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„Ich vinde auch, das es wichtiegere Temen als Billdung giebt!“ — wenn man sich das Ranking des Bildungsmonitors 2012 der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) anschaut, könnte man den Eindruck gewinnen, dieses Zitat stamme von jemandem, der in Sachen Bildung hier im Bundesland etwas zu sagen hat. Diese bundesweite Studie hat nämlich in diesem Jahr ergeben, dass Berlin sich vom letzten Platz der Tabelle auf Rang 15 gekämpft hat und Schleswig-Holstein nun das Schlusslicht in Sachen Bildung ist.
Das INSM vergleicht jährlich die Bildungssysteme aller Bundesländer anhand von 110 Indikatoren aus 13 Handlungsfeldern. Diese sind: Ausgabenpriorisierung, Inputeffizienz, Betreuungsbedingungen, Förderinfrastruktur, Internationalisierung, Zeiteffizienz, Bildungsarmut, Integration, Berufliche Bildung/ Arbeitsmarktorientierung, Akademisierung, MINT_Förderung und Forschungsorientierung. Daraus ergeben sich Rankingtabellen der Gesamtwertung und der 13 Einzelkategorien. Ausführlicher werden die Rahmenbedingungen der Studie auf der Webseite des INSM beschrieben. Die Bildungssysteme der Länder werden dabei vom Beginn der frühkindlichen Förderung in Kitas bis zur Entwicklung an den Universitäten und dem Ausbildungsmarkt unter die Lupe genommen. Das Bündnis INSM finanziert sich aus den Arbeitgeberverbänden der Metall- und Elektro-Industrie und gilt deshalb als Auftraggeber einer solchen Studie nicht als unumstritten.
Doch nun zu den Ergebnissen des Bildungsmonitorings: Die Gewinner in der deutschen Bildungslandschaft sind am Kopf der Tabelle Sachsen, Thüringen und Baden-Württemberg. Die Schlusslichter bilden Saarland, Berlin und Schleswig-Holstein. Vor allem die beiden Stadtstaaten Hamburg und Bremen machen mit deutlichen Steigerungen – Hamburg von Platz 14 auf 8 und Bremen hat sich als ehemaliges Mitglied des unteren Tabellenviertels auf Platz 5 gekämpft. Gründe für die deutlichen Steigerungen sind enorme Verbesserung in der beruflichen Bildung, Akademisierung und Inputeffizienz sowie der Ausbau der naturwissenschaftlich-technische Bildung (MINT) und Forschung. Den beiden Top-Bundesländer Sachsen und Thüringen werden ihre positiven Rankingwerte vor allem einer guten individuellen Förderung und ihren Bemühungen für mehr Chancengleichheit, auch für Kinder und Jugendliche aus bildungsferneren Bevölkerungsgruppen, zugeschrieben. Es stellt sich an dieser Stelle die Frage, ob die Tatsache, dass Thüringen bundesweit die höchsten pro Kopfausgaben für Bildung hat, einen Effekt auf die guten Ergebnisse hat. Alle Ergebnisse in Ausführlichkeit können auf der Bildungsmonitor-Webseite durchstöbert werden. Es lohnt sich vor allem der Blick in die detaillierten Unterbereiche der 13 Handlungsfelder.
Was ist nun faul im Lande Schleswig-Holstein, dass es nur für den letzten Platz gereicht hat? Der Trostpreis in diesem Falle ist die Mitteilung, dass sich alle Schulen seit dem sogenannten PISA-Schock verbessert haben und es auch in Schleswig-Holstein Zuwächse in den Bereichen Förderinfrastruktur, Bekämpfung der Bildungsarmut und berufliche Bildung gab. Es stellt sich jedoch die Frage, warum es uns mit dem Bildungssystem in unserem Bundesland nicht gelingt, mit anderen innovativ mitzuhalten?
Als die großen Baustellen im Bildungssystem werden die Akademisierung, Internationalisierung, beruflichen Bildung und naturwissenschaftlich-technischer Bildung (MINT) benannt. Besonders schwer haben es bei uns immer noch die Kinder und Jugendlichen aus sozial benachteiligten Familien. Dazu gehören neben Migranten auch Kindern von Alleinerziehenden und Kinder aus Familien mit geringen Einkommen. Zwar ist der Anteil derjenigen gestiegen, die Nutznießer einer frühkindlichen Förderung wurden oder in Ganztagsschulen gehen, aber vergleichsweise hinkt Schleswig-Holstein in dem Bereich den anderen hinterher. Wenn es am Anfang schon hapert, wird es später nicht besser, denn leider liegt der Grad der Akademisierung in Schleswig-Holstein bei 3,3 Prozent und damit unter dem Bundesdurchschnitt von 4,5 Prozent.
