Sönke Rix / https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/deed.de
Der Trend geht zum Engagement in kurzfristigen Projekten — eine Goldene Ehrennadel für 60 Jahre Vereinsmitgliedschaft bekommt da niemand mehr. Feuerwehr, Kirche, Politik: Viele gesellschaftliche Strukturen sind aber darauf ausgelegt, dass sich Menschen langfristig einbringen. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Sönke Rix aus dem Kreis Rendsburg-Eckernförde ist stellvertretendes Mitglied im Unterausschuss Bürgerschaftliches Engagement und er beschreibt in seinem Gastartikel, was seiner Meinung nach getan werden müsste und was bereits getan wird.
Vielen Vereinsvorständen, Organisationen und Verbänden fehlt der Nachwuchs. Die Mitglieder werden immer älter und jüngere kommen nur selten nach. Die Gründe dafür sind vielen von uns – auch aus eigener Erfahrung – bekannt: Von jungen Leuten wird immer größere Flexibilität erwartet, gleichzeitig schreitet die Individualisierung der Gesellschaft voran. Viele junge Menschen leben zeitweilig oder auch länger in einer finanziellen und wirtschaftlichen Unsicherheit und wollen sich auch deshalb nicht mehr langfristig an ein Engagement binden. Hier könnte die Gleichung gelten: Kein sicherer Arbeitsplatz, kein langfristiger Job, keine Planungssicherheit, kein langfristiges Engagement.
Kurzfristige Projekte hingegen, die ein schnelles Erfolgserlebnis versprechen, sind attraktiver geworden. Dieser Wertewandel stellt auch die Parteien vor große Herausforderungen.
Den gesellschaftlichen Wandel kann Politik nicht aufhalten. Aber sie kann die Rahmenbedingungen für EhrenamtlerInnen und Engagierte verbessern. Um dies zu erreichen, beschäftigen wir uns einmal im Monat im Unterausschuss Bürgerschaftliches Engagement mit verschiedenen Aspekten des Themas. Der Unterausschuss ist hervorgegangen aus der Arbeit einer Enquete Kommission des Bundestages, die mit Michael Bürsch von einem Schleswig-Holsteiner geleitet wurde, und die hinsichtlich des Ehrenamtes und des Bürgerschaftlichen Engagements neue Fragen aufgeworfen und Problemfelder benannt hat. Viele der Erkenntnisse aus der Zeit der Enquete-Kommission sind nach wie vor aktuell:
Wir wissen z.B. aus Berichten, dass rechtliche Unsicherheiten häufig dazu führen, dass sich die Menschen vor Verantwortung in ehrenamtlichen Zusammenhängen scheuen. Wir müssen also Sicherheit schaffen. Dazu gehören eine gute rechtliche Beratung und Unterstützung von Vereinen, aber auch Regelungen, die eben keine böhmischen Dörfer für die Engagierten darstellen.
Ein weiteres Problem ist die fehlende Wertschätzung der Gesellschaft – insbesondere Kommunalpolitiker können davon ein Lied singen. Da müssen sich alle, auch die Redakteure der örtlichen Zeitungen, an die eigene Nase fassen: Denn wenn nur noch Häme und Besserwisserkommentare an der Tagesordnung sind, muss die Frage erlaubt sein: Warum macht Ihr es nicht selbst, sondern senkt und hebt (im Einzelfall) Eure Daumen nur von der Zuschauerbank? Der Verdacht auf Bequemlichkeit liegt da sehr nahe.
Aber auch anderen Engagierten fehlt oftmals die Anerkennung für ihre Arbeit. Dabei gibt es durchaus Möglichkeiten, diese zu zeigen. In Schleswig-Holstein können zum Beispiel diejenigen, die sich regelmäßig engagieren, die Ehrenamtskarte bekommen. Diese ermöglicht beispielsweise Ermäßigungen bei Kulturangeboten oder die Teilnahme an bestimmten Veranstaltungen. Zur Anerkennung gehört auch die Übungsleiterpauschale, die u.a. Trainer und Trainerinnen in Sportvereinen bekommen. Die Sportvereine müssen sich diese allerdings auch leisten können.
Auch immaterielle Anerkennung ist wichtig. Im Dezember bin ich regelmäßig bei der Preisverleihung des deutschen Bürgerpreises. Unter den Preisträgern war 2012 das Flensburger Projekt: „Die Sportpiraten“, die im Skatepark Schlachthof Freizeitmöglichkeiten für Jugendliche zwischen 14 und 20 bieten. Die große Freude und gleichzeitig die Motivation, sich weiter für dieses Projekt einzusetzen, konnte man den Gesichtern der jungen Leute ansehen. Auch die anderen Nominierten genossen den Abend und die Preisverleihung sichtbar. Von solchen Auszeichnungen und wertschätzenden Abenden benötigen wir mehr!
