Was der Eine als Transparenz ansieht, kann für andere eine Störung des Ablaufs einer Landtagssitzung sein. So gab es unter den Abgeordneten des schleswig-holsteinischen Landtags offensichtlich ganz unterschiedliche Meinungen über die Nutzung elektronischer Kommunikationsgeräte während der Plenartagungen. Öffentliche Sitzungen werden zwar über den Dienst ParlaTV übertragen und somit ist ein gewisses Maß an Transparenz gewährleistet, indem alle Bürger diese am heimischen Bildschirm verfolgen können. Anders sieht es bei Ausschusssitzungen aus, die nicht über diesen Dienst übertragen werden. Für mehr Transparenz bzw. Öffentlichkeit auch in diesen Sitzungen setzt sich die Piratenfraktion ein. In der Vergangenheit wurden Teile solcher Sitzungen von Abgeordneten mitgeschnitten und online gestellt. Der Ältestenrat verständigte sich nun auf bestimmte Richtlinien, die in Zukunft für den Gebrauch von mobiler Internettechnik während der Plenartagungen gelten sollen.
1. Während der Sitzungen des Landtages dürfen ausschließlich mobile Computer, die geräuschlos ohne Lüfter oder mechanische Tastatur laufen und keinen aufklappbaren Bildschirm haben (sog. Tablet-Computer) sowie internetfähige Mobiltelefone (sog. Smartphones) genutzt werden.
2. Die Funktionalitäten dieser Geräte sind nur dem Mandat entsprechend einzusetzen. Die der Unterhaltung oder der privaten Lebensgestaltung dienenden Funktionalitäten sind während der Sitzungen nicht zu nutzen.
3. Mit Ausnahme der zur Verfügung stehenden Systemtelefone ist das Telefonieren mit Mobiltelefonen im Plenarsaal untersagt.
4. Ton- und Bildaufzeichnungen mit Tablet-Computern und Smartphones sind während der Sitzungen des Landtages untersagt.
5. Verstößt eine Abgeordnete oder ein Abgeordneter in gröblicher Weise gegen diese Richtlinie finden §§ 66 und 68 der Geschäftsordnung Anwendung. Der Landtag kann zudem das Verhalten der oder des Abgeordneten missbilligen.
Über das Für und Wider, die Beweggründe und die Sinnhaftigkeit dieser Regeln lässt sich sicherlich streiten. Stören Lüfter und Tastengeklapper den Ablauf einer solchen Sitzung in so großem Maße, dass sie als inakzeptabel eingestuft werden müssen? Auch die Einschränkung, Geräte „nur dem Mandat entsprechend einzusetzen”, lässt sich sehr weitläufig interpretieren. In der Vergangenheit gab es immer mal wieder Paralleldebatten im Internet, während zu einem bestimmten Thema im Landtag diskutiert wurden. Diese betreffen ja durchaus das Mandat und dienen nicht primär der persönlichen Unterhaltung. Offensichtlich ist man sich dieses Problems aber auch im Ältestenrat bewusst, denn Patrick Breyer (Piraten) weist im Fraktionsblog darauf hin, dass in der nächsten Ältestenratssitzung Richtlinien zur Nutzung von sozialen Netzwerken diskutiert werden sollen.
Das Parlament kennt verschiedene Regeln zum Verhalten. Die meisten davon lernen wir auch als Kinder schon, nur werden sie im Parlament strikter eingehalten: Eine Regel ist, dass immer nur einer zur Zeit redet. Und wenn der redet, haben die Anderen zuzuhören. Deswegen packt dort keiner sein Wurstbrot aus. Deswegen stehen keine Thermoskannen auf den Tischen. Im Schleswig-Holsteinischen Landtag vergräbt sich auch niemand in großformatigen Zeitungen.
Natürlich brauchen die Abgeordneten ihre Unterlagen und in Zeiten des Internets dürfen die auch digital sein. Dank erschwinglicher Tablet-PC kann man die heute mit sich führen, ohne dass man sich hinter aufgeklappten 19″ Laptops verschanzen muss. Und das ist auch gut so.
