Das Parlament ist kein Kaffeekränzchen

Von | 13. Juli 2012
Reichstagsgebäude, Berlin

Reichstagsgebäude, Berlin | Foto: Some rights reserved by JoshLawton

Es gibt die ver­brei­te­te Meinung, dass im Parlament nicht mit offe­nen Karten gespielt wür­de, wenn das Parlament leer, das Ergebnis aber trotz­dem vor­aus­seh­bar ist. Wir hat­ten die Diskussion dar­über beim Thema „Pairing” und wir haben es jetzt wie­der bei der Kritik am „Meldegesetz”. Sie beruht auf dem Irrglauben, dass im Parlament dis­ku­tiert wür­de. Das pas­siert da nicht. Im Parlament fin­den Debatten statt. Und Debatten fol­gen bestimm­ten Regeln. Gesetzgebung ist als kom­mu­ni­ka­ti­ves System das Gegenstück zur Rechtsprechung.

Anders als man meint, wenn man „Gerichtsshows” sieht, sind die Abläufe vor Gericht klar fest­ge­legt: Erst spricht der Eine. Dann darf der Andere spre­chen. Wenn nach die­sem System alle Argumente aus­ge­tauscht sind, ent­schei­det der Mensch vor­ne in der Mitte. Und das tut der nicht nach Gefühl, son­dern auch der muss wie­der auf Basis der Gesetze begrün­den, wie er zu sei­ner Entscheidung kommt. Und wenn er das nicht gut genug tut, geht man zum nächst höhe­ren Gericht und ver­sucht das dort noch ein­mal.

Rechtsprechung ist ein fes­tes kom­mu­ni­ka­ti­ves System. Und es ist auch im Prinzip egal wer Staatsanwältin, Anwalt, Richterin ist. Die Personen agie­ren in bestimm­ten Funktionen in die­sem System — des­we­gen zie­hen die sich in die­ser Funktion auch spe­zi­el­le Kleidung an. Juristen mögen mir die Vereinfachung ver­zei­hen.

Die Grundlage der Rechtsprechung sind die Gesetze. Und die sind durch ein genau­so gere­gel­tes System ent­stan­den. Dieses System sorgt dafür, dass aus 80 Millionen Meinungen, Interessen und Werten in Deutschland eine all­ge­mein ver­bind­li­che Regel — ein Gesetz wird. Als Grundlage haben wir also die Meinungsfreiheit. Darauf baut die Willensbildung auf. Und das Ergebnis ist dann ein Gesetz. Politikwissenschaftlerinnen mögen mir die Vereinfachung ver­zei­hen

Willensbildung

Die Willensbildung beginnt dort, wo sich Menschen zusam­men­tun, um ihre gemein­sa­men Interessen zu ver­tre­ten. Im Grundgesetz steht zum Beispiel im Artikel 21(1). „Die Parteien wir­ken bei der poli­ti­schen Willensbildung des Volkes mit. […]”. Das pas­siert aber natür­lich auch in Vereinen und Verbänden. Dort stim­men die Mitglieder mit­ein­an­der ab, was sie im Hinblick auf bestimm­te Fragen ver­tre­ten. Ob Vereinssitzung oder Bundestag, ob evan­ge­li­sche Kirche oder Arbeiterwohlfahrt: Alle die­se Sitzungen lau­fen nach dem glei­chen Muster ab: Es ist zum Beispiel gere­gelt,

  • dass die Mitglieder recht­zei­tig von der Sitzung erfah­ren,
  • dass sie Sitzung eine Versammlungsleitung hat, die die Sitzung eröff­net und schließt.
  • Die Sitzung hat eine Tagesordnung und es ist gere­gelt, wer wann zu wel­chem Thema spre­chen darf.
  • In einem Protokoll wer­den die Ergebnisse fest­ge­hal­ten, über die nach einer Diskussion abge­stimmt wur­de.

Parteien erstel­len auf die­se Weise ihre Wahlprogramme. Wählerinnen und Wähler ent­schei­den dann, ob sie die­se Programme gut fin­den, und ob sie den kan­di­die­ren­den Personen zutrau­en, die eige­nen Interessen auch in Koalitionen und bei aktu­el­len Themen ordent­lich zu ver­tre­ten. Die Wahlprogramme sind kei­ne Fünfjahrespläne, die stur abge­ar­bei­tet wer­den. Gerade die „Doppelwende” beim Atomausstieg zeigt, dass natür­lich Politik auf das reagie­ren kann, was sie als Mehrheitsmeinung wahr­nimmt. Dafür hat sie das „Mandat”.

