Bloß Musik

Von | 8. August 2012
Corinna Dumat / pixelio.de

Corinna Dumat / pixelio.de

Ach, es ist schon ein Kreuz mit die­sen gan­zen Rankings und Wettbewerben. Seit wir in der Bildung nur noch auf Pisa-Ergebnisse und nicht mehr auf die Schülerinnen und Schüler schau­en, gras­siert die Tabelleritis. Jetzt auch in der Kultur.

Das Hamburger Weltwirtschaftsinstitut hat drei­ßig deut­sche Großstädte unter die Lupe genom­men und unter­sucht, wie Kulturangebot, Kulturrezeption und Kulturwirtschaft in den Städten zu bewer­ten. Gesamtsieger, laut HWWI, ist Stuttgart, sozu­sa­gen Kulturkapitale der Republik. Die schles­wig-hol­stei­ni­sche Landeshauptstadt Kiel belegt Platz 24 von 30. Eine der hin­te­ren Plätze. Wir haben uns an die die­sen Anblick mitt­ler­wei­le gewohnt.

Die Frage ist aber doch: Hilft uns in der Diskussion um Ausstattung und Ausgestaltung der Kultur noch ein Ranking wirk­lich wei­ter?

Eine der erstaun­lichs­ten (Wieder)Entdeckung der Literatur stell­te im Jahr 2011 die Edition der unge­kürz­ten Originalfassung von Hans Falladas Jeder stirbt für sich allein dar. Im Zentrum des Romans steht die wah­re Geschichte des Berliner Ehepaares Hampel, im Roman Quangel genannt. Das waren Menschen aus ein­fa­chen Verhältnissen, die ihre Einstellung gegen das Regime wan­del­ten und durch pri­mi­ti­ve Flugblattaktionen ver­such­ten, die Bevölkerung gegen die Nationalsozialisten auf­zu­rüt­teln. Sie wur­den denun­ziert und ermor­det. Fallada ver­sucht, kurz nach Kriegsende, ver­sorgt durch Johannes R. Becher mit den Originalunterlagen des Falles, den Widerstand der Hampels zu skiz­zie­ren. Er erfin­det Figuren dazu, über­zeich­net und pro­fi­liert und ändert hier und da die his­to­ri­sche Wahrheit. Was aber im Kern bleibt, sind der ver­zwei­fel­te Versuch der Aufrichtigkeit und die Gleichgültigkeit der Gesellschaft gegen­über Unrecht und Unterdrückung. In den ein­fa­chen Dialog prä­sen­tiert Fallada Mitläufer, Duckmäuser und dum­mes Mordgesindel. Manches davon waren den Lektoren beim Aufbau-Verlag zu über­zeich­net, zu rau, man­ches poli­tisch zu unbe­quem, und so kürz­ten sie die Erstausgabe. Der nun erfolg­te Druck des Originals zei­tig­te, trotz man­cher lite­ra­ri­scher Friktionen, einen unglaub­li­chen Erfolg. Das Buch avan­cier­te zum Bestseller. In der Tat ist das Buch ein ful­mi­nan­tes Werk, Falladas bes­tes Buch.

Schon ver­haf­tet, war­tet der Protagonist Quangel in Berlin-Moabit auf sei­nen Prozess. Fallada gesellt ihm einen Dirigenten hin­zu. Er wird der kom­mu­nis­ti­schen Umtriebe ver­däch­tigt. Doch behält er sich in der Haft sei­ne Würde durch einen struk­tu­rier­ten und sorg­fäl­ti­gen Tagesablauf. Der ein­fa­che Arbeiter kommt mit ihm, dem kul­tu­rel­len Intellektuellen, ins Gespräch. Dieser mach­te Musik, jener war ein­fa­cher Tischler. Dieser beschäf­tig­te sich mit Schach und phi­lo­so­phi­scher Literatur, jener hat noch nie ein Buch gele­sen. Es kommt zu einem denk­wür­di­gen Dialog über ihre jewei­li­gen Tätigkeiten:

Schweigen. Dann sag­te Quangel plötz­lich: ‚Und bloß Musik … Sehen Sie, wenn wir in unsern guten Zeiten gear­bei­tet haben, nicht bloß Särge, son­dern Möbel, Anrichten und Bücherschränke und Tische, da haben wir etwas gear­bei­tet, was sich sehen las­sen konn­te! Beste Tischlerarbeit, ver­zapft und geleimt, was noch in hun­dert Jahren hält. Aber bloß Musik – wenn Sie auf­hö­ren, ist nichts von ihrer Arbeit geblie­ben.‘

Doch, Quangel, die Freude in den Menschen, die gute Musik hören, die bleibt.‘“ (Hans Fallada, Jeder stirbt für sich allein, Berlin 2011, 561) Quangel nimmt den Impuls auf. Er wird die Struktur, die sein Mithäftling pflegt, über­neh­men, um die Haft zu über­ste­hen.

In die­sem kur­zen Dialog in exis­ten­zi­el­ler Situation fin­det ein Anknüpfungspunkt für die Reflexion über Kultur.

