Was tun bei Nachwuchs-Mangel?

Von | 31. Juli 2014
Sönke Rix

Sönke Rix / https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/deed.de

Der Trend geht zum Engagement in kurz­fris­ti­gen Projekten — eine Goldene Ehrennadel für 60 Jahre Vereinsmitgliedschaft bekommt da nie­mand mehr. Feuerwehr, Kirche, Politik: Viele gesell­schaft­li­che Strukturen sind aber dar­auf aus­ge­legt, dass sich Menschen lang­fris­tig ein­brin­gen. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Sönke Rix aus dem Kreis Rendsburg-Eckernförde ist stell­ver­tre­ten­des Mitglied im Unterausschuss Bürgerschaftliches Engagement und er beschreibt in sei­nem Gastartikel, was sei­ner Meinung nach getan wer­den müss­te und was bereits getan wird.

Vielen Vereinsvorständen, Organisationen und Verbänden fehlt der Nachwuchs. Die Mitglieder wer­den immer älter und jün­ge­re kom­men nur sel­ten nach. Die Gründe dafür sind vie­len von uns – auch aus eige­ner Erfahrung – bekannt: Von jun­gen Leuten wird immer grö­ße­re Flexibilität erwar­tet, gleich­zei­tig schrei­tet die Individualisierung der Gesellschaft vor­an. Viele jun­ge Menschen leben zeit­wei­lig oder auch län­ger in einer finan­zi­el­len und wirt­schaft­li­chen Unsicherheit und wol­len sich auch des­halb nicht mehr lang­fris­tig an ein Engagement bin­den. Hier könn­te die Gleichung gel­ten: Kein siche­rer Arbeitsplatz, kein lang­fris­ti­ger Job, kei­ne Planungssicherheit, kein lang­fris­ti­ges Engagement.

Kurzfristige Projekte hin­ge­gen, die ein schnel­les Erfolgserlebnis ver­spre­chen, sind attrak­ti­ver gewor­den. Dieser Wertewandel stellt auch die Parteien vor gro­ße Herausforderungen.

Den gesell­schaft­li­chen Wandel kann Politik nicht auf­hal­ten. Aber sie kann die Rahmenbedingungen für EhrenamtlerInnen und Engagierte ver­bes­sern. Um dies zu errei­chen, beschäf­ti­gen wir uns ein­mal im Monat im Unterausschuss Bürgerschaftliches Engagement mit ver­schie­de­nen Aspekten des Themas. Der Unterausschuss ist her­vor­ge­gan­gen aus der Arbeit einer Enquete Kommission des Bundestages, die mit Michael Bürsch von einem Schleswig-Holsteiner gelei­tet wur­de, und die hin­sicht­lich des Ehrenamtes und des Bürgerschaftlichen Engagements neue Fragen auf­ge­wor­fen und Problemfelder benannt hat. Viele der Erkenntnisse aus der Zeit der Enquete-Kommission sind nach wie vor aktu­ell:

Wir wis­sen z.B. aus Berichten, dass recht­li­che Unsicherheiten häu­fig dazu füh­ren, dass sich die Menschen vor Verantwortung in ehren­amt­li­chen Zusammenhängen scheu­en. Wir müs­sen also Sicherheit schaf­fen. Dazu gehö­ren eine gute recht­li­che Beratung und Unterstützung von Vereinen, aber auch Regelungen, die eben kei­ne böh­mi­schen Dörfer für die Engagierten dar­stel­len.

Ein wei­te­res Problem ist die feh­len­de Wertschätzung der Gesellschaft – ins­be­son­de­re Kommunalpolitiker kön­nen davon ein Lied sin­gen. Da müs­sen sich alle, auch die Redakteure der ört­li­chen Zeitungen, an die eige­ne Nase fas­sen: Denn wenn nur noch Häme und Besserwisserkommentare an der Tagesordnung sind, muss die Frage erlaubt sein: Warum macht Ihr es nicht selbst, son­dern senkt und hebt (im Einzelfall) Eure Daumen nur von der Zuschauerbank? Der Verdacht auf Bequemlichkeit liegt da sehr nahe.

Aber auch ande­ren Engagierten fehlt oft­mals die Anerkennung für ihre Arbeit. Dabei gibt es durch­aus Möglichkeiten, die­se zu zei­gen. In Schleswig-Holstein kön­nen zum Beispiel die­je­ni­gen, die sich regel­mä­ßig enga­gie­ren, die Ehrenamtskarte bekom­men. Diese ermög­licht bei­spiels­wei­se Ermäßigungen bei Kulturangeboten oder die Teilnahme an bestimm­ten Veranstaltungen. Zur Anerkennung gehört auch die Übungsleiterpauschale, die u.a. Trainer und Trainerinnen in Sportvereinen bekom­men. Die Sportvereine müs­sen sich die­se aller­dings auch leis­ten kön­nen.

