Zwischen all den Nachrichten über volle Hörsäle, Wohnungsnot der Studenten, Bachelor-Master-Kritik, Finanzierungsproblemen und anderer Unbill vergisst man häufig, dass die Unis in Schleswig-Holstein auch manchmal einen wirklich guten Job machen. Wenn sie interessante wissenschaftliche Erkenntnisse liefern, beispielsweise. Oder wenn sie zumindest die richtigen Fragen stellen.
Eine gute Gelegenheit, die Arbeit der Universitäten am eigenen Leib zu erleben, fand am vergangenen Wochenende (26. und 27.10.12) in der Kieler Kunsthalle statt: Der Kongress „the end of science and beyond“, veranstaltet von der CAU Kiel. Eingeladen waren Wissenschaftler aus aller Welt, unter anderem aus England, Kanada und Italien.
Schon seine Eröffnungsrede begann der Kieler Uni-Präsident Gerhard Fouquet mit einem interessanten Gedanken: „I want my money back.“ Mit der abgewandelten Redewendung der eisernen Lady Margaret Thatcher bezog er sich hierbei auf die wichtige Frage, was die Wissenschaft der Gesellschaft schuldig ist. Zu großen Teilen wird „science“ in westlichen Demokratien aus der öffentlichen Hand bezahlt. Der sogenannte „FuE-Komplex“ (FuE = Forschung und Entwicklung) erhielt in Deutschland 2010 2,8% des BIP. Doch was kann eine Gesellschaft dafür erwarten?
Aufgaben und Ansprüche
Natürlich, die wichtigste Aufgabe der Universitäten und ihrer zahlreichen Forscher und Wissenschaftler liegt in der Generierung von neuem Wissen. Doch ist Wissen nicht immer gleichzusetzen mit Erkenntnis. Was hofft man also, mit dem gewonnenen Wissen zu erreichen?
Der Sponsor des Kongresses, Prof. Frederik Paulsen (CEO der Ferring Holding), fragte nach den Ansprüchen an die „Wissen Schaffenden“: Erwarte man Profite oder Marktpotenzial? Problemlösungen, Hilfe im Alltag? Oder einfach Wunder?
Auch Prof. Fouquet hatte, in Anlehnung an einen Artikel von Frank Schirrmacher, auf die großen Träume unserer Zivilisation geschaut. Was war aus Ihnen geworden? Wo ist die allumfassende Heilung für Krebs, wo sind die fliegenden Autos und die Marskolonien? Und was ist eigentlich aus Fusionsreaktoren geworden?
Das Nichteinlösen dieser Versprechen der Wissenschaft liegt selbstverständlich nicht an Untätigkeit oder Unfähigkeit der Forschenden. Vielmehr am Vorgehen und dem generellen Verständnis von Forschung und der Erzeugung von Wissen. Die kleinteilige Spezialisierung der Wissenschaftler auf ihre Fachbereiche führt zwar zu detailliertem Spezialwissen, doch hapert es an der Verknüpfbarkeit der zahllosen Daten mit anderen Bereichen.
Ich habe mir das Problem selbst mit einer Analogie erklärt: Wenn 100 Leute nur allein die Bestandteile von Schokolade analysieren und untersuchen, hat man zwar Experten für biologische Kakaobohnen, effektive Milchproduktion, Palmölhandel und die Zusammenhänge von Zucker und Diabetes – aber niemanden der den Geschmack von Schokolade kennen würde.
Auch Dr. James Le Fanu warf diesen Punkt in seinem Vortrag auf. Die ungeheuren Datenmengen, die durch moderne experimentelle Methoden erzeugt werden, können von niemandem gelesen oder ausgewertet werden. In seinen Worten beschrieb er die Gegenwart als die gleichzeitig „beste und schlechte Zeit für die Wissenschaft“. Die Budgets der Forschungseinrichtungen seien heute so hoch wie nie, es würden zudem mehr Forscher als je zuvor an wissenschaftlichen Fragestellungen arbeiten. Und doch sei der Erkenntnisgewinn marginal. Le Fanu zufolge leben wir in der Zeit der „industrialisierten Wissensgewinnung“.