Das gleiche gilt für Paralleldiskussionen per Internet: Es ist unfair, öffentlich „dazwischen zu reden”, wenn sich der jeweilige Redner gerade nicht wehren kann — es nicht einmal mitbekommt. Abgeordnete sind keine Reporter. Aktuelle Debatten ins Internet zu übertragen, ist Aufgabe der Landtagsverwaltung oder des Journalismus. Die Abgeordeneten haben sich um ihren Job vor Ort zu kümmern.
Man kann vorher und nachher alle Kanäle nutzen, um Menschen von Außen Möglichkeiten zu geben, ihre Ideen und Meinungen einzubringen. Es sollen auch gerne alle Sitzungen übertragen werden, damit jeder dabei sein kann. Schleswig-Holstein ist mit den Liveübertragungen der Landtagssitzungen schon recht gut. Und die Übertragung der Ausschüsse scheint eher ein technisches und ein finanzielles Probllem zu sein, als ein politisches. Es geht hier um allgemeine Regeln der Höflichkeit: Wenn Menschen miteinander sprechen, sollten sie sich gegenseitig Aufmerksamkeit schenken.
Spannend ist dabei die Ungleichbehandlung von Abgeordneten und allen anderen Menschen. Während es letzteren offenbar und zu Recht ungenommen bleiben soll, sich auch während einer — z.B. per ParlaTV live verfolgten — Rede eines Abgeordneten zu kommentieren, soll dies den Abgeordneten nicht möglich sein. Gerade denjenigen, die ja zumindest auch dafür bezahlt werden, die Argumente anderer Abgeordneter zu kommentieren und gewichten, soll es verboten sein, dies zeitnah zu tun?
Eine Behinderung des Redners liegt darin jedenfalls nicht per se. Wer sich öffentlich während einer Rede zu dieser äußert, redet per definitionem nicht dazwischen. Der Redner bekommt davon im Zweifelsfall gar nicht mit und kann daher nicht in seiner Rede behindert werden.
Auch kann man kaum behaupten, eine Live-Kommentierung sei despektierlich oder respektlos. Der Kommentator setzt sich mit den Argumenten des Redners auseinander und zeugt damit gerade davon, diesen ernst zu nehmen. Dem Redner bleibt es unbenommen — auch das ist ein Vorteil asynchroner Kommunikation durch moderne Medien -, sich nach seiner Rede mit den Einwänden auseinander zu setzen.
Laute Tastaturen und Lüfter — ja klar, die nerven. Alleine wegen dieser Unannehmlichkeiten ein Verbot der Arbeitmittel ist aber ungefähr so, als schieße man mit Kanonen auf Spatzen. Lüfter lassen sich durch regelmäßiges Reinigen sehr leise halten. Tastaturen können gedämmt werden oder verzichten sogar auf mechanische Anschläge.
Der Abgeordnete muss auch in der Nutzung seiner Arbeitsmittel frei sein. Es wäre doch geradezu peinlich, wenn dem unbeschränktestem Mandat die Vorteile der freien Arbeitsmittelwahl verweigert werden sollen, die nach zähem Ringen den Anwälten und Verteidigern vor Gericht nunmehr als Standard zuerkannt worden ist und in der freien Wirtschaft seit langem keine Diskussion mehr erfordern.
Ein Beispiel: In AGH Berlin scheint es ein Problem zu sein, dass Piraten ständig mit asynchroner Kommunikation beschäftigt sind, statt sich auf ein aktuelles Gespräch zu konzentrieren: http://kfrng.de/yq9ir
Dazu kommt, dass diese Parallelgespräche nicht offiziell protokolliert werden und dementsprechend nicht für Bürgerinnen und Bürger nachvollziehbar sind. Schadet das nicht der Transparenz? Sollen Tweets und Facebook-Einträge dem Protokoll beigelegt werden? Wie stellt man das dann in einem Protokoll da? Gibt es dann neben dem eigentlichen Protokoll Marginalien mit Tweets?
Danke für den Link, Steffen. Ich kann dir in deinem ersten Kommentar und dieser Antwort hier nur Recht geben: Die Regeln der Kommunikation sind wichtig und richtig!
Nein. Gutes Benehmen kann durch keine Geschäftsordnung erzwungen werden, wie Ralf Stegner ja regelmäßig beweist.
Als Abgeordneter auch verbitten, auf die ausschließlich dienstliche Nutzung hingewiesen zu werden. Wo sind wir denn hier?
