1.000 Lesern je Artikel ist es des­halb in mei­nen Augen tak­tisch sinn­vol­ler, die erdrü­cken­de Mehrheit der Unwissenden :-) bei der Formulierung mit­zu­be­den­ken ;-)

          2. Sebastian Maas

            hät­tet ihr das nicht bes­ser IT:SH abge­kürzt?

          3. Ike

            Ich den­ke, dass im SH:IT ziem­lich viel Selbstironie steckt. :) Die Hessen kür­zen ihre Landesparteitage auch nicht mit LPT ab — was nor­mal wäre — son­dern mit HELP (HEssischer LandesParteitag)

            @Swen: Sorry für die Abkürzungen, da ging es ein wenig mit mir durch. :)

  3. herr günni

    ich hab mir das gan­ze schon mal ange­se­hen aber mal abge­se­hen das nix rich­tig funk­tio­niert hat (was vll am fal­schen ser­ver lag oder heu­te auch schon anders sein kann) im grun­de beschickt man von fri­en­di­ca sei­ne sozia­len netzwerke…also diaspora,fb,twitter etc. d.h. egal wie gut die pri­vats­sphä­re bei fri­en­di­ca ist,egal ob die­se daten auf mei­nem eige­nen ser­ver liegen,sind sie erst­mal bei fb und co hab ich genau­so­we­nig kon­trol­le dar­über wie bis­her auch.

    mel­de ich mich dann noch auf einem ser­ver an und betrei­be ihn nicht selber,dürfte das dort die umfang­reichs­te daten­samm­lung über mich im netz sein.

    Reply
    1. Ike

      Friendica hat in den letz­ten Monaten einen extre­men Fortschritt hin­ter sich.

      Außerdem ist der Grundgedanke hin­ter Friendica, dass vie­le klei­ne Server ent­ste­hen, idea­ler­wei­se betrei­ben ein paar Freunde zusam­men einen Server. So muss man kei­nen frem­den Leuten ver­trau­en.

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      1. Joachim

        Das wäre ein span­nen­des Vorgehen, wel­ches, wenn es denn alles funk­tio­niert, sicher­lich von vie­len VHS´sen unter­stützt wer­den. Wir sind in Sachen Datenschutz alle sehr sen­si­bel und wür­den unse­ren Kunden ger­ne gute Vorschläge für das eige­ne Vorgehen machen. Und viel­leicht kann ja auch die Eine oder Andere VHS einen Server auf­bau­en. Auch ein Beitrag zur Kundenbindung! Höre ger­ne, wenn es im Webinar vor­ge­stellt wer­den kann. Wir kön­nen hier evtl. einen Server einer VHS als Webinar-Anbieter bereit­stel­len.

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        1. Swen Wacker Post author

          Ich den­ke, dass nicht ver­ges­sen wer­den darf, dass Friendica noch in den Kinderschuhen steckt. Für den „nor­ma­len” soci­al­me­dia-user ist dort im Augenblick noch „tote Hose” Eine Strategie, Friendica zu bewer­ben, müss­te also län­ger­fris­tig den­ken. Mein Verschlag an den Landtag ist dazu kein Widersprch — ich weiß ja, dass Verwaltungsmühlen lang­sam arbei­ten :-)

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