Eine eigentlich auf 15 Minuten angesetzte Aussprache zur Änderung der Geschäftsordnung des Landtages dauerte gestern am Ende ca. eine Stunde. In vielen Pressemitteilungen im Vorfeld und in ihren Beiträgen zur Debatte hatten die Mitglieder der Piratenfraktion die Intransparenz der etablierten Fraktionen beklagt, und das Gespenst eines kompletten Internetverbotes im Landtag beschworen.
Der Redebeitrag von Patrick Breyer, dem Fraktionsvorsitzenden der Piratenpartei, wurde durch derart viele Zwischenfragen von Landtagsabgeordneten anderer Parteien in die Länge gezogen, dass man von Anfang an auch ein einstündiges Ausspracheformat hätte festlegen können, anstatt als Fragen getarnte Erwiderungen zuzulassen. Auch der Streit darum, ob Wolfgang Kubicki (FDP) nun mit seinem iPad im Plenum herumgespielt haben soll oder nicht, war überflüssig.
Schade ist, dass bei dem rhetorischen Getöse einige durchaus sinnvolle Fragestellungen untergegangen sind:
- Vertraulichkeit von Ältestenratsitzungen: Der Ausgangspunkt des Streites ist die Frage, ob die Sitzungen des Ältestenrates vertraulich sein sollten. Wie das Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes ergeben hat, ist es durchaus legitim, die Sitzungen vertraulich abzuhalten, da grundsätzlich eine größere Kompromissbereitschaft besteht, die den Ablauf des Parlamentsbetriebs um einiges erleichtert.
Aber es lohnt sich darüber nachzudenken, ob nicht grundsätzlich die Sitzungen des Ältestenrat öffentlich zu machen sind, oder grundsätzlich die Ergebnisse der Absprachen, soweit sie nicht Personalfragen betreffen, in einem bestimmten Abstand verfügbar zu machen. Laut einer Zusammenstellung der Landtagsverwaltung gibt es bis jetzt in keinem Länderparlament einen Ältestenrat oder ein vergleichbares Gremium, das grundsätzlich öffentlich tagt. Hier könnte der schleswig-holsteinische Landtag durchaus eine Vorreiterrolle übernehmen. - Die Geschäftsordnung des Landtages und die Richtlinie des Ältestenrates: Was die Abläufe im Landtag angeht, müssen wir hier zwischen der Geschäftsordnung des Landtages und den Richtlinien des Ältestenrates unterscheiden. Die Geschäftsordnung wird vom Plenum mit einfacher Mehrheit beschlossen und ggf. auch geändert, im Ältestenrat hingegen gibt es keine Abstimmungen, sondern alle Fraktionen verständigen sich über Abläufe und Regelungen, die jedoch jederzeit vom Plenum verändert werden kann.
Am 19. September gab die Landtagsverwaltung eine Pressemitteilung heraus, nach der sich der Ältestenrat auf eine Regelung zur Nutzung mobiler Internettechnik verständigt habe. Dagegen ging Patrick Breyer vor, und erwirkte am 25. September eine einstweilige Verfügung am Landgericht Kiel. Die Frage, die sich stellt: warum war die Landtagsverwaltung nicht bereit, den Fehler zu korrigieren und musste erst zu einer Verfügung verdonnert werden? Noch in einer weiteren Pressemitteilung seitens der Landtagsverwaltung vom 24. September war davon die Rede. Jetzt im Plenum stellten verschiedene Abgeordnete, darunter auch Landtagspräsident Klaus Schlie, klar, dass diese Richtlinie nicht in Kraft trete, solange keine Einigung im Ältestenrat darüber erzielt worden sei.
Zurück zur Veränderung der Geschäftsordnung: Mit der Entscheidung der anderen Fraktionen wurde dieser Passus in die Geschäftsordnung als §49a eingefügt:
§ 49a Nutzung mobiler InformationstechnikWährend der Sitzungen des Landtages ist die Nutzung mobiler Informationstechnik auf der Grundlage einer Verständigung im Ältestenrat zulässig.
Der erste Versuch der Verständigung im Ältestenrat, der aufgrund der fehlenden Zustimmung der Piratenfraktion hinfällig ist, sah vier Regelungen vor:
1. Während der Sitzungen des Landtages dürfen ausschließlich mobile Computer, die geräuschlos ohne Lüfter oder mechanische Tastatur laufen und keinen aufklappbaren Bildschirm haben (sog. Tablet-Computer) sowie internetfähige Mobiltelefone (sog. Smartphones) genutzt werden.
