Unser Gastautor Henry Krasemann macht sich Gedanken über den Liberalismus, die FDP und die Bundestagswahl am vergangenen Wochenende.
Als am Sonntag klar wurde, dass die FDP aus dem Bundestag fliegen würde, da gab es in meinen Twitter- und Facebook-Timelines zunächst nur zwei Arten von Reaktionen: Häme und Spott. Dann kam die „eigentlich auch schade“-Fraktion. Und schließlich folgte das große Schweigen.
Ich will jetzt hier eine Lanze für die FDP brechen. Nicht unbedingt für die FDP der letzten Jahre, denn deren Schlingerkurs zwischen Spaßpartei, Medienhype, Besserverdienern und „Es geht um Deutschland“ ist nicht die Idee, weshalb ich die FDP mal wichtig fand. Auch irgendwelche Zahlen mit einem „+X” zu verkünden kann doch kein politisches Ziel sein, sondern ist reine Anpasserei.
Das tolle an der FDP war und könnte wieder sein: Ihre Idee und Vision.
Umschrieben wird dieses in der Presse immer wieder mit „Liberalität“. Ein grausames Wort. Es hebe die Hand, wer wirklich versteht, was damit eigentlich gemeint ist. Außerdem ist in F-D-P nicht ein einziges „L“ enthalten. „Liberal“ klang vielleicht früher mal gebildet – aber früher war eben das Heute von damals.
Die Idee der FDP ist die Freiheit. Das vielleicht höchste Gut, das wir in Deutschland haben. Natürlich wollen uns auch die anderen Parteien nicht wegsperren. Aber darin steckt tatsächlich eine Vision, Etwas, das die FDP von allen übrigen Parteien unterscheidet und was ihre Idee unverzichtbar macht.
Nehmen wir mal den naivsten anzunehmenden Wähler. Der steht nun am Sonntag in der Wahlkabine und denkt angestrengt darüber nach, wen er wählen kann. Wahlprogramme hat er nicht gelesen, Berichterstattungen in Zeitungen und Fernsehen über Rauten, Stinkefinger und Ketten hat er nicht verfolgt. Dennoch hat er eine Idee, was die Parteien wollen könnten. Er weiß, dass die CDU/CSU konservativ ist und das Bewährte bewahren will. Er weiß, dass die SPD die Gemeinschaft im Blick hat und dass es gerechter zugehen soll. Er weiß, dass die Linken wollen, dass es den Geringverdienern besser geht. Er weiß, dass die Grünen die Umwelt schützen wollen. Aber was weiß er über die FDP?
Ich weiß, was ich gerne möchte, was er wissen sollte. Nämlich dass da eine Partei ist, die den Einzelnen im Blick hat, ungeachtet von seinem Stand oder dessen Einkommen. Jeder Mensch soll die gleichen Chancen haben und die Freiheit, selber über sich und sein Leben zu entscheiden. Das bedeutet auch, dass jeder Mensch sein unveräußerliches Recht hat, eigene Fehler auf dem Weg zur Rente zu begehen. Und zwar Fehler, die man machen darf und muss, weil nur Fehler die Menschen und die Menschheit auch weiter bringen. Fehler bei der Berufswahl, Fehler bei kritischen Unternehmensentscheidungen, Fehler bei der Entwicklung neuer Idee, Fehler bei Investitionen. Konservative schützen mich vor Fehlern, weil auf Bewährtes gesetzt wird. Soziale Parteien kümmern sich so um mich, dass ich gar keine Fehler machen kann.
Aber wenn ich eine Welt möchte, in der Fehler nicht immer falsch sind, sondern ein guter und sinnvoller Versuch auf dem Weg zu einer besseren Welt, dann ist das für mich eine Welt voller Freiheit. Dazu gehört, dass ich echte Rechte habe, dass ich unbeobachtet sein kann, dass ich mich für das Wahrnehmen meiner Rechte nicht rechtfertigen muss und dass dieses für Alle gilt, ungeachtet des Geschlechts, der Religion, der sexuellen Orientierung, der Herkunft oder sonst etwas, was wichtig und richtig um Grundgesetz steht.
Das waren viele „Ichs“. Natürlich will ich auch keine Welt, in der nur noch das „Ich“ gilt. Solidarität ist wichtig, insbesondere denen gegenüber, die ihre Rechte aus welchen Gründen auch immer nicht so nutzen können, wie es mir aus behütetem Haushalt und mit ordentlichem Einkommen möglich ist. Man muss auch nicht alles auf den Kopfstellen und darf durchaus das bewahren, was gut ist. Fehler auf Kosten Anderer müssen nicht akzeptiert werden. Und die Umwelt ist auch wichtig. Aber eben auch die Freiheit des Einzelnen.