Kritik am System
Die Kritik, die im weiteren Verlauf des Kongresses am gegenwärtigen Forschungsbetrieb geäußert wurde, war mannigfaltig. Durch die starke fachliche Durchmischung der Teilnehmer und Referenten entstanden zahlreiche interessante Thesen, die wichtigsten möchte ich hier nur kurz anreißen:
- Wissenschaftler würden nur in prominenten Forschungsbereichen Gelder erhalten.
- Der konstante Zwang, Publikationen zu veröffentlichen würde die Kreativität hemmen. („Publish or perish“)
- Es gäbe keine Universalgelehrten mehr, nur Fachidioten.
- Das Philosophische Grundgerüst würde fehlen.
- Umso bunter die Bilder in Magazinen, desto größer sei das Interesse an der Forschung. (z.B. in der Neurowissenschaft)
- Wissenschaftler würden einer destruktiven Naturvergessenheit anhängen.
- Bürokratie und Privatwirtschaft würden Einfluss auf die Forschung nehmen
Natürlich können gegenwärtige wissenschaftliche Ergebnisse (nicht: Erkenntnisse) im Vergleich zu Entdeckungen wie (beispielsweise) der generellen Relativitätstheorie nur enttäuschen. Besonders, wenn man sich ihre Kosten vor Augen führt. Der kürzlich erfolgte Existenzbeweis des Higgs-Bosons war ein tolles Ereignis, doch die Forscher im CERN sind auch mit einem nie dagewesenen Budget ausgestattet. Albert Einstein hat da kosteneffizienter gearbeitet.
Vielleicht hilft es, sich die Theorie von Thomas Kuhn anzusehen, um die Kritik abzumildern. Kuhn veröffentlichte schon im Jahr 1962 sein Werk „The Structure of scientific Revolutions”, in welchem er den Verlauf und die großen Entdeckungen der Wissenschaft analysiert. Ihm zufolge verläuft Wissenschaft nicht linear, sondern periodisch. Momentan befänden wir uns demnach in einer Periode der „normal science”. Bei dieser „normalen Wissenschaft” läuft alles sehr produktiv ab und die Forscher lösen viele kleine Puzzle wie am Fließband. Das Ganze geht so lange gut, bis auch nur ein Forscher an ein Problem gerät, welches mit der momentan gemeingültigen Theorie nicht erklärbar ist. Nach dieser „Krise” gelangen wir in die Periode der „revolutionary science” und dort werden dann auch endlich wieder große Fragen beantwortet. Wer also ein Problem hat, das die Grundfesten der momentanen Weltanschauung erschüttert, kann es gerne in den Kommentaren posten.
Und jetzt?
Was das nun aber alles für den normalen Bürger bedeutet, ist damit nicht geklärt. Natürlich profitiert fast jeder von neuen Medikamenten, Diagnosemethoden und Energieeffizienz. Die Ergebnisse aus der Theoretischen Physik sind dafür weniger hilfreich bei der Bestreitung des Alltags. Natürlich plädiere ich nicht dafür, sie abzuschaffen oder ihre Finanzierungen zu kürzen. Das wäre grandioser Unfug, denn gerade die theoretischen Wissenschaften sind es, die irgendwann die oben beschriebene „Kuhnsche Krise” auslösen werden.
Trotzdem sollte eine Diskussion geführt werden, in welcher geklärt wird, was Gesellschaften von der von ihr finanzierten Wissenschaft erwarten.
In welche Richtung soll es weitergehen? Wie sollte die Lehre an Universitäten ausgerichtet werden? Wie steht man zu dem 10%-Ziel der Bundesregierung ?
Welche Kritik würdet ihr an der gegenwärtigen Wissenschaftsauffassung, dem Universitätsbetrieb und der Finanzierung üben? Ich würde mich über Kommentare freuen!