An dieser Stelle eine Ursachenforschung zu betreiben, kann schnell dazu führen, dass die Ideologiekeule zum Einsatz kommt, was für ein so wichtiges Thema wie Bildung bei einem so schlechten Abschneiden in einer bundesweiten Studie sicher der falsche Ansatz ist. Fakt ist, dass Schleswig-Holstein im Bildungsmonitor 2004 auf Platz 8 lag und seitdem einen steilen Abwärtskurs genommen hat. Ein Ansatz von Seiten der bildungspolitischen Sprecher der Fraktionen könnte sein, vermehrt sachliche Diskussionen zu führen, die zielführend sind und sich nicht im Zuschieben des bildungspolitischen schwarzen Peter zu verzetteln. Es ist nicht hilfreich für Schüler, Eltern und Lehrer, wenn darüber gestritten wird, ob die Regierungskoalition jetzt die Gemeinschaftsschulen mehr bevorzugt, als es die jetzigen Oppositionsparteien in ihrer Legislaturperiode mit den Gymnasien gemacht haben sollen. Liest man die Pressemitteilungen der Parteien seit dem Beginn des neuen Schuljahres, gewinnt man den Eindruck, dass es eher darum geht, die Schwächen des anderen aufzuzeigen und den Finger in die Wunde zu legen, wenn Entwicklungen nicht schnell genug gehen oder Konzepte noch nicht ausgereift genug sind.
Die Frage ist, ob sich unser Bundesland eine solche Herangehensweise an die Bildungspolitik noch lange leisten kann — angesichts eines immer weiter steigenden Fachkräftebedarfs und andauernder Unsicherheiten bei Schülern und Eltern, welcher Bildungsweg nun der richtige ist, im Dschungel der sich häufig ändernden Schullandschaft. Konstruktiver Austausch über den Fahrplan der nächsten Jahre und sich daran anschließende Kontinuität würden in jedem Fall dazu führen, dass in den Schulen wieder die Unterrichtsqualität in den Fokus rücken könnte und nicht übermäßig viel Zeit mit der Umgestaltung der Bildungslandschaft verbracht wird.
Ich weiß, dass es immer komisch aussieht, wenn man anfängt, sich den letzten Platz schön zu reden. Aber: Nach dem, was ich über das Ranking lesen kann, wird Schleswig-Holstein immer auf einem der letzten Plätze zu finden sein. Im Gegensatz zu PISA &Co schaut sich der Lobbyverein der Metallindustrie nicht an, was die Schülerinnen und Schüler können, wenn sie aus der Schule kommen. Sie rechnen einige öffentlich zugängliche Daten zusammen. Wenn da dann eingerechnet wird, dass Schleswig-Holstein zu wenig Absolventen, speziell Ingenieursabsolventen hat, dann glaube ich nicht, dass sich das jemals wesentlich ändern wird — es sei denn das Land gründet eine neue TU. Und dann springt der Lobbyverein mittelständischer Unternehmen aka „Bund der Steuerzahler” der Landesregierung ins Gesicht.
Wer in Schleswig-Holstein Abi macht, geht halt tendenziell woanders studieren. Das gibt Punktabzug für Schleswig-Holstein und Extrapunkte für andere Bundesländer, die Abiturienten importieren. Das sagt aber überhaupt nichts über die Bildung in Schleswig-Holstein aus. Und es ist absurd, dass ein Auslandspraktikum positiv, ein Studium außerhalb des Heimatbundeslandes negativ bewertet werden.
Dann fehlt es an Ganztagsbetreuung. Okay. Da kann man etwas machen.
Aber „Schlusslicht” klingt so, als würden Kinder in Schleswig-Holstein überhaupt nichts lernen. Darum geht es aber offenbar gar nicht in der Studie. Da werden ja nur extern erhobene statistische Daten zusammengerechnet. Da wird kein einzige Kind angeguckt.