Wahlen

Auch die Wahlen lau­fen dann nach einem fes­ten Prozedere ab: Wählerinnen und Wähler wer­den recht­zei­tig zur Wahl „ein­ge­la­den”. Von 8 – 18 Uhr fin­det dann die Wahl statt und jeder darf sei­ne Stimme ein­mal abge­ben. Das Wahlergebnis wird pro­to­kol­liert.

Aus den abge­ge­be­nen Stimmen wird dann errech­net, wie das Parlament zusam­men­ge­setzt ist, wes­sen Programm und Personal also wel­chen Anteil der Bevölkerung reprä­sen­tiert. In der Wahl wer­den dann aus 80 Millionen nur noch Meinungen fünf bis sechs Meinungen.

Regierung…

Dann gucken sich alle im Parlament um und schau­en, wer mit wem am bes­ten zusam­men­ar­bei­ten kann — also wo die Ziele am ähn­lichs­ten sind. Denn als nächs­tes müs­sen die Spitzen der Exekutive gewählt wer­den. Und dann ist es prak­tisch, wenn man sich gleich so zusam­men­tut, dass man sich auf die Dinge einigt, in denen man prin­zi­pi­ell einer Meinung ist und das Vorgehen in Fragen klärt, in denen man sich nicht einig ist. Das wird dann im Koalitionsvertrag fest­ge­schrie­ben.

Die Regierung reprä­sen­tiert so zumin­dest ten­den­zi­ell die Mehrheit der Wählerinnen und Wähler. Die Wahl ist natür­lich immer eine Abstimmung über sehr vie­le Themen. Es ist zur Zeit die ein­zi­ge Willensbekundung des Souveräns, die wir auf Bundesebene haben. Und als Abstimmung mit der übli­cher­wei­se höchs­ten Wahlbeteiligung hat sie auch die höchs­te Legitimierung.

…und Parlament

Wie ich schon in dem Artikel über das Pairing schrieb, darf die­se Legitimierung nicht durch zufäl­li­ge Krankheiten oder kon­kur­rie­ren­de Ausschusstermine in Frage gestellt wer­den.

Es ist gut, dass in Ausschüssen die Fachpolitiker die kon­kre­te Ausgestaltung der Gesetze dis­ku­tie­ren. Es gehört dann aber auch zu die­sem kom­mu­ni­ka­ti­ven System, dass dann im Parlament noch ein­mal alle Argumente aus­ge­tauscht wer­den und auch die gro­ßen Linien der ver­schie­de­nen Parteien noch ein­mal auf­ge­zeigt wer­den — des­we­gen wird im Parlament auch nie „über die Formulierung in Absatz 2 von Paragraf 17a” gespro­chen. Da ist es dann auch egal, ob die Reden tat­säch­lich gehal­ten oder nur zu Protokoll gege­ben wer­den. Doch das Abstimmungsverhalten steht als Ergebnis die­ses lan­gen Willensbildungsprozesses fest.

Dadurch ist das Parlament kei­ne „Schaukampfbühne”, son­dern ein Gesprächsrahmen, der wenig mit der Art und Weise zu tun hat, in der sich Menschen nor­ma­ler­wei­se über ein Thema unter­hal­ten. Es ist der for­ma­le Abschluss des par­la­men­ta­ri­schen Gesetzgebungsverfahrens. Das wirkt künst­lich, unmensch­lich und intrans­pa­rent — wenn man die Regeln nicht ver­steht.

Der Fußballvergleich zum Abschluss

Auch Fußball ergibt erst Sinn, wenn man die Regeln kennt. Ansonsten muss man sich doch wun­dern, war­um die Leute den Ball nicht in de Hand neh­men und ihre Gegner umhol­zen. Warum sind da nur elf Leute in jedem Team? Und war­um zwei Teams? Und auch bei Fußball ist gere­gelt, dass der­je­ni­ge gewon­nen hat, der es in 90 Minuten am häu­figs­ten geschafft hat, den ein­zi­gen Ball ins geg­ne­ri­sche Tor zu beför­dern. Fußballfans mögen mir die Vereinfachung ver­zei­hen

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Foto: Some rights reser­ved by JoshLawton

