Foto: Joe Buckingham - CC BY 2.0
Die Kieler Nachrichten (KN) wollen in Kiel ein Drittel ihrer Redakteure einsparen sowie die Redaktion der Segeberger Nachrichten halbieren. „Kahlschlag” nennt das die zuständige Gewerkschaft ver.di Nord. Und Günther Jesumann, Vorsitzender des Deutschen Journalistenverbandes (DJV) in Schleswig-Holstein beklagt im Schleswig-Holstein Magazin, er vermisse einen Plan aus dem erkennbar werde, wie die Geschäftsführung den Verlag aus der Krise führen will. Bekannt wurde bisher nur, dass künftig mehr Inhalte aus der Zentrale von Madsack in Hannover geliefert werden. Der Konzern hält 49 % der Anteile an den KN. So ähnlich hat sich Ende der 1960er auch die Schleswig-Holsteinische Volkszeitung versucht zu retten.
Im Jahr 1946 bekamen zwei Zeitungen mit Sitz in Kiel von der britischen Militärregierung die Erlaubnis, ihre Arbeit wieder aufzunehmen. Diese Lizenzen wurden damals an Personen vergeben, die jeweils einer demokratischen Partei nahe standen. Dr. Curt Heinrich bekam die CDU-Lizenz für die Kieler Nachrichten und Karl Ratz die SPD-Lizenz für die Schleswig-Holsteinische Volkszeitung (VZ), berichtet Karl Rickers in seinem Buch „Erinnerungen eines Kieler Journalisten 1920 – 1970″. Er war letzter Chefredakteur der VZ.
Karl Rickers beschreibt den Niedergang der Volkszeitung in den letzten Jahren bis 1968: Die Zeitung hatte zu wenig Abonnenten, um für Werbungtreibende attraktiv zu sein. Sobald der Boom der ersten Jahre der Bundesrepublik sich abschwächte, bekam die Zeitung das zu spüren. Der Journalist beklagte die Konkurrenz durch „Rundfunkmedien” und die KN innerhalb der Stadt. Die Volkszeitung war durch sinkende Vertriebserlöse auf steigende Einnahmen aus dem Anzeigenverkauf angewiesen. Vor dem Krieg seien die Arbeitnehmer „klassenbewusst” gewesen und hätten selbstverständlich die SPD-nahe Zeitung gekauft: „Jedenfalls wurde etwa zu diesem Zeitpunkt spürbar, dass der VZ das Anzeigengeschäft unter den Händen wegzuschmelzen begann. Eine verhängnisvolle Entwicklung: Die publizistische Präsenz der Zeitung würde also künftig vom Anzeigengeschäft abhängen.” Die aktuellen Pläne der Kieler Nachrichten begründete Geschäftsführer Sven Fricke laut seiner Zeitung mit schrumpfenden Erlösen im Anzeigen- und Beilagengeschäft, einer sinkenden Printauflage und steigenden Kosten in Logistik und bei der Zustellung.
In einem Beispiel erklärt Karl Rickers, wie die klamme Finanzausstattung des Verlages sich auf die Berichterstattung auswirkte: Es gab ein Geschäft in der Holtenauerstraße irgendwo im zweiten Stock — man musste wissen wo das ist. Und das erfuhr man nur per Mundpropaganda, denn der Laden konnte durch niedrige Miete und den Verzicht auf jede Werbung extrem billig sein. Darüber schrieb ein Redakteur. Und das brachte die Kunden auf die Palme: Über den Laden wird berichtet, weil er keine Werbung macht. Während sie für ihren Platz in der Zeitung bezahlen müssten. Mit dem Hinweis, die Volkszeitung würde wohl auch ohne Werbung auskommen, stornierten sie ihre Aufträge.
Die Zeitung entfernt sich weiter von ihren Lesern
Ernst wurde die Lage bei der Volkszeitung, als aufflog, dass die Differenz zwischen angegebener und tatsächlicher Auflage erheblich war. „Um die Zeitung zu retten, wäre nur der Weg einer Verschmelzung der VZ mit einer überregionalen Zeitungsgruppierung gewesen”, schrieb Karl Rickers. Die Redaktion prüfte die Zusammenarbeit mit der Hannoverschen Presse. Man wollte den „Mantel”, überregionale Artikel und überregionale Anzeigen übernehmen. Dazu kam es nicht mehr.
1967 hatte die Volkszeitung die regionale Berichterstattung schon stark zurückgefahren. Mit der Entscheidung, alle Regionalausgaben aufzugeben, nahm die Geschäftsführung in Kauf, dass absehbar jeweils 1.000 Abonnenten kündigen würden. Es gab jede Menge Reibereien in Redaktion und Geschäftsführung. Einige Redakteure liefen über zu den Kieler Nachrichten. Im Laufe des Jahres schrumpfte die Arbeit der VZ auf den Lokalteil zusammen und man holte sich die überregionalen Artikel über eine Kooperation mit den Lübecker Nachrichten — der dortigen CDU-Lizenzzeitung.
Doch auch diese wesentlich kostengünstigere Produktion konnte den Vertrauensverlust bei den Lesern nicht aufhalten. Am Ende streikten die Mitarbeiter wegen einer umstrittenen Personalentscheidung, die die SPD getroffen hatte. Die Partei hatte die zuletzt 13.000 täglichen Exemplare mit rund 80.000 DM monatlich subventioniert. Mit Ablauf des Jahres wurde die Schleswig-Holsteinische Volkszeitung eingestellt.
„Der Vater erstellt’s, der Sohn erhält’s, dem Enkel zerfällt’s”
Im Medienmagazin ZAPP wird vermutet, dass die Erben die KN „fit” für eine weitergehende Übernahme durch Madsack machen wollen — dagegen spricht, dass ihre „Heinrich Beteiligungs GmbH” gerade 27% an den Lübecker Nachrichten übernehmen wollen. Für den Fall einer kompletten Übernahme durch Madsack sieht Günther Jesumann schwarz für die Kieler Nachrichten. Und tatsächlich hat auch der Medienwissenschaftler Michael Haller beobachtet, dass die Tageszeitungen nicht besser funktionieren, wenn sie in Unruhe geraten. Es wäre fatal, wenn die Mitarbeiter das Vertrauen in die Eigentümer und die Leser in ihre Zeitung verlieren.
Links
- Hörtipp: SWR2 Forum — Zeitungssterben ohne Ende?
- re:publica10: How to save your local newspaper with social tools
- Kiel Wiki: Kieler Nachrichten
- SPD-Geschichtswerkstatt: Schleswig-Holsteinische Volkszeitung
7 Gedanken zu “Wie Kiel schon einmal eine Zeitung verlor”: