
Germaniahafen mit Bürogebäude | Foto: Steffen Voß
In meinem Büro in Hamburg werde ich darum beneidet 2 – 3 Tage pro Woche aus dem Kieler Büro heraus arbeiten zu können. Gefühlt liegt das Büro für meine Hamburger Kollegen direkt am Strand. In der Realität ist es eine sehr sympathische Bürogemeinschaft im Kieler Wissenschaftspark. Unter dem Label „Business Campus Kiel“ habe ich mir in den letzten beiden Jahren die Arbeitsumgebung geschaffen, die ich als sehr produktiv für wissensintensive Berufe erachte. Mit Flipperautomat, Golfbahn und Dartscheibe erfüllt das Büro sicherlich gängige Kreativklischees, aber für diejenigen die genauer hinschauen liegt das Geheimnis in der Art der Zusammenarbeit.
Kiel hat doch genug Bürofläche, oder nicht?
Ich habe das Glück, dass unsere Bürogemeinschaft fast immer ausgebucht ist. So muss ich mir keine Sorgen mehr über die Mieteinnahmen und –ausgaben machen, aber ich wäre sogar bereit einen signifikanten Betrag dafür zu bezahlen in einem solchen Büroumfeld zu arbeiten. Ich kenne dutzende Bürogemeinschaften weltweit, Coworking-Spaces, klassische Großraumbüros und natürlich diverse Agenturbüros. Ich kenne auch das Angebot des Kieler Innovation- und Technologiezentrums (KITZ) und das Wissenschaftszentrum. Abgesehen von einigen größeren Coworking-Spaces habe ich nirgendwo ein Umfeld gefunden, in dem kleinere und mittlere Unternehmen voneinander profitieren würden. Meistens beschränkt sich das Angebot auf flexible Arbeitsflächen oder Schreibtische und einige gemeinsame Services und Events.
Jeder der schon einmal ein Unternehmen gegründet hat oder in einem Unternehmen mit bis zu 50 Mitarbeitern gearbeitet hat, kennt die wahren Herausforderungen des Geschäftsalltages. Da wäre der ständige Vertriebsdruck (neue Kunden) und der Bedarf an flexiblen Partner (schnell & günstig). Unternehmen sind immer dann sehr erfolgreich, wenn sie sich auf ihr Geschäft konzentrieren können: Die Programmierung von Software, oder die Gestaltung von Verträgen oder das Coaching von Menschen.
Moderne Bürogemeinschaften helfen bei diesen Herausforderungen enorm, wenn ein paar Regeln beachtet werden. Das beginnt bei der Vermeidung von Bürogemeinschaften über mehrere Etagen, geht weiter mit einigen Kommunikationsregeln, wie offenen Türen und endet nicht zuletzt mit einer aktiven Vernetzung der Menschen untereinander. Leider reden Menschen ungerne mit fremden anderen Menschen und größere Bürogemeinschaften können das kennenlernen deutlich vereinfachen.
Wenn ich über meine zwei Monate Arbeit im Wissenschaftszentrum einschließlich Besuche im KITZ nachdenke, dann fallen mir sofort die permanent geschlossenen Bürotüren ein und eine Sammlung mehrere Wasserkocher in pro Teeküche.
Warum besteht darin ein Potential für Kiel?
Kiel hat es nun jahrzehntelang durchgehalten keine sinnvolle (höchstens 40 Minuten) Bahnanbindung nach Hamburg zu realisieren, um die umzugswilligen, einkommensstarken Familien aus Hamburg nach Kiel zu locken. Lüneburg & Langenhorn freuen sich dafür umso mehr, über die zusätzlichen Steuereinnahmen.
