Freiwilliges Jahr Politik im Jüdischen Museum Rendsburg

Von | 3. Januar 2013

Seit September 2012 bie­tet Schleswig-Holstein ein Freiwilliges Bildungsjahr Politik (FPJ) in Anlehnung an das Freiwillige Soziale Jahr (FSJ) an. Im Bildungsjahr Politik erle­ben Jugendliche zwölf Monate Politik aus nächs­ter Nähe mit und haben die Möglichkeit zum akti­ven Mitgestalten. Dazu gehört es, den Arbeitsalltag einer Institution ken­nen zu ler­nen und ihn ihr mit­zu­ar­bei­ten. Jugendliche im FBJ Politik zeich­nen sich durch ein hohes Maß an Interesse für poli­ti­sche Themen aus. Matthias Lauer ist als einer der Ersten mit dabei und für die Landeszentrale für Politische Bildung Schleswig-Holstein hat er einen Bericht über sei­ne Motivation und sei­ne Arbeit geschrie­ben, den wir hier net­ter­wei­se zweit­ver­wer­ten dür­fen.

Mein Name ist Matthias Lauer, ich bin 20 Jahre alt und arbei­te im Jüdischen Museum Rendsburg als Freiwilliger im Bildungsjahr Politik. Die Stelle habe ich am 1.9.2012 ange­tre­ten. Beginnen möch­te ich jedoch mit einem Ereignis, dass sich schon im Jahr 1997 zutrug, näm­lich die Verabschiedung des „Münchener Manifests“. In die­sem Manifest wur­de die Ausrichtung der Landeszentralen für poli­ti­sche Bildung im 21. Jahrhundert fest­ge­legt. Einleitend wur­de dabei die heu­ti­ge Gesellschaft mit ihren neu­en Kennzeichnungen beschrie­ben. Die fol­gen­den Schlagwörter sind dort zu fin­den: Egoismus, Entsolidarisierung, bedin­gungs­lo­se Konsumorientierung und Individualisierung.

Werden nun die­se „Werte“ aus­ge­lebt, ent­steht zwangs­läu­fig Ausgrenzung. Bei dem Stichwort Egoismus muss man dies nicht wei­ter aus­füh­ren, bei der Konsumorientierung bil­det sich auto­ma­tisch eine Schicht, die den Anforderungen nicht gerecht wer­den kann und so mit einer mate­ri­el­len Ausgrenzung kon­fron­tiert ist.  Diese Ausgrenzungen und Mechanismen einer Ausgrenzungsgesellschaft offen­zu­le­gen und ein Korrektiv für gesell­schaft­li­che Entwicklungen dar­zu­stel­len, ist eine Aufgabe der Landeszentralen.

Im Münchener Manifest fin­det sich aller­dings auch die Aufgabe der Aufarbeitung der „jüngs­ten Geschichte“, die sich auf das 20. Jahrhundert bezieht. Interessanterweise wird im gesam­ten Manifest nicht an einer Stelle die Begrifflichkeit „Nationalsozialismus“ ver­wen­det.

Wie sind nun die­se bei­den Aufgaben, die unter ande­ren die Arbeit der Landeszentralen bil­den, mit mei­ner Arbeit im Freiwilligen Bildungsjahr zu ver­bin­den. Auf den ers­ten Blick scheint die­se eine recht schwie­ri­ge Angelegenheit zu sein.

Bei genaue­rer Betrachtung ist aber gera­de die­se Mischung span­nend und fügt sich sehr gut in ein Spannungsfeld ein, dass die Akteure, die die­se Stelle geschaf­fen haben, ver­bin­det.

Die Akteure wer­den bei der Finanzierungsfrage des Freiwilligen Jahres kennt­lich. Zu 1/​3 bezahlt die Bürgerstiftung Schleswig-Holsteinische Gedenkstätten die Stelle und zu 2/​3 die Landeszentrale für poli­ti­sche Bildung. Das Jüdische Museum Rendsburg stellt die Infrastruktur, das heißt: Ein Büro, ein Telefon, ein inter­net­fä­hi­ger PC, etc.

