Rien ne va plus - Nichts geht mehr

Von | 6. August 2012

Nach dem Schleswig-Holsteinischen Glücksspielgesetz steht es momen­tan sie­ben Firmen (wie z.B. JAXX/​mybet oder bwin) zu, Glücksspiele wie Sportwetten anzu­bie­ten. Weitere vier bis sechs wer­den wohl noch ver­ge­ben, so Innenminister Andreas Breitner. Denn so groß der poli­ti­sche Wille der jet­zi­gen Landesregierung ist, muss sie sich an bestehen­de Gesetze so lan­ge hal­ten, bis sie eine ande­re recht­li­che Grundlage geschaf­fen hat. Einen Einstieg in den GlüStV könn­te sie frü­hes­tens in der Augustsitzung des Landtages am 22.08 auf den Weg brin­gen. Bis dahin muss das Innenministerium die 42 vor­lie­gen­den Anträge wei­ter bear­bei­ten. Innenminister Breitner sagt dazu dem sh:z: „Hier trifft ein sehr stark aus­ge­präg­ter poli­ti­scher Wille auf recht­li­che Notwendigkeiten. In die­sem Fall ste­he ich auf der Seite des Rechts und wer­de es auch umset­zen.“

Selbst wenn das Gesetz irgend­wann geän­dert oder abge­schafft wer­den soll­te, behal­ten die ver­ge­be­nen Lizenzen ihre Gültigkeit für min­des­tens 6 Jahre. Eine Aberkennung der Lizenzen wäre nur unter hohen Schadenersatzforderungen der Firmen gegen­über dem Land mög­lich. Jetzt den Ausstieg aus dem Ausstieg (aus dem GlüStV) zu pla­nen, macht aus Schleswig-Holstein kei­nes­wegs ein wie­der auf den Pfad der Tugend gelang­tes ver­lo­re­nes Schäflein, son­dern ver­setzt Schleswig-Holstein als Wirtschaftsstandort einen emp­find­li­chen Dämpfer hin­sicht­lich sei­ner Glaubwürdigkeit.

Apropos: Als Oberbürgermeister von Kiel war Torsten Albig noch im Dezember 2011 in Verhandlungen mit einem pri­va­ten Sportwettenanbieter getre­ten, um über eine Ansiedlung in Kiel sowie einen Sponsorenvertrag zu bera­ten. Die Liberalisierung des Glücksspielmarktes war da zwar schon beschlos­sen, aber trat erst weni­ge Wochen spä­ter, Anfang 2012, in Kraft.

Zum Verlust der Glaubwürdigkeit käme auf Schleswig-Holstein durch den Beitritt zum GlüStV ein her­ber Verlust von Einnahmen — die es drin­gend braucht. Allein durch die ver­ge­be­nen Lizenzen wür­de Schleswig-Holstein (nach Angaben der schwarz-gel­ben Vorgängerregierung) zwi­schen 40 und 60 Millionen Euro im Jahr ein­neh­men. Hinzu wür­den noch Steuereinnahmen und ein Zugewinn an Kaufkraft durch das Entstehen neu­er Arbeitsplätze kom­men.

Der jet­zi­ge GlüStV ver­stößt gegen euro­päi­sches Recht

Schon im Januar 2008 hat die Europäische Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland eröff­net. Im Jahr 2010 bean­stan­de­te der Europäische Gerichtshof das mono­po­lis­ti­sche Gesetz, wel­ches die „Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit” ver­let­ze. Das Monopol, wel­ches von staat­li­cher Seite immer mit der Bekämpfung resp. der Eindämmung von Spielsucht ver­tei­digt wur­de, wür­de die­sem heh­ren Ziel nicht gerecht, denn sie betrie­ben „inten­si­ve Werbekampagnen, um die Gewinne aus den Lotterien zu maxi­mie­ren.”

Die jüngs­te Stellungnahme der EU-Kommission vom 20. März 2012 „druck­te” das Landesblog einen Tag spä­ter im Wortlaut ab und Swen Wacker wies in sei­ner Kommentierung bereits dar­auf hin, dass auch die zur Notifizierung ein­ge­reich­te — durch Schleswig-Holsteins for­cier­te Liberalisierung im Alleingang — und noch ein­mal über­ar­bei­te­te Fasssung des GlüStV der 15 Länder noch kein ein­deu­ti­ges „Go” bekom­men habe. Die poli­ti­sche Hoffnung war natür­lich, Schleswig-Holstein von sei­nem Alleingang abbrin­gen zu kön­nen, um den GlüStV doch noch bun­des­weit hal­ten zu kön­nen.

Die Argumente für den GlüStV sind schein­hei­lig

Wie bereits erwähnt, argu­men­tie­ren Fürsprecher des Staatsvertrages meist mit der Bekämpfung von ille­ga­lem Glückspiel und der Eindämmung von Spielsucht. Sie behaup­ten, bei­des sei mit dem GlüStV in der bis­he­ri­gen Form bes­ser – oder über­haupt nur – mög­lich. Nach dem bestehen­den GlüStV sind Lizenzen für pri­va­te Sportwettenanbieter nicht vor­ge­se­hen, da die jewei­li­gen lan­des­ei­ge­nen Lottogesellschaften das Monopol auf Glücksspiel hal­ten, soweit nicht durch Casinos betrie­ben. Doch: Illegales Glücksspiel wird durch das Lottomonopol nicht ver­hin­dert.
Gerade der schles­wig-hol­stei­ni­sche Alleingang war der Versuch, Lebenswirklichkeit der Nutzerinnen und Nutzer und gesetz­li­che Rahmenbedingungen so wie­der anein­an­der anzu­nä­hern, dass gel­ten­des Recht durch­ge­setzt und lega­les Glücksspiel unter Aufsicht und somit unter Kontrolle durch­ge­führt wer­den kann.

