Streitschrift für die FDP

Von | 24. September 2013

Unser Gastautor Henry Krasemann macht sich Gedanken über den Liberalismus, die FDP und die Bundestagswahl am ver­gan­ge­nen Wochenende.

Als am Sonntag klar wur­de, dass die FDP aus dem Bundestag flie­gen wür­de, da gab es in mei­nen Twitter- und Facebook-Timelines zunächst nur zwei Arten von Reaktionen: Häme und Spott. Dann kam die „eigent­lich auch schade“-Fraktion. Und schließ­lich folg­te das gro­ße Schweigen.

Ich will jetzt hier eine Lanze für die FDP bre­chen. Nicht unbe­dingt für die FDP der letz­ten Jahre, denn deren Schlingerkurs zwi­schen Spaßpartei, Medienhype, Besserverdienern und „Es geht um Deutschland“ ist nicht die Idee, wes­halb ich die FDP mal wich­tig fand. Auch irgend­wel­che Zahlen mit einem „+X” zu ver­kün­den kann doch kein poli­ti­sches Ziel sein, son­dern ist rei­ne Anpasserei.

Das tol­le an der FDP war und könn­te wie­der sein: Ihre Idee und Vision.

Umschrieben wird die­ses in der Presse immer wie­der mit „Liberalität“. Ein grau­sa­mes Wort. Es hebe die Hand, wer wirk­lich ver­steht, was damit eigent­lich gemeint ist. Außerdem ist in F-D-P nicht ein ein­zi­ges „L“ ent­hal­ten. „Liberal“ klang viel­leicht frü­her mal gebil­det – aber frü­her war eben das Heute von damals.

Die Idee der FDP ist die Freiheit. Das viel­leicht höchs­te Gut, das wir in Deutschland haben. Natürlich wol­len uns auch die ande­ren Parteien nicht weg­sper­ren. Aber dar­in steckt tat­säch­lich eine Vision, Etwas, das die FDP von allen übri­gen Parteien unter­schei­det und was ihre Idee unver­zicht­bar macht.

Nehmen wir mal den naivs­ten anzu­neh­men­den Wähler. Der steht nun am Sonntag in der Wahlkabine und denkt ange­strengt dar­über nach, wen er wäh­len kann. Wahlprogramme hat er nicht gele­sen, Berichterstattungen in Zeitungen und Fernsehen über Rauten, Stinkefinger und Ketten hat er nicht ver­folgt. Dennoch hat er eine Idee, was die Parteien wol­len könn­ten. Er weiß, dass die CDU/​CSU kon­ser­va­tiv ist und das Bewährte bewah­ren will. Er weiß, dass die SPD die Gemeinschaft im Blick hat und dass es gerech­ter zuge­hen soll. Er weiß, dass die Linken wol­len, dass es den Geringverdienern bes­ser geht. Er weiß, dass die Grünen die Umwelt schüt­zen wol­len. Aber was weiß er über die FDP?

Ich weiß, was ich ger­ne möch­te, was er wis­sen soll­te. Nämlich dass da eine Partei ist, die den Einzelnen im Blick hat, unge­ach­tet von sei­nem Stand oder des­sen Einkommen. Jeder Mensch soll die glei­chen Chancen haben und die Freiheit, sel­ber über sich und sein Leben zu ent­schei­den. Das bedeu­tet auch, dass jeder Mensch sein unver­äu­ßer­li­ches Recht hat, eige­ne Fehler auf dem Weg zur Rente zu bege­hen. Und zwar Fehler, die man machen darf und muss, weil nur Fehler die Menschen und die Menschheit auch wei­ter brin­gen. Fehler bei der Berufswahl, Fehler bei kri­ti­schen Unternehmensentscheidungen, Fehler bei der Entwicklung neu­er Idee, Fehler bei Investitionen. Konservative schüt­zen mich vor Fehlern, weil auf Bewährtes gesetzt wird. Soziale Parteien küm­mern sich so um mich, dass ich gar kei­ne Fehler machen kann.