Inhaltlich bil­den die Gedenkstätten als his­to­ri­scher Ort des Verbrechens und Gedenkens an die Opfer ein Alleinstellungsmerkmal. Im Jüdischen Museum wird das his­to­ri­sche Wissen muse­al ver­mit­telt und die Landeszentrale trägt an die Gedenkstätten den Wunsch nach Demokratiebildung und poli­ti­scher Bildung her­an.

Durch die Möglichkeit an der bun­des­wei­ten Gedenkstättentagung in Hannover teil­zu­neh­men, erhielt ich Einblicke, die mir ver­deut­lich­ten, dass gar nicht alle Gedenkstätten den von der Politik an sie her­an­ge­tra­ge­nen Wunsch nach poli­ti­scher Bildung begrü­ßen. Dies hat viel­schich­ti­ge Gründe, die hier zu weit füh­ren wür­den, jedoch inhalt­lich begrün­det sind.

Nun bin ich auch längst nicht so lan­ge und so inten­siv im Diskurs wie manch ande­re Person, den­noch mache ich mir natür­lich Gedanken. Und ich sehe gera­de in der Integration von Gegenwartsbezügen und poli­ti­scher Bildung in den Gedenkstätten einen sehr ver­nünf­ti­gen Weg in die Zukunft, der auch oft­mals schon beschrit­ten wird.

Die Idee aus dem natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Menschheitsverbrechen, einem sin­gu­lä­ren Ereignis, uni­ver­sel­le Lehren für die Gegenwart zu zie­hen, hal­te ich für sinn­voll und es dient sowohl der his­to­ri­schen Bildung  als auch der Schärfung des kri­ti­schen Blicks auf unse­re heu­ti­ge Gesellschaft.

Es geht mir hier­bei jedoch ledig­lich um eine stär­ke­re Akzentuierung die­ser Gegenwartsbezügen, nicht etwa um das Ausboten des stil­len Gedenkens und des his­to­ri­schen Ortes mit sei­nen Besonderheiten.

Verdeutlichen möch­te ich die­se Ideen nun  auch prak­tisch.

Zum einen arbei­te ich an einem Stadtrundgang durch Rendsburg, der sich mit den Strukturen des NS in einer Provinzstadt wie Rendsburg aus­ein­an­der­setzt. Hierbei kann man bspw.  aus­ge­hend von dem Thema der Schutzhaft oder der Diskriminierung der sog. „Ostarbeiter“  Bezüge zu der recht­lo­sen Haft von Menschen auf­grund ihrer Herkunft im Rendsburger Abschiebegefängnis her­stel­len. Solche Bezüge dür­fen nie einen gleich­stel­len­den Charakter besit­zen, egal ob  nun die DDR oder BRD heu­te the­ma­ti­siert wer­den.

Ein ande­res Projekt fin­det in der Gedenkstätte Ahrensbök statt. Diese KZ-Gedenkstätte, die in der Zeit des NS zuwei­len als Schulgebäude benutzt wur­de, bie­tet sehr gute Anknüpfungsmöglichkeiten für heu­ti­ge SchülerInnen.  Dabei sind z.B. Lehrplanvergleiche anzu­stel­len, Herausarbeitung von der Ideologisierung bestimm­ter Schulfächer oder ver­mit­tel­te Grundwerte. Auch das heu­te stets prä­sen­te Thema der Beeinflussung durch Mehrheiten lie­ße sich z.B. am „Organisierungsgrad“ der HJ an der jewei­li­gen Schule sehr gut the­ma­ti­sie­ren. Und wenn man auch hier die Gegenwartsbezüge her­stellt, dann schließt das auch eine kri­ti­sche Prüfung der heu­ti­gen, ver­mit­tel­ten Grundwerte mit ein.

Und wer weiß, viel­leicht kom­men wir dann bei einem der Stichworte aus dem Münchener Manifest her­aus: Egoismus.

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