By: Kevin Wong - CC BY 2.0
Seit 20 Jahren ist der Paragraf 175, der sexuelle Handlungen zwischen Personen männlichen Geschlechts unter Strafe stellte, nicht mehr Teil des deutschen Strafgesetzes. Für die Plenarsitzung im November steht ein Antrag der Fraktionen der SPD, Bündnis 90/ Die Grünen und der Abgeordneten des SSW auf der Tagesordnung, der sich mit der Rehabilitierung verurteilter homosexueller Menschen nach 1945 beschäftigt. Für Schleswig-Holstein gibt es keine belastbaren Opferzahlen für diese Zeit, deutschlandweit geht man jedoch von etwa 100.000 Anklagen und 50.000 Verurteilungen aus, die sich auf dieses Gesetz beziehen.
Eine zentrale Rolle spielt dabei die Geschichte des Paragrafs 175 StGB, der bereits 1871 in dieses Gesetzbuch aufgenommen wurde. Dieser verbietet homosexuelle Handlungen und stellte laut der Fassung von 1871 dafür bis zu sechs Jahre Gefängnis in Aussicht. 1940 wurde dieser Paragraf durch einen Erlass von SS- und Polizei-Chef Heinrich Himmler nach seiner Ernennung zum „Reichskommissar für die Festigung des deutschen Volkstums“ verschärft und verfügte, dass „alle Homosexuellen, die mehr als einen Partner „verführt” haben, … nach ihrer gerichtlich angeordneten Strafverbüßung in „Vorbeugehaft” zu nehmen [sind]”. Das bedeutete für etwa 15.000 homosexuelle Männer die Verschleppung in ein Konzentrationslager und Historiker sprechen von etwa 40 Prozent Überlebenden. Hierbei muss man jedoch von Schätzungen ausgehen, da nicht genau nachvollziehbar, wie viele der Menschen homosexuell waren, die aus anderen Gründen in Konzentrationslagern ermordet wurden.
Nach dem Krieg kehrte man in der Verfassung der BRD zu den Formulierungen von 1871 zurück, während in der DDR der Paragraf 175 aufgehoben wurde und man gemäß Paragraf 151 „homosexueller Handlungen zwischen Erwachsenen und Jugendlichen” unter Verbot stellte.
In den 60er und 70er Jahren wurde der Paragraf 175 weiter reformiert, indem man das Schutzalter für Homosexuelle abweichend von dem für hetrosexuelle Handlungen erst auf 21 Jahre und 1973 auf 18 Jahre festsetzte, während die sexuelle Selbstbestimmung Mädchen und Frauen in heterosexuellen Verpartnerungen ab 14 Jahren zugestanden wurde. Erst 1994 wurde das Schutzalter für homosexuelle Handlungen dem der heterosexuellen Handlungen gleichgestellt.
Im Verlauf der Zeit schwankten die Strafmaße dabei zwischen fünf Jahren Haft und einer Mindeststrafe von drei Mark. Insgesamt geht man von 100.000 Ermittlungsverfahren und etwa 50.000 rechtskräftigen Verurteilungen in der BRD aus. Aus Quellen der DDR-Justiz sind etwa 1.300 Fälle nachweisbar. Die Belastungen der Opfer sind jedoch nicht nur an den Verurteilungen festzumachen. Es gibt vor allem aus den frühen Jahrzehnten der BRD Berichte über Suizide und Fluchten ins Ausland, die die Folge von Anklagen aufgrund des Paragrafs 175 waren. Für manche Betroffene bedeutete eine Anklage auch ohne eine Verurteilung das berufliche oder gesellschaftliche Aus.
Rehabilitierungsprozess
Im Jahr 2002 wurden durch das NS-Unrechtsurteileaufhebungsgesetz pauschal alle Urteile gegen Homosexuelle, Deserteure, Wehrdienstverweigerer, Wehrkraftzersetzer und andere Opfer der NS-Militärjustiz von vor 1945 aufgehoben. In Bezug auf Urteile nach 1945 ist die Diskussion kontroverser. Seit 2012 wird im Bundesrat dieses Thema beraten, was vor allem auf die Initiativen aus verschiedenen Bundesländern zurückzuführen ist, die die Rehabilitierung und Entschädigungen der Verurteilten als wichtig ansahen. Aus Schleswig-Holstein war bisher keine solche Initiative gekommen. Zwar wurde in einer Landtagssitzung im Jahr 2001 von Karl-Martin Hentschel (Bündnis 90/ Die Grünen) festgestellt, dass 31 Jahre nach Ende des 2. Weltkriegs „die Verurteilung nach § 175 StGB als Verletzung der Menschenwürde der Betroffenen anerkannt” wurde und Ralf Stegner äußerte sich 2013 ebenfalls in einer Plenarsitzung betroffen: „Ich schäme mich auch dafür, dass wir bis spät in die 60er-, Anfang der 70er-Jahre gebraucht haben, um uns damals mithilfe der FDP von diesem unsäglichen § 175 StGB zu lösen, den wir in der deutschen Geschichte hatten. Dieser war einfach verkehrt.” Doch eine Initiative in Bezug auf Rehabilitierung und ggf. Entschädigung fehlte bisher.
Juristische Schwierigkeiten
So einfach ist selbiges jedoch auch nicht, denn eine pauschale Aufhebung aller alten Urteile gegen Homosexuelle wären verfassungsrechtlich angreifbar. Der Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Klaus Gärditz von der Universität Bonn formulierte es folgendermaßen: „Gerichtsentscheidungen, die von Karlsruhe als verfassungskonform bestätigt worden seien, könne man nicht mit Willkürurteilen der NS-Justiz gleichsetzen. Wenn man Urteile gegen eine bestimmte Gruppe wie die Homosexuellen aufhebe, stelle sich die Frage, warum man dies nicht auch bei anderen Gruppen mache.” Prof. Dr. Dr. Herbert Grziwotz, Historiker und Honorarprofessor an der Universität Regensburg, unterstrich, dass die generelle Aufhebung der gegen Homosexuelle gefällten Urteile unvereinbar mit der Gewaltenteilung sei. Die Unabhängigkeit der Justiz von den anderen Staatsgewalten sei jedoch für einen Rechtsstaat zentral.
Der eingangs erwähnte Antrag an den Landtag beinhaltet die Begrüßung der Forderung des Bundesrates an die Bundesregierung, „Maßnahmen zur Rehabilitierung und Unterstützung für die nach 1945 in beiden deutschen Staaten wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen Verurteilten vorzuschlagen.” Dass für die Betroffenen ein Unrecht vorliegt, steht außer Frage, doch wie eine solche Rehabilitierung aussehen kann, bedarf sicherlich noch vieler Diskussionen.
Quellen:
- Verband lesbischer und schwuler Polizeibedienster
- LSVD-Verein für europäische Kooperation e.V.
- Wikipedia § 175
- Wikipedia Frankfurter Homosexuellenprozesse