Deshalb ist eine Partei wie die FDP so wichtig. Sie wird uns allen fehlen. Vielleicht nicht unbedingt die real existierende FDP. Sehr wohl aber die FDP der Zukunft – wenn alles gut geht. Denn auch die FDP darf Fehler machen. Die bringen uns alle weiter. Alles wird gut… vielleicht sogar besser.
Dieser Text ist ursprünglich in Henry Krasemanns Blog „Caulius bloggt” erschienen.
Die neue FDP gibt es schon, die heißt „Piraten”, aber die waren auch unter 5%.
ich weiß nicht wo ich mit der Kritik anfangen soll. Der Text ist leider etwas konfus.
Versuchs einfach. ;-)
Lieber Henry,
als stellvertretender Kreisvorsitzender am westlichen Ende des Landes und kooptiertes Mitglied im FDP-Landesvorstand finde ich das mit der Mitgliedschaft ja schonmal gut — die Überlegung einer aktiveren Rolle aber natürlich noch sehr viel besser! Ich würde mich sehr freuen, weil Du schon tagtäglich qua Beruf(ung) für einen ganz wichtigen Teilbereich unserer Freiheit kämpfst. Und Du bist mit solchen Überlegungen nicht allein. Ich kann nur alle einladen, die sich solche Gedanken machen: Kommt an Bord, helft mit!
Grüße,
Rüdiger
Vielleicht ein kleiner Trost: Ich glaube nicht, dass die FDP tot ist. Sie ist knapp an der 5% Hürde gescheitert. Das war auch ein wenig Pech. Das Potential für 5%-Plus ist aber immer da. Es kann gut sein, dass sich einige jetzige Merkel-Wähler in 4 Jahren die FDP zurück wünschen.
Das schlechte Abschneiden der FDP in den letzten beiden Wahlen wirft nicht nur einen Schatten auf die Partei, sondern auch auf den Stand des Liberalismus in Deutschland. Die FDP der letzten 10 Jahre wird niemand vermissen. Steuern _nicht_ senken, können andere besser. Die Wähler, die bei der Wahl 2009 dachten, dass sie von der FDP mit „Leistungsträger” gemeint waren, sind zu Recht zum großen Teil zur SPD als „Partei der fleißigen Menschen” gewandert.
In Zeiten von ausufernder, weltweiter Überwachung und übermächtiger Geheimdienste, ist es eine Tragödie, dass es keine starke Bürgerrechtspartei im Bundestag mehr gibt. Das ist aber auch Ausdruck gesellschaftlicher Verhältnisse: Sicherheit ist zur Zeit für viele Menschen tatsächlich das Supergrundrecht. Und wenn Europa zusammenbricht, die arabische Welt rebelliert, das Klima sich wandelt und angeblich hinter jeder Laterne der Terrorist oder der gefährliche Migrant wartet, dann wünscht man sich Mutti. Und wenn die schon nichts tun kann, dann kann sie zumindest trösten. Und das war leider auch das einzige Angebot der FDP im Bundestagswahlkampf: Mutti die Tür aufhalten.
Um es kurz zu machen
Es werden einige Behauptungen aufgestellt die nicht untermauert werden und doch sehr vereinfacht.
Die Kritikpunkte:
— SPD steht für soziales, CDU für Konservatismus etc. Das ist mir schon zu einfach, schön wenn es so wäre, aber die Ambivalenz innerhalb der Parteien nahm in den letzten Jahren eher zu.
— „Die Idee der FDP ist die Freiheit.” Sagt die FDP auf ihren Flyern und Plakaten. Das trifft heute nicht mal annähernd zu. Und ist so pauschal wie die Grünen als Verbotspartei zu titulieren. Es gibt keine Beleg dazu. Gerade die letzten Jahre konterkarierten die Behauptung.
— „Nämlich dass da eine Partei ist, die den Einzelnen im Blick hat, ungeachtet von seinem Stand oder dessen Einkommen. Jeder Mensch soll die gleichen Chancen haben und die Freiheit, selber über sich und sein Leben zu entscheiden.”