Dies bezeichnet also ein Verbot von Laptops, während Handys und Tablets zugelassen sind. Hier spielt zum einen die Akustik eine Rolle, aber auch das Erscheinungsbild des Hauses. Selbst im Abgeordnetenhaus der USA sind Laptops genau aus dem Grund (“decorum”) auch nicht erlaubt.
Übrigens: der Einwand des Abgeordneten König (PIRATEN), dass gewisse Programme nicht auf Tablets liefen, ließe sich durch Softwarelösungen (Stichwort Remote Desktop Server) ganz einfach lösen (die Lösung sagte ihm jedoch nicht zu).
2. Die Funktionalitäten dieser Geräte sind nur dem Mandat entsprechend einzusetzen Die der Unterhaltung oder der privaten Lebensgestaltung dienenden Funktionalitäten sind während der Sitzungen nicht zu nutzen.
3. Mit Ausnahme der zur Verfügung stehenden Systemtelefone ist das Telefonieren mit Mobiltelefonen im Plenarsaal untersagt.Hier geht es wieder um das Erscheinungsbild des Hauses, und wohl auch um die Konzentration der Abgeordneten, die solche Geräte während der Plenarsitzungen verwenden. Ich möchte an den kürzlichen Eklat in Berlin erinnern, als das Mitglied im Berliner Abgeordnetenhaus Sven Kohlmeyer (SPD) der Piratenfraktion vorwarf, sie wären aufgrund ihres Internetsurfings nicht wirklich an der Diskussion beteiligt. Die Frage ist jedoch, ob so etwas tatsächlich durch eine Geschäftsordnung geregelt werden sollte. Ich würde meinen, das sollte eher in der parlamentarischen Debatte thematisiert werden anstatt durch Vorschriften bestimmt zu werden.
4. Ton- und Bildaufzeichnungen mit Tablet-Computern und Smartphones sind während der Sitzungen des Landtages untersagt.
Hier ging es wohl um die Reaktion auf die Mitschneideaffäre um den Abgeordneten Uli König (PIRATEN). Unabhängig davon jedoch stellt sich in der Tat die Frage, warum der Landtag nicht eine Speicherung des Streamings zulassen könnte, ob Video oder nur Audio. Solange dies aus Kostengründen abgelehnt wird, stellt sich die Frage, warum dies nicht eine Fraktion aus eigenen Mitteln veranlassen sollte.
Diese Regelungen sind auch nach der Änderung der Geschäftsordnung nicht in Kraft, da bisher eine Verständigung im Ältestenrat nicht erzielt wurde.
Droht ein vollständiges Internetverbot?
Letzten Endes ist die Position der Piratenfraktion meines Erachtens jedoch populistisch, die unterschwellig die weitverbreiteten Gefühle von Politikverdrossenheit in der Bevölkerung bedient. Indem die Frage der Vertraulichkeit von Ältestenratsitzungen dermaßen aufgebauscht wird, kann die Piratenfraktion sicherlich bei ihrer eigenen Anhängerschaft punkten, aber in der Sache erreicht sie konkret nicht viel: sie macht sich bei den anderen Fraktionen als wenig kollegial unbeliebt und verhärtet die Fronten. Ein kollegialer Umgang über Parteigrenzen hinweg ist nichts Schlechtes und kann sogar bei der eigenen Arbeit hilfreich sein.
Wie die Abgeordnete Birgit Herdejürgen (SPD) erklärte, sind diese restriktiven Vorschläge als Reaktion darauf zu verstehen, dass sich die Piratenfraktion komplett unwillens gezeigt habe, eine Einigung zu erzielen, die alle mittragen könnten. In dem Punkt ist ihr recht zu geben, dass eben nicht sechs Abgeordnete dem ganzen Parlament in einem solchen Stil eine Regelung aufzwingen können. Es zeigt sich hier, dass sich gewisse Spielregeln im parlamentarischen Miteinander über die letzten Jahrzehnte etabliert haben. Natürlich steht es der Piratenfraktion frei diese zu missachten, aber dann muss sie über dieses Ergebnis nicht erstaunt sein.
