Die Veröffentlichung der aktuellen Studie der Bertelsmann-Stiftung über die Durchlässigkeit der Schulsysteme in Deutschland hat zwischen den Parteien für Diskussionen gesorgt. Die Studie hat untersucht, wie viele Schülerinnen und Schüler in den einzelnen Bundesländern zwischen der fünften und zehnten Klasse die Schulform wechseln und wie viele davon auf- und absteigen.
Grundsätzlich steht Schleswig-Holstein da mit 2,1 Prozent Schulformwechslern auf dem vierten Platz und gehört damit zu dem Bundesländern, in denen relativ gesehen eher wenige Schüler die Schulform wechseln. Die Bundesländer in denen sehr häufig gewechselt wird, sind Bayern (4,3 Prozent), Berlin (4,9 Prozent) und Bremen (6,1 Prozent).
Nun ist die Anzahl der wechselnden Schüler nur ein Wert, der für sich gesehen eine relativ geringe Aussagekraft hat, denn es stellt sich ja die Frage, ob ein Schulsystem neben der Möglichkeit in der Schulhierarchie abzusteigen, weil die Leistungen nicht den Anforderungen der jeweils höheren Schulform entsprechen, auch die Chance bietet, in eine höhere Schulform aufzusteigen.
Während man den Abstieg häufig als Selektion empfindet, die dazu dienen soll, die Homogenität der Lerngruppen und damit das Niveau in Schulformen wie dem Gymnasium oder der Realschule halten zu können, wäre ein Aufstieg ein positives Indiz dafür, dass das Bildungssystem so durchlässig ist, dass Schüler, die sich besonders anstrengen, dann auch mit einem Aufstieg in eine Schulform mit vermeintlich besserem Ruf und größeren Chancen für die Zukunft belohnt werden.
Reaktionen auf die Bertelsmann-Studie
In Schleswig-Holstein kommen auf einen Aufsteiger vier Absteiger. Das sind der schulpolitischen Sprecherin der Landtagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, Anke Erdmann zu viele und sie argumentiert dahingehend, dass bereits in den Grundschulen die Beratung hinsichtlich der weiterführenden Schule verbessert werden muss und stellt den Wert der bisherigen Schulartempfehlungen in Frage. Weiterhin spricht sie sich für mehr individuelle Förderung aus und sieht weiteren Handlungsbedarf in der Professionalisierung der Lehrerausbildung.
Die bildungspolitische Sprecherin der FDP-Landtagsfraktion, Anita Klahn sieht hingegen in der Dreigliedrigkeit der Schulsysteme in Bayern und Baden-Württemberg einen deutlichen Vorteil, da in diesen Bundesländern gute Verhältnisse zwischen Auf- und Absteigern haben und letzteres mit 1,3 Prozent allgemein eine sehr geringe Quote an Schulformwechslern hat. Doch auch sie sieht Handlungsbedarf dahingehend, dass sich der Anteil der Aufsteiger erhöhen muss und sieht ebenfalls die Verbesserung der Lehreraus- und fortbildung als unabdingbar an.
Auswirkungen eines Schulformwechsels
Über das Für und Wider über das Absteigen in einer niedrigere Schulform gehen die Meinungen der Experten auseinander. Einige heben die positiven Leistungserfahrungen, die abgestiegene Schüler nach einem Abstieg erfahren, da die Leistungsanforderungen nun weniger hoch sind und sie besser mithalten können, hervor, was als positives Argument sicherlich nicht von der Hand zu weisen ist. Dagegen spricht der Fakt, dass jeder Klassen- bzw. Schulwechsel für ein Kind oder einen Jugendlichen überaus fordernd ist, da er durch den Wechsel sowohl aus seinem sozialen Umfeld gerissen wird und sich in einer neuen Gruppe mit gewachsenen Strukturen neu orientieren und einleben muss.
Ebenso sind die Arbeitsformen in den einzelnen Schulformen durchaus unterschiedlich. Besonders deutlich wird das, wenn Schüler aus schleswig-holsteinischen Gymnasien in Regional- oder Gemeinschaftsschulen wechseln, in denen vor allem in den Klassen, die sich ein längeres gemeinsames Lernen auf die Fahnen geschrieben haben und nicht abschlussdifferent unterrichten, viel selbstgesteuerter und binnendifferenzierter unterrichtet wird, als das die Schüler aus ihrer alten Schulform gewohnt sind.
So kommen in Sachen Selbst- und Methodenkompetenz ganz andere Herausforderungen hinzu. Diese beiden Aspekte gelten natürlich auch gleichermaßen für die Aufsteiger in eine höhere Schulform. An dieser Stelle möchte ich kurz noch auf die im Moment sicherlich unter Lehrern und Unterrichtsforschern am häufigsten diskutierte Studie von John Hattie hinweisen. Dieser hat eine Metastudie vorgelegt, die auf 800 Meta-Analysen basiert, die insgesamt über 51.000 Studien umfassen und die frage beantworten soll, welche Merkmale den erfolgreichen Unterricht in welcher Stärke beeinflussen. Sowohl Sitzenbeleiben als auch häufige Schulwechsel haben laut dieser Studie einen gravierenden negativen Effekt. Die Ergebnisse der Studie sind sehr umfangreich und sind unter dem Stichwort „visible learning” im Internet zu finden.
Rolle der Schulartempfehlung in der Grundschule
Eine wichtige Rolle spielt in diesem Kontext die Qualität der Schulartempfehlung am Ende der Grundschulzeit. Hier sind die diagnostischen Fähigkeiten der Lehrkräfte gefragt, denn sie sollen zu diesem frühen Zeitpunkt einschätzen, was dem jeweiligen Kind grundsätzlich zuzutrauen ist.
Darüber hinaus spielt der Elternwille eine Rolle, der in Schleswig-Holstein bei der Wahl der weiterführenden Schule eine große Rolle spielt. Es ist nämlich relativ leicht möglich, die Schulartempfehlung zu ignorieren und das eigene Kind in einer Schule höherer Schulform anzumelden. Dies wird beispielsweise in Bayern eher restriktiv gehandhabt. Deshalb kommt Bayern auch in Sachen Aufsteigern zu einer guten Quote, denn bei einer ganzen Reihe von Schülern wird erst später deutlich, dass sie zu weitaus höheren Leistungen in der Lage sind, als ihnen das per Schulartempfehlung zugetraut wurde.
„Mischwald ist besser als Monokultur”
Ein weiterer Aspekt ist die Einstellung, die man gegenüber heterogenen Lerngruppen hat, nämlich ob man sie als Bereicherung oder als Hemmnis für gelingendes Lernen empfindet. Der weiter oben bereits erwähnte John Hattie bescheinigt „leistungshomogener Differenzierung”, die durch selektive Homogenisierung von Lerngruppen forciert wird, einen kleinen Effekt. Vielmehr kommt es bei gelingendem Lernen auf Aspekte, wie die Glaubwürdigkeit des Lehrers, ein lernförderliches Klima sowie regelmäßige Rückmeldung an die Schüler im Unterrichtsprozess an.
Auch reziprokes Lernen, bei dem Schüler sich gegenseitig beim Lernen helfen, hat positive Auswirkungen auf den unterrichtlichen Lernerfolg. Da kaum ein Schüler in allen Fächern gleich stark oder schwach ist, sollte in jeder Schulform das Augenmerk darauf liegen, die Stärken der Schüler zu stärken und ihre Schwächen zu schwächen, was jedoch nur dann möglich ist, wenn der Schüler mehr als die Summe seiner Durchschnittsnoten ist.