Nach dem Übergriff auf das Schleswiger Internat, in dem eine Gruppe französischer Auszubildender lebte, war das Entsetzen groß. Sofort wurden Solidaritätsbekundungen veröffentlicht, eine Kundgebung fand statt und der Vorfall bekam landesweit Aufmerksamkeit. Koalitionspolitikerinnen und -politiker sprachen sofort von Rassismus als Motiv der Täter. Im gleichen Atemzug muss auch gesagt werden, dass in derselben Nacht in Mölln an mehrere Häuserwände “Nationaler Sozialismus” geschmiert wurde. Zufall? Kann es in einem Schicksalsjahr wie 2012 — wir erinnern uns: 20 Jahre nach Rostock-Lichtenhagen und Mölln — solche Zufälle geben?
Vermutlich sensibilisiert durch die Kundgebungen, Gedenkmärsche und Mahnwachen, die in den nächsten Wochen in Mölln geplant sind, wurde gleich eine aktuelle Stunde seitens der Koalition einberufen, um die Übergriffe aufzuarbeiten.
Nun, eine Woche danach, wissen wir: Es handelte sich nicht um Rechtsextreme in Schleswig. Vielmehr waren die französischen Azubis in einen Drogendeal verstrickt, der zur Eskalation führte. Die Umstände des Übergriffs sind jedoch an dieser Stelle unwichtig. Anstatt nun die Aufregung leichtfertig abzutun, müssen wir uns nun fragen: Heißt das Entwarnung? Heißt das, dass wir doch keine Rassismus-Probleme in Schleswig-Holstein haben und uns wieder entspannt zurücklehnen können?
Nein, das heißt es nicht. Laut mehreren ZeugInnenaussagen sollen mehrfach eindeutige ausländerInnenfeindliche Parolen gerufen worden sein. Die Ursache des Übergriffs mag eine andere sein — wie die Verstrickungen da genau sind, vermag ich auch gar nicht zu beurteilen — jedoch muss klar sein: Sobald Parolen wie “Ausländer raus!” gerufen werden, sprechen wir von Rassismus! Das heißt im Klartext: Keine Entwarnung!
Dadurch wird eine neue Diskussion angestoßen, die in Deutschland viel zu selten ernsthaft und selbstkritisch geführt wird: Die Rassismusdebatte. Welches rassistische Potential birgt diese Gesellschaft? Wir stoßen oft auf Ressentiments, latente Diskriminierungsmechanismen, Zuschreibungen und alltägliche Rassismen, die nicht so einfach ignoriert werden dürfen.
Der Fall von Schleswig darf also nicht auf den Drogendeal und Fehlalarm beschränkt werden, sondern sollte vielmehr der Auftakt einer längeren Diskussion werden. Stattdessen wurde die eilig einberufene Aktuelle Stunde wieder von der Tagesordnung gestrichen. Sie hätte einen Rahmen geboten, über Alltagsrassismus und Selbstreflexion zu debattieren.
Die Notwendigkeit dieser Diskussion zeigt die neue Veröffentlichung „Die Mitte im Umbruch“ der Friedrich-Ebert-Stiftung anhand eindeutiger empirischer Befunde auf. Zwar geht die „Befürwortung einer rechtsautoritären Diktatur“ seit 2010 zurück, jedoch bleiben antidemokratische Einstellungen, Chauvinismus und AusländerInnenfeindlichkeit gerade im Zuge der Eurokrise in allen Teilen der Gesellschaft ein Problem, das ernst genommen werden muss.