Trotzdem muss Kiel sich seiner Rolle als Touristenstandort an der Ostsee mit angeschlossenen Abfahrtsterminals für Kreuzfahrer nicht ergeben. Die Erfahrung die ich mit vielen wissensintensiven Berufen im digitalen Umfeld gesammelt habe, kommt es für eine Firma nicht auf die Nähe zu den potentiellen Kunden an – ein Argument was bisher stark für Hamburg, Frankfurt oder München sprach. Viel wichtiger sind exzellente Wissensleistungen, die von den Mitarbeitern erbracht werden. Diese Leistungen werden in Umfeldern befördert in denen:
- Die Lebensqualität hoch ist (Nähe zum Meer)
- Die Lebenskosten niedrig sind (fehlende Hamburger Gutverdiener & geringe Wirtschaftskraft)
- Das Umfeld jung und agil ist (Studentenstadt)
- Die Verbindung zu einem großen Flughafen gegeben ist (50 Minuten per Kielexx)
Diese Faktoren sind in Kiel gegeben. In Hamburg wohnt es sich spätestens mit einem normalen Einkommen und mindestens einem Kind erheblich schlechter. Am Ende des Tages brauchen Unternehmen natürlich trotzdem Kunden, aber in heutigen hochspezialisierten Wirtschaftsumfeld sind die Kunden ohnehin über Deutschland und Europa verstreut und in der Regel haben auch nur 2 – 5% der Mitarbeiter einen wichtigen Draht zu den Kunden. Die müssen dann eben auch mehr reisen. Ob man nun aus Kiel oder Hamburg zu einem Kundenprojekt in München reist, ist vollkommen egal.
Wirtschaftstreiber oder „nur“ Dienstleister?
Ich frage mich, wie es eine Stadt ohne Metropolenstatus zukünftig schaffen Unternehmensgründungen zu befördern und auch Wirtschaftskraft zu schaffen die über Agenturdienstleistungen und Tourismus hinausgeht. Erst mit Unternehmen, die Produkte und Angebote schaffen die überall in Deutschland oder in aller Welt gekauft werden wird es als Stadt spannend. Kiel war mit Unternehmen wie Hagenuk mal in so einer Situation, aber auf dem Weg in eine Wissensgesellschaft war das nur ein vergänglicher Status. Bezeichnenderweise nutzt unsere Bürogemeinschaft nun die Büroetage der ehemaligen Hagenuk Finanzabteilung.
Mein Wunsch wäre es, wenn es noch viel mehr Angebote gäbe, die einen leichteren Aufbau von Unternehmen ermöglichen – nicht finanzielle Angebote, sondern Angebote die aktiv Menschen vernetzen. Jeden Tag. Um sich ein Bild davon zu machen, wie so eine Vernetzung funktioniert, empfehle ich jedem, ein paar Tage in solchen Büroumfeldern zu verbringen, mit komplett fremden Menschen neue Netzwerke aufzubauen und testweise versuchen ein Angebot oder Service zu etablieren, um Gründungserfahrung zu sammeln.
Aus Stadtentwicklungssicht lohnt es sich darüber nachzudenken, ob man zukünftig leere Büros mit Hauptbahnhofs- oder Unizugang einer neuen Klientel zugänglich machen will, oder der Einfachheit doch wieder nur an das nächste Callcenter vermietet. Im Zweifel reicht aber auch eine sehr schnelle Bahnverbindung nach Hamburg. Dann muss man nicht selber groß wirtschaften, sondern nur hübsche Neubauflächen erschließen – eine Art Wohndienstleister sozusagen.
Kiel als Vorort von Hamburg — eine interessante Idee. Die Frage ist nur: Wo soll denn gebaut werden? Soweit ich das mitbekommen bilden sich überall sofort NIMBY-Bewegungen, die eine Bebauung von Freiflächen verhindern wollen — egal ob es in der Stadt oder am Rand ist. Wenn man die Schätzungen betrachtet, dass Kiel im Gegensatz zu den meisten anderen Städten in Schleswig-Holstein auch in Zukunft noch wachsen wird, ist das eine zentrale Debatte, die die Stadt führen muss, wenn Wohnen gleichzeitig bezahlbar bleiben soll.