Sachsen dagegen hatte ein Kinderbetreuungssystem aus DDR-Zeiten übernommen mit traditionell vielen Plätzen und dann viel Geld für den Ausbau der Hochschulen. Wenn dann noch die Leute wegziehen, weil sie Jobs nur im Westen finden, sieht die Statistik plötzlich gut aus. Das klassische Vorzeigeland für Bildung, Bayern, ist da plötzlich nur auf Platz 4 vor Bremen — wo doch Bremen sonst immer schlecht war.
Ich weiß nicht, ob das Ranking wirklich etwas über Bildung in Schleswig-Holstein aussagt.
Für ein Billiglohnland wie Schleswig-Holstein, in dem potenzielle Investoren und Arbeitgeber mit dem Argument anglockt werden, dass das Lohnniveau im Land niedriger ist als in vielen anderen Bundesländern, reicht der letzte Platz im Bildungssystemvergleich völlig aus.
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Arbeitgeber lassen untersuchen, ob Kinder arbeitgebergerecht ausgebildet werden. Wie überraschend. Da ist dann unter anderem nicht die Bildung von Kindern das Ziel, sondern wie schnell diese dem Markt zur Verfügung stehen. Das findet sich dann zum Beispiel im Kriterium der Zeiteffizienz:
„Das Handlungsfeld Zeiteffizienz gibt Auskunft über die Effizienz der Nutzung von Lebenszeit im Bildungssystem (in Punkten). Durch weniger Wiederholungen, verspätet eingeschulte Kinder, weniger vorzeitig aufgelöste Ausbildungsverträge, ein niedrigeres durchschnittliches Absolventenalter von Hochschulabsolventen steigt die Zeiteffizienz.”
Soziales Engagement, im Sportverein Fußball spielen, ein Instrument lernen — alles unnötiger Quatsch solange uns der Chinese zu überholen droht.
Im Handlungsfeld „Zeiteffizienz” ist Schleswig-Holstein auf dem ersten Platz, wenn man sich die detaillierten Auswertungen anschaut. Die Frage ist dann wiederum, was das über unser Bildungssystem aussagt? ;)
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Wieso eigentlich der letzte Platz im Ranking?
Ich gehe seit zehn Jahren wieder zur Schule. Und mit mir ganz viele Eltern, die alles dafür tun würden, damit ihr Kind hochschulreif in der Erwachsenenwelt ankommt.
Anfangs sollte ich täglich mindestens zehn Minuten das Lesen und Schreiben üben, später Deutsch diktieren und Rechtschreibung prüfen. Das wurde mir im Elterngespräch nahegelegt. Denn das könne sie nicht bei allen Kindern unserer Integrationsklasse leisten, erklärte mir die Klassenlehrerin. Ab Klasse 2 parierte ich auf englische Wortfetzen. Wir waren die erste Kieler Grundschulklasse mit bilingualem Unterricht: „Guck mal Mama, da liegt ein Blatt oak”. Dazu kam das Kopfrechnen und pro Woche eine Kolonne Zahlen vom kleinen Einmaleins. Ich lernte mit jedem Kind das Gedicht vom Herrn Ribbeck auf Ribbeck im Havelland auswendig und ersann beim zweiten eine kindgerechte Methode, sich seine fünf Strophen effektiv anzueignen sowie der Versagensangst vor deren öffentlicher Darbietung zu begegnen.
Die Aufforderung der Schulleitung, das Nachmittagsprogramm unserer Ganztagsschule durch meine ehrenamtliche Mitarbeit zu bereichern, übersah ich jedoch Jahr für Jahr gewissenhaft. Denn dafür gibt es Profis, denen ich mit meinem Angebot die Lebensgrundlage entziehen würde. (Es reicht, dass wir beim Abholen der Kinder von ihrer Hausaufgabenbetreuung gelegentlich den 1-Euro-Jobbern die Aufgabenstellung der Lehrkräfte erklären mussten). Dafür habe ich mittlerweile zwei Klassenräume gestrichen, einen Sack Schulgardinen dank Elternspenden zur Wäscherei bringen können, jedes Jahr mit Schülergruppen für deren Weihnachtsbasar gebastelt und gefühlte hundert Bleche Kuchen bereit gestellt.