Die Diskussion wur­de in den ver­gan­ge­nen Jahren inten­siv und teil­wei­se hart geführt. Auf der einen Seite war da die Erhöhung der Bundesmittel für Kultur, Bernd Neumann konn­te jubi­lie­ren und jähr­li­che Steigerungen ver­kün­den. Auf der ande­ren Seite war da jüngst die Diskussion über den Kulturinfarkt, ein Manifest von Fachleuten für Kulturmanagement, in dem sie die all­zu selbst­ver­ständ­li­che Forderung nach öffent­li­chen Kulturmitteln kri­tisch anfrag­ten. Bei uns in Schleswig-Holstein – eh auf einem der letz­ten Plätze in Deutschland, was öffent­li­che Gelder für Kultur anbe­langt – war die Zeit geprägt, durch Kürzungen und Kürzungsandrohungen von Seiten des Landes, ohne, dass irgend­wel­che sub­stan­zi­el­len Kriterien auf­ge­stellt wur­den. Insgesamt stellt sich doch die Frage, was Kultur ist, was sie für die Gesellschaft bedeu­tet und – dar­aus resul­tie­rend – was die Kultur kos­ten darf, und was nicht.

Kultur als Lebensmittel ist ein Schlagwort, hört sich gut an, sagt aber nichts aus. Existenziell ist wohl nie­mand bedroht, der auf Kultur ver­zich­tet. Überhaupt ist ja zu klä­ren, was Kultur bedeu­tet (dahin­ter steckt die alte Diskussion um die so genann­te Hochkultur). Die Fragen sind so kom­plex, dass sie hier nicht hin­rei­chend beant­wor­tet wer­den kön­nen. Allein das kur­ze Zitat Falladas, führt auf eine Fährte, über die wei­ter nach­zu­den­ken lohnt.

Das, was Kultur anrich­tet, ist mate­ri­ell nicht greif­bar. Selbst ein Bild, eine Skulptur, sind nicht mehr als Leinwand, Farbe, Holz oder Stein. Banale Dinge. Was sie aber an Emotionen bei Hörern und Betrachtern aus­lö­sen, ist mehr und kaum mess­bar. Aber es ist wert­voll. Das ist so wert­voll und bedacht­sam wie das Spiel der Kinder. Wer Kinder beim Spielen beob­ach­tet weiß, wie ernst dies von­stat­ten­geht. Da ent­ste­hen eige­ne Welten mit eige­nen Regeln. Kinder sind in ihrer Phantasiewelt, kaum ansprech­bar, allein, wenn man sich zu ihnen hin­un­ter beugt und in ihre Welt voll­kom­men ein­taucht. Das Spiel bleibt Spiel, gewis­ser­ma­ßen irre­al und doch ist es hei­li­ger Ernst, die Welten, die in den Köpfen der Kinder ent­ste­hen, sind wirk­lich und real und nur phan­ta­sie­lo­se Geister kön­nen sie infra­ge stel­len.

Für den Arbeiter Quangel gilt, was man sieht, was hält und was bleibt. Das Spiel kann er nicht sehen. Musik, die kann man hören, aber sie ver­fliegt. Sein Zellengenosse Reichhardt aber sieht das ganz anders. Musik ist für ihn ein Impuls, der die Menschen ver­än­dert, indem sie blei­ben­de Emotionen aus­löst. Für ihn ist die kul­tu­rel­le Betätigung ein Spiel – ein ernst zu neh­men­des Spiel, nicht greif­bar, aber vol­ler Wirkung.

So ist es mit der Kultur. Das, was sie erzeugt, ist irre­al und unwirk­lich. Ein Spiel. Das Menschen, sei­en sie nun kul­tur­schaf­fend oder kul­tur­teil­ha­bend, ver­än­dert. Das Emotionen aus­löst, die wei­ter wir­ken. Das Gemeinschaften prägt. Das hof­fen lässt. Das die Gesellschaft ver­wan­delt.

Welche Emotionen ver­än­dern die Gesellschaft? Freude und Empathie, Trauer , Wut und Hoffnung. Vor allem aber, das wird gera­de im Kontext des Romans von Fallada offen­sicht­lich, der Mut. Die Pflege einer frei­heit­li­chen Kultur ist ein Wehr gegen gesell­schaft­li­che Irrgänge. „Wenn die Hemmungen fal­len, kommt die Orgie des Sadismus“, schreibt Klaus Mann. „Kultur hat die Hemmungen als Basis ihres Bestandes.“ (Die neu­en Eltern. Aufsätze, Reden, Kritiken 1924 – 1936, Reinbek 1992, 320f).

Kultur för­dert die Hemmungen und nichts braucht unse­re Gesellschaft mehr, als das Hemmnis aus­ufern­der Ismen. Die Hampels/​Quangels sind in die­sem Sinne als ein Paar von Kulturmenschen zu sehen. Ihr Kulturbeitrag ist von Wut, Mut und Hoffnung geprägt. Wenn es der Kultur gelingt, Hemmungen zu kon­stru­ie­ren, Mut und Hoffnung zu wecken und Identität zu stif­ten, dann ist ihr gesell­schaft­li­cher Nutzen evi­dent. Ebenso, wenn es ihr gelingt, Freude zu berei­ten – wie ein Spiel. In Rankings ist das aller­dings nicht zu mes­sen. Es ist alles bloß Musik.

Von:

Dr. Martin Lätzel ist Theologe und Publizist. Er blogt zu bildungs- und kulturpolitischen Themen auf dem Bildungsweg.

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