(Daß Kohlmeier und Lauer ein Problem miteinander haben, ist bekannt. Daß das an Lauers Smartphonenutzung liegt, hingegen nur ein Narrativ, das immer wieder gern gegen Piraten verwendet wird.)
Danke für den Bericht! Einige Anmerkungen dazu:
1. Sitzungen des Landtags sind leider nicht nachträglich über das Internet abrufbar. Den Livestream können viele Berufstätige nicht verfolgen. Wir hatten vergeblich eine Geschäftsordnungsänderung beantragt, um Aufzeichnungen einzuführen.
2. Der Ältestenrat hat sich auf die zitierte Richtlinie — entgegen der Pressemitteilung des Landtags — nicht verständigt im Sinne von geeinigt, sondern sie gegen meine Stimme als Mitglied des Ältestenrats beschlossen. Nach Verfassung und Geschäftsordnung darf der Ältestenrat keine Mehrheitsbeschlüsse fassen, deswegen ist die Richtlinie aus meiner Sicht nicht rechtsgültig.
3. Laptops sollen unabhängig von der Bildschirmgröße verboten werden. Wenn man einen Tablet-PC oder Dokumente liest, wird dieselbe Fläche in Anspruch genommen. Horizontal lesen zu müssen, ist laut Arbeitsmedizinern gesundheitsschädlich. Zu versuchen, die Aufmerksamkeit der Abgeordneten zu langweiligen Reden zu erzwingen, führt nur zur Leerung des Plenarsaals.
Das Problem sind die langatmigen Reden. Das Papier „Parlamentarismus im Wandel” stellt zutreffend fest: „Im Vorfeld der Plenarsitzungen muss im Ältestenrat stärker über die Notwendigkeit bestimmter Anträge debattiert werden. Bei vielen Anträgen müssen sich die Antragsteller ernster fragen und die Frage gefallen lassen, ob Tagesordnungspunkte tatsächlich im Plenum beraten werden müssen oder ob nicht die Ausschussberatung zielführender ist.” Leider werden daraus bisher keine Konsequenzen gezogen.
4. Zuhörer, Presse und die Welt können Reden live über das Internet kommentieren, warum soll es ausgerechnet Abgeordneten verboten sein? Das löst nicht das Problem, das Anlass für die Debatte war, nämlich dass der SPD-Fraktionsvorsitzende Herr Dr. Stegner die Herren Arp und Kubicki in einem Tweet in die Nähe der Geldwäsche rückte — übrigens zeitlich außerhalb der Plenarsitzung!
5. Ausschussitzungen zu übertragen, wäre kein technisches oder finanzielles Probllem. Die Landtagsverwaltung hat mitgeteilt, dass eine Audioübertragung mit den vorhandenen Mitteln möglich wäre. Trotzdem haben die übrigen Fraktionen unseren entsprechenden Antrag abgelehnt.
@2: Soweit ich weiß, fasst der Ältestenrat überhaupt keine Beschlüsse und hat nur die Funktion den Landtagspräsidenten zu beraten.
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Der Umgang der Abgeordneten mit Rednern lässt in allen Parlamenten sehr zu wünschen übrig. Ich konnte bisher keine Umgangsregeln aus Kindertagen erkennen. Das Gepöbel der anderen Fraktionen, wie ich sie zB am schlimmsten in Berlin erleben musste, blieb folgenlos. Hier wurde jahrzehntelang eine Show geboten, von der sich die Interessierten heute erst recht enttäuscht und angewidert abwenden müssen. Zuschauerränge sind meist leer, die wenige Gäste können die Debatten kaum mitverfolgen und faszinierend ist einzig das Verhalten von Abgeordneten während „hitziger” Debatten. Es ist leicht zu sehen, dass der parlamentarische Betrieb an sich überhaupt keine Rolle spielt — Fraktionszwang sei dank.
Mit Verlaub, aber die Piratenfraktion war für mich die einzige, die die Würde des Hauses bewahrte. Gerade weil das stille Arbeiten und der ständige Austausch mit der Außenwelt über die modernen Kommunikationsmittel dem Ganzen einen Hauch von Glaubwürdigkeit zurück gegeben hat.
Mich wundert also nicht, dass ausgerechnet diese Fraktion jetzt derart bedrängt wird.