Anderthalb Stunden dauerte die Talkrunde über Kultur in Flensburg. Sie wurde veranstaltet vom sh:z, der Phänomenta und dem Kulturbüro Flensburg sowie der Sparkassenstiftung und Sat.1 Regional.
Eingeladen waren zwei Politiker: die Ministerin für Justiz, Kultur und Europa, Anke Spoorendonk, und der Oberbürgermeister der Stadt Flensburg, Simon Faber – beide gehören dem SSW an. Die Interessen der Kulturschaffenden vertraten der Generalintendant des Landestheaters, Peter Grisebach, und die Theaterleiterin des Lübecker Combinale, Sigrid Dettlof. Für die Wirtschaft sprach der Hamburger Verleger und Vorsitzende des Stiftungsrates SHMF, Dr. Sven Murmann.
Diese erste Ausgabe der Gesprächsreihe „Talk am Tor“ wurde per Livestream gesendet und in voller Länge archiviert unter shz.tv.
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„Aufbruch oder Abbruch?“ lautete die provokante Frage, die mich zur Veranstaltung nach Flensburg in die Räume der Phänomenta lockte. Sie erinnert an das entwürdigende Gerangel um Kulturmittel der öffentlichen Hand. Zugleich weckte die Formulierung in mir einen Funken Hoffnung. Sollte das Denken die Richtung gewechselt haben?
Links saßen die Kulturschaffenden, rechts die Politiker, in der Mitte das Geld. Michael Grahl (Sat.1) und Dr. Helge Matthiesen (sh:z) säumten die Flanken. Von dort passten beide Moderatoren im Wechsel ihre Fragen zu den Gästen, erst zur Ministerin, dann zu den Theaterleuten und dem Flensburger Oberbürgermeister. Gut eine halbe Stunde der Sendezeit redeten die vier über Theaterspielstätten — aus aktuellem Anlass speziell über den maroden Theaterbau in Schleswig. Deren Abbruch will keiner, weder in der Runde noch außerhalb. Doch Kommunalpolitiker fordern mehr finanziellen Spielraum zur Förderung innovativer Projekte, den es bei steigenden Fixkosten für staatliche Betriebe nicht geben kann. Anke Spoorendonk steht nun in der Pflicht, für die Landesregierung ein Theaterkonzept aufzustellen.
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Seit Jahren wird über die Theaterszene Schleswig-Holsteins gestritten und debattiert, wieder und wieder zieht man dazu die Freien als Modell heran. Auch das vor dreißig Jahren gegründete Lübecker Privattheater Combinale braucht Finanzmittel von Stadt und Land. Ein Drittel seines Budgets machen die aus. Gespielt wird, was dem Publikum gefallen könnte, damit zum Ende der Spielzeit die Einnahmen stimmen. Mit Events wie der Theaternacht hoffen alle, neue Zielgruppen zu gewinnen. Doch kulturelle Grundlagenbildung, von der Anke Spoorendonk an diesem Abend mehrfach spricht, ist eine Investition mit langfristiger Renditeerwartung. Dafür bräuchten diese Häuser eine Bestandsgarantie. Tatsächlich verkürzen sich deren Förderzyklen. Mehr und mehr bestimmt die Wirtschaft, wie und was gespielt wird. Da gelten andere Regeln als bei der öffentlichen Hand. Es wird subjektiv entschieden. Kinder- und Jugendvorstellungen sind selbst für ein Theater wirtschaftlich unattraktiv. Das seien die am höchsten subventionierten Karten, mahnt Peter Grisebach. Bereits heute setze sich sein Publikum zu einem Drittel aus Kindern und Jugendlichen zusammen. Um profitorientiert wirtschaften zu können, ist auch das Staatstheater auf den Vollzahler und einen hohen Anteil Abonnements angewiesen. Seit der Auslagerung der ästhetischen Bildung auf außerschulische Bereiche zahlen Eltern wie Kultureinrichtungen einen hohen Preis.
Ihrem Ensemble kann Sigrid Dettlof bloß Stückverträge bieten. Werden Musiker gebraucht oder Tänzer bucht das Theater punktuell freie Kräfte hinzu. Überhaupt wird vieles fremd vergeben, weil die dreiköpfige Theaterleitung sich nur fünf feste Mitarbeiter leisten kann und heute noch nicht weiß, ob sie morgen noch spielen wird. Deshalb setzt sie auf Leidenschaft und die Leidensfähigkeit der kreativen Szene. 360 Tausend Euro Jahresumsatz macht das Theater. Das sind im Schnitt monatlich 30 Tausend Euro. Davon gehen acht Gehälter ab, eventuell Miete und sicher Kosten für den Unterhalt des Theaterbaus. Der Rest fließt in die Produktion von Stücken, in Honorare für die Freien und Subunternehmer. Ins Träumen gerät davon keiner. Mit Arbeitsverhältnissen wie diesen waren die Kulturakteure eine Zeit lang Vorreiter in der Gesellschaft. Mittlerweile illustrieren Mini-Jobs, Haustarife und Jahresverträge sowie Lohnverzicht und temporäre Arbeitslosigkeit den Horizont aller Arbeitnehmer in Deutschland. Jeder kennt jemanden, der damit leben muss. Kultur und Wirtschaft nähern sich in diesem Punkt immer weiter an.