Aber wenn ich eine Welt möch­te, in der Fehler nicht immer falsch sind, son­dern ein guter und sinn­vol­ler Versuch auf dem Weg zu einer bes­se­ren Welt, dann ist das für mich eine Welt vol­ler Freiheit. Dazu gehört, dass ich ech­te Rechte habe, dass ich unbe­ob­ach­tet sein kann, dass ich mich für das Wahrnehmen mei­ner Rechte nicht recht­fer­ti­gen muss und dass die­ses für Alle gilt, unge­ach­tet des Geschlechts, der Religion, der sexu­el­len Orientierung, der Herkunft oder sonst etwas, was wich­tig und rich­tig um Grundgesetz steht.

Das waren vie­le „Ichs“. Natürlich will ich auch kei­ne Welt, in der nur noch das „Ich“ gilt. Solidarität ist wich­tig, ins­be­son­de­re denen gegen­über, die ihre Rechte aus wel­chen Gründen auch immer nicht so nut­zen kön­nen, wie es mir aus behü­te­tem Haushalt und mit ordent­li­chem Einkommen mög­lich ist. Man muss auch nicht alles auf den Kopfstellen und darf durch­aus das bewah­ren, was gut ist. Fehler auf Kosten Anderer müs­sen nicht akzep­tiert wer­den. Und die Umwelt ist auch wich­tig. Aber eben auch die Freiheit des Einzelnen.

Deshalb ist eine Partei wie die FDP so wich­tig. Sie wird uns allen feh­len. Vielleicht nicht unbe­dingt die real exis­tie­ren­de FDP. Sehr wohl aber die FDP der Zukunft – wenn alles gut geht. Denn auch die FDP darf Fehler machen. Die brin­gen uns alle wei­ter. Alles wird gut… viel­leicht sogar bes­ser.

Dieser Text ist ursprüng­lich in Henry Krasemanns Blog „Caulius bloggt” erschie­nen.

Henry Krasemann
Von:

Henry Krasemann ist Rechtsanwalt und Jurist im öffentlichen Dienst für den Bereich Datenschutz. Er veröffentlicht zahlreiche Podcasts (KielPod, Jurafunk, SH-Podcast...), Videos und Kolumnen u. a. unter dem Pseudonym Caulius. Er ist seit mehreren Jahren Mitglied der FDP ohne bisher weitere Aktivitäten. Das könnte sich ändern.

8 Gedanken zu “Streitschrift für die FDP”:

  1. Georg

    Die neue FDP gibt es schon, die heißt „Piraten”, aber die waren auch unter 5%.

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  2. Ruediger KohlsRuediger Kohls

    Lieber Henry,

    als stell­ver­tre­ten­der Kreisvorsitzender am west­li­chen Ende des Landes und koop­tier­tes Mitglied im FDP-Landesvorstand fin­de ich das mit der Mitgliedschaft ja schon­mal gut — die Überlegung einer akti­ve­ren Rolle aber natür­lich noch sehr viel bes­ser! Ich wür­de mich sehr freu­en, weil Du schon tag­täg­lich qua Beruf(ung) für einen ganz wich­ti­gen Teilbereich unse­rer Freiheit kämpfst. Und Du bist mit sol­chen Überlegungen nicht allein. Ich kann nur alle ein­la­den, die sich sol­che Gedanken machen: Kommt an Bord, helft mit!

    Grüße,
    Rüdiger

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  3. Steffen

    Vielleicht ein klei­ner Trost: Ich glau­be nicht, dass die FDP tot ist. Sie ist knapp an der 5% Hürde geschei­tert. Das war auch ein wenig Pech. Das Potential für 5%-Plus ist aber immer da. Es kann gut sein, dass sich eini­ge jet­zi­ge Merkel-Wähler in 4 Jahren die FDP zurück wün­schen.