Auch imma­te­ri­el­le Anerkennung ist wich­tig. Im Dezember bin ich regel­mä­ßig bei der Preisverleihung des deut­schen Bürgerpreises. Unter den Preisträgern war 2012 das Flensburger Projekt: „Die Sportpiraten“, die im Skatepark Schlachthof Freizeitmöglichkeiten für Jugendliche zwi­schen 14 und 20 bie­ten. Die gro­ße Freude und gleich­zei­tig die Motivation, sich wei­ter für die­ses Projekt ein­zu­set­zen, konn­te man den Gesichtern der jun­gen Leute anse­hen. Auch die ande­ren Nominierten genos­sen den Abend und die Preisverleihung sicht­bar. Von sol­chen Auszeichnungen und wert­schät­zen­den Abenden benö­ti­gen wir mehr!

Wer sich in poli­ti­schen Zusammenhängen enga­giert, will auch wirk­lich über Politik ent­schei­den kön­nen. Die SPD setzt sich des­halb dafür ein, dass das Wahlalter für alle poli­ti­schen Ebenen auf 16 Jahre her­ab­ge­setzt wird. Viele Entscheidungen, die auf Bundesebene gefällt wer­den, betref­fen jun­ge Leute unmit­tel­bar. Deshalb sol­len sie auch ent­schei­den dür­fen. Damit ein­her­ge­hen muss eine gute poli­ti­sche Bildung. Dazu gehört nicht nur ein fun­dier­ter Politikunterricht, son­dern die Schülerinnen und Schüler müs­sen in der Schule auch die Möglichkeiten haben, sich aktiv ein­zu­brin­gen.

In einem Papier der AG Demokratie, die mein Kollege Hans Peter Bartels bis vor kur­zem lei­te­te, heißt es:

„Durch das Mitwirken an Schülerzeitungen, Schülerradios, sozia­len und kul­tu­rel­len Projekten ler­nen Kinder und Jugendliche Verantwortung zu über­neh­men. Im Unterricht müs­sen demo­kra­ti­sche Handlungskompetenzen erlernt wer­den, am bes­ten geht das, wenn es auch im Unterricht demo­kra­tisch zugeht, eine Demokratisierung der Schule darf nicht vor den Klassenzimmern halt machen.”

Zudem set­zen wir uns dafür ein, dass die Arbeit von Vereinen und Jugendverbänden gestärkt und aktiv in die Schule ein­be­zo­gen wird. Außerdem muss die Vereinbarkeit von Schule und Engagement sicher­ge­stellt sein, z.B. durch einen frei­en Nachmittag pro Woche auch in Ganztagsschulen.

Als Verantwortliche in Parteien müs­sen wir natür­lich als ers­tes damit anfan­gen, vor der eige­nen Haustür zu keh­ren. Selbstkritik ist ange­bracht. Wir soll­ten uns alle hin­ter die Ohren schrei­ben, dass ein kon­struk­ti­ver Umgang mit den Ideen des (Partei-)Nachwuchses not­wen­dig ist. Nicht sel­ten berich­ten uns Neumitglieder von Reaktionen in Parteigremien wie: „Geht nicht.“ „Haben wir noch nie so gemacht.“ „Wie unrea­lis­tisch ist das denn?“ „Haben wir schon längst aus­pro­biert.“ Diese Liste lie­ße sich noch belie­big fort­füh­ren. Und jeder und jede kann sich vor­stel­len, wie ger­ne er oder sie dann noch ein­mal wie­der­kom­men möch­te.

Wir wer­den uns der ver­än­der­ten Realität stel­len müs­sen, indem wir auch Projekte anbie­ten, an denen auch kurz­fris­tig mit­ge­ar­bei­tet wer­den kann. Möglicherweise ent­steht dar­aus Begeisterung und die Lust auf ein regel­mä­ßi­ges und viel­leicht sogar lang­fris­ti­ges Engagement.

Sönke Rix
Von:

Gastautor Sönke Rix ist SPD-Bundestagsabgeordneter aus dem Kreis Rendsburg-Eckernförde und Mitglied im Bundestags-Unterausschuss Bürgerschaftliches Engagement.