Nach 40 Minuten Sendezeit kam Dr. Sven Murmann zu Wort. Seine Hamburger Verlagsgruppe hat im Januar dieses Jahres den Wachholtz Verlag aus Neumünster übernommen. „In unserem Bundesland funktioniert das eigentlich ganz gut, dass sich Wirtschaft und öffentliche Hand abstimmen“, lobte der in Kiel geborene und in Hamburg lebende Verleger die Landespolitik und postulierte, der Staat müsse sich aus vielen Bereichen zurückziehen. Er wolle mit seinen Steuergeldern keine Theater finanzieren, die zur Vermehrung der Schuldenlast für nachfolgende Generationen beitrügen. Womöglich könnten sich später seine Enkel aufgrund der Abgaben nicht mal mehr den Eintritt dort leisten. Damit war die Diskussion erneut in der Sackgasse angelangt, aus der sie seit mehreren Legislaturperioden nicht herausfindet.
Danach kam ein für mich sehr spannendes Thema auf. Es ging um die Frage nach dem Fremd- und Eigenbild Schleswig-Holsteins, aufgezogen an dem Beispiel Musik. Jedes sechste Konzert des Musik-Festivals in Hamburg abzuhalten, entspricht weder seinem Titel noch der Gründungsidee. Warum macht die Festivalleitung das? Eine unter anderen Begründungen sei die Flughafenverbindung, erklärte der Vorsitzende des Stiftungsrates. Große Sponsoren wollen zu den von ihnen finanzierten Konzerten hundert Gäste einfliegen. Fuhlsbüttel macht das möglich. Außerdem braucht es für solche Veranstaltungen große Hallen. Außer in Hamburg gäbe es nur die MUK in Lübeck. Auf diese Weise lernt die Welt natürlich nie die Schönheit unserer Kulturlandschaft schätzen. Sie tritt nicht in Kontakt mit dem fein verästelten Netzwerk ehrenamtlich geführter Musikverbände, mit Menschen, die einst die Basis schufen für ein Festival wie dieses, das heute Weltruf besitzt, und die aktuell noch 80 Prozent seiner Besucher stellen.
Schleswig-Holstein ist das Musikland im Norden. Es mag wohl zwanzig Jahre her sein, da hörte ich Jessye Norman im Deutschen Haus in Flensburg. Damals wohnte ich noch in Hamburg. Das Konzert gab Anlass zu einem Tagesausflug, bei dem ich zum ersten Mal die Flensburger Förde sah und staunend feststellte, dass in der Grenzstadt das größte Landestheater Deutschlands beheimatet ist. So wie ich damals, ist ein Teil der Hamburger Mittelschicht in seiner Freizeit unterwegs, hinaus ins Umland. Als Hamburger bekommt man ein anderes Gefühl für Distanzen, nimmt anderthalb Stunden Anfahrtswegs quer durch die Metropole in Kauf, um abends Freunde zu besuchen und empfindet Sylt als Naherholungsziel. Der Schleswig-Holsteiner lebt in anderen Verhältnissen. Die Mobilität seines Theaterpublikums sei eine Wunschvorstellung von Politikern, weiß der Generalintendant aus Erfahrung. Er muss sein Programm breit aufstellen. Sein Publikum in Meldorf wünsche sich andere Stücke als das im 13 km entfernten Heide. In Flensburg leben Menschen aus 130 Nationen — diese erstaunliche Information warf Simon Faber in die Gesprächsrunde. Leider blieb sie unkommentiert. Für wen macht das Landestheater in Flensburg Programm?
