Das politische Leben spielt sich in Zyklen ab, die von Wahlen begrenzt werden. Anders als bei Landtags- oder Bundestagswahlen ist dieser Zyklus für die kommunalen politischen Gremien durch eine klar umrissene Zeitdauer bestimmt. Vorzeitige Auflösungen der Kreis- oder Gemeindevertretungen bei einem Wechsel der Mehrheitsverhältnisse sind anders als für Land- oder Bundestag nicht vorgesehen. Die Kommunalwahl findet für alle politischen Gremien eines Bundeslandes zeitgleich statt. Kommt es also, wie beispielsweise in Dortmund aus besonderen Gründen zu einer Neuwahl der Stadtvertretung zwischen den ordentlichen Wahlterminen, dann gilt diese Wahl nur für eine verkürzte Periode bis zur nächsten ordentlichen Wahl.
Die kommunalen Vertretungen werden gern als Parlament bezeichnet, obwohl sie das rein formal gar nicht sind. Sie zählen als Bestandteil der Selbstverwaltung einer Gemeinde zur Exekutive und nicht, wie normale Parlamente, zur Legislative. Als Teil der Verwaltung sind für die Gemeindevertretungen weder Regierung noch Opposition vorgesehen. Der Bürgermeister ist dementsprechend auch nicht der Chef einer Regierung, sondern der Leiter der Verwaltung einer Gemeinde.
Dennoch geht es auch in Gemeindevertretungen und ihren Ausschüssen um Mehrheiten zur Umsetzung politischer Ziele. So können sich also auch hier verschiedene politische Richtungen gemeinsam organisieren. Diese Organisation wird üblicherweise „Kooperation” und nicht „Koalition” genannt. Genauso selbstverständlich ist es übrigens auch, dass Gemeindevertretungen je nach Thema mit wechselnden Mehrheiten arbeiten.
Die nächste Kommunalwahl findet in Schleswig-Holstein am 26. Mai 2013 statt, also in knapp einem Dreivierteljahr. Nicht nur die Gemeindevertretung unterscheidet sich in ihrer Funktion von einem normalen Parlament – auch die Art der Wahl ist nicht dieselbe. Bei der Landtagswahl treten Direktkandidaten (Erststimme) und eine Landesliste (Zweitstimme) an. Auch in Wahlkreisen ohne eigenen Direktkandidaten bleibt die Liste einer Partei mit der Zweitstimme wählbar. In der Regel erhält sie ohne Direktkandidaten nicht so viele Stimmen, als hätte die Partei einen aufgestellt. Aber immerhin bleibt die Partei in diesem Wahlkreis wählbar.
Bei der Kommunalwahl vergibt jeder Wähler lediglich eine Stimme für Direktkandidaten und Liste zusammen. In Wahlkreisen, in denen mehrere Direktkandidaten in einem Wahlkreis wählbar sind, kann der Wähler soviel Stimmen vergeben, wie Direktkandidaten wählbar sind – allerdings immer nur eine Stimme pro Direktkandidaten. Diese ist Stimme für den Direktkandidaten im Wahlkreis und mit ihr werden zugleich die Stimmen für die gesamte Gemeinde bestimmt, welche die Anzahl der Listenkandidaten ergeben. Da die kleinen Parteien in der Regel keinen Direktkandidaten durchbringen können, wären sie eigentlich nicht unbedingt gezwungen, in jedem Wahlkreis Kandidaten aufstellen. Anders als bei den anderen Wahlen besteht aber bei der Kommunalwahl keine Möglichkeit, ohne Direktkandidaten Stimmen für die Liste zu erhalten. Somit entscheidet die Aufstellung eines Direktkandidaten nicht wie bei Landtags- oder Bundestagswahlen darüber, ob man mehr oder weniger Stimmen aus seinem Wählerreservoir umsetzen kann, sondern vielmehr darüber, ob eine Partei in einem Wahlkreis überhaupt Stimmen erhält.
All die Regelungen zur Kommunalwahl sind im Gesetz über die Wahlen in den Gemeinden und Kreisen in Schleswig-Holstein (Gemeinde- und Kreiswahlgesetz — GKWG) und der Landesverordnung über die Wahlen in den Gemeinden und Kreisen in Schleswig-Holstein (Gemeinde- und Kreiswahlordnung — GKWO) geregelt. Dabei ist die Anzahl der zu vergebenden Sitze in § 8 GKWG, die Anzahl der Wahlkreise und der in diesen gewählten Direktkandidaten in § 9 GKWG festgelegt.
Nun ist es in Parteien nicht anders als in den meisten anderen ehrenamtlich strukturierten Organisationen, wie beispielsweise in Sportvereinen: Die Anzahl der aktiv in der Partei mitarbeitenden Personen liegt irgendwo zwischen 5 und 10 Prozent. Die Probleme, welche für kleine Parteien daraus resultieren, werden deutlich, wenn man sich verschiedene Situationen vor Augen führt:
Nehmen wir eine Mittelstadt mit weniger als 25.000 Einwohnern und eine der kleineren Parteien (Grüne, FDP, Linke) mit rund 35 Mitgliedern. Davon leben allerdings nur 20 in der Mittelstadt selbst. 15 Mitglieder stammen aus dem Umland, in dem keine weiteren eigenständigen Ortsverbände bestehen. Sie sind nicht wählbar. Diese Partei muss nun also 14 Direktkandidaten aufstellen, was 70 Prozent der wählbaren Mitglieder entspricht – weit mehr als der übliche Teil der Aktiven.