2 Gedanken zu “Das Parlament ist kein Kaffeekränzchen”:

  1. Thilo P.

    Vielleicht eine zutref­fen­de Beschreibung des Ist-Zustandes. Allerdings bezweif­le ich zum einen das Funktionieren der Repräsentanz eines Wählerwillens. Zum ande­ren ist es so, dass der Wähler ja Parteien und Abgeordnete wählt — und das ent­schei­den­de Gremium, die ent­schei­den­de Bühne soll­te das Parlament sein. Natürlich soll da kei­ner unvor­be­rei­tet rein­ge­hen. Aber wenn Haltungen schon vor­her fest­ste­hen, kön­nen wir das Parlament auch ganz abschaf­fen — dann stö­ren Repräsentanz oder Direktmandate auch nur den per­fek­ten Ablauf. Es gibt einen gro­ßen Beamtenapparat, wir brau­chen dann auch kei­ne Minister, mit Ministergehältern und Fuhrpark und kei­ne Sitzreihen. Dann kön­nen die Parteien ein­fach nur ihre Position zu Papier geben und wie ent­schied wird, wird dann nach Proporz ent­schie­den. Sprich CDUSPD , etc. erhal­ten ein fes­tes Stimmengewicht. Das gan­ze drum­her­um ist dann nur Zirkus,der uns alle zig­mil­lio­nen Euro kos­tet.
    Nein, das gan­ze par­la­men­ta­ri­sche System macht nur dann Sinn, wenn Entscheidungen so lan­ge offen sind, bis das Parlament als höchs­tes Gremium ent­schei­det. Hier soll der Wählerwille zum Ausdruck kom­men. Und die Parlamentarier sol­len für ihre Wähler so ent­schei­den, wie die Wähler es wol­len. Wobei da ja schon das Problem ist, dass Abgeordnete ja auch nur ihrem Gewissen ver­pflich­tet sind und es kein impe­ra­ti­ves Mandat gibt. Das heisst es gibt zwar ein reprä­sen­ta­ti­ves Parlament, aber kei­ne Repräsentation der WählerInnen. Die Parlamentarier sind total frei in dem wie sie abstim­men. Und so wie Du es zutref­fend beschreibst, bestim­men am ande­ren Ende aus­schließ­lich Ministerien und Parteien die Politik. Ich sage bewußt BESTIMMEN und nicht MITWIRKEN. Es ist ja eher umge­kehrt: Der Bürger wirkt an der Willensbildung von Staat und Parteien mit, spielt aber in dem gan­zen eine unter­ge­ord­ne­te Rolle.
    Das ist ja auch der Punkt wo Leute auf die Straße gehen, wo sich Wutbürger for­mie­ren, „Echte Demokratie” for­dern, „Empört” sind. Weil das, was sich da abspielt nur eine Farce ist. Man tut so, als gäbe es Demokratie. Dabei hört die Mitbestimmung schon vor der Wahlurne auf. Denn was ich wäh­le hat gar kei­nen Einfluss dar­auf, wel­che Politik gemacht wird. Es gibt kei­ne Koppelung mei­ner Stimme oder die Stimmen der Mehrheit an eine Umsetzung des­sen oder der Parteiprogramme. Und das Ergebnis ist die viel­be­klag­te Politikverdrossenheit. Bürger die sagen: Wir kön­nen ja eh nix ändern sind gar nicht so dumm, son­dern nur des­il­lu­sio­niert und es man­gelt Ihnen an der Phantasie zu Alternativen, jen­seits einer rein par­la­men­ta­ri­schen Demokratie.

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  2. H.M.

    Es gibt in der Tat eine Parallele zur Diskussion über Pairing. Wer vom Parlament nur erwar­tet, dass es abnickt, was vor­her in klei­nen Zirkeln ent­schie­den wur­de, der ist eben­so selbst­ver­ständ­lich für Pairing wie für das zu-Protokoll-geben von Reden und kann die Empörung der Öffentlichkeit über die Abstimmung zum Meldegesetz nicht nach­voll­zie­hen.

    Der Vergleich zum kom­mu­ni­ka­ti­ven System vor Gericht ist inter­es­sant, ich weiß aber nicht, wo er hin­füh­ren soll. Bei Gericht ist eini­ges for­ma­li­siert, aber es ist völ­lig üblich, dass die Beteiligten tat­säch­lich mit­ein­an­der reden, dass man auf die Argumente des ande­ren reagiert und dass die Redebeiträge die Chance haben, das Ergebnis des Verfahrens zu beein­flus­sen. Wenn abschlie­ßend die getrof­fe­ne Entscheidung münd­lich begrün­det wird, gibt es auch kei­ne Gegenrede mehr, die folgt ggf. in der nächs­ten Instanz.

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