Freunde aus Hamburg, die mit John Neumeier groß geworden waren, konnte ich für das Kieler Ballett von Mario Schröder begeistern. Selbst Dänen reisen für einen Opernabend bis Kiel und für die „Elektra“jetzt sogar weiter bis nach Lübeck. Das gelingt nur, wenn unsere Kulturtempel etwas Besonderes bieten, etwas, was es in der Heimat unserer Gäste nicht zu erleben gibt. Wir Einwohner dagegen wollen den Anschluss an die globalisierte Welt und fordern bei uns das ein, was andere auch haben — zum Beispiel Puccinis „Tosca” als Open Air-Spektakel. Die gab es im August erstmals auf dem Kieler Rathausmarkt, großzügig gefördert von der regionalen Wirtschaft. Jede Vorstellung soll ausverkauft gewesen sein — hundert Prozent Auslastung, eine Traumquote. Da saßen Menschen in wärmendem Wollzeug freiwillig auf einem zugigen Gerüst, obwohl sie zwanzig Meter weiter bequem auf Opernsesseln Platz gefunden hätten, und lauschten Musik aus Verstärkern. Nicht nur die Sängerinnen und Sänger, auch die Bühnentechnik blieb weit hinter ihren Möglichkeiten zurück. Nur das Feuerwerk hätten sie drinnen nicht besser hinkriegen können. Ist das die Zukunft? Was spricht dagegen, sich in den Flieger zu setzen, um in einer der Opernarenen im sonnigen Süden das Original zu genießen? Wer dafür nicht mobil genug ist und sich lieber daheim die Kopie reinzieht, bestärkt die Programmmacher auf ihrem Weg zum publikumswirksamen Einheitsmix. Damit behielten all jene Kritiker recht, die uns für provinziell halten. Ihren Arbeitsplatz haben sie hier, wohnen aber in der Metropole. Ihre Ausbildung erhalten sie hier, ziehen aber für die Karriere weg. Leider werden wir immer erleben, dass das, was anderswo groß rauskommt, bei uns stets eine Nummer bescheidener ausfallen muss, weil den Bossen die Zielgruppe zu klein erscheint und unsere Finanzkraft zu gering. Fette Trümpfe wie die Elbphilharmonie fallen deshalb den Metropolen zu. Wenn er richtig Geld machen wolle, so Grisebach, gäbe er ein Konzert in der Laeizhalle. Wirklich Neues, Innovatives gar, das keimt an den Rändern, abseits der großen Säle. Um das im Ansatz zu erkennen, öffentlich bekannt zu machen und im Land halten zu können, braucht es Menschen mit ästhetischer Bildung. Die gibt es. Statt Erfolg an betriebswirtschaftlichen Kennzahlen festzumachen, sollten wir uns deren kreative Visionen anhören. Damit unsere Kultureinrichtungen nicht die selbe öde Entwicklung nehmen wie unsere Einkaufszentren und Fußgängerpassagen.
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Nach Abschluss der Veranstaltung ging Anke Spoorendonk als einzige Teilnehmerin aus der Runde der Talkgäste noch mit in die Caféteria der Phänomenta und signalisierte so weiterhin Gesprächsbereitschaft. Das hatten wir lange nicht. Wie ein ausgetrockneter Schwamm käme ihr die Kulturszene vor, hatte sie vorher noch ins eingeschaltete Mikrophon gesagt. Das Bild stimmt. Etwas geht zu Ende, etwas beginnt. Bei der nächsten Talkrunde sitzen die Gäste womöglich in bunt gemischter Reihe. Ob das reicht für einen Aufbruch, bleibt vorerst offen.
Mit Formulierungen wie ” das entwürdigende Gerangel um Kulturmittel der öffentlichen Hand” habe ich meine Probleme. In Zeiten zunehmender Staatsverschuldung müssen alle Ausgaben gut begründet und innerhalb eines Budgets abgewogen werden – ebenso wie die Größenordnungen der Budgets untereinander. Und darüber wird dann politisch debattiert – im Zweifel intensiv gerungen.
Daran kann ich nichts Entwürdigendes finden. Vielmehr gehört das zum demokratischen Prozess und zum verantwortungsvollen politischen Handeln. Vielleicht kannst Du deshalb den doch sehr pauschalen Vorwurf inhaltlich ein wenig konkretisieren, denn möglicherweise sind mir ja Aspekte entgangen, die Du womöglich zurecht als entwürdigend bezeichnest.
So weit dachte ich gar nicht. Sondern schaute zurück in die Vergangenheit auf die Reihe ähnlicher Veranstaltungen, an denen ich beobachtend teilgenommen hatte. Seit fünf, sechs Jahren werden in öffentlichen Diskussionsrunden Perspektiven für die heimische Kultur gesucht. Die Angst vor dem Untergang hat meiner Ansicht nach, die Kulturschaffenden gegeneinander aufgebracht statt sie im Kampf für eine bessere Zukunft der Kultur zu einen. Ich erlebte, wie Vertreter der Freien auf die Staatlichen, die Kleinen auf die sogenannten Leuchttürme losgingen, und empfand dies als entwürdigend für die gesamte Szene. Mittlerweile üben sich einige in verbindlicheren Tönen, aber nicht alle treffen sie. Das zeigte auch diese Talkrunde. Mir fällt Schopenhauers Parabel von den Stachelschweinen ein. Es braucht Zeit und viel Toleranz, sich auf engstem Raum miteinander zu arrangieren.
Danke für die Erklärung. So hatte ich die Zielrichtung Deiner Formulierung nicht verstanden.