    Das schlech­te Abschneiden der FDP in den letz­ten bei­den Wahlen wirft nicht nur einen Schatten auf die Partei, son­dern auch auf den Stand des Liberalismus in Deutschland. Die FDP der letz­ten 10 Jahre wird nie­mand ver­mis­sen. Steuern _​nicht_​ sen­ken, kön­nen ande­re bes­ser. Die Wähler, die bei der Wahl 2009 dach­ten, dass sie von der FDP mit „Leistungsträger” gemeint waren, sind zu Recht zum gro­ßen Teil zur SPD als „Partei der flei­ßi­gen Menschen” gewan­dert.

    In Zeiten von aus­ufern­der, welt­wei­ter Überwachung und über­mäch­ti­ger Geheimdienste, ist es eine Tragödie, dass es kei­ne star­ke Bürgerrechtspartei im Bundestag mehr gibt. Das ist aber auch Ausdruck gesell­schaft­li­cher Verhältnisse: Sicherheit ist zur Zeit für vie­le Menschen tat­säch­lich das Supergrundrecht. Und wenn Europa zusam­men­bricht, die ara­bi­sche Welt rebel­liert, das Klima sich wan­delt und angeb­lich hin­ter jeder Laterne der Terrorist oder der gefähr­li­che Migrant war­tet, dann wünscht man sich Mutti. Und wenn die schon nichts tun kann, dann kann sie zumin­dest trös­ten. Und das war lei­der auch das ein­zi­ge Angebot der FDP im Bundestagswahlkampf: Mutti die Tür auf­hal­ten.

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  4. JMK

    Um es kurz zu machen
    Es wer­den eini­ge Behauptungen auf­ge­stellt die nicht unter­mau­ert wer­den und doch sehr ver­ein­facht.
    Die Kritikpunkte:
     — SPD steht für sozia­les, CDU für Konservatismus etc. Das ist mir schon zu ein­fach, schön wenn es so wäre, aber die Ambivalenz inner­halb der Parteien nahm in den letz­ten Jahren eher zu.
     — „Die Idee der FDP ist die Freiheit.” Sagt die FDP auf ihren Flyern und Plakaten. Das trifft heu­te nicht mal annä­hernd zu. Und ist so pau­schal wie die Grünen als Verbotspartei zu titu­lie­ren. Es gibt kei­ne Beleg dazu. Gerade die letz­ten Jahre kon­ter­ka­rier­ten die Behauptung.
     — „Nämlich dass da eine Partei ist, die den Einzelnen im Blick hat, unge­ach­tet von sei­nem Stand oder des­sen Einkommen. Jeder Mensch soll die glei­chen Chancen haben und die Freiheit, sel­ber über sich und sein Leben zu ent­schei­den.”
    Dazu fällt mir im Grund nichts ein, zur Zeit der Freiburger Thesen konn­te man das über die FDP sagen, die­se sind aber auch schon 40 Jahre her. Seit 20 Jahren ist die FDP eine rei­ne Klientelpartei, eine wenn man so will wirt­schafts­li­be­ra­le Partei.
    Warum man nun aus­ge­rech­net die FDP ver­mis­sen soll­te, will mir nicht klar wer­den. Was wir brau­chen ist eine libe­ra­le Partei. Keine Partei die sich über den Veggieday auf­regt, Grüne als Faschisten titu­liert, die sich nur über Steuerpolitik defi­niert und deren Freiheitsbegriff sich auf die Vermeidung eines Tempolimits beschränkt.
    Was wir brau­chen ist eine Partei, nicht nur auf die FDP bezo­gen eine Partei die den Menschen, den Souverän ernst nimmt, für wirk­li­che Freiheit steht, sprich, den Bürger gegen­über den Staat schützt. Keine Partei die nicht ihre eige­nen Werte ver­mit­telt son­dern den poli­ti­schen Gegner dif­fa­miert.
    Wir haben zwei Flaschen Champagner auf­ge­macht als bekannt wur­de, dass die FDP raus geflo­gen ist. Und ich hof­fe sie bleibt auch drau­ßen. Da Christian Lindner wohl nun Parteivorsitzender wird, wird eben auch die bis­he­ri­ge Linie fort­ge­setzt. Was das bedeu­tet konn­te man im Landtagswahlkampf in NRW sehen.
    Vielleicht refor­miert sich die Partei und kommt in 10 oder 20 Jahren wie­der. Aber das ist dann nicht mehr die FDP der Jetztzeit oder der letz­ten 30 Jahre, das wäre dann eine kom­plet­te neue Partei.