Dazu fällt mir im Grund nichts ein, zur Zeit der Freiburger Thesen konnte man das über die FDP sagen, diese sind aber auch schon 40 Jahre her. Seit 20 Jahren ist die FDP eine reine Klientelpartei, eine wenn man so will wirtschaftsliberale Partei.
Warum man nun ausgerechnet die FDP vermissen sollte, will mir nicht klar werden. Was wir brauchen ist eine liberale Partei. Keine Partei die sich über den Veggieday aufregt, Grüne als Faschisten tituliert, die sich nur über Steuerpolitik definiert und deren Freiheitsbegriff sich auf die Vermeidung eines Tempolimits beschränkt.
Was wir brauchen ist eine Partei, nicht nur auf die FDP bezogen eine Partei die den Menschen, den Souverän ernst nimmt, für wirkliche Freiheit steht, sprich, den Bürger gegenüber den Staat schützt. Keine Partei die nicht ihre eigenen Werte vermittelt sondern den politischen Gegner diffamiert.
Wir haben zwei Flaschen Champagner aufgemacht als bekannt wurde, dass die FDP raus geflogen ist. Und ich hoffe sie bleibt auch draußen. Da Christian Lindner wohl nun Parteivorsitzender wird, wird eben auch die bisherige Linie fortgesetzt. Was das bedeutet konnte man im Landtagswahlkampf in NRW sehen.
Vielleicht reformiert sich die Partei und kommt in 10 oder 20 Jahren wieder. Aber das ist dann nicht mehr die FDP der Jetztzeit oder der letzten 30 Jahre, das wäre dann eine komplette neue Partei.
@JMK: Ich stimme Dir weitgehend zu. Der Text war keine umfangreiche Parteienanalyse, sondern mein persönliches Wunschdenken. In dem Debakel der FDP liegt m. E. eine Chance, dass man Idee äußern kann, die auch gehört werden. Meine Aussage ist auch (gerade auch aus Sicht eines Datenschützers), dass eine liberale Partei wichtig ist. Die Piraten erfüllen dieses m. E. nur eingeschränkt. Eine neue Partei könnte natürlich eine Alternative sein. Ich sehe jedoch aktuell die größeren Chancen, dass mit einer FDP, die sich auf ihre Grundideen besinnt, durchaus die Chancen in 4 Jahren höher sind. Ich meine an einigen Reaktionen auch ablesen zu können, dass es noch andere gibt, die einige meiner Sehnsüchte teilen…
Der historische Liberalismus hat versagt – nicht als Liberalismus, sondern in seiner verhängnisvollen Verquickung mit dem Kapitalismus. Er hat versagt – nicht weil er zuviel, sondern weil er zu wenig Freiheit verwirklichte. Hier liegt der folgenschwere Trugschluss der sozialistischen Gegenströmung. Die liberalistische Wirtschaft war in Wahrheit keine freie, sondern eine vermachtete Wirtschaft, vermachtet durch Monopolbildung, kapitalistische Machtballungen, durch Konzerne und Trusts, die das Wirtschaftsleben über Preise, Zinsen und Löhne nach ihren eigenen Interessen bestimmten. Wo durch Monopole und Oligopole, durch Konzerne und Trusts der freie Wettbewerb entstellt und gefälscht, die freie Konkurrenzwirtschaft unterbunden und zerstört wird, da fehlt die elementare Grundlage eines liberalistischen Systems im ursprünglichen, klaren und eindeutigen Sinn dieses Wortes.
Der Sozialismus ersetzt die private Vermachtung durch die staatliche Vermachtung der Wirtschaft mit dem Ergebnis, daß die soziale Gerechtigkeit keinesfalls erhöht, aber die automatische und rationelle Funktionstüchtigkeit der Wirtschaft entscheidend geschwächt wird. Der historische Weg, die unerwünschten sozialen Auswirkungen einer fehlerhaften Wirtschaftsordnung durch politische Maßnahmen und staatliche Eingriffe zu beseitigen, musste notwendig scheitern. Eine brauchbare Sozialordnung kann nicht mit bürokratischen Mitteln erzwungen werden, sondern nur aus einer richtig funktionierenden Wirtschaftsordnung erwachsen. Nur eine natürliche, dynamische Gesellschaftsordnung auf der gesicherten Basis einer natürlichen, dynamischen Wirtschaftsordnung ist stabil und kann ohne großen Aufwand an bürokratischen Mitteln und gesetzlichen Regelungen nachträglich noch politisch-rechtlich gesichert werden, soweit dies überhaupt noch erforderlich ist.
Persönliche Freiheit und Sozialordnung