Wer sich in politischen Zusammenhängen engagiert, will auch wirklich über Politik entscheiden können. Die SPD setzt sich deshalb dafür ein, dass das Wahlalter für alle politischen Ebenen auf 16 Jahre herabgesetzt wird. Viele Entscheidungen, die auf Bundesebene gefällt werden, betreffen junge Leute unmittelbar. Deshalb sollen sie auch entscheiden dürfen. Damit einhergehen muss eine gute politische Bildung. Dazu gehört nicht nur ein fundierter Politikunterricht, sondern die Schülerinnen und Schüler müssen in der Schule auch die Möglichkeiten haben, sich aktiv einzubringen.
In einem Papier der AG Demokratie, die mein Kollege Hans Peter Bartels bis vor kurzem leitete, heißt es:
„Durch das Mitwirken an Schülerzeitungen, Schülerradios, sozialen und kulturellen Projekten lernen Kinder und Jugendliche Verantwortung zu übernehmen. Im Unterricht müssen demokratische Handlungskompetenzen erlernt werden, am besten geht das, wenn es auch im Unterricht demokratisch zugeht, eine Demokratisierung der Schule darf nicht vor den Klassenzimmern halt machen.”
Zudem setzen wir uns dafür ein, dass die Arbeit von Vereinen und Jugendverbänden gestärkt und aktiv in die Schule einbezogen wird. Außerdem muss die Vereinbarkeit von Schule und Engagement sichergestellt sein, z.B. durch einen freien Nachmittag pro Woche auch in Ganztagsschulen.
Als Verantwortliche in Parteien müssen wir natürlich als erstes damit anfangen, vor der eigenen Haustür zu kehren. Selbstkritik ist angebracht. Wir sollten uns alle hinter die Ohren schreiben, dass ein konstruktiver Umgang mit den Ideen des (Partei-)Nachwuchses notwendig ist. Nicht selten berichten uns Neumitglieder von Reaktionen in Parteigremien wie: „Geht nicht.“ „Haben wir noch nie so gemacht.“ „Wie unrealistisch ist das denn?“ „Haben wir schon längst ausprobiert.“ Diese Liste ließe sich noch beliebig fortführen. Und jeder und jede kann sich vorstellen, wie gerne er oder sie dann noch einmal wiederkommen möchte.
Wir werden uns der veränderten Realität stellen müssen, indem wir auch Projekte anbieten, an denen auch kurzfristig mitgearbeitet werden kann. Möglicherweise entsteht daraus Begeisterung und die Lust auf ein regelmäßiges und vielleicht sogar langfristiges Engagement.
Spannendes Thema — wobei die Ehrenamtskarte ja als Anreiz nett ist, aber sicher nicht reicht. Wir haben Erfahrungen damit gemacht, dass vor allem die Umstrukturierungen in den Studiengängen zu geringerem Engagement junger Menschen führen — wer sich einmal den Stundenplan von Studierenden angeschaut hat weiß dass Bologna kaum mehr Zeit für ehrenamtliche Arbeit lässt.
Für uns funktioniert Nachwuchsarbeit in einem ehrenamtlich geprägten Projekt nur dann, wenn wir mit einem festen Kern von Menschen, die längerfristig dabei sind, Bedingungen auch für Kurzfristengagements schaffen und das ganz gezielt auch attraktiv (beispielsweise durch Weiterbildung) machen. Was zum einen den Arbeitsaufwand für Vereins- und Angebotsmanagement in die Höhe treibt, zum anderen aber auch mit steigenden Mitgliederzahlen und vielen spannenden neuen Ideen belohnt wird.
Problematisch dabei ist, dass sich ja zeitgleich auch die Rahmenbedingungen für uns verändert haben. Beispiel sind veränderte Finanzierungsstrukturen, die dazu führen, dass man projektbezogener arbeitet (was ja im Prinzip nichts schlechtes ist) aber dabei halt einen sehr hohen Aufwand treiben muss um arbeitsfähig zu bleiben.
Unsere Erfahrung ist, dass ehrenamtliche Projekte nur dann erfolgreich im Sinne eines Einwirkens auf gesellschaftliche Strukturen arbeiten können wenn sie zumindest in professionellen Strukturen koordiniert werden.
Vielleicht können wir uns darüber ja mal intensiver austauschen?
Beste Grüße,
Carolina Koehn
Vorstand HAKI e. V.
lesbisch-schwule Emanzipationsarbeit in Schleswig-Holstein.
Als vielseitige und langjährig im Ehrenamt erprobte Bundesbürgerin (Kirche, Genossenschaft, KiGa, Schule, landesblog) würde ich mich über einen Bonus für meine künftige Rente mehr freuen, als über einen Preis im Wettbewerb oder eine Aufwandsentschädigung.
Das ist eigentlich eine schöne Idee, aber ist es noch Ehrenamt, wenn man Geld dafür bekommt — wenn auch nur nachgelagert?
Mir werden bereits Erziehungszeiten angerechnet. Das ist ebenso´n „Ehrenamt”.
