„Die Europäische Kommission will den Landwirten und Gärtnern in Zukunft die Verwendung von Einheits-Saatgut vorschreiben.” — Es ist die Nachricht des Jahres — zumindest laut des News-Aggregator 10000 Flies hat es noch keine Nachricht in diesem Jahr geschafft, so viele Menschen zu bewegen: Die EU will kontrollieren, was wir im Garten anbauen. Über 200.000 mal wurde der Artikel der „Deutschen Wirtschafts Nachrichten” (DWN) in sozialen Netzwerken geteilt. Das ist mehr als dreimal häufiger als der ARD-Bericht über die Arbeitsbedingungen bei Amazon geteilt wurde. Es beginnt eine mediale Welle der Desinformation.
Menschen, die ich bisher für medienkompetente, kritische Zeitgenossen gehalten habe, teilten den DWN-Artikel bei Facebook und Twitter, als wäre er echte Information. Dabei strotzt der Artikel vor Polemik und wirklich bekannt ist noch gar nichts. Am 6. Mai erst wird die EU-Kommission ihre Pläne vorstellen.
Aufbauend auf dem Artikel der DWN haben dann zum Beispiel shz.de oder gestern NDR-Panorama 3 berichtet. Erfährt man mehr darüber, was die EU tatsächlich plant? Wie EU-Abgeordnete die Sache einschätzen? Kommt irgendwer zu Wort, der mehr zum Wissen beitragen kann? Natürlich nicht. Es werden Kleingärtner und Wochenmarktbesucher befragt, wie sie das denn fänden, wenn so eine Verordnung käme. Selbst der Niedersächsische Minister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Christian Meyer (GRÜNEN) darf mit purem Unwissen in die NDR-Sendung. Das Ergebnis ist erwartbar und die Medien werden zum Verstärker von Volkes Meinung.
Es gibt ein paar wenige Artikel, die auf die dünne Faktenlage hinweisen:
- taz.de: Fehlalarm bei Facebook
- stern.de: Aufruhr im Gemüsegarten
Insgesamt überwiegt aber die mediale Hysterie. Dabei haben sich schon Politikerinnen und Politiker fast aller Parteien gegen eine so extreme Regulierung ausgesprochen — bis hin zur CSU Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner. Auch die deutsche Vertretung der Europäischen Kommission stellte klar:
„Privatgärtner können auch in Zukunft ihr Saatgut wie bisher verwenden. Sie sind von den neuen Regelungen zur Tier- und Pflanzengesundheit, die die Kommission Anfang Mai vorstellen wird, -entgegen anderslautenden Meldungen — nicht betroffen.”
Fakt ist, dass die Regulierung des Saatgutes auch deswegen gemacht wird, damit die großen Konzerne gerade nicht machen können, was sie wollen. Die Saatgutverordnung soll in erster Linie die unübersichtlichen Menge von Richtlinien in einer Verordnung bündeln.
Die Kommission wird also nächste Woche einen Vorschlag vorlegen. Und auch dann müssen Parlament und EU-Ministerrat jeweils beraten und zustimmen. Bisher ist nicht einmal klar, ob der Umwelt- oder der Agrarausschuss im Europäischen Parlament zuständig sein wird.
Es gilt das Strucksche Gesetz: „Kein Gesetz kommt aus dem Parlament so heraus, wie es eingebracht worden ist.“ Dass die EU tatsächlich per Kleingartenpolizei die Apfelsorten kontrolliert, ist kaum zu erwarten.
So einfach ist das auch nicht zur Seite zu schieben und auf wundersame Selbstverflüchtigung zu rechnen. Das EC-Kommissariat Verbraucherschutz (H&C) hat schon letztes Jahr eine öffentliche Anhörung durchgeführt und die Angelegenheit sehr weit vorangetrieben. Dieser Bereich der EC hat auch die bisherigen Richtlinien verantwortet und wird sich deshalb auch gegenüber dem Agrarressort durchsetzen können.
Linklisten und detaillierte Infos findet man hier http://bit.ly/Zzwqm2 , nicht jeder Internetbeitrag verzichtet auf eigene Recherche und Mitdenken der Leser.
Du hast sicherlich Recht, was die Hysterie angeht, die der DWN Artikel ausgelöst hat. Leider wird durch die Entrüstung über die mediale Aufbauschung auch die Tragweite der Thematik runtergespielt. Denn die Klein- und Hobbygärtner sind nur ein kleiner und vergleichsweise unwichtiger Teil, der von einer Verordnung dieser Art betroffen wäre. Bisher überhaupt nicht zur Sprache gekommen sind z.B. Kleinbauern abseits der Agrar-Großindustrie. Und dabei darf man auch mal über den Schrebergarten hinaus in andere Länder schauen: hier verlieren Menschen durch eine Saatgut-Patentierung ihre Existenzgrundlage, weil sie plötzlich Saatgut kaufen müssen bzw. an Verträge einschlägiger Hersteller gebunden werden. Das eigene über Jahrhunderte verwendete und entwickelte Saatgut darf plötzlich nicht mehr verwendet werden.
Der zweite Punkt ist, dass wir auf dem Weg sind, eine natürliche Biodiversität, die sich über Jahrtausende entwickelt hat und kultiviert wurde, in nur wenigen Jahrzehnte abzuschaffen. Was das für langfristige Konsequenzen bedeutet, kann heute niemand absehen. Was man hingegen absehen kann, ist dass zumindest Teile der Agrargroßindustrie von dieser Art der Verordnung massiv profitieren werden. Aber auf wessen Kosten?
Nein, Stand derzeit ist, dass gerade für Kleinbauern in einer Grauzone agieren, da es eben nicht geregelt ist, welches Saatgut nun erlaubt oder verboten ist.
Die neue Verordnung soll diese Grauzonen ausräumen und Rechtssicherheit herstellen.
Btw: diese schwachsinnigen DWN Artikel bitte nicht als Diskussionsgrundlage verwenden.
Ich finde es gut, dass Europaweit geregelt ist, dass nicht jeder Pharma-Konzern Saatgut auf den Markt bringen kann, wie er will und dass vorher getestet wird, ob das Zeug okay ist.
Dieses Interesse muss aber natürlich damit ausgeglichen werden, dass auch ich es merkwürdig finde, dass man quasi die Natur amtlich zulassen muss, wenn es um alte Sorten geht.
Darum geht es in dem Artikel aber gar nicht. Da geht es um die Berichterstattung, die Information nur vortäuscht.
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