Spätestens wenn ein gesell­schaft­li­cher Diskurs dar­über ent­brennt, ob eine ver­brei­te­te gesell­schaft­li­che Praxis „zurecht“ noch ille­gal ist, – Juristen mögen den Verfassern die­se dra­ma­ti­sche Vereinfachung nach­se­hen – ist es im Hinblick auf die Akzeptanz gebo­ten, das jewei­li­ge Gesetz auf sei­ne sozia­le Wirksamkeitschance hin zu über­prü­fen. Man muss dafür nicht Radbruch bemü­hen, es reicht, einen Blick auf ähn­li­che Missverhältnisse gesell­schaft­li­cher Praxis und recht­li­chen Gegebenheiten zu wer­fen:
Seit vie­len Jahren erle­ben wir eine „lega­le Verharmlosung“ pri­va­ten Haschischkonsums und die Nutzung von Tauschbörsen im Internet wird über kurz oder lang eben­falls dafür sor­gen, dass die bestehen­de Rechtslage ange­passt wer­den wird.

Bei allen wirt­schaft­li­chen Interessen — und ein paar Posten gibt’s im Lottomonopol auch noch zu beset­zen — soll­te nicht außer Acht gelas­sen wer­den, dass eine Legalisierung — denn streng genom­men ist das Schleswig-Holsteiner Modell mehr als nur eine Liberalisierung — immer auch die Bedingung der Möglichkeit von Aufsicht und Kontrolle dar­stellt. (Zuvor) ille­ga­les Glücksspiel wur­de durch die Liberalisierung des Glücksspielmarktes also aus der Grauzone Illegalität her­aus­ge­holt und konn­te erst jetzt unter eine wirk­sa­me Aufsicht gestellt wer­den. Was auf den ers­ten – oder: dog­ma­ti­schen – Blick nach einem Widerspruch aus­sieht, wird kla­rer beim Blick auf die Extreme. Denn erst eine Lizenzierung pri­va­ter Glücksspielanbieter ermög­licht Kontrolle und Aufsicht. Weder kann unkon­trol­lier­ten Anbietern eine Kontrolle auf­er­legt wer­den, noch kann unli­zen­zier­ten Anbietern die Lizenz ent­zo­gen wer­den.

Gefahr eines Trojanischen Pferdes

Schaut man am Ende noch ein­mal auf die Wirksamkeitschance eines Glücksspielverbots, steht noch immer der Verdacht im Raum, über den Umweg des Glücksspiels soll der Boden für Netzsperren berei­tet wer­den. Denn wie anders kann die (inlän­di­sche) Nutzung von aus­län­di­schen, z.T. nicht-euro­päi­schen Angeboten ver­hin­dert wer­den, wenn — da ohne Zulassung — ihnen nicht die Lizenz ent­zo­gen wer­den kann. Die Debatte um den JMStV soll­te alle Beteiligten wach­sam machen für Argumente, die zu offen­sicht­lich heh­re Ziele ver­fol­gen, wie in die­sen Fällen Jugendschutz oder Suchtprävention. Immer dann, wenn die­se Werte so laut­stark vor sich her getra­gen wer­den, steht auch jemand hin­ter dem Banner. Jemand, der eine Agenda ver­folgt.

Ja, wer die Liberalisierung einer Gibraltarisierung des Glücksspielmarktes vor­zieht, ver­folgt auch Interessen. Eines davon ist, Unternehmen anzu­sie­deln. Erfreulicherweise hat Ministerpräsident Albig dar­in Erfahrungen — wenn auch bis­lang nur als Oberbürgermeister. Ein ande­res Interesse liegt dar­in, Gelegenheitsspielern die recht­li­che Grundlage für Unterhaltung oder ein Hobby zu lie­fern. Das größ­te Interesse liegt nicht ein­mal in den erhoff­ten Steuereinnahmen. Das größ­te Interesse liegt dar­in, dass Unternehmen, die ihre Lizenzen zeit­lich befris­tet und unter Auflagen erhal­ten, im frei­en Wettbewerb um Kunden ver­ant­wor­tungs­voll han­deln.

Und: Dass die Gefahr der Spielsucht von einem Monopolisten gerin­ger sein soll als von meh­re­ren pri­va­ten Anbietern, erschließt sich den Verfassern struk­tu­rell nicht. Die größ­te Gefahr der Spielsucht, dar­in sind sich alle Studien einig, geht ohne­hin vom Automatenspiel aus.

(Dieser Artikel ist in Zusammenarbeit der Landesblogger Philipp Neuenfeldt und Sebastian Maas ent­stan­den. Unser System erlaubt aber lei­der nur eine Autorenangabe.)

Von:

Ende 20, Politikwissenschaftler, Archäologe, Redakteur, Fotograf und Social Media Manager. Wohnt in Kiel, lebt im Internet, kommt aus Flensburg. Gehört keiner Partei an. Mag neben Politik und Medien alles was blinkt oder salzig schmeckt.

Ein Gedanke zu “Rien ne va plus - Nichts geht mehr”:

  1. Katharina Loedige

    Sehr rich­tig! Kann jedes Wort unter­strei­chen. Die Kreissportverbände, der Landessportverband und auch die Suchtberatungsstellen bekom­men nun nicht mehr das im Glücksspielgesetz von Schleswig-Holstein avi­sier­te Geld. Online-Spiel fin­det trotz­dem — ille­gal in Deutschland — statt. Die (Steuer-)Einnahmen flie­ßen in ande­re Länder. Wenn Stegner & Co. dem Glücksspielsstaatvertrag bei­tre­ten will, muß er sich auch für Netzsperren stark machen. Na, dann viel Spaß!!!!!!

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