In der Orientierungsstufe angekommen, fingen sie an, sich morgens ein Kind zur öffentlichen Ranzeninspektion herauszupicken. Wir machten den Anfang. Dabei erfuhr ich, dass unsere vom ABK allen Grundschülern zur Einschulung spendierte Trinkflasche gegen ein Plastikmodell auszutauschen sei und wir zwei Hefte zu viel und ein Buch zu wenig dabei hatten. Um diesen miesen Ersteindruck nicht noch weiter zu vertiefen, erfolgte Monate lang daheim stets ein gemeinsamer Vorcheck am Abend. Per Unterschrift belegte ich zudem im Hausaufgabenheft meines Kindes, dass es daheim selbständig alle Aufgaben wunschgemäß erledigt habe. Die Schule machte Stichproben. Beim Elternabend klagte ein Lehrer, ihm würden zunehmend Aufsätze vorgelegt, die augenscheinlich Eltern verfasst hätten. Um den Anschluss an dieses ehrgeizige Leistungsziel nicht völlig zu verlieren, führten wir daheim die Kategorie „Entwurf” ein. Eine Reinschrift ins Heft erfolgte erst nach dem Gegenlesen. So lernten wir nunmehr auch Englisch grammatikalisch richtig schreiben. Das wurde höchste Zeit. Alle anderen in der Klasse konnten das. Außerdem kannten sie Methoden, um Vokabeln zu lernen. Zum Glück bekamen wir gleich zu Beginn parallel noch Latein. Im Prinzip ist das da ja gleich.
Bei meinem Abi vor gut dreißig Jahren wurde ich in Mathe geprüft. Das reicht noch, um dem aktuellen Schulstoff folgen zu können. Bei Bedarf erkläre ich die Rechenregeln fürs Auflösen von Gleichungen mit ein oder zwei Unbekannten und das Kürzen von Brüchen. Wir erfinden alternative Rechenwege, wenn die Methode des Lehrers vormittags so wenig anschaulich war und seine Zeit für alternative Erklärungen knapp. Er ist Referendar, kam gleich nach seiner Abschlussklausur sofort zu uns an die Schule. Wir Eltern unterstützen ihn wo wir können. Wäre er nicht, hätten wir keine Lehrkraft — so wie in Deutsch. Die Stunden fallen seit sechs Wochen aus oder werden durch eigenverantwortliches Arbeiten ersetzt, die EVA. Allmählich machen wir uns Sorgen um die Gesundheit der Lehrkräfte. Einen Schnupfen hat ja jeder mal, aber es mehren sich Fälle tiefer greifender Erkrankungen. Grundsätzlich können die Schulleiter sich Ersatz holen. Da gibt es eine neue Regelung mit dem Ministerium. Doch es fehle an Lehrern die bereit und fähig sind, als Springer zu fungieren, erfahren wir auf Sitzungen des Schulelternbeirats.
Um das Interesse am Fach während solcher Ausfallzeiten wach zu halten, füllen wir die Lücke privat. Kunsthalle und Stadtgalerie bieten gegen Gebühr Malkurse, die Stadtbücherei sogar kostenlos einen FerienLeseClub. Auf dem freien Markt gibt es gefühlt mehr Angebote als Kinder. Weshalb jeder unserer Klassenkameraden was nebenher am Laufen hat, einige schon seit der 5. Klasse; das Gängigste ist klassische Nachhilfe. Rund um unsere Schule siedelten sich Privatlehrer und -schulen an. Das ist clever. Denn wenn die Kinder nach acht Stunden Unterricht aus der Schule kommen, wollen sie nicht noch weit fahren müssen.
Letzten Winter belegte ich acht Doppelstunden „Griechisch für Eltern”, das mich in die Lage versetzten sollte, Vokabeln beim Erwerb der dritten Fremdsprache abfragen zu können. In drei Jahren machen wir Abitur. Für mich wird es das zweite Mal sein. Ich habe eine Berufsausbildung, danach studiert und im Ausland Grundlagen erforscht und gelehrt. Bekäme ich hier bezahlte Arbeit, fände ich wohl keine Zeit mehr fürs zweite Abi. Bis es soweit ist, arbeite ich weiter daran, Schleswig-Holstein im Bildungs-Ranking nach vorn zu bringen. Den letzten Platz empfinde ich persönlich als Beleidigung.