Nach Auffassung der Piratenfraktion bedeutet der neue §49a in der Geschäftsordnung ein Verbot jeglicher mobiler Informationstechnik, also auch internetfähige Handys, Tablets und Laptops, solange es eben keine Einigung im Ältestenrat gebe. Denn zu einer Einigung im Ältestenrat gehören alle Fraktionen, und wenn die Piraten-Fraktion nicht von ihren Maximalforderungen abrückt und zu Kompromissen bereit ist, könnte das Ergebnis ein solcher Zustand sein. Damit würde die Piratenfraktion in der Öffentlichkeit sicherlich punkten können, aber in der Sache wäre nichts gewonnen. Das wäre schade.
Zugegeben: Ich weiß nicht genau, was im Ältestenrat passiert. Das liegt nicht nur daran, dass er bisher vertraulich war, sondern vor allem daran, dass dort offenbar auch wenig passiert, was relevant für mich gewesen wäre. Dort wird wohl darüber gesprochen, wie man miteinander umgeht, welche Themen wo auf die Tagesordnung kommen usw. Es werden keine Beschlüsse gefasst. Dort sind alle Fraktionen vertreten. Und nicht einmal die LINKE ist zu Zeiten der schwarz/gelben Regierung Zeter und Mordio rufend rausgerannt, um etwaige Skandale aufzudecken.
All das spricht weder für noch gegen totale Vertraulichkeit. Es spricht aber auch weder für noch gegen totale Transparenz. Die Dinge, die vertraulich geregelt werden wollen, werden vertraulich geregelt — wenn nicht in einem formalen Gremium, dann in einem informellen — zu dem dann eben nicht mehr alle Fraktionen eingeladen werden müssen. Politische Beschlüsse müssen nachvollziehbar sein. Wenn es also um formale Fragen der Parlamentsarbeit geht, sollten die ruhig öffentlich werden. Wenn aber für bestimmte Gespräche Vertraulichkeit nötig ist, dann sollte das in diesem einzigen Gremium möglich sein — in Anwesenheit aller Fraktionen.
Bei Transparenz geht es darum, dass politische Entscheidungen nachvollziehbar sind.
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Sehr gute Hintergrundanalyse der Sachlage, jedoch kann ich dem letzten Absatz nicht beipflichten.
Die Transparenz von Ältestenratssitzungen ist so wichtig, weil hier hinter verschlossenen Türen viele fraktionsübergreifende Absprachen getroffen werden, die später 1:1 so umgesetzt werden. Es geht zum Teil um viel Geld. Mehr darf ich leider nicht mehr dazu sagen, weil ich zur Geheimhaltung verdonnert worden bin.
Das Gegenteil der Darstellung von Frau Herdejürgen trifft zu: Die übrigen Fraktionen haben sich komplett unwillens gezeigt, eine Einigung zu erzielen, die wir PIRATEN mittragen können; sie haben stattdessen Beschlüsse durchgedrückt, die sie zuvor ohne uns ausgehandelt hatten. Sowohl im Fall der Geschäftsordnung wie auch im Fall der Richtlinie zur Internettechnik haben wir von den entsprechenden Texten erst erfahren, als sich die übrigen Fraktionen bereits hinter unserem Rücken darauf verständigt hatten. Wir haben in beiden Fällen nachträglich Kompromissvorschläge gemacht, auf die (mit einer Ausnahme) aber nicht eingegangen wurde. Uns blieb keine andere Wahl als öffentlich Alarm zu schlagen und zu protestieren.
Und wir hatten (teilweise) Erfolg: Die Richtlinie zur Internettechnik soll nun neu aufgerollt werden, diesmal mit uns zusammen. Ein Komplettverbot von Laptops oder Internettechnik soll nicht gelten; die übrigen Fraktionen wollen selbst nicht, was sie da beschlossen haben (siehe NDR-Bericht).
Wir erheben keine Maximalforderungen, sondern wollen am bisherigen Zustand festhalten, der Berichte über Ältestenratssitzungen erlaubte und auch die Nutzung von Laptops. Wir sind kompromissbereit, was das „Wie” der Berichterstattung und der Techniknutzung angeht, aber Komplettverbote machen wir nicht mit. Die übrigen Fraktionen erheben Maximalforderungen, nicht wir. Es geht nicht darum, dass wir unsere Spielregeln anderen Fraktionen aufzwingen wollten. Wir wollen nur nicht, dass die übrigen Fraktionen uns ihre intransparenten, technikfeindlichen und nicht basisdemokratischen Verfahren aufzwingen.