Stimmt. Nächstes Problem: Während ziemlich klar ist, ab wann Du ein Kind hast, wann Du nicht arbeitest und wann diese Zeit vorbei ist, kann man das bei Ehrenamt viel schwerer sagen. Erziehung ist dann ja auch Full-Time. Wie lange arbeitest Du fürs Ehrenamt? Vermutlich schwankt das auch stark. Welche Art Ehrenamt zählt dann? Muss man das anerkennen lassen? Nach welchen Kriterien usw. Aus Deiner Perspektive ist das für Dich vielleicht recht eindeutig. Aber das muss ja auch nachvollziehbar sein. Und wenn Du Dir mal den „Stundenlohn” für die Erziehungszeiten ausrechnest und auf Dein Ehrenamt anwendest — kommt dabei etwas heraus, was den Aufwand des Nachweises lohnt?
Ich bin mir nicht ganz sicher — aber ich glaube, für den Bundesfreiwilligendienst könnte es so etwas geben, oder? Das muss man ja auch anmelden.
@ Carolina Koehn:
Das stimmt: Ehrenamtlichkeit braucht Hauptamtlichkeit und verlässliche Strukturen. Die projektbezogene Förderung stellt gute Programme und Initiativen immer wieder vor große finanzielle Herausforderungen. Der Bund darf aufgrund des Kooperationsverbots, das auch für den Bereich des Bürgerschaftlichen Engagements gilt, nur Modellprojekte fördern, und das auch nur über einen bestimmten Zeitraum. Hier müssen sich Länder und Kommunen frühzeitig einbringen und eine Anschlussfinanzierung anbieten, sofern sie das Projekt für sinnvoll erachten, um Planungssicherheit zu gewährleisten.
Und auch was die Bologna-Reformen betrifft, gebe ich Ihnen Recht: Die Ausübung eines Engagements während des Studiums ist schwieriger geworden – auch hier müssen wir Wege finden, um auch Studierenden wieder Räume zu ermöglichen, die ihnen Zeit für ein Engagement lassen. Das gilt für Ganztagsschulen und Universitäten gleichermaßen.
@panama
Ich verstehe, wenn jemand sagt, was kümmern mich Preise und Wettbewerbe; für mich zählt eher der monetäre Ausgleich. Aber Steffen trifft den Kern der Diskussion, wenn er bezweifelt, ob es dann noch um Ehrenamt und Engagement geht, wenn der finanzielle Aspekt eine so große Rolle spielt.
Denn Aufwandsentschädigungen sind eine Sache, einen finanziellen Gewinn aus einem Engagement zu ziehen eine andere. Bürgerschaftliches Engagement sollte stets freiwillig sein, auch wenn die Motive für ein Engagement ganz unterschiedlich sind (Erfahrungsgewinn, ein gutes Gefühl des „Gebrauchtwerdens“, Hilfsbereitschaft, persönliche Betroffenheit), so sollte der finanzielle Aspekt keinesfalls im Vordergrund stehen.
Wir diskutieren dies unter dem Stichwort „Monetarisierung“ des Bürgerschaftlichen Engagements. Denn es gibt eine Tendenz, den finanziellen Ausgleich weiter auszubauen, Übungsleiterpauschale und Ehrenamtspauschale wurden in der letzten Legislaturperiode angehoben. Und auch die Einführung des Bundesfreiwilligendienstes hat zu dieser Debatte beigetragen. Dabei wird immer wieder klar: Der Grat zwischen Anerkennung und Entlohnung ist stets ein schmaler. Diesen zu finden, ist eine Aufgabe, der wir uns, gemeinsam mit den zivilgesellschaftlichen Organisationen stellen müssen.
Ich glaube, es ist gut das Ehrenamt vor allem dadurch zu unterstützen, dass man ihm hilft, einen guten Job machen zu können: Ich arbeite ja auch als Hauptamtlicher für eine ehrenamtliche Organisation. Und ich sehe meine wichtigste Aufgabe nicht darin, dem Ehrenamt einfach irgendwelche Arbeit abzunehmen, sondern ihm zu ermöglichen, sich auf seine Aufgabe zu konzentrieren. Gut arbeiten zu können, ist für viele Menschen eine große Motivation. Kurse zu finanzieren, ist da sicher eine gute Hilfe.
Das Charmante an dem Bonus für Kindererziehung ist, dass ich mich nicht in den Vordergrund stellen und lauthals auf meine Verdienste verweisen muss, um ausgezeichnet zu werden. Eine Armada Frauen backt Kuchen, übernimmt den Verkauf an Ständen, verteilt Drucksachen, schreibt Protokolle, übernimmt Fahrdienste und Hilfestellung für Schwäche. Dieses Engagement nimmt spürbar ab. Nicht, weil Zeit fehlt. Sondern weil deren Hilfsbereitschaft von anderen ausgenutzt wird, die sich damit persönliche Vorteile verschaffen. Was fehlt, ist die Gemeinschaft, und die Erkenntnis, dass jeder Handschlag dafür gleich wichtig ist.