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    1. Henry KrasemannHenry Krasemann Post author

      @JMK: Ich stim­me Dir weit­ge­hend zu. Der Text war kei­ne umfang­rei­che Parteienanalyse, son­dern mein per­sön­li­ches Wunschdenken. In dem Debakel der FDP liegt m. E. eine Chance, dass man Idee äußern kann, die auch gehört wer­den. Meine Aussage ist auch (gera­de auch aus Sicht eines Datenschützers), dass eine libe­ra­le Partei wich­tig ist. Die Piraten erfül­len die­ses m. E. nur ein­ge­schränkt. Eine neue Partei könn­te natür­lich eine Alternative sein. Ich sehe jedoch aktu­ell die grö­ße­ren Chancen, dass mit einer FDP, die sich auf ihre Grundideen besinnt, durch­aus die Chancen in 4 Jahren höher sind. Ich mei­ne an eini­gen Reaktionen auch able­sen zu kön­nen, dass es noch ande­re gibt, die eini­ge mei­ner Sehnsüchte tei­len…

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  5. Stefan Wehmeier

    Der his­to­ri­sche Liberalismus hat ver­sagt – nicht als Liberalismus, son­dern in sei­ner ver­häng­nis­vol­len Verquickung mit dem Kapitalismus. Er hat ver­sagt – nicht weil er zuviel, son­dern weil er zu wenig Freiheit ver­wirk­lich­te. Hier liegt der fol­gen­schwe­re Trugschluss der sozia­lis­ti­schen Gegenströmung. Die libe­ra­lis­ti­sche Wirtschaft war in Wahrheit kei­ne freie, son­dern eine ver­mach­te­te Wirtschaft, ver­mach­tet durch Monopolbildung, kapi­ta­lis­ti­sche Machtballungen, durch Konzerne und Trusts, die das Wirtschaftsleben über Preise, Zinsen und Löhne nach ihren eige­nen Interessen bestimm­ten. Wo durch Monopole und Oligopole, durch Konzerne und Trusts der freie Wettbewerb ent­stellt und gefälscht, die freie Konkurrenzwirtschaft unter­bun­den und zer­stört wird, da fehlt die ele­men­ta­re Grundlage eines libe­ra­lis­ti­schen Systems im ursprüng­li­chen, kla­ren und ein­deu­ti­gen Sinn die­ses Wortes.

    Der Sozialismus ersetzt die pri­va­te Vermachtung durch die staat­li­che Vermachtung der Wirtschaft mit dem Ergebnis, daß die sozia­le Gerechtigkeit kei­nes­falls erhöht, aber die auto­ma­ti­sche und ratio­nel­le Funktionstüchtigkeit der Wirtschaft ent­schei­dend geschwächt wird. Der his­to­ri­sche Weg, die uner­wünsch­ten sozia­len Auswirkungen einer feh­ler­haf­ten Wirtschaftsordnung durch poli­ti­sche Maßnahmen und staat­li­che Eingriffe zu besei­ti­gen, muss­te not­wen­dig schei­tern. Eine brauch­ba­re Sozialordnung kann nicht mit büro­kra­ti­schen Mitteln erzwun­gen wer­den, son­dern nur aus einer rich­tig funk­tio­nie­ren­den Wirtschaftsordnung erwach­sen. Nur eine natür­li­che, dyna­mi­sche Gesellschaftsordnung auf der gesi­cher­ten Basis einer natür­li­chen, dyna­mi­schen Wirtschaftsordnung ist sta­bil und kann ohne gro­ßen Aufwand an büro­kra­ti­schen Mitteln und gesetz­li­chen Regelungen nach­träg­lich noch poli­tisch-recht­lich gesi­chert wer­den, soweit dies über­haupt noch erfor­der­lich ist.

    Persönliche Freiheit und Sozialordnung

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