8 Gedanken zu “Was tun bei Nachwuchs-Mangel?”:

  1. Carolina Koehn

    Spannendes Thema — wobei die Ehrenamtskarte ja als Anreiz nett ist, aber sicher nicht reicht. Wir haben Erfahrungen damit gemacht, dass vor allem die Umstrukturierungen in den Studiengängen zu gerin­ge­rem Engagement jun­ger Menschen füh­ren — wer sich ein­mal den Stundenplan von Studierenden ange­schaut hat weiß dass Bologna kaum mehr Zeit für ehren­amt­li­che Arbeit lässt.

    Für uns funk­tio­niert Nachwuchsarbeit in einem ehren­amt­lich gepräg­ten Projekt nur dann, wenn wir mit einem fes­ten Kern von Menschen, die län­ger­fris­tig dabei sind, Bedingungen auch für Kurzfristengagements schaf­fen und das ganz gezielt auch attrak­tiv (bei­spiels­wei­se durch Weiterbildung) machen. Was zum einen den Arbeitsaufwand für Vereins- und Angebotsmanagement in die Höhe treibt, zum ande­ren aber auch mit stei­gen­den Mitgliederzahlen und vie­len span­nen­den neu­en Ideen belohnt wird.

    Problematisch dabei ist, dass sich ja zeit­gleich auch die Rahmenbedingungen für uns ver­än­dert haben. Beispiel sind ver­än­der­te Finanzierungsstrukturen, die dazu füh­ren, dass man pro­jekt­be­zo­ge­ner arbei­tet (was ja im Prinzip nichts schlech­tes ist) aber dabei halt einen sehr hohen Aufwand trei­ben muss um arbeits­fä­hig zu blei­ben.

    Unsere Erfahrung ist, dass ehren­amt­li­che Projekte nur dann erfolg­reich im Sinne eines Einwirkens auf gesell­schaft­li­che Strukturen arbei­ten kön­nen wenn sie zumin­dest in pro­fes­sio­nel­len Strukturen koor­di­niert wer­den.

    Vielleicht kön­nen wir uns dar­über ja mal inten­si­ver aus­tau­schen?

    Beste Grüße,
    Carolina Koehn
    Vorstand HAKI e. V.
    les­bisch-schwu­le Emanzipationsarbeit in Schleswig-Holstein.

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  2. panama

    Als viel­sei­ti­ge und lang­jäh­rig im Ehrenamt erprob­te Bundesbürgerin (Kirche, Genossenschaft, KiGa, Schule, lan­des­blog) wür­de ich mich über einen Bonus für mei­ne künf­ti­ge Rente mehr freu­en, als über einen Preis im Wettbewerb oder eine Aufwandsentschädigung.

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    1. Steffen VoßSteffen Voß

      Das ist eigent­lich eine schö­ne Idee, aber ist es noch Ehrenamt, wenn man Geld dafür bekommt — wenn auch nur nach­ge­la­gert?

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      1. panama

        Mir wer­den bereits Erziehungszeiten ange­rech­net. Das ist ebenso´n „Ehrenamt”.

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        1. Steffen VoßSteffen Voß

          Stimmt. Nächstes Problem: Während ziem­lich klar ist, ab wann Du ein Kind hast, wann Du nicht arbei­test und wann die­se Zeit vor­bei ist, kann man das bei Ehrenamt viel schwe­rer sagen. Erziehung ist dann ja auch Full-Time. Wie lan­ge arbei­test Du fürs Ehrenamt? Vermutlich schwankt das auch stark. Welche Art Ehrenamt zählt dann? Muss man das aner­ken­nen las­sen? Nach wel­chen Kriterien usw. Aus Deiner Perspektive ist das für Dich viel­leicht recht ein­deu­tig. Aber das muss ja auch nach­voll­zieh­bar sein. Und wenn Du Dir mal den „Stundenlohn” für die Erziehungszeiten aus­rech­nest und auf Dein Ehrenamt anwen­dest — kommt dabei etwas her­aus, was den Aufwand des Nachweises lohnt?

          Ich bin mir nicht ganz sicher — aber ich glau­be, für den Bundesfreiwilligendienst könn­te es so etwas geben, oder? Das muss man ja auch anmel­den.

