Wie Kiel schon einmal eine Zeitung verlor

Von | 9. Dezember 2014
Zeitung

Foto: Joe Buckingham - CC BY 2.0

Die Kieler Nachrichten (KN) wol­len in Kiel ein Drittel ihrer Redakteure ein­spa­ren sowie die Redaktion der Segeberger Nachrichten hal­bie­ren. „Kahlschlag” nennt das die zustän­di­ge Gewerkschaft ver.di Nord. Und Günther Jesumann, Vorsitzender des Deutschen Journalistenverbandes (DJV) in Schleswig-Holstein beklagt im Schleswig-Holstein Magazin, er ver­mis­se einen Plan aus dem erkenn­bar wer­de, wie die Geschäftsführung den Verlag aus der Krise füh­ren will. Bekannt wur­de bis­her nur, dass künf­tig mehr Inhalte aus der Zentrale von Madsack in Hannover gelie­fert wer­den. Der Konzern hält 49 % der Anteile an den KN. So ähn­lich hat sich Ende der 1960er auch die Schleswig-Holsteinische Volkszeitung ver­sucht zu ret­ten.

Im Jahr 1946 beka­men zwei Zeitungen mit Sitz in Kiel von der bri­ti­schen Militärregierung die Erlaubnis, ihre Arbeit wie­der auf­zu­neh­men. Diese Lizenzen wur­den damals an Personen ver­ge­ben, die jeweils einer demo­kra­ti­schen Partei nahe stan­den. Dr. Curt Heinrich bekam die CDU-​​Lizenz für die Kieler Nachrichten und Karl Ratz die SPD-​​Lizenz für die Schleswig-​​Holsteinische Volkszeitung (VZ), berich­tet Karl Rickers in sei­nem Buch „Erinnerungen eines Kieler Journalisten 1920 – 1970″. Er war letz­ter Chefredakteur der VZ.

Karl Rickers beschreibt den Niedergang der Volkszeitung in den letz­ten Jahren bis 1968: Die Zeitung hat­te zu wenig Abonnenten, um für Werbungtreibende attrak­tiv zu sein. Sobald der Boom der ers­ten Jahre der Bundesrepublik sich abschwäch­te, bekam die Zeitung das zu spü­ren. Der Journalist beklag­te die Konkurrenz durch „Rundfunkmedien” und die KN inner­halb der Stadt. Die Volkszeitung war durch sin­ken­de Vertriebserlöse auf stei­gen­de Einnahmen aus dem Anzeigenverkauf ange­wie­sen. Vor dem Krieg sei­en die Arbeitnehmer „klas­sen­be­wusst” gewe­sen und hät­ten selbst­ver­ständ­lich die SPD-​​na­he Zeitung gekau­ft: „Jedenfalls wur­de etwa zu die­sem Zeitpunkt spür­bar, dass der VZ das Anzeigengeschäft unter den Händen weg­zu­schmel­zen begann. Eine ver­häng­nis­volle Entwicklung: Die publi­zis­ti­sche Präsenz der Zeitung wür­de also künf­tig vom Anzeigengeschäft abhän­gen.” Die aktu­el­len Pläne der Kieler Nachrichten begrün­dete Geschäftsführer Sven Fricke laut sei­ner Zeitung mit schrump­fen­den Erlösen im Anzeigen- und Beilagengeschäft, einer sin­kenden Printauflage und stei­genden Kosten in Logistik und bei der Zustellung.

In einem Beispiel erklärt Karl Rickers, wie die klam­me Finanzausstattung des Verlages sich auf die Berichterstattung aus­wirkte: Es gab ein Geschäft in der Holtenauerstraße irgend­wo im zwei­ten Stock — man muss­te wis­sen wo das ist. Und das erfuhr man nur per Mundpropaganda, denn der Laden konn­te durch nied­ri­ge Miete und den Verzicht auf jede Werbung extrem bil­lig sein. Darüber schrieb ein Redakteur. Und das brach­te die Kunden auf die Palme: Über den Laden wird berich­tet, weil er kei­ne Werbung macht. Während sie für ihren Platz in der Zeitung bezah­len müss­ten. Mit dem Hinweis, die Volkszeitung wür­de wohl auch ohne Werbung aus­kom­men, stor­nier­ten sie ihre Aufträge.

Die Zeitung entfernt sich weiter von ihren Lesern

Ernst wur­de die Lage bei der Volkszeitung, als auf­flog, dass die Differenz zwi­schen ange­ge­be­ner und tat­säch­li­cher Auflage erheb­lich war. „Um die Zeitung zu ret­ten, wäre nur der Weg einer Verschmelzung der VZ mit einer über­re­gio­na­len Zeitungsgruppierung gewe­sen”, schrieb Karl Rickers. Die Redaktion prüf­te die Zusammenarbeit mit der Hannoverschen Presse. Man woll­te den „Mantel”, über­re­gio­nale Artikel und über­re­gio­nale Anzeigen über­neh­men. Dazu kam es nicht mehr.

1967 hat­te die Volkszeitung die regio­nale Berichterstattung schon stark zurück­ge­fah­ren. Mit der Entscheidung, alle Regionalausgaben auf­zu­ge­ben, nahm die Geschäftsführung in Kauf, dass abseh­bar jeweils 1.000 Abonnenten kün­di­gen wür­den. Es gab jede Menge Reibereien in Redaktion und Geschäftsführung. Einige Redakteure lie­fen über zu den Kieler Nachrichten. Im Laufe des Jahres schrumpf­te die Arbeit der VZ auf den Lokalteil zusam­men und man hol­te sich die über­re­gio­na­len Artikel über eine Kooperation mit den Lübecker Nachrichten — der dor­ti­gen CDU-​​Lizenzzeitung.

Doch auch die­se wesent­lich kos­ten­güns­ti­gere Produktion konn­te den Vertrauensverlust bei den Lesern nicht auf­hal­ten. Am Ende streik­ten die Mitarbeiter wegen einer umstrit­te­nen Personalentscheidung, die die SPD getrof­fen hat­te. Die Partei hat­te die zuletzt 13.000 täg­li­chen Exemplare mit rund 80.000 DM monat­lich sub­ven­tio­niert. Mit Ablauf des Jahres wur­de die Schleswig-​​Holsteinische Volkszeitung ein­ge­stellt.

„Der Vater erstellt’s, der Sohn erhält’s, dem Enkel zerfällt’s”

Im Medienmagazin ZAPP wird ver­mu­tet, dass die Erben die KN „fit” für eine wei­ter­ge­hende Über­nahme durch Madsack machen wol­len — dage­gen spricht, dass ihre „Heinrich Beteiligungs GmbH” gera­de 27% an den Lübecker Nachrichten über­neh­men wol­len. Für den Fall einer kom­plet­ten Übernahme durch Madsack sieht Günther Jesumann schwarz für die Kieler Nachrichten. Und tat­säch­lich hat auch der Medienwissenschaftler Michael Haller beob­ach­tet, dass die Tageszeitungen nicht bes­ser funk­tio­nie­ren, wenn sie in Unruhe gera­ten. Es wäre fatal, wenn die Mitarbeiter das Vertrauen in die Eigentümer und die Leser in ihre Zeitung ver­lieren.

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7 Gedanken zu “Wie Kiel schon einmal eine Zeitung verlor”:

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