Nehmen wir ein Dorf mit knapp 2.000 Einwohnern. Der Ortsverband dort hat 12 Mitglieder, von denen 8 im Gemeindegebiet wohnen und somit wählbar sind. Es ist hier ein Wahlkreis zu bilden, in dem 7 Direktkandidaten wählbar sind. Um alle möglichen 7 Stimmen eines Wähler zu sammeln, muss die Partei 7 Direktkandidaten aufstellen. Auch das liegt mit knapp 88 % der wählbaren Mitglieder weit über dem Bereich der aktiven Mitglieder.
Doch auch die großen Parteien (CDU, SPD) bekommen zunehmend Probleme, entsprechend Kandidaten für die Wahlkreise zu finden. Nehmen wir erneut die besagte Mittelstadt mit weniger als 25.000 Einwohnern und eine Partei mit 65 Mitgliedern, von denen 55 am Ort wohnhaft und damit wählbar sind. Diese Partei muss nun ebenfalls 14 Direktkandidaten finden. Anders als die kleinen Parteien benötigt sie diese Kandidaten allerdings nicht zur Gewinnung der Listenstimmen, sondern muss realistisch davon ausgehen, diesen Wahlkreis auch gewinnen zu können. Damit müssen diese Kandidaten dann auch bereit sein, tatsächlich in die Gemeindevertretung einzuziehen. Viele Parteimitglieder sind das nicht – und nicht alle, die das sind, möchte vielleicht die Mehrheit der Parteimitglieder unbedingt in der Gemeindevertretung sehen. Die Probleme der großen Parteien sind zwar nicht unbedingt dem Wahlrecht geschuldet, werden aber mit fortschreitender demographischer Entwicklung bei der üblichen Alterstruktur der Mitglieder zunehmend größer.
Sowohl Grüne als auch FDP haben in der Zeit ihrer Regierungsbeteiligung verpennt, mit ihrem Koalitionspartner eine entsprechende Anpassung des Wahlrechts zu vereinbaren. Bei CDU und SPD ist der Druck zwar steigend, aber wohl noch nicht groß genug, dass sie aus eigenem Interesse eine Änderung anstreben würden. Sie können im Gegenteil sogar darauf hoffen, von den Problemen der kleinen Parteien zunächst zu profitieren.
Mit dem Mitgliederschwund, der alle Parteien betrifft, wird dieses Problem vermutlich zuerst auf den Dörfern dringlich werden.
Anmerkung: Dieser Artikel entstand aus einem „Erklärbar”-Stück der Redaktions-Mailingliste des Landesblogs und befasst sich mit der Situation in Schleswig-Holstein. In anderen Bundesländern mag es unterschiedliche Regelungen und Rahmenbedingungen geben.
Gerade in kleineren Städten und Gemeinden werden wirklich Leute gesucht, die in die Gemeindevertretung wollen. Jetzt sind die Leute gefragt, die immer von Bürgerbeteiligung sprechen. Gemeindevertretungen sind Bürgerinnen und Bürger, die sich beteiligen und dafür Verantwortung übernehmen. Geh zu der Partei, die Deiner Meinung nach vor Ort die beste Politik macht, und frag, ob sie Hilfe braucht. Mit so einer Parteimitgliedschaft kauft man _nicht_ „das ganze Paket” (ESM, Afghanistan oder sonst was) und man bindet sich auch nicht fürs Leben. ;-)
Man muss in vielen Fällen nicht einmal zwingend Mitglied einer Partei werden, sondern kann oftmals auch als parteiloses Mitglied reinschnuppern und mitmachen. Es kommt vor allem auf die Personen und die konkrete Politik vor Ort an. Meine stellvertretende Fraktionsvorsitzende in der Eckernförder Ratsversammlung beispielsweise ist kein Parteimitglied und ich wage die nicht allzu tollkühne Vermutung, dass sie vor ihrer Mitarbeit bei uns noch nie FDP gewählt hat und es oberhalb der kommunalen Ebene wohl auch heute eher nicht macht. Who cares?
Die Mitarbeit auf der kommunalen Ebene beeinflusst die tatsächliche Lebenssituation der Menschen in der eigenen Heimatgemeinde übrigens in der Regel weitaus mehr, als man auf den ersten Blick vermuten würde.
Kennt ihr die Aktion der Lübecker Wählervereinigung BfL? Die haben Ende August per Stellenanzeige engagierte Frauen für die nächste Liste gesucht. Leider weiß ich nicht, ob es erfolgreich war. Ging jedenfalls groß durch die Presse.
Moin,
ich kannte diese Aktion [http://www.buerger-fuer-luebeck.de/pdf/50-frauen-gesucht.pdf] vorher nicht — Auch teile ich die darin ausgegebene Parole vom „Machtgehabe der Männer” nicht, das ist ja möglicherweise ein Lübecker Phänomen. Aber Sie zeigt beispielhaft, woran es vielerorts ebenfalls mangelt: Neben dem hohen Altersdurchschnitt herrscht in vielen Gemeindevertretungen in der Regel erheblicher Männerüberschuss. Teilweise sind die Ehefrauen der politisch aktiven Herren noch bereit „die Listen zu füllen”, aber aktiv mitgestalten wollen die wenigsten. Gerade bei jungen Frauen ist vielleicht noch die Bereitschaft vorhanden, als bürgerliche Mitglieder in Kindergarten- oder Schulausschüssen mitzuwirken.
A proposito: Auch als nicht gewähltes, sog. „bürgerliches Mitglied” in Ausschüssen kann man sich aktiv in die Kommunalpolitik einmischen! Ihre Mitarbeit stellt eine Form der unmittelbaren Bürgerbeteiligung dar, bringt externen Sachverstand in die politische Willensbildung ein und entlastet die Gemeindevertreter. Und schließlich ist sie eine Möglichkeit, um ins kommunalpolitische Leben „hineinzuschnuppern”: „Bürgerliche” von heute sind oft die Gemeindevertreter von morgen!