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  3. Sönke Rix

    @ Carolina Koehn:

    Das stimmt: Ehrenamtlichkeit braucht Hauptamtlichkeit und ver­läss­li­che Strukturen. Die pro­jekt­be­zo­ge­ne Förderung stellt gute Programme und Initiativen immer wie­der vor gro­ße finan­zi­el­le Herausforderungen. Der Bund darf auf­grund des Kooperationsverbots, das auch für den Bereich des Bürgerschaftlichen Engagements gilt, nur Modellprojekte för­dern, und das auch nur über einen bestimm­ten Zeitraum. Hier müs­sen sich Länder und Kommunen früh­zei­tig ein­brin­gen und eine Anschlussfinanzierung anbie­ten, sofern sie das Projekt für sinn­voll erach­ten, um Planungssicherheit zu gewähr­leis­ten.

    Und auch was die Bologna-Reformen betrifft, gebe ich Ihnen Recht: Die Ausübung eines Engagements wäh­rend des Studiums ist schwie­ri­ger gewor­den – auch hier müs­sen wir Wege fin­den, um auch Studierenden wie­der Räume zu ermög­li­chen, die ihnen Zeit für ein Engagement las­sen. Das gilt für Ganztagsschulen und Universitäten glei­cher­ma­ßen.

    @panama

    Ich ver­ste­he, wenn jemand sagt, was küm­mern mich Preise und Wettbewerbe; für mich zählt eher der mone­tä­re Ausgleich. Aber Steffen trifft den Kern der Diskussion, wenn er bezwei­felt, ob es dann noch um Ehrenamt und Engagement geht, wenn der finan­zi­el­le Aspekt eine so gro­ße Rolle spielt.
    Denn Aufwandsentschädigungen sind eine Sache, einen finan­zi­el­len Gewinn aus einem Engagement zu zie­hen eine ande­re. Bürgerschaftliches Engagement soll­te stets frei­wil­lig sein, auch wenn die Motive für ein Engagement ganz unter­schied­lich sind (Erfahrungsgewinn, ein gutes Gefühl des „Gebrauchtwerdens“, Hilfsbereitschaft, per­sön­li­che Betroffenheit), so soll­te der finan­zi­el­le Aspekt kei­nes­falls im Vordergrund ste­hen.
    Wir dis­ku­tie­ren dies unter dem Stichwort „Monetarisierung“ des Bürgerschaftlichen Engagements. Denn es gibt eine Tendenz, den finan­zi­el­len Ausgleich wei­ter aus­zu­bau­en, Übungsleiterpauschale und Ehrenamtspauschale wur­den in der letz­ten Legislaturperiode ange­ho­ben. Und auch die Einführung des Bundesfreiwilligendienstes hat zu die­ser Debatte bei­ge­tra­gen. Dabei wird immer wie­der klar: Der Grat zwi­schen Anerkennung und Entlohnung ist stets ein schma­ler. Diesen zu fin­den, ist eine Aufgabe, der wir uns, gemein­sam mit den zivil­ge­sell­schaft­li­chen Organisationen stel­len müs­sen.

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    1. Steffen VoßSteffen Voß

      Ich glau­be, es ist gut das Ehrenamt vor allem dadurch zu unter­stüt­zen, dass man ihm hilft, einen guten Job machen zu kön­nen: Ich arbei­te ja auch als Hauptamtlicher für eine ehren­amt­li­che Organisation. Und ich sehe mei­ne wich­tigs­te Aufgabe nicht dar­in, dem Ehrenamt ein­fach irgend­wel­che Arbeit abzu­neh­men, son­dern ihm zu ermög­li­chen, sich auf sei­ne Aufgabe zu kon­zen­trie­ren. Gut arbei­ten zu kön­nen, ist für vie­le Menschen eine gro­ße Motivation. Kurse zu finan­zie­ren, ist da sicher eine gute Hilfe.

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  4. panama

    Das Charmante an dem Bonus für Kindererziehung ist, dass ich mich nicht in den Vordergrund stel­len und laut­hals auf mei­ne Verdienste ver­wei­sen muss, um aus­ge­zeich­net zu wer­den. Eine Armada Frauen backt Kuchen, über­nimmt den Verkauf an Ständen, ver­teilt Drucksachen, schreibt Protokolle, über­nimmt Fahrdienste und Hilfestellung für Schwäche. Dieses Engagement nimmt spür­bar ab. Nicht, weil Zeit fehlt. Sondern weil deren Hilfsbereitschaft von ande­ren aus­ge­nutzt wird, die sich damit per­sön­li­che Vorteile ver­schaf­fen. Was fehlt, ist die Gemeinschaft, und die Erkenntnis, dass jeder Handschlag dafür gleich wich­tig ist.

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